Normen
ABGB §1294;
ASVG §253 Abs1;
ASVG §270 Abs1;
ASVG §355;
ASVG §357;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 litb;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;
VwGG §30 Abs1;
VwRallg;
ABGB §1294;
ASVG §253 Abs1;
ASVG §270 Abs1;
ASVG §355;
ASVG §357;
AVG §37;
AVG §38;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §69 Abs1 litb;
AVG §69 Abs1 Z2 impl;
VwGG §30 Abs1;
VwRallg;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen von S 3.035,-- und der Mitbeteiligten Aufwendungen von S 11.120,-- binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 29. Mai 1928 geborene Beschwerdeführerin beantragte am 12. September 1988 bei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten die Gewährung der Alterspension. Sie gab an, beim Dienstgeber Universität Wien in Beschäftigung zu stehen; das Dienstverhältnis werde am 30. September 1988 enden. In einem mit 30. September 1988 datierten und am selben Tag der Mitbeteiligten übergebenen "Fragebogen zur Feststellung der persönlichen Erwerbs- und Einkommenslage zum Stichtag 1. Oktober 1988/ab 1. Oktober 1988" verneinte die Beschwerdeführerin die Frage "Stehen Sie in Beschäftigung?".
Mit Bescheid vom 12. Oktober 1988 gewährte die Mitbeteiligte der Beschwerdeführerin eine Alterspension beginnend mit 1. Oktober 1988. Der Bescheid erwuchs in Rechtskraft.
Einer am 10. Mai 1989 bei der Mitbeteiligten eingelangten Mitteilung des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger zufolge bestand für die Beschwerdeführerin vom 1. Jänner bis 31. Dezember 1988 eine Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung. Die Mitbeteiligte ermittelte daraufhin, daß die Beschwerdeführerin nach der Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses mit 30. September 1988 am 11. bzw. 12. Oktober 1988 eine Beschäftigung als Lehrbeauftragte aufgenommen hatte und vom Dienstgeber mit 1. Oktober 1988 zur Pflichtversicherung angemeldet worden war.
Mit ihrem Bescheid vom 29. November 1989 nahm die Mitbeteiligte daraufhin das mit Bescheid vom 12. Oktober 1988 abgeschlossene Verfahren über die Gewährung einer Alterspension gemäß § 69 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 AVG 1950 iVm § 357 Abs. 1 ASVG wieder auf, lehnte den Antrag auf Alterspension gemäß § 270 iVm § 253 ASVG ab und forderte die in der Zeit vom 1. Oktober 1988 bis 31. August 1989 zu Unrecht empfangenen Pensionsbeträge zurück. Begründend führte sie nach Darlegung der Rechtslage aus, ihr sei nach Bescheiderlassung bekanntgeworden, daß die Beschwerdeführerin am Stichtag (1. Oktober 1988) nach dem ASVG pflichtversichert gewesen sei.
In ihrem gegen diesen Bescheid, soweit er die Wiederaufnahme des Verfahrens betrifft, erhobenen Einspruch brachte die Beschwerdeführerin vor, ihre Lehraufträge seien am 30. September 1988 beendet und die neue Beschäftigung am 11. Oktober 1988 begonnen worden. Da gemäß § 10 Abs. 1 (ASVG) die Pflichtversicherung unabhängig vom Beginn des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Tag des Beginnes der Beschäftigung beginne, sei sie am Stichtag der Alterspension, das sei der 1. Oktober 1988, nicht pflichtversichert gewesen. Die durch den Dienstgeber erstattete und von der Wiener Gebietskrankenkasse entgegengenommene Anmeldung zur Pflichtversicherung per 1. Oktober 1988 sei daher unrichtig gewesen. Ein Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens liege nicht vor.
Mit Bescheid vom 31. Jänner 1990 stellte die Wiener Gebietskrankenkasse gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG fest, daß die Pflichtversicherung der Beschwerdeführerin in der Voll-(Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG, § 1 Abs. 1 lit. a AlVG auf Grund ihrer Tätigkeit als Lehrbeauftragte im Wintersemester 1988/1989 beim Dienstgeber
Republik Österreich ... ab 1. Oktober 1988 beginne.
Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. März 1990 wurde dem Einspruch der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid keine Folge gegeben. Die gegen diesen Bescheid des Landeshauptmannes erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wies der Bundesminister für Arbeit und Soziales mit dem Bescheid vom 27. Juni 1990 als verspätet zurück. Die gegen den letztgenannten Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/08/0140, als unbegründet ab.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20. August 1990 wies die belangte Behörde den Einspruch gegen den Wiederaufnahmsbescheid als unbegründet ab und bestätigte diesen (dem Wortlaut des Spruches zufolge) "auf Grund von § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950". In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird unter anderem dargelegt, die Wiener Gebietskrankenkasse habe nunmehr mit (dem in Rechtskraft erwachsenen) Bescheid vom 31. Jänner 1990 ausgesprochen, daß die Beschwerdeführerin am Pensionsstichtag 1. Oktober 1988 als Lehrbeauftragte der Pflichtversicherung unterlegen sei. Dem Einspruchsvorbringen, Versicherungspflicht hätte erst ab 11. Oktober 1988 bestanden, komme somit keinerlei rechtliche Bedeutung zu. Der Wiederaufnahmsgrund des § 69 Abs. 1 lit. b AVG 1950 sei sohin in der nachträglich hervorgekommenen neuen Tatsache der ab 1. Oktober 1988 eingetretenen Versicherungspflicht nach dem ASVG gegeben.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, es sei falsch, von einer rechtskräftigen Feststellung der Versicherungspflicht am Stichtag zu sprechen, weil gegen den die Berufung zurückweisenden Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht worden sei. Die Wiederaufnahme unter Berufung auf § 69 Abs. 1 lit. b AVG sei überdies ausgeschlossen, weil die Mitbeteiligte fahrlässig Erhebungen über das Bestehen einer Versicherungspflicht unterlassen habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und (lit. b) neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit den sonstigen Ergebnissen des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalte des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder (lit. c) der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann unter den Vorausetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 lit. a stattfinden.
Nach § 253 Abs. 1 iVm § 270 ASVG hat die (in der Pensionsversicherung der Angestellten) Versicherte nach Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Alterspension, wenn die Wartezeit erfüllt (§ 236) und die Versicherte am Stichtag (§ 223 Abs. 2) nicht in der Pensionsversicherung (unter anderem) nach dem ASVG pflichtversichert ist.
Stichtag für die Feststellung, ob, in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, war im vorliegenden Fall - im Hinblick auf die Erreichung des Anfallsalters im Sinne des § 223 Abs. 1 Z. 1 ASVG vor dem Zeitpunkt der Antragstellung
(12. September 1988) - der dem Zeitpunkt der Antragstellung folgende Monatserste (vgl. § 223 Abs. 2 letzter Halbsatz ASVG), das ist der 1. Oktober 1988.
Die Entscheidung über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Alterspension war im vorliegenden Fall somit unter anderem von der (rechtlichen) Voraussetzung des Nichtvorliegens einer Versicherungspflicht nach dem ASVG am 1. Oktober 1988 abhängig.
Gemäß § 409 zweiter Satz ASVG sind zur Behandlung der Verwaltungssachen, welche die Versicherungspflicht sowie den Beginn und das Ende der Versicherung von Vollversicherten ... betreffen, unbeschadet der Bestimmung des § 411, die Träger der Krankenversicherung berufen.
Liegt keine rechtskräftige Entscheidung des sachlich zuständigen Trägers der Krankenversicherung über das Vorliegen einer Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach dem ASVG am Pensionsstichtag vor, so ist diese Frage für den Pensionsversicherungsträger bei der Entscheidung über den Antrag auf Gewährung einer Alterspension eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG. Die Lösung dieser Vorfrage hängt - fallbezogen - davon ab, ob die Beschwerdeführerin in einem die Versicherungspflicht am Pensionsstichtag begründenden Beschäftigungsverhältnis bei einem Dienstgeber als Dienstnehmerin im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG beschäftigt war.
Die Mitbeteiligte hatte diese Vorfrage in ihrem Bescheid über die Gewährung der Alterspension ausgehend von den Angaben der Beschwerdeführerin, wonach sie am Stichtag nicht beschäftigt sei, verneint. Das Hervorkommen des Bestehens eines zur Versicherungspflicht am Pensionsstichtag führenden Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der zuletzt zitierten Vorschriften betrifft einen für die Vorfragenbeurteilung maßgebenden und somit zur Herbeiführung eines im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheides geeigneten Sachverhalt, der als "neu hervorgekommene Tatsache" im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b AVG unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen - unter anderem des Fehlens eines Verschuldens der Behörde daran, daß die neuen Tatsachen oder Beweismittel nicht schon im abgeschlossenen Verfahren hervorgekommen sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1988, Slg. 10465/A) - zur Wiederaufnahme und anschließend zur neuerlichen selbständigen Lösung der Vorfrage im Rahmen der neuen Sachentscheidung führen konnte.
In der Frage, ob die Tatsache des Antrittes einer Beschäftigung (nach dem Inhalt der Verwaltungsakten) am "11. bzw. 12. Oktober 1988" geeignet war, die Versicherungspflicht am Stichtag auszulösen (und somit einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid über den Pensionsantrag der Beschwerdeführerin herbeizuführen), war die belangte Behörde an den im Zeitpunkt ihrer Entscheidung in Rechtskraft erwachsenen Bescheid der Gebietskrankenkasse, mit dem die Versicherungspflicht am Stichtag festgestellt wurde, gebunden. Schon deshalb hat die belangte Behörde (unabhängig von der Beurteilung der Vorfragenentscheidung als Wiederaufnahmstatbestand nach § 69 Abs. 1 lit. c AVG) die Eignung dieser Tatsache als Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG zutreffend bejaht. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang geltend macht, es sei falsch, von einer rechtskräftigen Feststellung der Versicherungspflicht nach dem ASVG zum 1. Oktober 1988 zu sprechen, weil das betreffende Verfahren im Hinblick auf die vor dem Verwaltungsgerichtshof erhobene Beschwerde nicht abgeschlossen sei, ist sie darauf hinzuweisen, daß die Erhebung der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof an der Verbindlichkeit des Bescheides, mit dem ihre im Verfahren über die Feststellung der Versicherungspflicht erhobene Berufung als verspätet zurückgewiesen wurde, nichts ändert (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 6. Februar 1990, Zlen. 89/08/0357, 90/08/0001). Nur der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, daß die erwähnte Beschwerde mittlerweile als unbegründet abgewiesen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 1990, Zl. 90/08/0140).
Ihren Einspruch gegen den die Wiederaufnahme verfügenden Bescheid hatte die Beschwerdeführerin ausschließlich damit begründet, daß sie am 1. Oktober 1988 nicht in der Pensionsversicherung pflichtversichert gewesen sei. Ihr Beschwerdevorbringen, die Mitbeteiligte hätte schon im Pensionsverfahren weitere Ermittlungen ihre Versicherungspflicht am Stichtag betreffend vornehmen müssen, insbesondere durch neuerliche Befragung der Beschwerdeführerin und Erhebungen bei den Trägern der Krankenversicherung, verstößt daher gegen das Neuerungsverbot (§ 41 VwGG). Nur der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, daß ein der Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 lit. b AVG entgegenstehendes Verschulden der Behörde daran, daß die neue Tatsache nicht schon im abgeschlossenen Verfahren hervorgekommen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1988, Slg. 10465/A), im vorliegenden Fall nicht ersichtlich ist. Die Behörde erster Instanz hatte ihrem Pensionsbescheid vom 12. Oktober 1988 - die Beurteilung der Vorfrage der Versicherungspflicht betreffend - die Angaben der Beschwerdeführerin im Fragebogen vom 30. September 1988 zugrunde gelegt. Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, welchen Anlaß zu Zweifeln gegen ihre Angaben die Behörde gehabt hätte. Die Unterlassung einer weiteren Befragung der Beschwerdeführerin bzw. von Erhebungen bei (allen oder einzelnen in Betracht kommenden) Versicherungsträgern stellt bei dieser Sachlage kein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB dar. Im übrigen ist nicht ersichtlich, daß solche Erhebungen bei Versicherungsträgern der Behörde vor Erlassung des Pensionsbescheides vom 12. Oktober 1988 Kenntnis vom Antritt der Beschäftigung, die nach der Aktenlage erst am 11. bzw. 12. Oktober 1988 erfolgte, verschafft hätten.
Der angefochtene Bescheid ist daher weder mit der geltend gemachten noch mit einer vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen aufzugreifenden Rechtswidrigkeit behaftet. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
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