Normen
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
BauO Krnt 1996 §23 Abs1;
BauO Krnt 1996 §23 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
AVG §42 Abs1;
AVG §8;
BauO Krnt 1996 §23 Abs1;
BauO Krnt 1996 §23 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §28 Abs2 Z2;
VwGVG 2014 §28 Abs3;
Spruch:
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Marktgemeinde V hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Schriftsatz vom 8. August 2012 beantragte die Revisionswerberin die Erteilung einer Baubewilligung für den Abbruch von Bestandsgebäuden und die Errichtung von drei Wohnhäusern mit insgesamt 15 Wohneinheiten, zwei Tiefgaragen mit je zehn PKW-Abstellplätzen, Abstell- und Technikräumen, einem Carport mit sieben PKW-Abstellplätzen und einem Pool mit Poolhaus auf den Grundstücken Nr. 271/56 und Nr. 271/42, beide KG V.
Der Bürgermeister der Marktgemeinde V beraumte mit Kundmachung vom 25. Jänner 2013 eine mündliche Verhandlung für Mittwoch, den 13. Februar 2013, um 13.30 Uhr an. In dieser Kundmachung wurde darauf hingewiesen, dass gemäß § 42 AVG 1991 Einwendungen, die nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung selbst vorgebracht würden, keine Berücksichtigung fänden und mit Ablauf dieser Frist alle Rechte, die an die Parteistellung anknüpften, entfielen.
Die Mitbeteiligten sind Miteigentümer der westlich unmittelbar an das Baugrundstück Nr. 271/42 angrenzenden Liegenschaft Nr. 271/43. Der Zweitmitbeteiligte übermittelte am Tag der Verhandlung, dem 13. Februar 2013, um 13.13 Uhr elektronisch Einwendungen an die Baubehörde erster Instanz. Darin brachte er im Wesentlichen vor, das geplante Bauvorhaben widerspreche dem Bebauungsplan sowie der vorgesehenen Bebauungshöhe. In der mündlichen Verhandlung war der Zweitmitbeteiligte nicht anwesend; in der Verhandlungsschrift wurde auf seine schriftliche Stellungnahme Bezug genommen.
In der Verhandlungsschrift wurde weiter ausgeführt, die Kundmachung zur Bauverhandlung an den Erstmitbeteiligten sei an seine W Adresse (Hauptwohnsitz laut ZMR) adressiert worden, diese sei jedoch mit dem Vermerk "wegen Ortsabwesenheit bis 30. März 2013 retour" wieder zurückgekommen. Daraufhin sei die Kundmachung neuerlich an die Adresse in V und zusätzlich per E-Mail gesandt worden. Das an die Adresse in V adressierte Schriftstück sei mit dem Vermerk "Hinterlegung/Beginn der Abholfrist 05.02.2013" retourniert worden; eine Lesebestätigung hinsichtlich der gesandten E-Mail vom 31. Jänner 2013 sei nicht eingelangt.
Mit Bescheid vom 2. Juli 2013 erteilte der Bürgermeister der Marktgemeinde V der Revisionswerberin die beantragte Baubewilligung mit verschiedenen Auflagen. Laut in den Verwaltungsakten einliegenden Übernahmebestätigungen wurde der Bescheid für den Erstmitbeteiligten beim Postamt in W, für den Zweitmitbeteiligten beim Postamt V hinterlegt; Beginn der Abholfrist war jeweils der 12. Juli 2013.
Der Erstmitbeteiligte brachte in seiner Berufung vom 25. Juli 2013, bei der Behörde eingelangt am 30. Juli 2013, im Wesentlichen vor, dass er nicht ordnungsgemäß zur Bauverhandlung geladen worden sei, weshalb der Bescheid an formalen Mängeln leide, aufzuheben sei und eine neuerliche Bauverhandlung anzuberaumen sein werde. Auf Grund formaler und inhaltlicher Mängel sei die Baubewilligung nicht zu erteilen gewesen; eine weitere Komplettierung der Einwendungen bleibe ausdrücklich vorbehalten. Der Zweitmitbeteiligte erhob mit Schriftsatz vom 29. Juli 2013, der bei der Baubehörde erster Instanz am 30. Juli 2013 einlangte, Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid und wiederholte darin im Wesentlichen seine Einwendungen hinsichtlich der Bebauungshöhe.
Mit Bescheid vom 8. November 2013 (Beschlussfassung vom 7. November 2013) wies der Gemeindevorstand der Marktgemeinde V die Berufung des Erstmitbeteiligten als unbegründet ab (Spruchpunkt I), jene des Zweitmitbeteiligten als verspätet zurück (Spruchpunkt II). Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Erstmitbeteiligte als übergangener Nachbar in seiner Berufung keine konkreten Einwendungen vorgebracht habe; eine Komplettierung der Einwendungen zu einem späteren Zeitpunkt sei im Verwaltungsverfahren nicht vorgesehen. Ein Antrag auf Aufhebung des Bescheides und Anberaumung einer neuerlichen Bauverhandlung sei nicht zulässig. Die Berufung des Erstmitbeteiligten sei daher abzuweisen gewesen. Für den Zweitmitbeteiligten sei der Baubewilligungsbescheid ab 12. Juli 2013 beim Postamt V zur Abholung hinterlegt worden; die gesetzliche Frist zur Einbringung einer Berufung habe daher mit Ablauf des 26. Juli 2013 geendet. Die eingebrachte Berufung sei mit 29. Juli 2013 datiert und am 30. Juli 2013 eingelangt, weshalb sie als verspätet zurückzuweisen gewesen sei.
Der Zweitmitbeteiligte erhob sodann mit Schriftsatz vom 22. November 2013 eine Vorstellung, in eventu brachte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ein. Diesen Wiedereinsetzungsantrag begründete er damit, dass er als Vorstand eines weltweit agierenden Industrieunternehmens regelmäßig, mitunter mehrmals pro Woche, Dienstreisen unternehme und in der KW 30 erst am Freitag, dem 26. Juli 2013, spätabends an seinen Wohnsitz zurückgekehrt sei. Am Montag, dem 29. Juli 2013, habe er das hinterlegte Poststück abgeholt und unverzüglich Berufung erhoben. Eine Einbringung der Berufung sei ihm mangels Kenntnis des Bescheides innerhalb der von der Berufungsbehörde angeführten Berufungsfrist nicht möglich gewesen. Es sei keine wirksame Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz erfolgt, weil sich der Zweitmitbeteiligte auf Grund mehrfacher Dienstreisen nicht regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte. Selbst wenn eine Hinterlegung rechtmäßig gewesen wäre, gelte die Sendung dann nicht als zugestellt, wenn sich ergebe, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können. In einem solchen Fall werde die Zustellung mit dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam, wenn dieser noch innerhalb der Abholfrist liege und an dem die Sendung hätte behoben werden können. Der Zweitmitbeteiligte sei am 26. Juli 2013 jedoch erst spätabends in V angekommen und habe das Schriftstück frühestens am 29. Juli 2013 beheben können. Am selben Tag habe er die Berufung der Marktgemeinde übermittelt und eine Lesebestätigung vom selben Tag erhalten. Das Eventualbegehren des Wiedereinsetzungsantrages sei umgehend nach Bekanntwerden der offenbar nicht erfüllten Frist bzw. des Wegfalls des Hindernisses eingebracht worden. Das Ereignis sei für den Zweitmitbeteiligten unabwendbar gewesen, weil er vom Zustellvorgang nicht rechtzeitig habe Kenntnis erlangen können. Aus den genannten Gründen werde die ersatzlose Behebung des Bescheides, in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und gleichzeitig mit diesem Antrag die Berufung erneut eingebracht. Als Anlage wurde die Berufung vom 29. Juli 2013 übermittelt.
Der Erstmitbeteiligte brachte ebenfalls eine Vorstellung ein, in der er, abgesehen von den Zustellungsmängeln, erstmals die Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte durch die Zu- und Abfahrt sowie die PKW-Abstellplätze und die dadurch verursachten Lärmimmissionen rügte.
Mit dem angefochtenen Beschluss (vom 1. April 2014) gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (LVwG) den nunmehr als Beschwerden geltenden Vorstellungen statt, hob den Bescheid des Gemeindevorstandes der Marktgemeinde V vom 8. November 2013 auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an den Gemeindevorstand der Marktgemeinde V zurück. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erklärt. Mit Hinweis auf Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG begründete das LVwG zunächst seine Zuständigkeit. In der Sache führte das LVwG aus, abgesehen von der Frage der ordnungsgemäßen Ladung zur mündlichen Bauverhandlung könnten die Präklusionsfolgen des § 42 AVG nicht eintreten, weil die Kundmachung nicht auf die Rechtsfolgen verwiesen habe (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 2012, Zl. 2010/06/0161). Im Gegensatz zum Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gelte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Neuerungsverbot (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2008, Zl. 2007/05/0195), weil die §§ 24 und 28 VwGVG keine § 41 VwGG vergleichbare Regelung enthielten, wonach die Überprüfung auf Grund des angenommenen Sachverhaltes zu erfolgen habe. Der Erstmitbeteiligte habe Einwendungen gemäß § 23 Abs. 3 lit. h und lit. i Kärtner Bauordnung 1996 (K-BO 1996) erhoben; ihm komme daher ein Mitspracherecht hinsichtlich der bei der Benützung des gegenständlichen Bauvorhabens zu erwartenden Lärmimmissionen im Hinblick auf den Zu- und Abfahrtsverkehr bzw. von der Tiefgarage der geplanten Wohnanlage und zu/von den Parkplätzen im Freien auf den Baugrundstücken zu (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 15. März 2012, Zl. 2010/06/0098). Die Verwaltungsbehörden hätten dazu jedoch keinerlei Ermittlungen durchgeführt und somit verabsäumt, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt insoweit festzustellen, ob örtlich unzumutbare Immissionen an der Grundstücksgrenze, herrührend vom geplanten Bauvorhaben, zu erwarten seien. Die Behörde werde daher einen immissionstechnischen Amtssachverständigen zu beauftragen haben, das derzeit an der Anrainergrundstücksgrenze bestehende Ist-Maß ermitteln und in weiterer Folge angeben müssen, welches Ausmaß an Immissionen, herrührend aus den Fahrbewegungen in die Tiefgarage sowie zu den Stellplätzen an den Anrainergrundstücken, zu erwarten sei, und schließlich werde dieser Sachverständige das Ergebnis der Gesamtimmissionsbelastung (Summenmaß) anzugeben haben. In der Folge werde der medizinische Sachverständige zu beurteilen haben, ob das medizinisch vertretbare Beurteilungsmaß eingehalten werde.
Im Hinblick auf die Zurückweisung der Berufung des Zweitmitbeteiligten als verspätet werde auf die ständige hg. Judikatur verwiesen, wonach die Behörde vor Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet entweder von Amts wegen zu prüfen habe, ob ein Zustellmangel unterlaufen sei, oder dem Rechtsmittelwerber die Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten habe. Anderenfalls könne der Rechtsmittelwerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsgebot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof geltend machen. Gehe die Behörde von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dem Rechtsmittelwerber dies vorgehalten zu haben, habe sie das Risiko einer Bescheidaufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu tragen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 6. November 2013, Zl. 2013/05/0033). Im vorliegenden Fall habe die Berufungsbehörde dem Zweitmitbeteiligten die Verspätung seiner Berufung nicht vorgehalten, weshalb diese Entscheidung als rechtswidrig zu qualifizieren sei.
Mit Hinweis auf § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG führte das LVwG weiter aus, im gegenständlichen Fall lägen die in dieser Bestimmung genannten Kriterien auf Grund der mangelhaften Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes, im Besonderen auf Grund des gänzlichen Fehlens von immissionstechnischen sowie medizinischen Gutachten, vor. Auf Grund dessen sei der angefochtene Berufungsbescheid, soweit er von den Mitbeteiligten angefochten worden sei, aufzuheben und die Angelegenheit zur Durchführung eines neuerlichen ergänzenden Ermittlungsverfahrens an die belangte Behörde zurückzuverweisen gewesen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision, in der beantragt wurde, den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass den Beschwerden nicht stattgegeben und der Berufungsbescheid vollinhaltlich bestätigt werde bzw. vollinhaltlich aufrecht bleibe, in eventu den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und den Revisionswerbern die Kosten zu ersetzen.
Das LVwG legte die Verfahrensakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Revision führt in ihren Zulässigkeitsgründen gemäß § 28 Abs. 3 VwGG aus, das LVwG sei von der ständigen Rechtsprechung des VwGH betreffend die Frage der Präklusion einer übergangenen Partei abgewichen.
Die Revision ist zulässig und im Ergebnis auch berechtigt.
Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 zweiter Satz B-VG geht die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei den Aufsichtsbehörden anhängigen Verfahren über Vorstellungen auf die Verwaltungsgerichte über.
§ 42 Abs. 1 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der Fassung BGBl. I Nr. 5/2008, lautet:
"§ 42. (1) Wurde eine mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form kundgemacht, so hat dies zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung während der Amtsstunden bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde. Eine Kundmachungsform ist geeignet, wenn sie sicherstellt, daß ein Beteiligter von der Anberaumung der Verhandlung voraussichtlich Kenntnis erlangt."
§§ 7 und 17 Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 in der Fassung
BGBl. I Nr. 5/2008, lauten (auszugsweise):
"Heilung von Zustellmängeln
§ 7. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.
Hinterlegung
§ 17. (1) Kann das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.
(2) ...
(3) Das hinterlegte Dokument ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte.
(4) ..."
§ 23 Kärntner Bauordnung 1996 - K-BO 1996, LGBl. Nr. 62/1996 in der Fassung LGBl. Nr. 85/2013, lautet auszugsweise:
"§ 23
Parteien, Einwendungen
(1) Parteien des Baubewilligungsverfahrens sind:
- a) der Antragsteller;
- b) der Grundeigentümer;
- c) die Miteigentümer des Baugrundstückes, deren Zustimmung nach § 10 Abs. 1 lit. b erforderlich ist;
d) der Eigentümer eines Superädifikates bei Bauführungen an diesem;
e) die Anrainer (Abs. 2).
(2) Anrainer sind:
a) die Eigentümer (Miteigentümer) der an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke und aller weiteren im Einflussbereich des Vorhabens liegenden Grundstücke;
b) ...
(3) Anrainer gemäß Abs. 2 lit. a und b sind berechtigt, gegen die Erteilung der Baubewilligung nur begründete Einwendungen dahingehend zu erheben, dass sie durch das Vorhaben in subjektivöffentlichen Rechten verletzt werden, die ihnen durch die Bestimmungen dieses Gesetzes, der Kärntner Bauvorschriften, des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes eingeräumt werden, welche nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz der Anrainer dienen. Einwendungen der Anrainer im Sinn des ersten Satzes können insbesondere gestützt werden auf Bestimmungen über
- a) die widmungsgemäße Verwendung des Baugrundstückes;
- b) die Bebauungsweise;
- c) die Ausnutzbarkeit des Baugrundstückes;
- d) die Lage des Vorhabens;
- e) die Abstände von den Grundstücksgrenzen und von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen auf Nachbargrundstücken;
- f) die Bebauungshöhe;
- g) die Brandsicherheit;
- h) den Schutz der Gesundheit der Anrainer;
- i) den Immissionsschutz der Anrainer.
(4) ..."
Die Revision rügt mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 16. März 1993, Zl. 93/05/0043, der Erstmitbeteiligte sei präkludiert, weil er nicht bereits in seiner Berufung, sondern erst in der Vorstellung die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geltend gemacht habe, was der ständigen hg. Rechtsprechung widerspreche. Das Auftreten eines übergangenen Nachbarn bedeute nicht, dass das durchgeführte Verfahren schon deshalb rechtswidrig sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2012, Zl. 2011/04/0175).
Damit ist die Revision im Recht.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu der Rechtslage vor dem 1. Jänner 2014, dass eine übergangene Partei gegen einen Bescheid berufen konnte, auch wenn er ihr nicht förmlich zugestellt wurde (siehe beispielsweise die Nachweise bei Hengstschläger, Die übergangene Partei, in Oberndorfer/Schambeck, Festschrift Fröhler, 253 f.; Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5, 97 f.). Dabei stellte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur stets darauf ab, dass sich die übergangene Partei in der Berufung nicht nur darauf beschränken durfte, das Unterbleiben der Ladung zu rügen, sondern auch konkrete Einwendungen erheben musste (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 26. Juni 2013, Zl. 2010/05/0210, und vom 26. Juni 1997, Zl. 95/06/0144, jeweils mwN, sowie die Ausführungen bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) E 356 zu § 8 AVG, und E 68 zu § 41 AVG, sowie bei Ph. Pallitsch, Die Präklusion im Verwaltungsverfahren, Seite 21, mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung).
Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich nicht veranlasst, auf Grund der Einführung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit mit 1. Jänner 2014 von dieser Rechtsprechung abzugehen. Dem LVwG ist zwar zuzustimmen, dass im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Neuerungsverbot besteht. Ein solches bestand und besteht auch im Berufungsverfahren nicht. Von der Frage des Neuerungsverbotes ist jedoch jene des Verlustes der Parteistellung (Präklusion) gemäß § 42 Abs. 1 AVG zu unterscheiden.
Im gegenständlichen Fall wurde in der Berufung des Erstbeschwerdeführers vom 25. Juli 2013 unstrittig keine Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes behauptet. Daher verlor der Erstbeschwerdeführer die ihm gemäß § 23 Abs. 1 und 3 lit. i K-BO zustehende Parteistellung mangels Erhebung von Einwendungen.
Da das LVwG dies verkannte, war der angefochtene Beschluss, soweit damit die Abweisung der Berufung des Erstmitbeteiligten mit Bescheid vom 8. November 2013 aufgehoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Hinsichtlich des Zweitmitbeteiligten ist Folgendes auszuführen:
Die Berufungsbehörde wies die Berufung des Zweitmitbeteiligten als verspätet zurück. Davor hätte die Behörde jedoch - wie das LVwG zutreffend ausführte - den Sachverhalt von Amts wegen zu klären, der Partei eine allfällige Verspätung vorzuhalten und entsprechende Feststellungen zu treffen gehabt. Die Verletzung dieser Verfahrensvorschrift führt zu einem rechtserheblichen Verfahrensmangel, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Behörde bei dessen Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. etwa die bei Walter/Thienel, a. a.O., in E 249 ff zu § 63 AVG angeführte hg. Rechtsprechung).
In seiner Vorstellung (nunmehr Beschwerde) vom 22. November 2013 brachte der Zweitmitbeteiligte zusammengefasst vor, er sei als Vorstand eines weltweit agierenden Industrieunternehmens mitunter mehrmals pro Woche auf Dienstreise. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum sei er erst am Freitag, dem 26. Juli 2013, spätabends an seinen Wohnsitz zurückgekehrt, habe die Hinterlegungsanzeige vorgefunden und das Schriftstück - zumal das Postamt am Freitag bereits geschlossen gewesen sei - am Montag, dem 29. Juli 2013, behoben. Es sei keine wirksame Hinterlegung gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz erfolgt, weil der Zusteller nicht von einer regelmäßigen Anwesenheit des Zweitmitbeteiligten an der Abgabestelle habe ausgehen können. Auch im Fall einer rechtmäßigen Hinterlegung - was bestritten werde - gelte die Sendung dann nicht als zugestellt, wenn sich ergebe, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können. Eine Zustellung gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz habe nicht wirksam erfolgen können, weil der Zweitmitbeteiligte nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können.
Angesichts dieses Vorbringens ist nicht auszuschließen, dass die Berufungsbehörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens betreffend den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Zweitmitbeteiligten in diesem Punkt zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Die Zurückweisung der Berufung des Zweitmitbeteiligten durch die Berufungsbehörde ohne vorheriges Ermittlungsverfahren war somit nicht rechtens.
§ 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, lautet auszugsweise:
"Erkenntnisse und Beschlüsse
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
- 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
- 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
(4) ..."
Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen wird auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof legte darin dar, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt sei. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht seien strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof führte in dem genannten Erkenntnis insbesondere aus, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden könne.
Im vorliegenden Fall unterließ die Berufungsbehörde offenbar in Verkennung der Rechtslage eine Rückfrage betreffend den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Zweitmitbeteiligten. Fallbezogen ist davon auszugehen, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das LVwG selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (§ 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG). Das LVwG wäre gehalten gewesen, die erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen und danach über die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung der Berufung des Zweitmitbeteiligten durch die Berufungsbehörde zu entscheiden.
Da das LVwG dies verkannte, war der angefochtene Beschluss, soweit damit das Verfahren betreffend die Berufung des Zweitmitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG an die Berufungsbehörde zurückverwiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den Pauschalgebühren der genannten Verordnung bereits berücksichtigt ist.
Wien, am 14. April 2016
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)