VwGH 96/19/1006

VwGH96/19/100617.10.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des N H in K, geboren 1967, vertreten durch Dr. Richard Soyer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 1996, Zl. 117.664/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 1. August 1995 bei der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, wobei er als Aufenthaltszweck u.a. die Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit und die Familienzusammenführung mit seiner Ehegattin angab.

Mit Schreiben vom 28. September 1995 ersuchte die erstinstanzliche Behörde den nunmehrigen Vertreter des Beschwerdeführers um Bekanntgabe, "ob die am 23. Juni 1994 an die Bundespolizeidirektion Wien, fremdenpolizeiliches Büro, bzw. die am 15. Juli 1994 an die MA 62 erteilte Vollmacht bezüglich anwaltlicher Vertretung weiterhin aufrecht" sei. Um rasche Erledigung werde ersucht (Seite 13 des Verwaltungsaktes). In einem Aktenvermerk vom 29. September 1995 hielt der zuständige Sachbearbeiter fest, daß laut einer an diesem Tag erteilten telefonischen Auskunft dieser Rechtsanwaltskanzlei kein Vollmachtsverhältnis mehr bestehe (Seite 11 verso des Verwaltungsaktes).

Die erstinstanzliche Behörde wies in weiterer Folge den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mit dem am 29. September 1995 datierten Bescheid ab und führte begründend aus, der Beschwerdeführer sei am 18. Februar 1992 unter Umgehung der Grenzkontrolle aus Ungarn kommend in das Bundesgebiet eingereist. Gemäß § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes sei ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung sei im Ausland abzuwarten. Eine Inlandsantragstellung komme beim Beschwerdeführer nicht in Betracht. Daran ändere auch die am 10. Juni 1995 erfolgte Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen nichts, weil die Eheschließung bereits während des illegalen Aufenthaltes im Bundesgebiet erfolgt sei und der Beschwerdeführer sich daher nicht mit Erfolg auf seine privaten Interessen berufen könne.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 3. Oktober 1995 durch eigenhändige Übernahme zugestellt

(Seite 16 des Verwaltungsaktes).

Mit Telefax vom 2. Oktober 1995, bei der belangten Behörde eingelangt am 3. Oktober 1995, teilte der Vertreter des Beschwerdeführers der erstinstanzlichen Behörde unter Bezugnahme auf die Anfrage vom 28. September 1995 mit, daß das Vollmachtsverhältnis aufrecht sei (Seite 17 des Verwaltungsaktes). Die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an den Vertreter des Beschwerdeführers erfolgte daraufhin am 5. Oktober 1995 (Seite 15 des Verwaltungsaktes).

Der Beschwerdeführer erhob - anwaltlich vertreten - die am 19. Oktober 1995 zur Post gegebene Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Februar 1996 wies der Bundesminister für Inneres die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurück. Begründend führte er aus, die Zustellung des angefochtenen Bescheides sei rechtswirksam am 3. Oktober 1995 erfolgt. Die Berufung sei erst am 19. Oktober 1995 und daher verspätet eingebracht worden.

Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragt die Aufhebung aus diesen Gründen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:

Der Beschwerdeführer tritt der Annahme der belangten Behörde, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides am 3. Oktober 1995 rechtswirksam erfolgt sei, mit der Behauptung entgegen, diese sei tatsächlich erst am 5. Oktober 1995, und zwar durch Zustellung an den Rechtsvertreter, bewirkt worden. Eine persönliche Zustellung an den Beschwerdeführer sei aufgrund der Mitteilung über das aufrechte Vollmachtsverhältnis vom 2. Oktober 1995 nicht zulässig gewesen.

Vor Zurückweisung einer Berufung als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1951, Slg. NF. Nr. 2367/A), wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Berufungswerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten. Unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048). Geht die Behörde von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Berufungswerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, mwN).

Der belangten Behörde, die die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Beschwerdeführer vor Erlassung des die Berufung zurückweisenden Bescheides nicht vorgehalten hat, obwohl nach dem wiedergegebenen Geschehen im Verwaltungsverfahren die Rechtswirksamkeit der Zustellung an den Beschwerdeführer persönlich nicht von vornherein unbedenklich sein konnte, ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, wobei im Hinblick auf den Akteninhalt und die Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung wurde aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen, zumal Art. 6 MRK dem nicht entgegensteht.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war nur für die Beschwerde in zweifacher Ausfertigung und den angefochtenen Bescheid in einfacher Ausfertigung zuzuerkennen.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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