VwGH 94/05/0223

VwGH94/05/022319.9.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. des J und

2. der A, beide in Gloggnitz, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29. Juni 1994, Zl. R/1-V-88204/08, betreffend Nachbareinwendungen im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadtgemeinde Gloggnitz, vertreten durch den Bürgermeister; 2. E in Gloggnitz, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9;
BauO NÖ 1976 §120 Abs3;
BauO NÖ 1976 §120 Abs4 idF 8200-6;
BauO NÖ 1976 §2 Z5 idF 8200-1;
BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z6 idF 8200-1;
BauO NÖ 1976 §4 Abs2 idF 8200-6;
BauRallg;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs9;
BauO NÖ 1976 §120 Abs3;
BauO NÖ 1976 §120 Abs4 idF 8200-6;
BauO NÖ 1976 §2 Z5 idF 8200-1;
BauO NÖ 1976 §4 Abs1 Z6 idF 8200-1;
BauO NÖ 1976 §4 Abs2 idF 8200-6;
BauRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern insgesamt Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Stadtgemeinde hat mit Bescheid vom 12. März 1992 die Baubewilligung zur Errichtung einer Einfriedungs- bzw. Schallschutzmauer auf dem Grundstück Nr. n1, KG Gloggnitz, erteilt. Die verfahrensgegenständliche Mauer war im Zeitpunkt der Entscheidung des Bürgermeisters bereits an der Grundstücksgrenze zwischen dem Grundstück Nr. n1, KG Gloggnitz, und den östlich anschließenden zwei Grundparzellen errichtet. Die Mauer führt in einer Höhe zwischen 3,00 bis 3,10 m von der südwestlichen Ecke des Grundstückes der zweitmitbeteiligten Partei über die Gesamtlänge der gemeinsamen Grundstücksgrenze (27 m) und daraufhin in einer Länge von ca. 6 m auf der gemeinsamen Grundgrenze zwischen dem Grundstück Nr. n1, KG Gloggnitz, bis zu dem dem Grundstück der zweitmitbeteiligten Partei benachbarten Grundstück Nr. n2. Die von den Nachbarn, insbesondere den Beschwerdeführern, erhobene Berufung wurde vom Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde mit Bescheid vom 1. Juli 1992 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer wurde von der Nö Landesregierung mit Bescheid vom 14. Jänner 1993 Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid des Gemeinderates als rechtswidrig aufgehoben. Die Beschwerdeführer hätten zu Recht den Einwand erhoben, daß im vorliegenden Fall eine schikanöse Rechtsausübung vorliege.

Mit Erkenntnis vom 7. September 1993, Zl. 93/05/0038, wurde dieser Vorstellungsbescheid der Nö Landesregierung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Die baurechtlichen Vorschriften würden keine gesetzliche Grundlage dafür bieten, daß die Errichtung einer Baulichkeit im Sinne der Nö Bauordnung 1976 nicht zu bewilligen sei, wenn diese von einem Nachbarn als schikanös angesehen werde.

Im fortgesetzten Verfahren wurde die Vorstellung der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet abgewiesen. In diesem Bescheid wird insbesondere zur Frage des Widerspruches der Mauer zur bestehenden Bebauung im Sinne des § 120 Abs. 4 Nö Bauordnung 1976 ausgeführt, daß die Prüfung eines Vorhabens unter dem Gesichtspunkt dieser Bestimmung alle Merkmale zu erfassen habe, die Gegenstand eines Bebauungsplanes sein könnten. Dies sei im § 4 Abs. 1 und 2 Nö Bauordnung 1976 geregelt. Da nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung eine Mauer an einer seitlichen Grundgrenze kein Regelungskriterium eines Bebauungsplanes sei, hätte die Frage des Widerspruches dieser Mauer zur bestehenden Bebauung gar nicht geprüft werden dürfen. Daher erübrige sich für die belangte Behörde eine Auseinandersetzung mit diesem Vorstellungsvorbringen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die Beschwerdeführer erachten sich wegen "unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Bestimmung des § 118 BO für NÖ und Verletzung von Verfahrensgesetzen" für beschwert.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Auch die zweitmitbeteiligte Partei hat eine Äußerung abgegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 92 Abs. 1 Z. 2 und 3 Nö Bauordnung 1976, LGBl. 8200-0 in der Fassung der Novelle LGBl. 8200-1, bedürfen u. a. folgende Vorhaben der Bewilligung der Baubehörde:

2. die Errichtung anderer Bauwerke und Anlagen (als die in Z. 1 genannten Neu-, Zu- und Umbauten von Gebäuden), durch welche Gefahren für Personen und Sachen entstehen oder das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt oder Rechte der Nachbarn verletzt werden könnten;

3. die Herstellung von Einfriedungen gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks oder Grüngürtel.

Gemäß § 120 Abs. 4 Nö Bauordnung 1976, in der im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung geltenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 8200-6, ist eine Bewilligung gemäß § 92 oder § 93 leg. cit. in einer Gemeinde, in der noch kein Bebauungsplan und auch kein vereinfachter Bebauungsplan gilt, zu versagen, wenn das geplante Vorhaben der Bestimmung des § 120 Abs. 3 leg. cit. widerspricht. Gemäß § 120 Abs. 3 Nö Bauordnung 1976 in der Stammfassung ist eine Bewilligung gemäß § 92 oder § 93 leg. cit. - abgesehen von § 100 Abs. 2 leg. cit. - zu versagen, wenn

1. das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht;

2. das Vorhaben außerhalb eines zusammenhängend bebauten Ortsgebietes geplant ist und die geordnete Entwicklung der Bau- und Siedlungstätigkeit der Gemeinde gefährdet.

Gemäß § 100 Abs. 2 Nö Bauordnung 1976, in der Fassung LGBl. 8200-6, ist die Bewilligung zu versagen, wenn durch die Ausführung des Vorhabens Bestimmungen dieses Gesetzes, der Nö Aufzugsordnung, der Nö Mineralölordnung, einer aufgrund dieser Gesetze erlassenen Verordnung oder des Nö Raumordnungsgesetzes ..., über die Zulässigkeit von Bauführungen auf Flächen mit bestimmten Widmungs- und Nutzungsarten sowie über Vorbehaltsflächen und Bausperren verletzt werden.

Gemäß § 4 Nö Bauordnung 1976 in der Fassung LGBl. 8200-1 sind gemäß Abs. 1 im Bebauungsplan für das Bauland festzulegen:

  1. 1. die Straßenfluchtlinien;
  2. 2. die vorderen Baufluchtlinien;
  3. 3. die Bebauungsweise;
  4. 4. die Bebauungshöhe;
  5. 5. die Bebauungsdichte;
  6. 6. die Gliederung und äußere Gestaltung der Baulichkeiten.

    § 4 Abs. 2 leg. cit. bestimmt, was im Bebauungsplan für das Bauland festzulegen ist, wenn dies zur Erreichung der im § 3 Abs. 1 und 2 leg. cit. genannten Ziele erforderlich ist. Dieser Abs. 2 enthält in Z. 11 für diesen Fall die Anordnung, daß die Verpflichtung, die Gestaltung oder das Verbot der Einfriedung von Grundstücken gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks oder Grüngürtel im Bebauungsplan festzulegen ist. Gemäß § 89 Abs. 3 Nö Bauordnung 1976, in der Fassung LGBl. 8200-1, sind Einfriedungen gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks oder Grüngürtel so auszuführen, daß das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird. Vorgärten dürfen weder gegen die Verkehrsfläche noch an den Nachbargrundstücksgrenzen durch Mauern oder undurchsichtige Zäune eingefriedet werden. Der massive Sockel einer Einfriedung darf eine Höhe von 60 cm über dem Gehsteig nicht überschreiten. Von den Bestimmungen des zweiten und dritten Satzes können Ausnahmen gemacht werden, wenn dadurch das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird.

    Die Beschwerdeführer wenden sich vor allem gegen die Auffassung der belangten Behörde, eine Prüfung der verfahrensgegenständlichen Mauer im Sinne des § 120 Abs. 4 Nö Bauordnung 1976 komme nicht in Betracht. Gemäß § 2 Abs. 1 Z. 5 Nö Bauordnung 1976 seien unter Baulichkeiten u.a. neben Gebäuden auch andere Bauwerke (u.a. Stütz- und Einfriedungsmauern) gemeint. § 4 Abs. 1 Z. 6 Nö Bauordnung 1976 enthalte als ausdrücklichen Inhalt des Bebauungsplanes die Gliederung und äußere Gestaltung der Baulichkeiten, weshalb auch die im § 2 Abs. 5 Nö Bauordnung 1976 erwähnten Einfriedungsmauern darunter zu subsumieren seien.

    Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Oktober 1976, Slg. Nr. 9154/A, und vom 6. Juni 1977, Slg. Nr. 9338/A) ergibt sich aus § 120 Abs. 3 und 4 Nö Bauordnung 1976 (in den zitierten Erkenntnissen noch § 120 Abs. 7 und 8 Nö Bauordnung 1976 in der Stammfassung) für die Anrainer insoweit ein subjektives öffentliches Recht, als die darin enthaltenen Grundsätze, wären sie Inhalt eines Bebauungsplanes, ein subjektives öffentliches Recht der Anrainer im Sinne des § 118 Abs. 9 Nö Bauordnung 1976 begründen würden. Die Prüfung des Vorhabens unter dem Gesichtspunkt des § 120 Abs. 3 Z. 1 Nö Bauordnung 1976 hat im Sinne dieser Judikatur alle Merkmale zu umfassen, die Gegenstand eines Bebauungsplanes sein können. Was Gegenstand eines Bebauungsplanes sein kann, wird im § 4 Nö Bauordnung 1976 näher bestimmt. Für den vorliegenden Fall ist § 4 Abs.1 Z. 6 leg. cit. von zentraler Bedeutung, der als Inhalt eines Bebauungsplanes "die Gliederung und äußere Gestaltung der Baulichkeiten" nennt. Unter den Begriff der Baulichkeiten gemäß § 2 Z. 5 Nö Bauordnung 1976 fallen u.a. Stütz- und Einfriedungsmauern. Es kann somit in einem Bebauungsplan auch die Gliederung und äußere Gestaltung von Einfriedungsmauern geregelt werden. In diesem Sinne führen die Erläuterungen zu § 4 Abs. 1 Z. 6 Nö Bauordnung (abgedruckt in Hauer - Zaussinger, Bauordnung für Niederösterreich4, 79) aus, daß diese Bestimmung die wichtigste Grundlage für die textliche Regelung der Bebauung ("Bebauungsvorschriften") biete. Häufigster Gegenstand der "Bebauungsvorschriften" seien u.a. die Gestaltung der Fassaden, Dächer, Fenster, Türen und Einfriedungen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 27. 10. 1993, Zl. 91/05/0041, in dem eine Anordnung über die zulässige Höhe von Einfriedungen an Nachbargrundgrenzen von maßgeblicher Bedeutung war). Auch die ausdrückliche Anführung von Einfriedungen gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks oder Grüngürtel in § 4 Abs. 2 Z. 11 Nö Bauordnung 1976 läßt im Zusammenhalt mit § 4 Abs. 1 leg. cit. nicht den Schluß zu, daß alle anderen Einfriedungen, insbesondere solche an Nachbargrundgrenzen, von den Anordnungen des § 4 Abs. 1 leg. cit. nicht erfaßt sein können. § 4 Abs. 2 leg. cit. hat vielmehr nur den Zweck, jenen Inhalt des Bebauungsplanes näher zu präzisieren, der zu bestimmen IST, wenn es zur Erreichung der in § 3 Abs. 1 und 2 leg. cit. genannten Ziele erforderlich ist (vgl. Hauer - Zaussinger, Die Bauordnung für Niederösterreich4, Anm. 4 zu § 4). Solche Anordnungen in einem Bebauungsplan über die Gestaltung von Einfriedungen an Nachbargrundgrenzen können ein subjektiv-öffentliches Recht des jeweiligen Nachbarn im Sinne des § 118 Abs. 9

    Nö Bauordnung 1976 begründen. Die belangte Behörde hat daher zu Unrecht die Einwendungen der Beschwerdeführer in der Vorstellung betreffend die Auslegung des § 120 Abs. 4 Nö Bauordnung 1976 in der Berufungsentscheidung nicht überprüft.

    Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

    Dem Antrag auf Anberaumung einer Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG keine Folge zu geben.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

    BGBl. Nr. 416/1994.

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