VwGH 85/09/0160

VwGH85/09/016020.10.1988

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Rat Dr. Novak, über die Beschwerde der M M in W, UdSSR, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt Dr. Wolfram Themmer in Wien I, Bankgasse 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 15. Oktober 1984, Zl. 943.715/1-10/84, betreffend Härteausgleich gemäß § 76 KOVG 1957, zu Recht erkannt:

Normen

KOVG 1957 §36 Abs2;
KOVG 1957 §76 idF 1984/212;
KOVG 1957 §76;
KOVG 1957 §36 Abs2;
KOVG 1957 §76 idF 1984/212;
KOVG 1957 §76;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.270,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem am 11. November 1983 beim Landesinvalidenamt Wien, Niederösterreich und Burgenland eingelangten Schreiben vom 14. September 1983 beantragte die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsbürgerin, die Gewährung einer Witwenversorgung nach ihrem am 21. Dezember 1962 verstorbenen Ehegatten, den sowjetischen Staatsangehörigen O M im Härteausgleich nach § 76 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG 1957).

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 76 KOVG 1957 ab. Nach der Begründung bestehe infolge der fehlenden österreichischen Staatsbürgerschaft kein Anspruch auf Versorgung. Neben dem Vorliegen einer besonderen Härte setze die Ausgleichsbewilligung nach § 76 KOVG 1957 den positiven Gebrauch des eingeräumten Ermessens voraus. Bei Personen fremder Staatszugehörigkeit, die als Angehörige der ehemaligen österreichisch-ungarischen Armee im 1. Weltkrieg Gesundheitsschädigungen erlitten hätten und nur wegen der mangelnden österreichischen Staatsbürgerschaft keinen Versorgungsanspruch nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz besäßen, komme die Versorgung auf der Grundlage des § 76 KOVG 1957 in Betracht, weil diese Personen der österreichischen Staatsbürgerschaft in der Regel aus Gründen verlustig gegangen seien, die sie nicht zu vertreten hätten (Auflösung der Österreich-Ungarischen Monarchie), was gegebenenfalls als besondere Härte im Sinne dieser Bestimmung angesehen werde. Gleiches gelte für die Hinterbliebenen dieser Personen. Die Beschwerdeführerin zähle als Witwe des Genannten, der den durchgeführten Ermittlungen zufolge Angehöriger der ehemaligen österreichisch-ungarischen Armee gewesen sei und als solcher im 1. Weltkrieg eine Schussverletzung an der linken Hand erlitten habe, zu jenem Personenkreis, für den ein Ausgleich in Höhe entsprechender Versorgungsleistungen grundsätzlich in Betracht käme. Nach dem eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten seien als Gesundheitsschädigungen des Verstorbenen, an denen er infolge der Kriegsverletzung gelitten habe "Durchschuss der linken Mittelhand mit Versteifung der Finger III und IV und Lähmung der Finger II und V" festgestellt worden. Die hiedurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 50 v.H. eingeschätzt worden. Auf Grund der durchgeführten berufskundlichen Beurteilung habe sich eine MdE von 60 v.H. ergeben. Der Tod stehe in keinem Zusammenhang mit der festgestellten Dienstbeschädigung. Bei der gegebenen Sachlage (MdE des Verstorbenen von 60 v.H, Tod akausal) würde der Beschwerdeführerin im Falle des Besitzes der österreichischen Staatsbürgerschaft zwar nicht die Witwenrente, wohl aber die Witwenbeihilfe gemäß § 36 Abs. 2 KOVG 1957 gebühren. Ein Ausgleich in Höhe der Witwenbeihilfe komme jedoch schon unter Bedachtnahme darauf, dass einerseits diese Beihilfe vom Motiv her ausschließlich zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes diene und andererseits für eine solche Absicherung auf Grund der in der Sowjetunion bestehenden Sozialordnung ohnehin vorgesorgt sei, nicht in Betracht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts erhobene Beschwerde, in der im wesentlichen geltend gemacht wird, der Begründung fehlten - infolge der unrichtigen rechtlichen Beurteilung - relevante und überprüfbare Feststellungen, wie die soziale Absicherung in der Sowjetunion aussehe.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 76 Abs. 1 KOVG 1957 bestimmt:

"Sofern sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben, kann der Bundesminister für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen auf Antrag oder von Amts wegen einen Ausgleich gewähren."

Die Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 steht im Ermessen der Behörde. Wer die Gewährung eines Ausgleiches wegen besonderer Härte geltend macht, ist Partei im Sinne des gemäß § 86 Abs. 1 KOVG 1957 anzuwendenden § 8 AVG 1950. Die Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 setzt zunächst voraus, dass "sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben". Erst dann kann die Behörde von dem ihr in dieser Bestimmung eingeräumten Ermessen einen positiven Gebrauch machen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. April 1982, Zl. 1647/78 = VwSlg. N. F. Nr. 10 709/A).

Im Beschwerdefall kommen als Vorschriften des KOVG 1957, aus denen sich allenfalls Härten ergeben können, die §§ 1 ff und die Bestimmungen über die Hinterbliebenenrente in Betracht.

Die vom Gesetz geforderte besondere Härte muss durch Tatsachen und Umstände des Einzelfalles gegeben sein (vgl. die Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220 und Zl. 85/09/0062; ferner das Erkenntnis vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067). Liegt eine besondere Härte nicht vor, dann ist die Gewährung eines Ausgleiches zu versagen, ohne dass auf die allenfalls für eine positive Ermessensübung sprechende tatsächliche wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin eingegangen werden kann (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des verstärkten Senates vom 21. April 1982, und die Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220, und vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067).

Die belangte Behörde hat im Sinne der wiedergegebenen Rechtsprechung zunächst zutreffend die im Bereich rechtlicher Gebundenheiten zu lösende Frage nach dem Vorliegen einer besonderen Härte bejaht. Diese besteht im wesentlichen darin, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin auf Grund der politischen Ereignisse nach dem 1. Weltkrieg seine Zugehörigkeit zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie verloren hatte und russischer Staatsbürger geworden war. Mangels österreichischer Staatsbürgerschaft besteht kein Anspruch auf Versorgungsleistung für die im Militärdienst der Monarchie erlittene Gesundheitsschädigung.

Bei der erst nach Lösung dieser Frage zu erfolgenden Ermessensübung hat die belangte Behörde jedoch das ihr eingeräumte Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes geübt, wonach auch auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Antragstellerin einzugehen ist (vgl. dazu die zuletzt genannten Erkenntnisse; zum Problemkreis "Ermessen und Gebundenheit" vgl. Antoniolli-Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht 2, Seite 233 ff).

Der Gerichtshof pflichtet der belangten Behörde zwar insofern bei, dass ein Ausgleich in Höhe der Witwenbeihilfe vom Motiv her der Sicherung eines bloß notwendigen Lebensunterhaltes dient. Dass "auf Grund der in der Sowjetunion bestehenden Sozialordnung" aber von vornherein eine - wenn auch geringfügige - Beihilfe für die Beschwerdeführerin nicht in Frage kommen könnte, kann nach Ansicht des Gerichtshofes jedoch nicht gesagt werden. Liegt doch die Einkommensgrenze der Witwenbeihilfe (vgl. § 36 Abs. 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 3 KOVG 1957) erheblich über dem Betrag des Richtsatzes der Mindestpension nach ASVG (vgl. §§ 292 f): Ab 1. Jänner 1983 betrug die Einkommensgrenze der Witwenbeihilfe S 5.096,--, der Richtsatz der Mindestpension lag jedoch bei S 4.173,--.

Wenn auch die Pensionssysteme der Republik Österreich und der Sowjetunion nicht ohne weiteres miteinander verglichen werden können, so wären doch entsprechende Erhebungen erforderlich gewesen, um die etwaige Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin feststellen zu können. Dabei wäre etwa das der Beschwerdeführerin zur Verfügung stehende Einkommen (sie erhält nach ihren eigenen Angaben 40 Rubel Pension und bezieht aus 0,5 ha Kolchosenland Naturalien) mit der in der Sowjetunion gewährten (Mindest)Pension für die im Lebensbereich der Beschwerdeführerin tätig Gewesenen in Beziehung zu setzen gewesen. Nur dann, wenn das Einkommen der Beschwerdeführerin den Betrag der üblicherweise in der Sowjetunion ausbezahlten für die Beschwerdeführerin in Betracht kommenden (Mindest)Pension erheblich übersteigen sollte, könnte die Gewährung einer Witwenbeihilfe unter Berufung auf die wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin abgelehnt werden.

Da die belangte Behörde - ausgehend von ihrer falschen Rechtsansicht - entsprechende Erhebungen in der vom Verwaltungsgerichtshof aufgezeigten Richtung unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben ist.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 243/1985. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der obsiegenden Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuerkannt werden kann (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Mai 1965, Zl. 361/65).

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 20. Oktober 1988

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