Normen
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;
AlVG 1977 §10 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AlVG 1977 §9 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §60;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem seit vielen Jahren im Bezug von Leistungen der Arbeitslosenversicherung stehenden Beschwerdeführer wurde von der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice am 12. März 1998 eine Niederschrift über die Nichtannahme einer zugewiesenen Beschäftigung aufgenommen. In der Niederschrift ist u. a. zu lesen, dem Beteiligten sei vom Arbeitsamt am 25. Februar 1998 eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter für leichte körperliche Tätigkeiten zugewiesen worden. Das Beschäftigungsverhältnis sei nicht zustandegekommen, weil "die Stellen laut telefonische Anfrage besetzt sind".
Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice sprach daraufhin mit Bescheid vom 20. April 1998 aus, der Beschwerdeführer habe den Anspruch auf Notstandshilfe gemäß § 38 i.V.m. § 10 AlVG für die Zeit vom 5. März bis 15. April 1998 verloren. In der Begründung dieses Bescheides wird nach Wiedergabe der im Spruch genannten Gesetzesstellen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe die Arbeitsaufnahme am 5. März 1998 ohne triftigen Grund verweigert.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin führte er aus, es sei richtig, dass er von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Ende Februar mehrere Stellen angeboten bekommen habe. Auf den ihm zugekommenen Schreiben seien Telefonnummern und Namen angeführt gewesen, die er habe kontaktieren sollen, um einen Termin für eine persönliche Vorsprache zu vereinbaren. Er habe mit den angebotenen Unternehmen telefonischen Kontakt hergestellt und sei ihm in sämtlichen Fällen die Auskunft erteilt worden, dass die angeführten Arbeitsplätze nicht mehr frei wären. Eine persönliche Vorsprache bei den einzelnen Unternehmen sei daher nicht mehr vereinbart worden. Außerdem sei er diesen Tätigkeiten nicht gewachsen gewesen, weil er aufgrund der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen nicht in der Lage sei, Lasten über 15 kg zu heben und zu tragen.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung nicht statt und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, der Beschwerdeführer könne aufgrund seines Gesundheitszustandes nur leichte körperliche Arbeiten verrichten, die mit Heben und Tragen von max. 15 kg verbunden seien. Diese Einschränkung der Leistungsfähigkeit sei bei den Vermittlungsversuchen berücksichtigt worden. Dem Beschwerdeführer seien mehr als 100 Beschäftigungsangebote unterbreitet worden. Der Beschwerdeführer sei telefonisch nicht erreichbar, schriftliche Kontaktaufnahmen würden sich schwierig gestalten, weil Sendungen immer wieder mit dem Vermerk "Empfänger nur postlagernd" zurückkämen. Am 25. Februar 1998 seien dem Beschwerdeführer mehrere Beschäftigungsangebote (KK, Restaurant; AK, Werkzeugschleiferei; D, Fischhandlung; KrK, persönliche Dienstleistungen; S, Dienstleistungsbetrieb) mit jeweils zu verrichtenden Hilfstätigkeiten unterbreitet worden. Ein Beschäftigungsverhältnis sei nicht zustande gekommen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, dass alle Stellen laut telefonischer Anfrage schon besetzt gewesen seien. Nachweise über die Kontakte gebe es keine, eine Vorstellung sei nach Angaben des Beschwerdeführers nicht erfolgt.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers nehme den zugewiesenen Beschäftigungen nicht die Zuweisungstauglichkeit. Der vom Beschwerdeführer angegebene Gesundheitszustand sei bei den Bemühungen, ihm beim Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess behilflich zu sein, im Blickfeld gewesen, "sodass auszuschließen ist, dass kein einziges Beschäftigungsangebot entsprochen hätte". Die Beschäftigungsverhältnisse seien ab 20., 23., 25. Februar und 2. März 1998 anzutreten gewesen, demnach aktuell, was es unwahrscheinlich mache, dass bei unmittelbarer Reaktion des Beschwerdeführers sämtliche Beschäftigungen bereits vergeben gewesen seien. Der Beschwerdeführer selbst habe keinen entsprechenden Nachweis für erfolgte Kontaktaufnahmen anbieten können. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die möglichen Dienstgeber dem AMS mitgeteilt hätten, dass der Beschwerdeführer nicht eingestellt worden sei, weil die Stelle schon besetzt gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Eine solche Beschäftigung ist gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert. Grundvoraussetzung für die Zuweisungstauglichkeit einer Beschäftigung an einen Arbeitslosen ist, dass dessen Kenntnisse und Fähigkeiten jenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen, die an der zugewiesenen Arbeitsstelle verlangt werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 1997, 97/08/0414).
Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Diese Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG auch auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 20. Oktober 1999, Zl. 99/08/0136) sind die genannten Bestimmungen Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrundeliegenden Gesetzeszwecke, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene, zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein.
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern.
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit, etc.), oder aber, dass er den Erfolg seiner (nach außen zutage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht.
Unter "Vereitelung" i.S.d. § 10 Abs. 1 AlVG ist daher ein auf das zugewiesene Beschäftigungsverhältnis bezogenes Verhalten des Vermittelten zu verstehen, das - bei Zumutbarkeit der Beschäftigung - das Nichtzustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses herbeiführt; das Nichtzustandekommen muss in einem darauf gerichteten oder dieses zumindest in Kauf nehmenden Tun des Vermittelten seinen Grund haben. Die Vereitelung i. S.d. § 10 Abs. 1 AlVG verlangt ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung dieses Tatbestandes hingegen nicht hin (vgl. das Erkenntnis vom 20. Oktober 1992, Slg. 13722/A - ständige Rechtsprechung).
Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, die vermittelten Beschäftigungsverhältnisse seien ab 20., 23., 25. Februar bzw. 2. März 1998 anzutreten gewesen, was es unwahrscheinlich mache, dass bei unmittelbarer Reaktion des Beschwerdeführers sämtliche Beschäftigungen bereits vergeben gewesen seien.
Damit trifft die belangte Behörde jedoch keine Tatsachenfeststellungen, sondern geht von einer bloßen Vermutung aus. Im Bescheid rechtfertigt die belangte Behörde diese Vorgangsweise damit, dass der Beschwerdeführer keinen entsprechenden Nachweis für die behauptete Kontaktaufnahme angeboten habe und andererseits Rückmeldungen der entsprechenden Dienstgeber nicht vorlägen. In der Gegenschrift wird ergänzend dazu ausgeführt, zwischen dem Unterbreiten der Beschäftigungsanbote und der Berufung des Beschwerdeführers seien rund 2 1/2 Monate vergangen. Dieser Zeitraum sei bereits zu lange, um Auskünfte der möglichen Dienstgeber über behauptete telefonische Gesprächsabläufe mit Arbeitssuchenden zu erhalten, bei denen es zu einer Vorstellung nicht gekommen sei. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde zu Recht vor, ohne ein ausreichendes Ermittlungsverfahren von hypothetischen Annahmen nicht belegter Fakten auszugehen. Nach § 37 AVG hat die Behörde nämlich von sich aus den wahren Sachverhalt durch die Aufnahme der nötigen Beweise festzustellen, wobei sie gemäß § 45 Abs. 2 leg. cit. unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen hat, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage sind gemäß § 60 AVG, der nach § 67 leg. cit. auch für Bescheide der Berufungsbehörde gilt, in der Begründung klar und übersichtlich zusammenzufassen. Diesem gesetzlichen Gebot entspricht die Bescheidbegründung wie dargetan nicht. Der Beschwerdeführer weist zutreffend darauf hin, dass bereits eine kurze schriftliche Anfrage bezüglich des Vorbringens des Beschwerdeführers bei den gegenständlichen potentiellen Dienstgebern Auskunft über seine Behauptungen gebracht hätte. Bereits die Mitteilung darüber, ob und gegebenenfalls ab wann die angebotenen Stellen tatsächlich besetzt wurden, hätte die belangte Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich unverzüglich auf die Vermittlungsangebote reagiert hat. Jedenfalls gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt dafür, dass Befürchtungen der Behörde, Ermittlungsschritte könnten erfolglos verlaufen, es gestatten, Behauptungen der Partei als unglaubwürdig darzustellen und von einem gegenteiligen, durch nichts belegten, sondern auf bloßer Mutmaßung beruhenden Sachverhalt auszugehen.
Der Beschwerdeführer hat bereits in der Berufung die Zuweisungstauglichkeit der ihm angebotenen Stellen in Abrede gestellt. Die belangte Behörde hat hiezu lediglich ausgeführt, bei Vermittlung des Beschwerdeführers sei sein Gesundheitszustand im "Blickfeld", sodass auszuschließen sei, dass kein einziges Beschäftigungsangebot seinem Leistungskalkül entsprochen hätte. Auch diese Begründung entspricht nicht der oben dargestellten Rechtslage, weil jegliche Feststellungen hinsichtlich der Leistungsanforderung der zugewiesenen Tätigkeiten fehlen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, Zl. 98/08/0163, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG hingewiesen wird, ausgesprochen, dass solche Feststellungen auch aufgrund der Stellenbeschreibung des potentiellen Dienstgebers und des Fachwissens des Leistungssausschusses getroffen werden können. Auch solche Feststellungen wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren zu treffen haben. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Soweit die belangte Behörde ausführt, der Beschwerdeführer sei telefonisch nicht und sonst nur schwer (d.h. nicht jederzeit) erreichbar, übersieht sie, dass diese Umstände nicht die Arbeitswilligkeit beeinträchtigen; es steht der Behörde aber frei, diese Umstände bei Beurteilung der Verfügbarkeit i.S.d. § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 1998, Zl. 97/08/0106).
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 26. Jänner 2000
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