Normen
AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §3 Abs3;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §9 Abs3;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
B-VG Art7 Abs1;
FrG 1993 §29;
AufG 1992 §3 Abs1;
AufG 1992 §3 Abs3;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §9 Abs3;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
B-VG Art7 Abs1;
FrG 1993 §29;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. September 1994 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 9 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 (im folgenden: AufG aF) abgewiesen. Der angefochtene Bescheid wurde damit begründet, daß gemäß § 9 Abs. 3 AufG aF keine weiteren Bewilligungen erteilt werden dürften, wenn die in § 2 Abs. 1 AufG und der darauf beruhenden Verordnung festgelegte Anzahl von Bewilligungen erreicht sei. Ab diesem Zeitpunkt seien anhängige Anträge, die sich nicht auf den in § 3 AufG aF verankerten Rechtsanspruch stützten, abzuweisen. Für das Bundesland Wien sei in der Verordnung der Bundesregierung über die Anzahl der Bewilligungen nach dem Aufenthaltsgesetz für 1994, BGBl. Nr. 72/1994, eine Höchstzahl von 4300 Bewilligungen festgesetzt worden. Diese sei nunmehr erreicht. Auch bei eingehender Prüfung des Gesamtvorbringens der Beschwerdeführerin könne ein Rechtsanspruch für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Sinne des Aufenthaltsgesetzes nicht abgeleitet werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (10. Oktober 1994) hatte die belangte Behörde die Rechtslage vor Inkrafttreten der AufG-Novelle, BGBl. Nr. 351/1995, anzuwenden.
§ 3 und § 9 Abs. 3 AufG aF lauteten:
"§ 3. (1) Ehelichen und außerehelichen minderjährigen Kindern und Ehegatten
- 1. von österreichischen Staatsbürgern oder
- 2. von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z 1 bis 5 rechtmäßig ohne Bewilligung seit mehr als zwei Jahren ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich haben, ist eine Bewilligung zu erteilen, sofern kein Ausschließungsgrund (§ 5 Abs. 1) vorliegt.
(2) Die Erteilung einer Bewilligung gemäß Abs. 1 für Ehegatten setzt voraus, daß die Ehe zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits mindestens ein Jahr besteht.
(3) Die Fristen des Abs. 1 Z 2 und des Abs. 2 können verkürzt werden, wenn der Ehegatte bzw. die Kinder im gemeinsamen Haushalt gelebt haben und auf Dauer ihr Lebensunterhalt und ihre Unterkünfte ausreichend gesichert sind. In besonders berücksichtigungswürdigen Fällen und unter denselben Voraussetzungen kann, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, eine Bewilligung auch volljährigen Kindern und Eltern der in Abs. 1 genannten Personen erteilt werden, wenn sie von diesen wirtschaftlich abhängig sind.
§ 9. ...
...
(3) Sobald die gemäß § 2 Abs. 1 festgelegte Anzahl erreicht ist, dürfen keine weiteren Bewilligungen erteilt werden. Die Entscheidung über anhängige Anträge gemäß § 3 ist auf das folgende Jahr zu verschieben; andere anhängige Anträge sind abzuweisen."
Die belangte Behörde hat erstmals den Versagungsgrund des § 9 Abs. 3 AufG aF herangezogen. Ändert die Behörde gegenüber dem Bescheid der Vorinstanz den Versagungsgrund, so ist sie verpflichtet, dies dem Beschwerdeführer vorzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 1985, Zl. 84/07/0221). Diese Verfahrensvorschrift hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall mißachtet.
Die Beschwerdeführerin, welche sich schon in ihrem Bewilligungsantrag vom 6. August 1993 darauf berief, in den Jahren 1991 und 1992 zeitweise in gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter gelebt zu haben, erstattet folgendes, nicht dem Neuerungsverbot im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterliegendes Beschwerdevorbringen:
Die Beschwerdeführerin sei russische Staatsangehörige. Ihre Mutter sei seit 15. Jänner 1981 Österreicherin und mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet. Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei tödlich verunglückt. Die Beschwerdeführerin habe zu ihrem Vater keinen Kontakt und sei seither auf die Unterstützung ihrer Mutter angewiesen. Sie leide an Depressionen und müsse regelmäßig Medikamente einnehmen. Sie werde derzeit von ihrer Mutter und ihrem Stiefvater von Wien aus mit Geld und Medikamenten versorgt und unterstützt. Sie habe im Sommersemester 1994 an der Universität Wien als außerordentliche Hörerin inskribiert.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin in tauglicher Weise die Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels auf.
Der Verwaltungsgerichtshof vetritt in ständiger Rechtsprechung (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 21. Februar 1996, Zlen. 95/21/0216 und 95/21/0416) folgende Rechtsauffassung:
Volljährigen Kindern von österreichischen Staatsbürgern und von Fremden, die aufgrund einer Bewilligung oder sonst gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1 bis 5 AufG aF rechtmäßig ohne Bewilligung seit mehr als zwei Jahren ihren Hauptwohnsitz in Österreich haben, steht ein Rechtsanspruch auf die Erteilung einer Bewilligung gemäß § 3 AufG aF zu, wenn die im Abs. 3 der genannten Gesetzesstelle angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Bei volljährigen Kindern von österreichischen Staatsbürgern, denen von diesen Unterhalt gewährt wird, darf das Erfordernis dieser Voraussetzungen jedoch nicht überspannt werden. Es darf nämlich nicht außer Acht gelassen werden, daß gemäß § 29 FrG auch volljährigen Kindern von EWR-Bürgern, die zum Aufenthalt berechtigt sind, ein Sichtvermerk zu erteilen ist, wenn nur durch ihren Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nicht gefährdet wäre. § 3 AufG aF muß die Bedeutung unterstellt werden, daß die dort geregelten Voraussetzungen für die aufenthaltsrechtliche Verwirklichung des Familiennachzuges für volljährige Kinder von österreichischen Staatsbürgern nicht im vorliegenden Zusammenhang strenger gestaltet sind als für volljährige Kinder von in Österreich zum Aufenthalt berechtigten EWR-Bürgern. Andernfalls läge eine Benachteiligung von österreichischen Staatsbürgern gegenüber EWR-Bürgern - hinsichtlich der Ermöglichung des familiären Zusammenlebens mit Kindern, denen Unterhalt gewährt wird - vor, die dem Grundsatz zuwiderlaufen würde, daß das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot dahin zu verstehen ist, daß eine gesetzliche Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger gegenüber Ausländern zu vermeiden ist (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes Slg. Nr. 10.025/1984, 10.271/1984 und 13.084/1992). Gemäß § 3 Abs. 1 und 3 AufG aF besteht daher bei Nichtvorliegen eines Ausschließungsgrundes gemäß § 5 Abs. 1 AufG für volljährige Kinder von österreichischen Staatsbürgern ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Bewilligung im Regelfall dann, wenn ihnen vom betroffenen österreichischen Staatsbürger Unterhalt gewährt wird. In einem solchen Fall ist die Behörde nicht berechtigt, gemäß § 9 Abs. 3 erster Satz AufG aF den Antrag eines Fremden abzuweisen.
Im vorliegenden Fall wird der Beschwerdeführerin nach ihren Behauptungen nicht nur von ihrer Mutter Unterhalt geleistet, sie ist vielmehr von dieser wirtschaftlich abhängig, hat mit ihr im gemeinsamen Haushalt gelebt und macht berücksichtigungswürdige Gründe (Gemütserkrankung und Absicht, als außerordentliche Hörerin an einer inländischen Universität zu studieren) geltend (vgl. hiezu die bei Schindler-Widermann-Wimmer, Fremdenrecht, Kommentar zu § 3 AufG, angeführten Beispiele besonders berücksichtigungswürdiger Fälle).
Da somit nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde bei einer Auseinandersetzung mit dem wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Demnach stehen der Beschwerdeführerin als Ersatz für Schriftsatzaufwand S 12.500,-- und an Ersatz für Stempelgebührenaufwand S 240,-- für die zweifache Einbringung der Beschwerdeergänzung zu. Der Ersatz von Umsatzsteuer ist mit dem Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand bereits abgegolten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 1985, Zl. 83/01/0314).
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)