VwGH 96/19/0758

VwGH96/19/075815.10.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll sowie die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des Dr. M, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 10. Jänner 1996, KA 10/95, betreffend rückständige Kammerbeiträge und Disziplinarratsbußen, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
DSt Rechtsanwälte 1990 §68;
DStNov Rechtsanwälte 1906 Art8;
EO §1;
EO §35 Abs2;
RAO 1868 §26 Abs5;
VVG §3 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;
AVG §56;
DSt Rechtsanwälte 1990 §68;
DStNov Rechtsanwälte 1906 Art8;
EO §1;
EO §35 Abs2;
RAO 1868 §26 Abs5;
VVG §3 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Die Steiermärkische Rechtsanwaltskammer hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer.

Mit "Rückstandsausweis und Beschluss" der Abteilung 3 des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 6. Dezember 1995 wurden dem Beschwerdeführer rückständige Kammerbeiträge für das 2. Quartal 1993, das 3. Quartal 1994, sowie die ersten drei Quartale 1995 bis zum Datum der Erlassung des Beschlusses, ferner restliche Disziplinarratsbußen und -kosten sowie Exekutions- und Vollzugskosten seit dem 22. Dezember 1992 und die jeweiligen Säumniszuschläge in der Gesamthöhe von S 80.944,-- auferlegt.

In der dagegen erhobenen, ausdrücklich als Vorstellung bezeichneten Eingabe wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Höhe und die Rechtmäßigkeit der Vorschreibung dieser Beträge und führte begründend aus, dass er einerseits Kammerbeiträge teilweise gemäß der Satzung der Versorgungseinrichtung der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer entrichtet habe, dies der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer auch schriftlich mitgeteilt habe und dies auch dem Gleichheitsgrundsatz - insbesondere nach dem Beitritt zur EU - eindeutig entspreche. Im Übrigen sei die Vollversammlung, durch welche mit Beschluss vom 8. November 1995 die Vorschreibung für die Versorgungseinrichtung mit monatlich S 6.000,-- beschlossen worden sei, nicht beschlussfähig gewesen.

Durch Beschluss des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer als der belangten Behörde vom 10. Jänner 1996 wurde der Vorstellung des Beschwerdeführers nicht Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass jede Rechtsanwaltskammer als autonome Versorgungseinrichtung mit verschiedenen Leistungs- und Beitragsordnungen zu betrachten sei. Aus diesem Grunde seien auch die verschiedenen Leistungs- und Beitragsordnungen der Rechtsanwaltskammern der verschiedenen Bundesländer nicht vergleichbar. Die Vollversammlung sei entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers zur Festsetzung der Beitragshöhe beschlussfähig gewesen; eine Satzungsänderung habe nicht stattgefunden. Ferner sei der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass die Gebarung in Einklang mit § 27 Abs. 1 lit. e RAO erfolge. Es sei daher der Beschluss und Rückstandsausweis vom 6. Dezember 1995 zu bestätigen gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Klarzustellen ist, dass es sich beim angefochtenen Beschluss des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer um einen Bescheid (vgl. die nachstehenden Ausführungen) handelt, weshalb sich die Beschwerde als zulässig erweist.

Die §§ 22, 26 und 28 der Rechtsanwaltsordnung (RAO) lauten (auszugsweise):

"§ 22. ...

(2) Die Rechtsanwaltskammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes; ...

§ 26. ...

(2) Besteht der Ausschuss aus mindestens 10 Mitgliedern, so sind die im § 28 Abs. 1 Buchstaben b, d, f, g und i aufgezählten Aufgaben, ferner die Aufsicht über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, die Bestellung von Rechtsanwälten nach den §§ 45 und 45a sowie die Zuerkennung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung in Abteilungen zu erledigen. Die Abteilungen bestehen aus 5 Ausschussmitgliedern. Der Ausschuss hat die Abteilungen zusammenzusetzen und die Geschäfte unter die Abteilungen zu verteilen.

...

(5) Gegen den Beschluss einer Abteilung kann binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses Vorstellung erhoben werden; über diese entscheidet der Ausschuss.

§ 28. (1) Zu dem Wirkungskreis des Ausschusses gehören:

...

b) die Führung der Liste der Rechtsanwaltsanwärter, die Bestätigung der Rechtsanwaltspraxis, sowie die Ausfertigung der Legitimation zur Substituierung an dieselben und der Beglaubigungsurkunde für Kanzleibeamte (§ 31 Abs. 3 ZPO);

...

d) die Besorgung der ökonomischen Geschäfte der Rechtsanwaltskammer und Einbringung der Jahresbeiträge; ...

...

f) die Erstattung von Gutachten über die Angemessenheit des Honorars und Vergütung für Dienstleistungen des Rechtsanwalts, sowie die angesuchte gütliche Beilegung des Streites über selbe (§ 19);

g) die Vermittlung entstandener Irrungen zwischen Mitgliedern der Kammer in dienstlicher Beziehung;

...

i) die Bestellung eines Rechtsanwaltes nach §§ 45 oder 45a und die Entscheidung über die Ansprüche nach § 16 Abs. 4;

..."

§ 26 RAO erhielt seine derzeitige Fassung durch die Novelle BGBl. Nr. 673/1976.

Artikel VIII des Gesetzes vom 16. November 1906, RGBl. Nr. 223, lautet:

"Artikel VIII.

Die von den Ausschüssen der Advokatenkammern ausgefertigten amtlichen Ausweise über rückständige Beiträge, welche die Kammermitglieder auf Grund gültiger Kammerbeschlüsse an die Advokatenkammer zu leisten haben (§27, lit.d der Advokatenordnung vom 6. Juli 1868, RGBl. Nr. 96), sind Exekutionstitel im Sinne des § 1 des Gesetzes vom 27. Mai 1896, RGBl. Nr. 79."

§ 68 des Disziplinarstatutes 1990 (DSt 1990) lautet:

"§ 68. Sind Geldbußen oder die vom Beschuldigten zu ersetzenden Kosten zwangsweise einzubringen, so ist vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer ein Rückstandsausweis auszufertigen, der einen Exekutionstitel im Sinn des § 1 der Exektutionsordnung bildet. Sind sie uneinbringlich, so hat dies der Ausschuss festzustellen."

§ 3 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VVG) lautet:

" § 3. ...

(2) Bescheide und Rückstandsausweise, die von der erkennenden oder verfügenden Stelle oder von der Vollstreckungsbehörde mit der Bestätigung versehen sind, dass sie einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtszug nicht unterliegen, sind Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO. Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 EO sind bei der Stelle einzubringen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist."

Nach dem Inhalt der (jeweils geltenden) Beitragsordnung der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer werden die Mittel für die Versorgungseinreichtung gemäß §§ 51 und 53 RAO durch die Pauschalvergütung und durch Beiträge der Kammermitglieder aufgebracht. In der Beitragsordnung wird die jeweilige Höhe des Beitrages, der für die Versorgungseinrichtung zu leisten ist, sowie die Höhe des Kammerbeitrages gemäß § 27 c und d RAO festgelegt. Nach Punkt 3 der jeweils gültigen Beitragsordnung erfolgen die Vorschreibungen quartalsmäßig an näher bezeichneten Terminen.

Die zuständige Abteilung des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer erließ am 6. Dezember 1995 eine ausdrücklich als "Beschluss und Rückstandsausweis" bezeichnete Erledigung. Diese Erledigung enthielt neben der Auflistung der geschuldeten Beträge den Zusatz "Diese Forderung ist vollstreckbar." Der Inhalt der Erledigung geht über den notwendigen Inhalt eines Rückstandsausweises nicht hinaus, wird darin doch ausschließlich die zu Lasten des Beschwerdeführers aushaftende Zahlungsverbindlichkeit bekannt gegeben. Dieser Rückstandsausweis sollte offenkundig im Falle seiner Nichtzahlung als Exektutionstitel im Sinne des § 3 VVG bzw. § 1 EO dienen.

Nach Art. VIII des Gesetzes vom 16. November 1906, RGBl. Nr. 223, sowie § 68 des Disziplinarstatutes sind Rückstandsausweise der Rechtsanwaltskammer über ausständige Kammerbeiträge und Geldbußen Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO und können solcherart die Grundlage der verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Vollstreckung bilden. Derartige Rückstandsausweise sind aber keine Bescheide, sondern stellen bloß aus den Rechnungsbehelfen der Behörde gewonnene Aufstellungen über Zahlungsverbindlichkeiten dar (vgl. Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II, Anm. 10 zu § 3 VVG). Dies ergibt sich bereits daraus, dass § 3 Abs. 2 VVG als Exekutionstitel sowohl Bescheide, als auch Rückstandsausweise anführt. Die gesonderte Anführung von Rückstandsausweisen wäre aber überflüssig, wenn es sich bei letzteren um Bescheide handeln würde. Es handelt sich daher bei den von der zuständigen Abteilung des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer ausgestellten Rückstandsausweisen nicht um Bescheide, sondern bloß um förmliche, einen Exekutionstitel darstellende Aufstellungen der Rechtsanwaltskammer über aushaftende Kammerbeiträge, Geldbußen und allfällige Nebenansprüche (vgl. dazu die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Dezember 1986, B 856/86, VfSlg.Nr. 11 177 (nur RS), und - einen Rückstandsausweis des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer betreffend - vom 25. Februar 1992, B 1392/91, VfSlg.Nr. 12 991 (nur RS), sowie u. a. die hg. Erkenntnisse vom 28. November 1996,

Zlen. 94/11/0371,0408, und vom 29. September 1997, Zl. 96/17/0454).

Dem Betroffenen steht aber eine entsprechende Rechtsschutzmöglichkeit auch gegen Rückstandsausweise offen. Diese stellen zwar - wie dargestellt - keine bekämpfbaren Bescheide dar, sondern entfalten ihre Wirkung erst im Vollstreckungsverfahren; dieses eröffnet aber zugleich die Möglichkeit ihrer Überprüfung. So ist der Schuldner in der Lage, wie dies nach der Judikatur in analoger Anwendung des § 3 Abs. 2 VVG vorgesehen ist, die Richtigkeit des Rückstandsausweises nach Bewilligung der Vollstreckung mit Einwendungen gegen den Anspruch zu bekämpfen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1959, SlgNr. 5076/A, und den hg. Beschluss vom 14. November 1980, SlgNr. 10.297/A), wobei sowohl als Einbringungsstelle für diese Einwendungen als auch zur Entscheidung darüber die Behörde zuständig ist, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist. Wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 28. September 1993, VfSlg.Nr. 13.527, mwN), ist dadurch ein ausreichender Rechtsschutz in Kammerbeitragsangelegenheiten gewährleistet.

Der Schuldner der in einem Rückstandsausweis ausgewiesenen Leistungsverpflichtung hat nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch ein Feststellungsinteresse am Bestehen oder Nichtbestehen dieser Verpflichtung. Er kann, wenn mit ihm ein Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt wurde, darüber einen Bescheid begehren (vgl das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1993, Zl. 93/11/0007, sowie Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes7, Rz 1008).

Der Beschwerdeführer hätte daher im vorliegenden Fall die bescheidmäßige Feststellung der (Höhe der) Leistungsverpflichtung - bei der Behörde erster Instanz - beantragen müssen oder sich gegebenenfalls mit Einwendungen gegen den Anspruch im Sinne des § 35 EO an die Stelle wenden müssen, von der der Exekutionstitel ausgegangen ist (vgl. § 3 Abs. 2 VVG).

Die in § 26 Abs. 5 RAO vorgesehene Möglichkeit, gegen Beschlüsse des Ausschusses das Rechtsmittel der Vorstellung zu erheben, über welches der Ausschuss entscheidet, stand dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall hingegen nicht zur Verfügung, weil die Erhebung eines Rechtsmittels voraussetzt, dass die Behörde erster Instanz einen Bescheid, und nicht bloss einen Rückstandsausweis, erlassen hatte. Die Abteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer trifft nicht jede der ihr übertragenen Entscheidungen in Bescheidform, so z.B. in den (Teil)bereichen ihrer Zuständigkeit gemäß § 28 Abs. 1 lit. d (Besorgung der ökonomischen Geschäfte), lit. f (Erstattung eines Gutachtens und Streitbeilegung) und lit. g RAO (Vermittlung entstandener Irrungen). Nur dann, wenn die Abteilung eines Ausschusses aber mit Bescheid über eine der (übrigen) ihr zukommenden Aufgaben entscheidet, so steht gemäß § 26 Abs. 5 RAO das Rechtsmittel der Vorstellung zur Verfügung. Für diese Konsequenz ergibt sich aus den Materialien zur Novellierung des § 26 RAO durch das BGBl. Nr. 673/1976, RV 322 BlgNR 14. GP, insofern ein Anhaltspunkt, als es darin (Seite 3) heißt, dass die Frist zur Erhebung der Vorstellung in Angleichung an die allgemeinen Rechtsmittelfristen auf 14 Tage verlängert werden soll. Damit schwebte dem Gesetzgeber dieser Novelle offenbar vor, dass es sich bei der Vorstellung um ein (der Berufung nach dem AVG vergleichbares) Rechtsmittel gegen Bescheide der Abteilung des Ausschusses handelt, und nicht etwa um einen Rechtsbehelf, der dazu dienen soll, auch nicht bescheidmäßig erledigte Angelegenheiten der Abteilungen des Ausschusses an den Ausschuss selbst heranzutragen.

Die im gegenständlichen Fall erhobene Vorstellung des Beschwerdeführers, die auf die ersatzlose Behebung des Rückstandsausweises gerichtet war, wäre daher von der belangten Behörde nach dem Vorgesagten mangels Vorliegens eines bekämpfbaren Bescheides zurückzuweisen gewesen. Der belangten Behörde kam daher lediglich die funktionelle Zuständigkeit zur Zurückweisung der unzulässigen Vorstellung zu.

Indem die belangte Behörde aber eine bescheidförmige Sachentscheidung über das unzulässige Rechtsmittel traf, nahm sie eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nicht zukam. Aus diesem Grund belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge ihrer Unzuständigkeit.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid ungeachtet der Frage, ob diese Unzuständigkeit als Beschwerdepunkt geltend gemacht wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben. Auf das Beschwerdevorbringen war daher nicht weiter einzugehen.

Auf die Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 2 VwGG verzichtet werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die wegen des pauschalierten Ersatzes des Schriftsatzaufwandes zu Unrecht geltend gemachte Umsatzsteuer;

Stempelgebührenersatz war nur im zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Ausmaß (Eingabengebühr für drei Ausfertigungen der Beschwerde, Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuzusprechen.

Wien, am 15. Oktober 1999

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