VwGH 93/05/0038

VwGH93/05/00387.9.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Hauer und die Hofräte Dr. Degischer, Dr. Giendl, Dr. Kail und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Stadtgemeinde Gloggnitz, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 14. Jänner 1993, R/1-V-88204/05, betreffend Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: J und A, in Gloggnitz, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1295 Abs2;
AVG §1;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §1 Abs1;
BauO NÖ 1976 §1 Abs2;
BauO NÖ 1976 §100 Abs2;
BauO NÖ 1976 §2 Z5;
BauO NÖ 1976 §92 Abs1 Z2;
BauO NÖ 1976 §99 Abs4;
BauRallg;
B-VG Art10 Abs1 Z8;
B-VG Art15 Abs1;
B-VG Art15 Abs5;
GdO NÖ 1973 §35 Abs1;
GdO NÖ 1973 §35 Abs2 Z10;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
ABGB §1295 Abs2;
AVG §1;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §1 Abs1;
BauO NÖ 1976 §1 Abs2;
BauO NÖ 1976 §100 Abs2;
BauO NÖ 1976 §2 Z5;
BauO NÖ 1976 §92 Abs1 Z2;
BauO NÖ 1976 §99 Abs4;
BauRallg;
B-VG Art10 Abs1 Z8;
B-VG Art15 Abs1;
B-VG Art15 Abs5;
GdO NÖ 1973 §35 Abs1;
GdO NÖ 1973 §35 Abs2 Z10;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der beschwerdeführenden Stadtgemeinde Gloggnitz Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren der beschwerdeführenden Stadtgemeinde wird abgewiesen.

Begründung

Der Bürgermeister der Stadtgemeinde Gloggnitz hat mit Bescheid vom 12. März 1992 die Baubewilligung zur Errichtung einer Einfriedungs- bzw. Schallschutzmauer auf dem Grundstück Nr. x/y, KG Gloggnitz, erteilt. Die verfahrensgegenständliche Mauer war im Zeitpunkt der Entscheidung des Bürgermeisters bereits an der Grundstücksgrenze zwischen dem Grundstück Nr. x/y,

KG Gloggnitz, und den östlich anschließenden Grundparzellen Nr. n/m und n/o errichtet. Die Mauer führt von der südwestlichen Ecke des Grundstückes der mitbeteiligten Parteien über die Gesamtlänge der gemeinsamen Grundstücksgrenze (27 m) und daraufhin in einer Länge von ca. 6 m auf der gemeinsamen Grundgrenze zwischen dem Grundstück Nr. x/y, KG Gloggnitz, und dem dem Grundstück der mitbeteiligten Parteien benachbarten Grundstück Nr. n/o.

Die gegen den Bescheid des Bürgermeisters erhobenen Berufungen der Nachbarn, insbesondere der mitbeteiligten Parteien, wurden vom Gemeinderat der Stadtgemeinde Gloggnitz mit Bescheid vom 1. Juli 1992 abgewiesen. Die mitbeteiligten Parteien hatten u.a. geltend gemacht, daß die Errichtung der Mauer gegen das Schikaneverbot verstoße. Das Bauansuchen stelle den allerdings ungeeigneten Versuch dar, durch die "Errichtung der sogenannten lärmerregenden Schallschutzmauer letztendlich die eigene Widmung für eine spätere Betriebsansiedlung zu umgehen". Eine Rechtsausübung, die nur den Zweck verfolge, einem Dritten gegenüber einen Nachteil zu verwirklichen, sei unzulässig. Gerade das gegenständliche Bauvorhaben verwirkliche ausschließlich diesen Zweck und hätte daher jedenfalls abgewiesen werden müssen. Diese Einwendung wies der Gemeinderat der Stadtgemeinde Gloggnitz mit der Begründung ab, daß der Nö. Bauordnung 1976 ein Schikaneverbot fremd sei. Abgesehen davon könne in dem Zweck der Mauer, eine Einfriedung und einen Sichtschutz zwischen den beiden benachbarten Grundstücken zu schaffen, keine Schikane erblickt werden. Es sei offensichtlich das Bedürfnis des Konsenswerbers, seine Liegenschaft gegenüber der Liegenschaft der mitbeteiligten Parteien undurchsichtig abzugrenzen. Der Behörde stehe eine Beurteilung dieses Wunsches im Hinblick auf die herrschende Baufreiheit nicht zu. In rechtlicher Hinsicht stehe einer solchen Absicht die Nö. Bauordnung 1976, auf deren Grundlage die Behörde zu entscheiden habe, nicht entgegen.

Bei ihrer Entscheidung über die von den mitbeteiligten Parteien erhobene Vorstellung erachtete die Niederösterreichische Landesregierung in ihrem Bescheid vom 14. Jänner 1993 diese wiedergegebenen Überlegungen des Gemeinderates als rechtswidrig und hob den angefochtenen Bescheid des Gemeinderates auf. Die mitbeteiligten Parteien seien mit dem Einwand im Recht, daß im vorliegenden Fall eine schikanöse Rechtsausübung vorliege. Die Errichtung der Schallschutzmauer sei dem benachbarten Transportunternehmen im gewerbebehördlichen Verfahren betreffend die Errichtung eines Abstellplatzes für LKW vorgeschrieben worden. Die gewerbebehördliche Genehmigung sei im Instanzenzug versagt worden. Eine Baulichkeit müsse einen bestimmten Zweck erfüllen. Im Hinblick auf die Versagung der Betriebsanlagengenehmigung seien der Zweck und die Rechtsgrundlage für die Schallschutzmauer weggefallen. Die Errichtung der Schallschutzmauer für sich allein sei rechtswidrig. Die Errichtung dieser Mauer stelle eine schikanöse Rechtsausübung dar. Die Bezeichnung "Einfriedungsmauer" sei für die Baubehörde nicht maßgebend. Das Transportunternehmen versuche offenbar die Errichtung dieser Mauer in schikanöser Weise und Rechtsausübung gegenüber den mitbeteiligten Parteien durchzusetzen. Die Bewilligung für die beantragte Einfriedungs- bzw. Schallschutzmauer hätte versagt werden müssen. Im Hinblick auf dieses Ergebnis ging die Vorstellungsbehörde auf die weiteren in der Vorstellung erhobenen Einwendungen der mitbeteiligten Parteien nicht weiter ein.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird die Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt. Mit dem angefochtenen Bescheid sei in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde und in das Recht der Gemeinde auf Gemeindeautonomie eingegriffen worden.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Verwaltungsakten vorgelegt. Auch die mitbeteiligten Parteien erstatteten eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist zu dem Umstand, daß im vorliegenden Fall der Gemeinderat und nicht die Stadtgemeinde Gloggnitz Beschwerde erhoben hat, im Sinne des hg. Erkenntnisses vom 10. November 1992, Zlen. 92/05/0053, 92/05/0137, 0138, festzustellen, daß es sich bei einer vom Gemeinderat erhobenen Beschwerde um eine Organhandlung handelt, die dem Rechtsträger der Gemeinde zuzurechnen ist. Gemäß § 35 Abs. 1

Nö. Gemeindeordnung obliegen dem Gemeinderat alle in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fallenden Angelegenheiten, soweit durch Gesetz nicht anderes bestimmt wird. Gemäß § 35 Abs. 2 Nö. Gemeindeordnung sind die dort aufgezählten Angelegenheiten dem Gemeinderat vorbehalten. Unter diesen Angelegenheiten werden in Z. 10 Beschwerden an den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof genannt. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß sich die Bevollmächtigung der im vorliegenden Beschwerdefall einschreitenden Rechtsanwälte nicht nur auf den Beschluß des Gemeinderates stützt, sondern auch auf eine vom Bürgermeister erteilte Vollmacht, also von jenem Organ, das gemäß § 37 Nö. Gemeindeordnung zur Vertretung der Gemeinde nach außen zuständig ist.

Für den vorliegenden Beschwerdefall ist die Nö. Bauordnung 1976 LGBl. 8200-0 in der Fassung der Landesgesetze LGBl. 8200-1 bis 7, maßgeblich, die im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides durch den Gemeinderat gegolten hat. Gemäß § 1 Abs. 1 Nö. Bauordnung 1976 gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes für bauliche Vorhaben aller Art ohne Rücksicht auf den Verwendungszweck. Gemäß § 2 Z. 5 leg. cit. ist eine Baulichkeit ein durch bauliche Vorhaben hergestelltes Objekt, welches nach seiner Funktion und äußeren Erscheinungsform ein Gebäude (z. B. Haus, Stall, Hütte, Scheune, Mobilheim, Traglufthalle) oder ein anderes Bauwerk (z. B. Stütz- und Einfriedungsmauer, Tiefgarage, Keller) oder eine sonstige bauliche Anlage (z. B. Kanalstrang, Brunnen, Schächte, Senkgrube, Blitzableiter) sein kann. Gemäß § 92 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. bedarf neben Neu-, Zu- und Umbauten von Gebäuden die Errichtung anderer Bauwerke und Anlagen, durch welche Gefahren für Personen und Sachen entstehen oder das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt oder Rechte der Nachbarn verletzt werden könnten, einer Bewilligung der Baubehörde.

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die Aussage im angefochtenen Bescheid zutreffend ist, daß die gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung eines Abstellplatzes auf dem den mitbeteiligten Parteien benachbarten Grundstück im Instanzenzug versagt worden war, da es im Hinblick auf die angeführten Bestimmungen jedenfalls unzutreffend ist, daß eine Baulichkeit im Sinne von § 2 Z. 5 Nö. Bauordnung 1976 einen bestimmten Zweck erfüllen muß. § 1 Abs. 1 leg. cit. normiert ausdrücklich, daß es auf den Verwendungszweck baulicher Vorhaben nicht ankommt. Dazu ist einschränkend anzumerken, daß diese Bestimmung unter Berücksichtigung von § 1 Abs. 2 Nö. Bauordnung 1976, der bestimmt, daß durch dieses Gesetz andere Zuständigkeiten (gemeint sind: ausschließliche Zuständigkeiten des Bundes, die die Errichtung baulicher Anlagen betreffen) nicht berührt werden, verfassungskonform nur dahin verstanden werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. April 1986, Zl. 85/05/0183, Bau Slg. Nr. 650), daß von der Nö. Bauordnung 1976 nur solche baulichen Vorhaben erfaßt werden, für die eine Kompetenz des Landes überhaupt gegeben ist. Abgesehen von Baulichkeiten, deren Errichtung in die ausschließliche Zuständigkeit des Bundes fällt (z.B. die im § 1 Abs. 2 erster Satz

Nö. Bauordnung 1976 aufgezählten Bundesstraßen, Bergbau, Eisenbahn- und Luftfahrtanlagen), spielt der Zweck der Baulichkeit regelmäßig (anders etwa in Fällen des Art. 15 Abs. 5 B-VG) keine Rolle. Die Errichtung einer gewerblichen Betriebsanlage fällt in diesem Sinne nicht in die ausschließliche Kompetenz des Bundes, sondern es unterliegen Baulichkeiten im Sinne von § 2 Z. 5 Nö. Bauordnung 1976, die einer gewerblichen Tätigkeit dienen sollen, der Bauordnung als auch sowohl der Gewerbeordnung (vgl. in diesem Sinne auch § 1 Abs. 2 zweiter Satz Nö. Bauordnung 1976). Der Ausgang des gewerbebehördlichen Verfahrens kann daher im vorliegenden Fall keinerlei Auswirkung darauf haben, ob für die in Frage stehende Mauer die Bewilligung nach der Nö. Bauordnung 1976 zu erteilen ist.

Bei der verfahrensgegenständlichen Einfriedungs- bzw. Schallschutzmauer handelt es sich jedenfalls um eine Baulichkeit im Sinne des § 2 Z. 5 leg. cit., ihre Errichtung fällt daher in die Kompetenz des Landes. In der beispielhaften Aufzählung dieser Bestimmung werden Stütz- und Einfriedungsmauern ausdrücklich genannt. Es handelt sich weiters auch um ein anderes Bauwerk im Sinne von § 92 Abs. 1 Z. 2 leg. cit., durch welches Gefahren für Personen und Sachen entstehen oder das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt oder Rechte der Nachbarn verletzt werden können.

Im übrigen ist der beschwerdeführenden Stadtgemeinde darin beizupflichten, daß die für die belangte Behörde maßgeblichen baurechtlichen Vorschriften (insbesondere § 100 Abs. 2 leg. cit.) keine gesetzliche Grundlage dafür bieten, daß die Errichtung einer Baulichkeit im Sinne der Nö. Bauordnung 1976 nicht zu bewilligen ist, wenn diese von einem Nachbarn als schikanös angesehen wird. Es ist vielmehr darauf hinzuweisen, daß dem Eigentümer in den Grenzen, die die baurechtlichen Vorschriften vorsehen, aus der Sicht der Baubehörde Baufreiheit zusteht, daß er also ein Bauvorhaben grundsätzlich nach seinem Willen gestalten kann. Die von der belangten Behörde herangezogenen Versagungsgründe finden somit in der im vorliegenden Fall relevanten Rechtslage keine Deckung.

Anzumerken ist abschließend, daß es sich bei dem Einwand der mitbeteiligten Parteien, der Bauwerber handle im Zusammenhang mit der Errichtung der verfahrensgegenständlichen Mauer schikanös, um eine privatrechtliche Einwendung handelt, die gemäß § 99 Abs. 4 Nö. Bauordnung 1976, auf den Rechtsweg zu verweisen wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Im Hinblick auf dieses Ergebnis erübrigte es sich, auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren nunmehr die anderen von den mitbeteiligten Parteien in der Berufung erhobenen Einwände zu prüfen haben wird.

Dem Antrag auf Anberaumung einer Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG keine Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, da die Gemeinde im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Wirkungskreises gemäß § 2 Z. 2 des Gebührengesetzes von der Entrichtung von Gebühren befreit ist.

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