VwGH Ra 2014/08/0066

VwGHRa 2014/08/006623.3.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Mag. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision des B S in L, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in 4650 Lambach, Marktplatz 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 19. November 2014, Zl. LVwG-300194/2/MK/BZ, betreffend Bestrafung nach dem ASVG, (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Gmunden) zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs2;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs5;
MRK Art6 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwGVG 2014 §44 Abs2;
VwGVG 2014 §44 Abs4;
VwGVG 2014 §44 Abs5;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Gmunden (der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht) vom 5. August 2013 wurde der Revisionswerber gemäß § 111 Abs. 1 Z 1 iVm § 33 ASVG bestraft, weil er vier namentlich bezeichnete Personen als pflichtversicherte Dienstnehmer beschäftigt habe, ohne sie vor Arbeitsantritt beim zuständigen Krankenversicherungsträger anzumelden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Revisionswerber geltend, dass es sich bei den geleisteten Arbeiten - auf seiner privaten Baustelle - um reine Freundschaftsdienste gehandelt habe, und wandte sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Er beantragte die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung, um die Missverständnisse aufzuklären, die seiner Meinung nach zu den Feststellungen der belangten Behörde geführt hatten.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: LVwG) wies mit dem angefochtenen Erkenntnis die seit dem 1. Jänner 2014 als Beschwerde nach dem VwGVG geltende Berufung als unbegründet ab und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.

Hinsichtlich der strittigen Frage, ob es sich bloß um Freundschaftsdienste gehandelt habe, kam das LVwG beweiswürdigend zum Ergebnis, dass eine Schutzbehauptung vorgelegen sei.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung sah das LVwG ab, weil "keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten" gewesen sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die Bezirkshauptmannschaft Gmunden erwogen hat:

Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG rügt der Revisionswerber insbesondere, dass das LVwG die ausdrücklich beantragte Verhandlung nicht durchgeführt habe.

Dieses Vorbringen führt - entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG - zur Zulässigkeit der Revision.

Die Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte in Verwaltungsstrafsachen wird in § 44 VwGVG geregelt. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

"§ 44. (1) Das Verwaltungsgericht hat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung entfällt, wenn der Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

(3) Das Verwaltungsgericht kann von einer Verhandlung absehen, wenn

1. in der Beschwerde nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird oder

2. sich die Beschwerde nur gegen die Höhe der Strafe richtet oder

3. im angefochtenen Bescheid eine 500 Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde oder

4. sich die Beschwerde gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat. Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn es einen Beschluss zu fassen hat, die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

(5) Das Verwaltungsgericht kann von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

(6) Die Parteien sind so rechtzeitig zur Verhandlung zu laden, dass ihnen von der Zustellung der Ladung an mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung zur Verfügung stehen."

Das LVwG hat das Absehen von der beantragten Verhandlung damit begründet, dass keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten gewesen sei. Das Absehen von einer beantragten Verhandlung in Verwaltungsstrafsachen setzt jedoch - wenn nicht ein Fall des § 44 Abs. 2 VwGVG oder ein Verzicht im Sinn des § 44 Abs. 5 VwGVG vorliegt - gemäß § 44 Abs. 4 VwGVG überdies voraus, dass das Verwaltungsgericht einen Beschluss zu fassen hat. Im vorliegenden Fall hatte das LVwG aber mit Erkenntnis zu entscheiden, sodass schon von daher nicht von der beantragten Verhandlung abgesehen werden durfte.

Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK jedenfalls wesentlich (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2009, Zl. 2007/09/0367, sowie die Hinweise in dem zu Art. 47 der Grundrechtecharta ergangenen hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2013, Zl. 2010/15/0196).

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. März 2015

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