Normen
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
RAO 1868 §23;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
ZustG §17;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §63 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
RAO 1868 §23;
VwGG §36 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
ZustG §17;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Rechtsanwaltskammer Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 25.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien.
Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien schrieb dem Beschwerdeführer folgende Beträge an Umlage zur Versorgungseinrichtung und Kammerbeitrag vor:
1. mit dem am 23. Jänner 1996 datierten Bescheid insgesamt
S 79.200,-- für das Kalenderjahr 1996 und
2. mit dem am 21. Jänner 1997 datierten Bescheid insgesamt
S 83.400,-- für das Kalenderjahr 1997.
Diese Bescheide wurden jeweils ohne Zustellnachweis am 31. Jänner 1996 bzw. 30. Jänner 1997 zur Post gegeben.
Der Beschwerdeführer erhob gegen die Vorschreibung betreffend 1996 am 1. April 1997, gegen die Vorschreibung betreffend 1997 am 2. Juni 1997 Vorstellung und machte jeweils Verfassungswidrigkeit der Umlagenordnung geltend.
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wies der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) diese Vorstellungen zurück und führte im wesentlichen gleichlautend aus, die Frist zur Einbringung einer Vorstellung betrage 14 Tage. Die Vorstellungen seien jedoch verspätet eingebracht worden.
Mit den vorliegenden Beschwerden bekämpft der Beschwerdeführer diese Bescheide inhaltlich gleichlautend wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt ihre Aufhebung aus diesem Grund.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerden als unbegründet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der Beschwerden aufgrund ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung erwogen:
§ 171 der Postordnung - PostO in der Fassung
BGBl. Nr. 96/1994 lautet:
"§ 171. Die Zustellung nichtbescheinigter Postsendungen ist ordnungsgemäß, wenn sie an der Abgabestelle zurückgelassen oder in Briefkasten eingelegt werden, die an der Abgabestelle des Empfängers (Briefeinwurf) oder für mehrere Empfänger im Hausflur (Brieffachanlagen) oder für Empfänger im Landzustellbezirk an einer geeigneten Stelle im Freien (Abgabebriefkasten) angebracht sind."
§ 1 und § 26 des Zustellgesetzes - ZustG in der Fassung BGBl. Nr. 357/1990 lauten auszugsweise:
"§ 1. ...
(3) Bei Zustellungen ohne Zustellnachweis durch Organe der Post gelten neben den Vorschriften über die Zustellung von
Postsendungen ... sinngemäß auch § 26 Abs. 2 dieses
Bundesgesetzes.
§ 26. (1) Dieser Abschnitt gilt sinngemäß auch für Zustellungen ohne Zustellnachweis, die durch Organe der Behörde oder der Gemeinde vorgenommen werden. Das zuzustellende Schriftstück gilt als zugestellt, wenn es in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wurde.
(2) Zustellungen im Sinne des Abs. 1 gelten als mit dem
3. Werktag nach der Übergabe an die Gemeinde oder den behördlichen Zusteller bewirkt, es sei denn, es wäre behauptet, die Zustellung sei nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt
vorgenommen worden. ... Im Zweifel obliegt es der Behörde, die
Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung nachzuweisen. ..."
Der Beschwerdeführer tritt der Annahme der belangten Behörde, daß die erstinstanzlichen Bescheide an ihn am 31. Jänner 1996 bzw. am 30. Jänner 1997 abgefertigt worden seien, mit der Behauptung entgegen, eine Zustellung an ihn sei tatsächlich erst am 18. März 1997 bzw. am 20. Mai 1997 erfolgt. Wenn ihm die belangte Behörde hiezu Gelegenheit gegeben hätte, so hätte er den Nachweis der Zustellung durch "Vorweisung des Eingangsvermerkes auf den Bescheiden" erbracht.
Vor Zurückweisung eines Rechtsmittels als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1951, Slg. NF. Nr. 2367/A), wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Rechtsmittelwerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterläßt sie dies, so kann der Rechtsmittelwerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048). Geht die Behörde von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Rechtsmittelwerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, mwN).
Die belangte Behörde hat in den vorliegenden Beschwerdefällen dem Beschwerdeführer die Feststellung der Versäumung der Frist zur Erhebung der Vorstellung vor Erlassung der die Vorstellungen zurückweisenden Bescheide nicht vorgehalten, obwohl sie die Zustellungen ohne Zustellnachweis durchführen ließ und sich nur darauf stützen konnte, daß die Schriftstücke jeweils an einem bestimmten Tag zur Post gegeben worden seien. Der belangten Behörde ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, wobei im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerden nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Es sei hinzugefügt, daß selbst die ausführlichen Darlegungen in der Gegenschrift, weshalb entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers eine Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide an ihn erst am 18. März 1997 bzw. am 20. Mai 1997 auszuschließen sei, nicht die der Behörde obliegende Verpflichtung zur Gewährung von Parteiengehör, was als allgemeiner Grundsatz jedes rechtsstaatlichen Verfahrens auch im vorliegenden Verfahren vor Behörden der Rechtsanwaltskammer zu gelten hat, zu ersetzen vermag (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 607, angeführte hg. Judikatur).
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung wurde aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war für die Beschwerde in zweifacher Ausfertigung und den angefochtenen Bescheid in einfacher Ausfertigung zuzuerkennen.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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