Normen
B-VG Art133 Abs4;
MRK Art6;
VStG §51e Abs3 Z1;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs3 Z1;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs5;
VwGVG 2014 §44;
VwGVG 2014 §48;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015040016.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg (belangte Behörde) vom 21. Oktober 2014 wurde über die Revisionswerberin wegen Übertretung des § 366 Abs. 1 Z 3 zweiter Fall Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 900,- verhängt, weil sie als Gewerbeinhaberin im Zeitraum 18. Juli 2013 bis 24. September 2013 eine näher umschriebene Gastgewerbebetriebsanlage nach Vornahme von Änderungen ohne die erforderliche gewerbebehördliche Genehmigung gemäß § 81 GewO 1994 betrieben habe. Konkret wurde wie folgt ausgeführt:
"Die Änderungen erfolgten durch:
- Errichtung einer Eingangstüre vom Hofbereich in die Gaststube mit ca. 40 m2 mit einer lichten Durchgangsbreite von 80 cm anstelle der planlich dargestellten 100 cm im genehmigten Bestandsplan;
- Hinzunahme eines Gastraumes mit ca. 31 m2 für ca. 20 Personen mit einer Raumhöhe von 2,62 m, erreichbar rechterhand von der ersten Gaststube;
- Hinzunahme eines Lagerraumes mit ca. 30 m2, von der Küche aus erreichbar, in einem Teilbereich des ¿Kellers' laut genehmigten Plan dargestellten Kellers;
- Hinzunahme eines Erdkellers mit ca. 32 m2 als weiteren Lagerraum;
- Hinzunahme einer weiteren Gaststube mit ca. 21 m2 für ca. 10 Personen im übrigen Teilbereich des ¿Kellers' laut Genehmigungsplan, erreichbar linkerhand von der ersten Gaststube mit ca. 40 m2;
- Errichtung einer mobilen Faltwand als Abtrennung in der ¿Gaststube' mit ca. 67 m2;
- Errichtung der Ausgangstüre von der Gaststube mit ca. 67 m2 ins Freie mit einer nutzbaren Durchgangslichte von 88 cm statt 100 cm;
- Hinzunahme eines Abstellraumes mit ca. 7 m2, erreichbar über den Gangbereich;
- Änderungen der WC-Anlagen für Damen (2 statt 1 Sitzzelle) und Herren (Erweiterung Pissoirstände);
- Hinzunahme eines Gastgartens für ca. 20 Personen im Hofbereich;
- Errichtung von Lüftungsanlagen in den Gasträumen."
Die belangte Behörde erachtete diese Änderungen als geeignet, das Leben und die Gesundheit des Gewerbetreibenden und der Kunden zu gefährden sowie Belästigungen der Nachbarn herbeizuführen. Der Anzeige bzw. der Stellungnahme der Gewerbeabteilung liege das Überprüfungsergebnis vom 16. Juli 2013 zugrunde. Die Revisionswerberin sei bei der Überprüfung anwesend gewesen, die belangte Behörde nehme daher die Verwaltungsübertretungen als erwiesen an.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Jänner 2015 gab das Landesverwaltungsgericht Burgenland der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin keine Folge und bestätigte das bekämpfte Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass die Übertretungsbestimmung "§ 366 Abs. 1 Z. 3, 2. Fall, iVm. § 74 Abs. 2 Z. 1 und Z. 2 iVm. § 81 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994 idgF."
zu lauten habe. Der Revisionswerberin wurde ein Kostenbeitrag in Höhe von EUR 180,- auferlegt. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für unzulässig erklärt.
Das Verwaltungsgericht hielt fest, für die gegenständliche Betriebsanlage bestehe ein Genehmigungsbescheid der belangten Behörde vom 30. Juli 1976, mit Bescheid der belangten Behörde vom 23. August 1984 seien zusätzliche Auflagen vorgeschrieben worden. Der Betrieb der Anlage während des Tatzeitraumes sei nicht bestritten worden.
Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Hinzunahme von weiteren Räumen als Gasträume oder Lagerräume, das Aufstellen von Faltwänden, der Betrieb eines Gastgartens, die Nichteinhaltung von Ausgangsbreiten, die Erweiterung der WC-Anlagen und die Errichtung von Lüftungsanlagen grundsätzlich geeignet seien, das Leben und die Gesundheit des Gewerbetreibenden und der Kunden zu gefährden sowie Belästigungen von Nachbarn herbeizuführen. Dies gelte insbesondere dann, wenn die angeführten Änderungen kumulativ ohne Bewilligung vorlägen.
Zu den vorgeschriebenen Durchgangsbreiten verwies das Verwaltungsgericht auf die dem Bescheid aus 1976 zugrunde liegende Plandarstellung, in der die Maße 100/230 eingetragen seien. Die Genehmigung von Gasträumen mit ca. 31 m2 bzw. ca. 21 m2 sei dem Bescheid aus 1976 nicht zu entnehmen. Der Bewilligungsumfang dieses Bescheides sei weder ungenau noch nicht nachvollziehbar. Zur letzteren Gaststube habe die Revisionswerberin selbst angegeben, dort kurzfristig Tische aufgestellt und diesen Raum daher verwendet zu haben. Die Verwendung der genannten Teilbereiche des Kellers als Lagerräume ergebe sich aus der Überprüfung vom 16. Juli 2013, zudem habe die Revisionswerberin angegeben, diese Kellerräume als Zwischenlager für Leergeschirr zu benützen, woraus sich eine Genehmigungspflicht ergebe. Die Aufstellung einer mobilen Faltwand sei von der Revisionswerberin zugegeben worden; ob diese eine tatsächliche Behinderung darstelle, habe auf die Genehmigungspflicht keinen Einfluss. Soweit die Revisionswerberin hinsichtlich der WC-Anlagen und der Lüftung auf einen Bescheid aus 1991 verwiesen habe, sei anzumerken, dass außer den Bescheiden aus 1976 und 1984 keine Genehmigung für die Betriebsanlage bestehe. Die Ankündigung der Revisionswerberin, den Gastgarten anzumelden, ändere nichts an der fehlenden Genehmigung.
Im Ergebnis liege somit für keine der vorliegenden Änderungen eine Genehmigung vor. Es bestehe auch kein Anlass, an der Richtigkeit der Verhandlungsschrift über die Überprüfung vom 16. Juli 2013, die eine öffentliche Urkunde darstelle, zu zweifeln.
Abschließend erfolgten Ausführungen zum Verschulden (das nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht als geringfügig angesehen werden könne) und zur Strafbemessung (Milderungsgrund sei keiner hervorgekommen, erschwerend seien eine einschlägige Vormerkung sowie die Anzahl und der Umfang der nicht genehmigten Änderungen).
3 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
4 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass für die gegenständliche Betriebsanlage - neben den Bewilligungsbescheiden aus 1976 und 1984 - keine weiteren Genehmigungen bestünden. Die Änderung der WC-Anlagen sei mit dem (von ihr auszugsweise in Kopie vorgelegten) Bescheid der belangten Behörde vom 12. Juni 1991 genehmigt worden. Dies habe die Revisionswerberin im Verfahren mehrfach vorgebracht. Das angefochtene Erkenntnis basiere daher auf einer aktenwidrigen Sachverhaltsannahme und widerspreche insoweit der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Weiters bringt die Revisionswerberin vor, das Verwaltungsgericht habe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, ohne dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VwGVG vorgelegen seien. Insbesondere habe die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung (im Sinn des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG) behauptet, sondern sie habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und Aktenwidrigkeit geltend gemacht. Dargelegt wird, welches Vorbringen die Revisionswerberin in einer mündlichen Verhandlung im Einzelnen hätte erstatten können.
6 Schon im Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darstellt (siehe das Erkenntnis vom 4. November 2015, Ra 2015/08/0124).
7 § 44 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
"Verhandlung
§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung
absehen, wenn
1. in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche
Beurteilung behauptet wird oder
2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe
richtet oder
3. im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht
übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder
4. sich die Beschwerde gegen einen
verfahrensrechtlichen Bescheid richtet
und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt
hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung
in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den
sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf
Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf
Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen
Parteien zurückgezogen werden.
(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
..."
8 Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 4 VwGVG (das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) nicht in Betracht (siehe das hg. Erkenntnis vom 23. März 2015, Ra 2014/08/0066). Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) wurde nicht festgestellt.
9 Auch der das Absehen von einer Verhandlung ermöglichende Tatbestand des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG (die weiteren Tatbestände dieser Bestimmung kommen fallbezogen nicht in Betracht) liegt nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgestellt, dass die bisherige Rechtsprechung zu § 51e VStG (in der Fassung vor BGBl. I Nr. 33/2013) auf § 44 VwGVG übertragen werden kann (siehe das Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/09/0013). Zu § 51e Abs. 3 Z 1 VStG hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass ein Beschuldigter, der in der Berufung die Begehung der Tat bestreitet, nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet (siehe das Erkenntnis vom 19. März 2013, 2009/02/0257; sowie das - die Entziehung einer Gewerbeberechtigung betreffende - Erkenntnis vom 17. April 2012, 2010/04/0057). Im vorliegenden Fall hat die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde gegen das Straferkenntnis die Begehung einiger der ihr vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen bestritten und die Beweiswürdigung gerügt. Damit lag die Voraussetzung des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG für ein Absehen von einer Verhandlung nicht vor. Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich (siehe das zitierte Erkenntnis Ra 2014/08/0066).
10 Da das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war, war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht einzugehen.
11 Ungeachtet dessen wird für das fortgesetzte Verfahren Folgendes angemerkt:
Das Verwaltungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren zu klären haben, ob - wie dies die Revisionswerberin bereits in ihrer im Akt befindlichen Stellungnahme vom 10. September 2014 vorgebracht hat - dem Vorwurf des Betriebs der Anlage mit abgeänderter WC-Anlage ohne die dafür erforderliche Bewilligung der (mit der Revision auszugsweise in Kopie vorgelegte) Bescheid der belangten Behörde vom 12. Juni 1991 entgegensteht. Inwieweit dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist, lässt sich in Ermangelung der diesbezüglichen Verfahrensakten vom Verwaltungsgerichtshof nicht klären und wird daher vom Verwaltungsgericht zu prüfen sein.
Die Revision weist - dem Grunde nach zutreffend - darauf hin, dass sich hinsichtlich des Tatvorwurfs der Hinzunahme eines Abstellraumes im angefochtenen Erkenntnis keine nähere Begründung findet (siehe grundlegend zur Begründungspflicht das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2014, Ro 2014/03/0076, mwN). Ebenso ist nicht nachvollziehbar begründet, aus welchen Gründen eine Faltwand grundsätzlich geeignet sei, die in § 74 Abs. 2 GewO 1994 genannten Interessen zu beeinträchtigen.
12 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 20. April 2016
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