VwGH 93/01/0016

VwGH93/01/001622.6.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Graf, Dr. Händschke und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. April 1987, Zl. I/3-37940/12-86, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
StbG 1949 §9 Abs1 Z1;
StbG 1949 §9 Abs1 Z2;
StbG 1949 §9 Abs2;
StbG 1985 §42 Abs1;
ZustG §13 Abs5;
ZustG §24;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
StbG 1949 §9 Abs1 Z1;
StbG 1949 §9 Abs1 Z2;
StbG 1949 §9 Abs2;
StbG 1985 §42 Abs1;
ZustG §13 Abs5;
ZustG §24;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 10. April 1987 stellte die belangte Behörde fest, daß die Beschwerdeführerin dadurch, daß sie am 20. Dezember 1956 die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik erworben habe, gemäß § 9 Abs. 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949 die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe. Hiezu wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe die österreichische Staatsbürgerschaft nach ihrem Vater durch Geburt erworben. Ihren Eltern sei - wie sich aus dem Schreiben der Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik in Berlin vom 13. Jänner 1986, Zl. NA III 2/1986, ergebe -, auf ihre Anträge hin am 20. Dezember 1956 die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik verliehen worden. Diese Anträge hätten sich auch auf die damals minderjährige Beschwerdeführerin erstreckt, die mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik an ihre Eltern ebenfalls die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik erworben habe, sodaß der Verlusttatbestand des § 9 Abs. 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949 erfüllt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid (erkennbar) in ihrem Recht auf Unterlassung der Feststellung, sie habe die österreichische Staatsbürgerschaft verloren, verletzt. Sie bringt hiezu im wesentlichen vor, es sei durch ihre Eltern - entgegen den Feststellungen der belangten Behörde - "weder eine Freiwilligkeit noch überhaupt eine Antragstellung im Jahre 1955 oder 1956 erfolgt". Es bestehe aufgrund "massiver und sicherer Anhaltspunkte" (die von der Beschwerdeführerin in einem ergänzenden Schriftsatz noch weiter dargelegt wurden) vielmehr der dringende Verdacht, daß es sich hiebei um "eine Fälschung seitens des Staatssicherheitsdienstes der DDR" handle. Der angebliche Antrag aus dem Jahre 1956 sei nämlich erstmals im Jahre 1986 "aufgetaucht", obwohl zuvor mehrere Anfragen an die DDR-Behörden dahin beantwortet worden seien, daß "in bezug auf staatsbürgerschaftsrechtliche Angelegenheiten" der Eltern der Beschwerdeführerin keine Schriftstücke existierten. Auch sei in dieser Urkunde der Vorname ihrer Mutter unrichtig geschrieben. Hätte die belangte Behörde ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, wäre sie zum Ergebnis gelangt, daß die Beschwerdeführerin nach wie vor österreichische Staatsbürgerin sei. Im übrigen sei die Zustellung des angefochtenen Bescheides durch die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung nicht rechtswirksam durchgeführt worden, weil die Beschwerdeführerin die Zuständigkeit dieser Behörde zur Zustellung des Bescheides "sofort und ehe auch nur den Bescheid in die Hand zu nehmen", bestritten habe. Sie habe den Bescheid - im Gegensatz zu den Ausführungen des Aktenvermerks auf der Urschrift des angefochtenen Bescheides - nicht in Händen gehalten und nicht durchgelesen.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Beschwerde ist zunächst die Frage zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid überhaupt erlassen, d.h. der Beschwerdeführerin rechtswirksam zugestellt wurde. Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich dazu, daß der angefochtene Bescheid der Beschwerdeführerin am 10. August 1992 von zwei Bediensteten der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung bei dieser Behörde ausgefolgt, von ihr jedoch die Annahme verweigert und sie darauf hingewiesen wurde, daß der Bescheid gemäß § 20 Zustellgesetz als zugestellt gelte.

Gemäß § 24 Zustellgesetz kann ein bereits versandbereites Schriftstück oder eine von der erlassenden Behörde einer anderen Dienststelle unter Einsatz automationsunterstützter Datenübertragung oder in einer anderen technisch möglichen Weise mitgeteilte Erledigung dem Empfänger unmittelbar bei dieser Dienststelle gegen schriftliche Übernahmsbestätigung ausgefolgt werden. Gemäß § 20 Abs. 1 Zustellgesetz ist die Sendung, wenn der Empfänger die Annahme ohne Vorliegen des in § 13 Abs. 5 Zustellgesetz genannten oder eines anderen gesetzlichen Grundes verweigert, soweit - wie im vorliegenden Fall - eine Zurücklassung an der Abgabestelle nicht möglich ist, nach § 17 ohne die dort vorgesehene schriftliche Verständigung zu hinterlegen. § 13 Abs. 5 Zustellgesetz bestimmt, daß außerhalb der Abgabestelle nur dann rechtswirksam zugestellt werden kann, wenn die Annahme der Sendung nicht verweigert wird, doch gilt diese Regelung "vorbehaltlich des § 24", erfaßt also den Fall der Ausfolgung nach § 24 Zustellgesetz ausdrücklich nicht (vgl. dazu Walter-Mayer, Das österreichische Zustellrecht 123 f). Daß ein sonstiger, die Annahmeverweigerung zulassender gesetzlicher Grund im Sinne des § 20 Abs. 1 Zustellgesetz im vorliegenden Fall bestanden hätte, ist der Aktenlage nicht zu entnehmen. Der in der Beschwerde nicht näher dargelegte Einwand, der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung habe die Zuständigkeit gefehlt, den angefochtenen Bescheid gemäß § 24 Zustellgesetz auszufolgen, geht schon deshalb fehl, weil die Ermächtigung zur Ausfolgung von Schriftstücken gemäß § 24 Zustellgesetz nicht auf die von der ausfolgenden Behörde zu erlassenden Bescheide beschränkt ist.

Der angefochtene Bescheid wurde daher - nach der ungerechtfertigten Verweigerung seiner Annahme durch die Beschwerdeführerin bei der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung am 10. August 1992 - durch Hinterlegung (vgl. den Vermerk auf der in den Verwaltungsakten erliegenden Bescheidausfertigung, wonach "der Bescheid gemäß § 20 Zustellgesetz als zugestellt gilt") rechtswirksam zugestellt. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin den Bescheid in Händen gehalten und ihn durchgelesen hat oder ob dies nicht der Fall gewesen ist, ist nach dem Gesagten freilich ohne Relevanz.

In der Sache ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, daß die Frage, ob die Beschwerdeführerin die österreichische Staatsbürgerschaft verloren habe, nach jenen staatsbürgerschaftsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist, die zum betreffenden Zeitpunkt in Geltung standen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1992, Zl. 91/01/0213). Sie hatte daher - entsprechend ihren Feststellungen, daß die Beschwerdeführerin am 20. Dezember 1956 die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik erworben habe - die Bestimmungen des § 9 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1949, BGBl. Nr. 276 (1949), ihrer Beurteilung zugrundezulegen. Demnach verlor gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. durch Ausbürgerung die österreichische Staatsbürgerschaft, wer eine fremde Staatsbürgerschaft erwarb, und erstreckte sich gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. der Verlust der Staatsbürgerschaft auch auf die nicht eigenberechtigten Kinder, wenn sie gleichzeitig die fremde Staatsangehörigkeit erwarben, bei Kindern weiblichen Geschlechts überdies nur dann, wenn sie ledig waren. Allerdings konnte nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht jedweder, sondern nur der aus freiem Willen erfolgte Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft führen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1957, Slg. N.F. Nr. 4484/A, sowie das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1969, Zl. 1038/68).

Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang bestreitet, daß ihr Vater jemals freiwillig oder überhaupt einen Antrag auf Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik gestellt habe, verstößt sie nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG, weil ihr nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten entgegen der Vorschrift des § 45 Abs. 3 AVG keine Gelegenheit gegeben wurde, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Zwar wurden von der belangten Behörde mehrere Versuche unternommen, der Beschwerdeführerin Parteiengehör auf schriftlichem Wege einzuräumen. Diese Versuche sind allerdings zufolge Unerreichbarkeit der Beschwerdeführerin sämtlich fehlgeschlagen. Auch das Telefonat vom 1. August 1986 kann nicht als Einräumung von Parteiengehör gewertet werden, obwohl es an sich nicht ausgeschlossen ist, Parteiengehör auf telefonischem Wege einzuräumen, vorausgesetzt allerdings, daß dadurch die Möglichkeit der Partei, zu einem bestimmten Beweisergebnis hinreichend Stellung zu nehmen, gewährleistet ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. September 1988, Zl. 88/11/0085, und vom 28. März 1989, Zl. 88/11/0145). Daß diese Voraussetzung im vorliegenden Fall jedoch erfüllt wäre, trifft zunächst schon deshalb nicht zu, weil sich aus dem Aktenvermerk über das Telefonat mit der Beschwerdeführerin nicht einmal ergibt, was ihr mitgeteilt wurde. In diesem Aktenvermerk heißt es nämlich, daß der Beschwerdeführerin der Inhalt des Schreibens (das ihr zur Wahrung des Parteiengehörs hätte zugestellt werden sollen) "auszugsweise zur Kenntnis gebracht" worden sei. Im übrigen wurde - so der Aktenvermerk weiter - "vereinbart, daß falls sie das Schreiben innerhalb der nächsten 14 Tage nicht selbst in Empfang nehme, die Zustellung in die BRD durchgeführt werde". Es kann also keine Rede davon sein, daß der Beschwerdeführerin mit diesem Telefonat ausdrücklich und in förmlicher Weise Gelegenheit geboten worden wäre, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen.

Bei dieser Sachlage zeigt die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen einen Verfahrensmangel auf, zumal der Umstand, daß eine Partei unerreichbar ist, nach ständiger hg. Judikatur keinen hinreichenden Grund bildet, von der Gewährung des Parteiengehörs schlechthin abzusehen (vgl. z.B. das hg. Erkenntis vom 2. Februar 1950, Slg. N.F. 1227/A). Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich, da sich die belangte Behörde bei seiner Vermeidung mit der Frage, ob die Mitteilung der Hauptabteilung Konsularische Angelegenheiten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik vom 13. Jänner 1986 den Tatsachen entspricht, auseinanderzusetzen gehabt hätte und dadurch zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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