VwGH 94/04/0061

VwGH94/04/006118.7.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der Landesinnung Oberösterreich der Immobilien- und Vermögenstreuhänder (Sektion Gewerbe und Handwerk der Wirtschaftskammer Oberösterreich) in Linz, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 3. Februar 1994, Zl. 316.716/1-III/5/94, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Nachsichtsverfahren (mitbeteiligte Partei: Mag. A in L, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs1;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
GewO 1973 §28 Abs1 Z2;
GewO 1973 §316 Abs3;
GewO 1973 §316 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
ZustG §26 Abs2;
ZustG §26;
ZustG §4;
AVG §37;
AVG §45 Abs1;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
GewO 1973 §28 Abs1 Z2;
GewO 1973 §316 Abs3;
GewO 1973 §316 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
ZustG §26 Abs2;
ZustG §26;
ZustG §4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 13.040,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 9. September 1993 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 28 Abs. 1 Z. 2 Gewerbeordnung 1973 die Nachsicht vom Befähigungsnachweis für das Gewerbe "Immobilienmakler" einschließlich der Unternehmerprüfung unter Ausschluß der Ausbilderprüfung erteilt.

Über die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin erkannte der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 3. Februar 1994 dahin, daß diese gemäß § 66 Abs. 4 in Verbindung mit § 63 Abs. 1 AVG und § 346 Abs. 4 Gewerbeordnung 1973 als unzulässig zurückgewiesen werde. Zur Begründung wurde (nach Darlegung der Rechtslage) im wesentlichen ausgeführt, die Erstbehörde habe die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 15. Februar 1993 ersucht, innerhalb von sechs Wochen zum Nachsichtansuchen der mitbeteiligten Partei ein Gutachten zu erstatten. Dieses Schreiben sei, einer "ständigen Übung" zufolge an der Abgabestelle der "in Rede stehenden Kammergliederung in 4010 Linz, Hessenplatz 3" von einem Organ der Erstbehörde zurückgelassen worden. Diese Übernahme sei im Postbuch des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung durch einen Stempel der "der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich und deren Gliederung gemeinsam zur Verfügung stehenden Einlaufstelle" bestätigt worden. Dieser Sachverhalt werde rechtlich dahin gewürdigt, daß das die Fristsetzung für die Gutachtenserstattung betreffende Schreiben durch Zurücklassung an der mit der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Oberösterreich gemeinsamen Abgabestelle am 18. Februar 1993 zugestellt worden sei und daher gemäß § 26 Abs. 1 Zustellgesetz mit diesem Tag und nicht erst mit der tatsächlichen Empfangnahme als zugestellt zu gelten habe. Demnach habe aber die der Beschwerdeführerin für die Gutachtenserstattung gesetzte Frist am 1. April 1993 geendet. Das der Bewilligung des Nachsichtansuchens entgegentretende Gutachten der Beschwerdeführerin sei erst am 2. April 1993 bei der Erstbehörde eingelangt und damit verspätet. Im Hinblick auf diese verspätete Gutachtenserstattung fehle der Beschwerdeführerin die Berechtigung zur Erhebung einer Berufung.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist (hinsichtlich der Beschwerdelegitimation), daß eine Gliederung der Landeskammer bzw. Landesinnung hinsichtlich der ihr in der Gewerbeordnung eingeräumten Mitwirkung im Nachsichtsverfahren in subjektiven Rechten insoweit verletzt sein kann, als ihr entweder die Erstattung des Gutachtens, die Erhebung der Berufung oder eine Sachentscheidung verweigert wurde (vgl. dazu beispielsweise den zuletzt ergangenen Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 1995, Zl. 95/04/0076, mit weiteren Judikaturnachweisen).

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in dem Recht auf meritorische Entscheidung über ihre Berufung verletzt. Sie trägt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes im wesentlichen vor, die Landesinnung Oberösterreich der Immobilien- und Vermögenstreuhänder sei eine eigene Körperschaft mit eigener Geschäftsstelle. Lediglich diese Geschäftsstelle der Innung habe als Abgabestelle im Sinne des § 4 Zustellgesetz in Frage kommen können. Da die belangte Behörde von einer Zustellung ohne Zustellnachweis im Sinne des § 26 leg. cit. ausgehe, sei sie hinsichtlich der strittig gebliebenen Zustellung, insbesondere auch des Zustellzeitpunktes beweisbelastet. Die belangte Behörde habe aber insoweit keine ausreichenden Ermittlungen angestellt und sich auf eine der Beschwerdeführerin unbekannte "Übung" berufen. Die Poststelle der Wirtschaftskammer sei nicht befugt gewesen, für die Innung Zustellungen entgegenzunehmen und könne daher nicht als ihr Empfangsbevollmächtigter sondern nur als ein Bote angesehen werden. Die Aufforderung der Erstbehörde sei aber erst am 19. Februar 1993 in der Geschäftsstelle der Beschwerdeführerin eingelangt, sodaß das Gutachten fristgerecht erstattet worden sei.

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Nach § 346 Abs. 3 Gewerbeordnung 1973 hat die Behörde im Nachsichtsverfahren die zuständige Gliederung der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft unter Anschluß der vorgelegten Belege aufzufordern, innerhalb einer Frist von sechs Wochen ein Gutachten abzugeben; eine solche Aufforderung hat zu entfallen, wenn das Gutachten bereits vorliegt. Nach Abs. 4 steht der zuständigen Gliederung der Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft gegen einen Bescheid, mit dem eine Nachsicht (von dem vorgeschriebenen Befähigungsnachweis) erteilt worden ist, das Recht der Berufung zu, wenn die Entscheidung ihrem FRISTGERECHT abgegebenen Gutachten widerspricht, oder wenn sie nicht gehört worden ist.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist nicht strittig, daß die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Nachsichtsverfahren gehört wurde und die danach ergangene erstbehördliche Entscheidung ihrem abgegebenen Gutachten widerspricht.

Im Beschwerdefall hängt die Berufungslegitimation der Beschwerdeführerin allein davon ab, ob ihr Gutachten fristgerecht (also innerhalb der gesetzten Frist) erstattet wurde. Diese entscheidungserhebliche Frage wurde von der belangten Behörde aus folgenden Erwägungen aber nicht entsprechend der auf dem Gebiet des Zustellrechtes geltenden Rechtslage gelöst:

Das Zustellgesetz regelt zufolge seines § 1 Abs. 1 unter anderem auch die Zustellung der von Verwaltungsbehörden in Vollziehung der Gesetze zu übermittelnden Schriftstücke. Gemäß § 22 Abs. 1 Zustellgesetz ist die Zustellung vom Zusteller auf dem Zustellnachweis (Zustellschein, Rückschein) zu beurkunden. Nach Abs. 2 hat der Übernehmer der Sendung die Übernahme durch Unterfertigung des Zustellnachweises unter Beifügung des Datums und, soweit er nicht der Empfänger ist, seines Naheverhältnisses zu diesem zu bestätigen.

Unbestrittenermaßen wurde über die von einem Organ der Erstbehörde vorgenommene Zustellung des in Rede stehenden Schreibens (vom 15. Februar 1993) ein derartiger Zustellnachweis im Sinne des § 22 leg. cit. nicht ausgestellt. Die belangte Behörde beruft sich demnach (insoweit grundsätzlich zu Recht) auf die Bestimmung des § 26 leg. cit. über die Zustellung ohne Zustellnachweis.

Nach § 26 Abs. 2 Zustellgesetz gelten Zustellungen im Sinne des Abs. 1 (das sind Sendungen, die an der Abgabestelle ohne Zustellnachweis zurückgelassen wurden) als mit dem dritten Werktag nach der Übergabe an die Gemeinde oder dem behördlichen Zusteller bewirkt, es sei denn, es wäre behauptet, die Zustellung sei nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen worden. Im Zweifel obliegt es der Behörde, die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung nachzuweisen.

Ausgehend von dieser Rechtslage - wobei im Beschwerdefall nur die Tatsache der Zustellung und der Zeitpunkt des tatsächlichen Zukommens der Sendung von der Beschwerdeführerin zugestanden wurden - war somit hinsichtlich eines, den Verlust der Berufungslegitimation bewirkenden früheren Zustellzeitpunktes allein die belangte Behörde beweisbelastet. Im Falle des Mißlingens dieses Nachweises (bzw. schon im Falle begründeter Zweifel) gelten die Rechtswirkungen der Zustellung erst mit dem im § 26 Abs. 2 leg. cit. vermuteten bzw. von der Beschwerdeführerin zugestandenen Zeitpunkt als bewirkt (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1991, Zl. 90/04/0187, und vom 29. Oktober 1985, Zl. 85/14/0047, sowie Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht5, Rz. 211).

Zur Begründung des mit 18. Februar 1993 angenommen (früheren) Zustellzeitpunktes beruft sich die belangte Behörde auf einen Stempel dieses Datums im Postbuch des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung und des weiteren auf eine "ständige Übung" hinsichtlich des Vorliegens einer "gemeinsamen Einlaufstelle". Diesen Darlegungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ist jedoch zu erwidern, daß weder dem von der "Handelskammer O.Ö." stammenden Eingangsstempel noch der von der Erstbehörde mit Bericht vom 17. Jänner 1994 vorgelegten Seite des Postbuches zu entnehmen ist, daß die Beschwerdeführerin und die Landeskammer Oberösterreich eine "gemeinsame Einlaufstelle" besitzen. Vielmehr ist aus der in Rede stehenden Seite des Postbuches zu erkennen, daß die Post der "Kammer der gewerblichen Wirtschaft" und der jeweils konkret bezeichneten Sektionen (insbesondere auch der Sektion Gewerbe) zugeordnet wurde. Des weiteren ist der belangten Behörde vorzuhalten, daß nicht einmal die Erstbehörde in ihren Vorlageberichten (insbesondere auch jenem vom 17. Jänner 1994) das Vorliegen einer derartigen "gemeinsamen Einlaufstelle" behauptete, sondern bloß darlegte, daß "sämtliche Schreiben an die Kammer der gewerblichen Wirtschaft per Boten vom Land zur Kammer transportiert werden".

Dem nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten dokumentierten Verwaltungsgeschehen ist auch nicht zu entnehmen, daß die die belangte Behörde zur Frage der Abgabestelle der Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren durchgeführt bzw. der Erstbehörde aufgetragen hat. Die an die Erstbehörde gerichtet gewesenen Erhebungsaufträge (der belangten Behörde) vom 3. November 1993 und vom 29. Dezember 1993 beinhalteten nämlich bloß den Zeitpunkt des tatsächlichen Zukommens des Schreiben vom 15. Februar 1993 bzw. den Zeitpunkt der Einbringung (Abgabe) des Gutachtens. Daß der Beschwerdeführerin vor Erlassung des angefochtenen Bescheides zur Frage ihrer Abgabestelle rechtliches Gehör gewährt worden wäre, ist dem dokumentierten Verwaltungsgesehen aber ebensowenig zu entnehmen, sodaß die Beschwerdeführerin mit ihrer insoweit in der Beschwerde vorgebrachten Bestreitung auch nicht dem aus § 41 Abs. 1 VwGG abzuleitenden Neuerungsverbot unterliegt.

Um von einer der Beschwerdeführerin mit der Landes- (nunmehr: Wirtschafts)kammer Oberösterreich gemeinsamen Abgabestelle ausgehen zu können, hätte die belangte Behörde daher entsprechende Ermittlungen anstellen und der Beschwerdeführerin dazu rechtliches Gehör gewähren müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1990, Zl. 90/11/0042).

Soweit sich die belangte Behörde auf eine "ständige Übung" bezieht, wird übersehen, daß auch bei der Behörde allgemein bekannte bzw. von ihr als notorisch angesehene Tatsachen dem Parteiengehör zu unterziehen sind und der Begründungspflicht im angefochtenen Bescheid unterliegen, wenn nicht von vornherein angenommen werden kann, daß diese Umstände für die Parteien und den zur Rechtskontrolle berufenen Verwaltungsgerichtshof offenkundig sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. April 1993, Zlen. 90/04/0265, 0268). Aufgrund des nach der Aktenlage dokumentierten Verwaltungsgeschehens allein vermag der Verwaltungsgerichtshof die von der Beschwerdeführerin bestrittene Annahme der belangten Behörde, hinsichtlich der Abgabestelle der Beschwerdeführerin bestehe eine "ständige Übung", jedenfalls nicht zu beurteilen.

Der Beschwerdeführerin kann (zumindest nach den bislang vorliegenden Ermittlungsergebnissen) somit der Eintritt von Zustellwirkungen hinsichtlich der Zustellung der Aufforderung zur Gutachtenserstattung vor dem 19. Februar 1993 und daraus folgend das Fehlen ihrer Berufungslegitimation (zumal die am 2. April 1993 erfolgte Gutachtenserstattung dann rechtzeitig war) demnach nicht entgegengehalten werden.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, sodaß dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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