VwGH Ra 2015/06/0124

VwGHRa 2015/06/012429.1.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätinnen Dr. Bayjones und Mag.a Merl als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Lehner, über die Revision des Dr. J R in I, vertreten durch Mag. Martin Dimai, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 13/1, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 12. Oktober 2015, Zl. LVwG- 2014/42/1597-2, betreffend Parteistellung in einem Bauverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtmagistrat Innsbruck; mitbeteiligte Partei: R GesmbH, weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

12010P/TXT Grundrechte Charta Art47;
AVG §13a;
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
BauO Tir 2011 §26 Abs3;
BauRallg;
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art6 Abs1;
ROG Tir 2011 §61;
VwGVG 2014 §24 Abs4;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015060124.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Stadtmagistrates Innsbruck vom 26. März 2014 wurde der Mitbeteiligten auf Grund ihres Ansuchens vom 7. November 2013 die baurechtliche Genehmigung zur Errichtung einer Wohnanlage mit Tiefgarage auf dem Grundstück Nr. 1162/6, KG 81111 H., erteilt.

Der Revisionswerber ist Eigentümer des nördlich unmittelbar an das Baugrundstück anschließenden Grundstückes Nr. 1162/1, KG 81111 H. Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens erhob er nach ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung gemäß § 42 Abs. 1 AVG, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung während der Amtsstunden bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt, mit Schriftsatz vom 27. Februar 2014 folgende Einwendungen: die Höchstbaumassendichte werde erheblich überschritten, das Dachgeschoss stelle ein Vollgeschoss dar und sei bei der Berechnung der Baumassendichte und der Bebauungsdichte miteinzubeziehen; die Erfordernisse der Gesamtenergieeffizienz seien nicht bzw. unzureichend erfüllt; es liege kein Energieausweis vor; wegen des abschüssigen Geländes und des vorhandenen Lehmbodens bestehe die Gefahr, dass der Boden oder das Gebäude des Nachbarn die erforderliche Stütze verliere (Hinweis auf § 364b ABGB); im Grundbuch sei die Dienstbarkeit des Betriebes einer Sickergrube und einer Kanalleitung zugunsten der Liegenschaft des Revisionswerbers einverleibt, was den Bau verhindere. Zusätzlich wurde auf die "äußerst prekäre Verkehrslage" für die Bewohner des L-Weges hingewiesen.

In seiner Beschwerde wiederholte der Revisionswerber seine Einwendungen vom 27. Februar 2014 und rügte darüber hinaus Verfahrensfehler der Behörde erster Instanz; das Gutachten der Amtssachverständigen sei sowohl was die Baumasse als auch das Vollgeschoss betreffe unrichtig und widerspreche dem vom Revisionswerber eingeholten Privatgutachten, das in der Bauverhandlung angeboten worden sei, worauf die Verhandlungsleiterin jedoch mit keinem Wort eingegangen sei. Abschließend beantragte der Revisionswerber die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch das Verwaltungsgericht.

Mit dem angefochtenen Beschluss (vom 12. Oktober 2015) wies das LVwG die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 28 VwGVG als unzulässig zurück und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei ordnungsgemäß geladen und auch über die Rechtsfolgen im Sinne des § 42 Abs. 1 AVG 1991 betreffend die Präklusionsfolgen belehrt worden. Er habe jedoch bis zum Schluss der mündlichen Bauverhandlung keine subjektiv-öffentlichen Rechte im Sinn des § 26 Abs. 3 lit. a bis f TBO 2011 geltend gemacht und damit seine Parteistellung im weiteren Verfahren verloren. Die Aufzählung der subjektiv-öffentlichen Rechte in § 26 Abs. 3 lit. a bis f TBO 2011 sei taxativ. Die Baudichte sei in dieser Bestimmung nicht aufgezählt, daher komme den Nachbarn diesbezüglich kein Nachbarrecht zu (Hinweis unter anderem auf die hg. Erkenntnisse vom 27. April 2011, Zl. 2011/06/0001, und vom 25. September 2007, Zl. 2006/06/0168). Diesbezüglich könne der Revisionswerber auch keinen Verfahrensmangel geltend machen, weil die Verfahrensrechte nicht weitergehen könnten als die materiellen Rechte einer Partei. Auch hinsichtlich der vermeintlichen Nichteinhaltung der im Bebauungsplan vorgesehenen Baumassendichte und die Nichtberücksichtigung des Dachgeschosses als Vollgeschoss bei der Berechnung der Baumassendichte, der Erstellung eines Energieausweises und der Abwehr von Gefahren für Grundstücke der Nachbarn durch Vertiefung des Baugrundstückes stellten keine Nachbarrechte dar (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2008/06/0172). Die Dienstbarkeit des Betriebes der Sickergrube und der Kanalleitung zugunsten der Liegenschaft des Revisionswerbers stelle eine privatrechtliche Einwendung dar, die im Gerichtsweg auszutragen sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1991, Zl. 89/06/0007). Somit seien vom Revisionswerber bis zum Ende der mündlichen Verhandlung keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte geltend gemacht worden; er habe daher seine Parteistellung im Bauverfahren verloren, weil nur unzulässige Einwendungen erhoben worden seien (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2007/05/0021).

Dem vom Revisionswerber gerügten Verfahrensmangel, ein von ihm in der mündlichen Verhandlung angebotenes Privatgutachten sei bei der Entscheidung unberücksichtigt geblieben, hielt das LVwG entgegen, der Verhandlungsschrift über die mündliche Bauverhandlung sei die Vorlage eines Privatgutachtens durch den Revisionswerber nicht zu entnehmen, die Verhandlungsschrift sei vom Revisionswerber auch nicht beeinsprucht worden. Sofern sich dieses Privatgutachten auf die Einhaltung der Baumassendichte beziehe, bestehe kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht, weshalb der Revisionswerber diesbezüglich einen Verfahrensmangel nicht mit Erfolg geltend machen könne.

Da der Revisionswerber auch die Verletzung seines Parteienrechtes auf Akteneinsicht gerügt habe, habe das LVwG ihm die Einsicht in den gesamten dem Gericht vorgelegten erstinstanzlichen Bauakt gewährt, womit einem etwaigen Verfahrensmangel die Grundlage entzogen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

In seinen Ausführungen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG rügte der Revisionswerber die Verletzung tragender Verfahrensvorschriften. Besonders schwer wiege die teilweise falsche und teilweise unterbliebene Anleitung des Revisionswerbers, die nach der Argumentation des LVwG dazu geführt habe, dass er die Parteistellung verloren habe. Die rechtliche Bedeutung des Umstandes, dass seine Einwendungen in der Niederschrift zur Verhandlung vom 3. März 2014 nur kursorisch festgehalten worden seien, sei ihm nicht erklärt worden; gleiches gelte für die Protokollierung des in der Verhandlung gestellten Beweisantrages betreffend die angebotene Beibringung eines Privatgutachtens zur Frage, ob die Vorgaben des Bebauungsplanes eingehalten würden. Er sei auch nicht belehrt worden, dass er seine Einwendungen weiter zu präzisieren habe bzw. die Niederschrift zur Verhandlung beanstanden könne. Das LVwG habe das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung weitgehend mit der Wiedergabe des § 24 Abs. 4 VwGG (gemeint wohl: VwGVG) begründet, was nicht ausreichend sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 20. November 2014, Zl. Ra 2014/07/0052). Dies stelle einen schwerwiegenden Verfahrensmangel bzw. die Verletzung eines tragenden Verfahrensgrundsatzes dar. Grundsätzliche Bedeutung komme der Revision ferner auf Grund der ungewöhnlichen Häufung von Mängeln zu, zu der es im gegenständlichen Verfahren gekommen sei. Es sei das Recht auf Gehör und das Recht auf Akteneinsicht mehrfach verletzt worden, über die Beweisanträge des Revisionswerbers sei teils nicht abgesprochen worden bzw. seien diese ohne hinreichende Begründung abgetan worden. Die Häufung der Mängel und deren Zusammenspiel hätten dazu geführt, dass der erhobene Sachverhalt unvollständig geblieben sei und keine ausreichende Entscheidungsgrundlage bilde. Darin sei eine schwerwiegende, rechtsstaatlich bedenkliche Unzulänglichkeit des Verfahrens zu erblicken, weshalb der Revision grundlegende Bedeutung zukomme.

Zunächst ist dem Revisionswerber zuzustimmen, dass Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung nicht nur solche des materiellen, sondern auch des Verfahrensrechtes sein können. Eine solche Bedeutung kommt der Entscheidung jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen. Dies setzt voraus, dass die Revision von der Lösung dieser geltend gemachten Rechtsfrage abhängt, wovon in Zusammenhang mit einem Verfahrensmangel nur dann ausgegangen werden kann, wenn auch die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang dargetan wird (vgl. den hg. Beschluss vom 9. Oktober 2014, Ra 2014/18/0036 bis 0039).

Die Revision zeigt mit ihren gemäß § 28 Abs. 3 VwGG erstatteten Ausführungen die Relevanz des behaupteten Mangels für den Verfahrensausgang jedoch nicht auf. Der hg. Judikatur zufolge geht die Manuduktionspflicht der Behörde nicht so weit, dass eine Partei zur inhaltlichen Ausgestaltung von Einwendungen angeleitet werden müsse (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 2014, Ro 2014/06/0011, mwN). Angesichts des unbestritten gebliebenen Hinweises auf die Rechtsfolgen unterlassener Einwendungen in der Kundmachung zur mündlichen Verhandlung besteht in Ansehung der Erhebung von Einwendungen keine weitere Manuduktionspflicht der Behörde (vgl. Walter/Thienel, AVG § 13a E 21). Diese hat Parteien auch nicht anzuleiten, dass sie bestimmte Beweisanträge zu stellen, Beweismittel vorzubringen oder Sachverständigengutachten auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten hätten (vgl. die bei Hengstschläger/Leeb, AVG § 13a Rz 6 zitierte hg. Judikatur).

Es entspricht auch der ständigen hg. Judikatur zu § 26 Abs. 3 TBO 2011, dass Nachbarn kein Mitspracherecht hinsichtlich einer allfälligen Überschreitung der Baudichte - worunter gemäß § 61 TROG 2011 neben der Nutzflächendichte auch die Baumassendichte und Bebauungsdichte fallen - zukommt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 2015, Zl. Ro 2014/06/0036, mwN). Es war dem Revisionswerber unbenommen, ein "Privatgutachten zur Frage, ob die Vorgaben des Bebauungsplanes eingehalten werden", vorzulegen; ein solches liegt den Verfahrensakten jedoch nicht bei. Ein Angebot, ein Privatgutachten vorlegen zu können, ist nicht als zulässige Einwendung anzusehen. Dass der Revisionswerber bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung substantiierte Einwendungen hinsichtlich der Baufluchtlinien, der Baugrenzlinien, der Bauweise und der Bauhöhe - nur hinsichtlich dieser Festlegungen des Bebauungsplanes können Nachbarn gemäß § 26 Abs. 3 lit. c TBO 2011 erfolgreich die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geltend machen - vorgebracht hätte, behauptet er in seinen Ausführungen zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht. Seine schriftlichen Einwendungen betreffend das Dachgeschoss beziehen sich nur auf dessen Berücksichtigung bei der Berechnung der Baumassendichte und der Bebauungsdichte, hinsichtlich derer Nachbarn jedoch - wie oben dargelegt - kein Mitspracherecht zukommt.

Bezüglich der behaupteten Verletzung seines Rechtes auf Akteneinsicht wendet sich der Revisionswerber nicht gegen die Ausführungen des LVwG im angefochtenen Beschluss, wonach dieses dem Revisionswerber Einsicht in den gesamten, dem LVwG vorgelegten erstinstanzlichen Bauakt gewährt habe, wovon er offenbar am 2. September 2015 auch Gebrauch machte. Darüber hinaus bezieht sich der Revisionswerber in der Beschwerde auf eine am 18. Februar 2014 genommene Akteneinsicht. Eine schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Rechtes auf Akteneinsicht kann aber schon im Hinblick auf den eingetretenen Verlust der Parteistellung nicht erblickt werden.

Von daher standen auch Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dem Absehen von einer Verhandlung von Seiten des LVwG (§ 24 Abs. 4 VwGVG) nicht entgegen, zumal insbesondere der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststand und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten konnten, sodass eine Verhandlung nicht notwendig war (vgl. den hg. Beschluss vom 15. Mai 2015, Zl. Ra 2015/03/0030, mwN). Dass das LVwG den Entfall der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen mit dem Text des § 24 Abs. 4 VwGVG begründete, stellt für sich genommen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung dar.

In der Revision wurde somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, sodass sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als unzulässig zurückzuweisen war.

Wien, am 29. Jänner 2016

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