VwGH Ra 2015/04/0016

VwGHRa 2015/04/001620.4.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Mitter, über die Revision der ES in F, vertreten durch Mag. Michael Schuszter, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Ruster Straße 91/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 7. Jänner 2015, Zl. E 015/09/2014.076/003, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Mattersburg), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art133 Abs4;
MRK Art6;
VStG §51e Abs3 Z1;
VStG §51e;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs3 Z1;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs5;
VwGVG 2014 §44;
VwGVG 2014 §48;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015040016.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mattersburg (belangte Behörde) vom 21. Oktober 2014 wurde über die Revisionswerberin wegen Übertretung des § 366 Abs. 1 Z 3 zweiter Fall Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994) eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 900,- verhängt, weil sie als Gewerbeinhaberin im Zeitraum 18. Juli 2013 bis 24. September 2013 eine näher umschriebene Gastgewerbebetriebsanlage nach Vornahme von Änderungen ohne die erforderliche gewerbebehördliche Genehmigung gemäß § 81 GewO 1994 betrieben habe. Konkret wurde wie folgt ausgeführt:

"Die Änderungen erfolgten durch:

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit unter anderem vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass für die gegenständliche Betriebsanlage - neben den Bewilligungsbescheiden aus 1976 und 1984 - keine weiteren Genehmigungen bestünden. Die Änderung der WC-Anlagen sei mit dem (von ihr auszugsweise in Kopie vorgelegten) Bescheid der belangten Behörde vom 12. Juni 1991 genehmigt worden. Dies habe die Revisionswerberin im Verfahren mehrfach vorgebracht. Das angefochtene Erkenntnis basiere daher auf einer aktenwidrigen Sachverhaltsannahme und widerspreche insoweit der (näher zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Weiters bringt die Revisionswerberin vor, das Verwaltungsgericht habe von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen, ohne dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 VwGVG vorgelegen seien. Insbesondere habe die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung (im Sinn des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG) behauptet, sondern sie habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und Aktenwidrigkeit geltend gemacht. Dargelegt wird, welches Vorbringen die Revisionswerberin in einer mündlichen Verhandlung im Einzelnen hätte erstatten können.

6 Schon im Hinblick auf dieses Vorbringen erweist sich die Revision als zulässig und berechtigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass die Verletzung der Verhandlungspflicht bzw. des Unmittelbarkeitsgrundsatzes einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw. eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften und damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darstellt (siehe das Erkenntnis vom 4. November 2015, Ra 2015/08/0124).

7 § 44 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:

"Verhandlung

§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung

absehen, wenn

1. in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche

Beurteilung behauptet wird oder

2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe

richtet oder

3. im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht

übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

4. sich die Beschwerde gegen einen

verfahrensrechtlichen Bescheid richtet

und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt

hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung

in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den

sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf

Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf

Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen

Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

..."

8 Eine Begründung für das Absehen von einer Verhandlung findet sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Da das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis entschieden hat, kommt ein Absehen nach § 44 Abs. 4 VwGVG (das voraussetzt, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat) nicht in Betracht (siehe das hg. Erkenntnis vom 23. März 2015, Ra 2014/08/0066). Ein ausdrücklicher Verzicht auf die Durchführung einer Verhandlung (im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG) wurde nicht festgestellt.

9 Auch der das Absehen von einer Verhandlung ermöglichende Tatbestand des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG (die weiteren Tatbestände dieser Bestimmung kommen fallbezogen nicht in Betracht) liegt nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgestellt, dass die bisherige Rechtsprechung zu § 51e VStG (in der Fassung vor BGBl. I Nr. 33/2013) auf § 44 VwGVG übertragen werden kann (siehe das Erkenntnis vom 10. Dezember 2014, Ra 2014/09/0013). Zu § 51e Abs. 3 Z 1 VStG hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass ein Beschuldigter, der in der Berufung die Begehung der Tat bestreitet, nicht nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet (siehe das Erkenntnis vom 19. März 2013, 2009/02/0257; sowie das - die Entziehung einer Gewerbeberechtigung betreffende - Erkenntnis vom 17. April 2012, 2010/04/0057). Im vorliegenden Fall hat die Revisionswerberin in ihrer Beschwerde gegen das Straferkenntnis die Begehung einiger der ihr vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen bestritten und die Beweiswürdigung gerügt. Damit lag die Voraussetzung des § 44 Abs. 3 Z 1 VwGVG für ein Absehen von einer Verhandlung nicht vor. Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 EMRK jedenfalls wesentlich (siehe das zitierte Erkenntnis Ra 2014/08/0066).

10 Da das angefochtene Erkenntnis bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war, war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht einzugehen.

11 Ungeachtet dessen wird für das fortgesetzte Verfahren Folgendes angemerkt:

Das Verwaltungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren zu klären haben, ob - wie dies die Revisionswerberin bereits in ihrer im Akt befindlichen Stellungnahme vom 10. September 2014 vorgebracht hat - dem Vorwurf des Betriebs der Anlage mit abgeänderter WC-Anlage ohne die dafür erforderliche Bewilligung der (mit der Revision auszugsweise in Kopie vorgelegte) Bescheid der belangten Behörde vom 12. Juni 1991 entgegensteht. Inwieweit dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist, lässt sich in Ermangelung der diesbezüglichen Verfahrensakten vom Verwaltungsgerichtshof nicht klären und wird daher vom Verwaltungsgericht zu prüfen sein.

Die Revision weist - dem Grunde nach zutreffend - darauf hin, dass sich hinsichtlich des Tatvorwurfs der Hinzunahme eines Abstellraumes im angefochtenen Erkenntnis keine nähere Begründung findet (siehe grundlegend zur Begründungspflicht das hg. Erkenntnis vom 21. Oktober 2014, Ro 2014/03/0076, mwN). Ebenso ist nicht nachvollziehbar begründet, aus welchen Gründen eine Faltwand grundsätzlich geeignet sei, die in § 74 Abs. 2 GewO 1994 genannten Interessen zu beeinträchtigen.

12 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. April 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte