VwGH 90/11/0043

VwGH90/11/004312.2.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 11. Dezember 1989, Zl. 681.900/3-2.5/89, betreffend Befreiung vom ordentlichen Präsenzdienst, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
WehrG 1978 §37 Abs2 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.530,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Eingabe vom 9. März 1989 beantragte der am 28. Juli 1970 geborene Beschwerdeführer, ihn von der Verpflichtung zur Leistung des Wehrdienstes zur Gänze zu befreien. Sein Vater sei aufgrund seines Gesundheitszustandes nur bedingt einsatzfähig (ärztlicherseits sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 30 Prozent bestätigt). Der 29 ha umfassende Landwirtschaftsbetrieb erfordere eine männliche Arbeitskraft, der Beschwerdeführer sei "der einzige Mann im Hofe".

Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 11. Dezember 1989 gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ging bei ihrer Entscheidung von folgendem - unbestritten gebliebenen - Sachverhalt aus:

Eigentümer der ca. 28 ha umfassenden Landwirtschaft (hievon 8 ha Pachtfläche) seien der Vater (geboren am 26. August 1940) und die Mutter (geboren am 15. September 1945) des Beschwerdeführers. Der Viehstand betrage 25 Kühe, 7 Stiere, 18 "Jungtiere" und 18 Schweine. Im gemeinsamen Haushalt lebten neben dem Beschwerdeführer und seinen Eltern noch die am 8. November 1908 geborene Großmutter des Beschwerdeführers. Diese bedürfe bereits einer ständigen Pflegeperson. Bei den Eltern des Beschwerdeführers sei im Sinne der Grundsätze des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von jeweils 50 Prozent festgestellt worden. Der Beschwerdeführer habe eine Schwester, geboren am 27. Jänner 1965. Diese wohne rund 3 km entfernt, bearbeite gemeinsam mit ihrem Ehegatten dessen ca. 30 ha großen Landwirtschaftsbetrieb und habe ein Kleinkind zu betreuen.

Diesen Sachverhalt wertete die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht dahin, daß beim Beschwerdeführer wirtschaftliche Interessen an seiner Befreiung von der Wehrpflicht nicht vorlägen, weil nicht er, sondern seine Eltern Eigentümer des Landwirtschaftsbetriebes seien. Wohl aber lägen mit Rücksicht auf deren geminderte Erwerbsfähigkeit familiäre Interessen vor. Sie seien aber nicht besonders rücksichtswürdig im Sinne des Gesetzes, weil seinen Eltern ungeachtet ihrer geminderten Erwerbsfähigkeit und der Pflegebedürftigkeit der Großmutter des Beschwerdeführers die Aufrechterhaltung des landwirtschaftlichen Betriebes während der präsenzdienstbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers mit Unterstützung seiner Schwester und ihres Gatten zumutbar sei. Zu dieser Unterstützung sei nicht nur der Beschwerdeführer, sondern die gesamte Familie berufen. Gegebenenfalls sei auch eine Einschränkung des Viehstandes zumutbar. Der Beschwerdeführer werde in eine seinem Wohnort nahegelegene Garnison einberufen werden und er werde daher nach Maßgabe seiner dienstfreien Zeit die Möglichkeit zur Mitarbeit im elterlichen Betrieb haben. Dazu komme in dringlichen Fällen die Möglichkeit einer Dienstfreistellung durch den Einheitskommandanten gemäß § 49 Abs. 9 des Wehrgesetzes 1978. Den Eltern könne aus diesen Erwägungen die Weiterführung des Betriebes zugemutet werden, ohne daß dadurch eine weitere Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes zu befürchten wäre.

Gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 können Wehrpflichtige von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Die belangte Behörde hat im Hinblick darauf, daß der landwirtschaftliche Betrieb den Eltern des Beschwerdeführers gehört, mit Recht das Vorliegen wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers in Ansehung dieses Betriebes verneint (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die in der Gegenschrift der belangten Behörde genannten Erkenntnisse vom 22. September 1986, Zl. 86/12/0137, vom 29. September 1987, Zl. 87/11/0087, und vom 12. September 1989, Zl. 89/11/0088). Bei seinem Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Juni 1987, Zl. 87/11/0093 (= Slg. Nr. 12502/A), unterliegt der Beschwerdeführer offensichtlich einem Mißverständnis: Dort ging es nämlich darum, daß der damalige Beschwerdeführer während seiner Abwesenheit von SEINEM Betrieb durch den Vater ersetzt werden sollte, er also in seinen eigenen wirtschaftlichen Interessen auf die Unterstützung durch seinen Vater angewiesen war. Diese Situation liegt hier unbestritten nicht vor. Der Beschwerdeführer ist daher nicht im Recht, wenn er in seiner Beschwerde vom Vorliegen EIGENER wirtschaftlicher bzw. finanzieller Interessen in Ansehung des gegenständlichen Betriebes ausgeht.

Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Unterstützung der Eltern des Beschwerdeführers durch seine Schwester und deren Ehemann kann die belangte Behörde die Verneinung der besonderen Rücksichtswürdigkeit der familiären Interessen des Beschwerdeführers nicht ausreichend begründen. Wenngleich es zutrifft, daß nicht nur der wehrpflichtige Sohn, sondern die ganze Familie zur Unterstützung der Eltern berufen ist (siehe aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom 26. Mai 1986, Zl. 85/12/0250, und vom 12. September 1989, Zl. 89/11/0088), läßt schon die Lebenserfahrung erkennen, daß bereits angesichts der Größe des von der Schwester des Beschwerdeführers und ihres Ehemannes bewirtschafteten Hofes sowie der Notwendigkeit der Betreuung eines Kleinkindes eine Mithilfe im Betrieb der Eltern des Beschwerdeführers nur fallweise und in einem sehr beschränkten Umfang erwartet werden kann. Da diese Mithilfe im gegebenen Zusammenhang praktisch nicht ins Gewicht fiele, braucht nicht näher erörtert zu werden, ob vom Schwager des Beschwerdeführers überhaupt verlangt werden könnte, dessen Eltern zu unterstützen.

Die belangte Behörde hat weiters ausgeführt, es sei den Eltern des Beschwerdeführers gegebenenfalls auch eine entsprechende Verminderung des Viehstandes zumutbar. Sie hat dabei auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. September 1986, Zl. 86/12/0137, hingewiesen, in welchem der Gerichtshof die allfällige vorübergehende Einschränkung des Viehstandes als eine zumutbare Dispositionsmöglichkeit des auf die Unterstützung durch den Wehrpflichtigen angewiesenen Angehörigen erachtet hat. Ergänzend sei dazu auf das Erkenntnis vom 4. Dezember 1987, Zl. 87/11/0094, hingewiesen, in dem der Gerichtshof sich unter anderem mit der Verpflichtung des auf die Unterstützung durch den Wehrpflichtigen angewiesenen Angehörigen, geeignete Dispositionen zu treffen, befaßt und dazu ausgesprochen hat, daß die besondere Rücksichtswürdigkeit des familiären Interesses unter anderem dann auszuschließen ist, wenn der Angehörige die ihm während der Ableistung des ordentlichen Präsenzdienstes entgehende Unterstützung durch den Wehrpflichtigen durch einen ihm möglichen und zumutbaren (Mehr)Einsatz seiner Kräfte und Fähigkeiten, verbunden mit einer möglichen Rationalisierung der Tätigkeit, bei der er vom Wehrpflichtigen sonst unterstützt wird, und einer zumutbaren Einschränkung der Tätigkeit selbst ausgleichen kann. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung (in Erwiderung auf den Hinweis im erstinstanzlichen Bescheid auf die Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung der Landwirtschaft während seiner präsenzdienstbedingten Abwesenheit "in eingeschränktem Umfang") vorgebracht, die Eltern müßten diesfalls "den dzt. Viehbestand zumindest um die Hälfte, wenn nicht mehr reduzieren". Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid dazu auf die Aussage beschränkt, es erscheine "gegebenenfalls eine vorübergehende Einschränkung der Tierhaltung in der gegenständlichen Landwirtschaft zumutbar".

Es ist zwar in erster Linie Sache des Wehrpflichtigen, alle für das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger Interessen gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 (nunmehr § 36 Abs. 2 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990) sprechenden Umstände darzulegen. Mangels einer von den §§ 37, 39 Abs. 2 AVG abweichenden Regelung der Beweislast obliegt es aber auch in derartigen Verfahren der Behörde, innerhalb ihrer Möglichkeiten und des vom Verfahrenszweck her gebotenen und zumutbaren Aufwandes ihrer nach den genannten Bestimmungen bestehenden amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen. Dort, wo es der Behörde nicht möglich ist, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ohne Mitwirkung der Partei festzustellen (in diesem Bereich ist von einer Mitwirkungspflicht der Partei auszugehen), was insbesondere bei jenen betriebs- und personenbezogenen Umständen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann, ist es Aufgabe der Behörde, der Partei mitzuteilen, welche Angaben zur Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs noch benötigt werden, und sie aufzufordern, hiefür Beweise anzubieten. Die nicht gehörige Mitwirkung der Partei (sei es durch Unterlassen eines Vorbringens überhaupt, sei es durch Aufstellen nicht hinreichend konkreter und damit letztlich nicht überprüfbarer Behauptungen) unterliegt dann der freien Beweiswürdigung (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 1987, Zl. 86/11/0044, und vom 29. November 1988, Zl. 88/11/0015).

Ein Vorgehen im aufgezeigten Sinn ist im vorliegenden Fall unterblieben. Infolgedessen lassen sich derzeit die Fragen nicht abschließend beantworten, ob der Viehbestand tatsächlich in dem vom Beschwerdeführer behaupteten Ausmaß reduziert werden müßte und ob dadurch die Existenzgrundlage seiner Eltern gefährdet wäre, sowie die damit zusammenhängende Frage eines vermehrten Einsatzes des Vaters des Beschwerdeführers in seinem Betrieb (nach dem Berufungsvorbringen kommt er "wenn es gut geht um 9 Uhr" zur Tagesarbeit, während der Beschwerdeführer und seine Mutter damit bereits um etwa 5.30 Uhr beginnen würden). Zur Beantwortung dieser Fragen hätte es auch der Feststellung bedurft, welche Arbeiten im elterlichen Betrieb weder vom Vater noch von der Mutter noch von beiden gemeinsam, sondern allein vom Beschwerdeführer ausgeführt werden können. Auf Grund eines entsprechend konkreten Vorbringens des Beschwerdeführers wäre gegebenenfalls durch ein medizinisches Gutachten klarzustellen gewesen, welche Arbeiten in der Landwirtschaft dem Vater des Beschwerdeführers nicht mehr zugemutet werden können und ob ihm überhaupt ein vermehrter Einsatz (vgl. das erwähnte Berufungsvorbringen) zumutbar ist.

Infolge der aufgezeigten Verfahrensmängel blieb der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig. Die belangte Behörde hat dadurch Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anders lautenden Bescheid hätte kommen können. Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden muß, gemäß § 42 Abs. 2 Z.3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 206/1989. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im pauschalierten Schriftsatzaufwand bereits enthalten ist und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung weitere Beilagen neben dem angefochtenen Bescheid nicht erforderlich waren.

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