Normen
AVG §10 Abs1;
AVG §10 Abs2;
AVG §37;
AVG §66 Abs4 impl;
AVG §66 Abs4;
VStG §24;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
ZustG §13 Abs1;
ZustG §7 Abs1;
ZustG §9 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Behörde erster Instanz führte gegen den Beschwerdeführer sowohl ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung des ASVG (unter der Zl. ../6060/..) als auch wegen Übertretung des AuslBG (unter der Zl. ../6059/..).
Zu Zl. ../6060/.. wurde dem Beschwerdeführer ein Straferkenntnis vom 10. August 2011 am 26. August 2011 zugestellt. In der dagegen erhobenen Berufung vom 5. September 2011 sind zwar beide genannten Aktenzahlen im Kopf genannt, ausgehend vom diesbezüglich unmissverständlichen Text richtet sich die Berufung ausschließlich gegen den Bescheid betreffend Übertretung des ASVG. Die Berufung schließt mit folgendem Text (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Mit der Fortführung des weiteren Verfahrens habe ich
folgenden Rechtsanwalt beauftragt:
Dr. Pochieser
S-Gasse …"
Die Behörde erster Instanz ließ das Straferkenntnis
betreffend Übertretung des AuslBG zur Zl. ../6059/.. vom 5. Juni 2012 mit folgender Zustellverfügung
"Hr. (Beschwerdeführer)
Zustellung an RA Dr. Pochieser
S-Gasse …"
zustellen. Die Übernahme in der Kanzlei des Rechtsanwaltes
ist mit 14. Juni 2011 dokumentiert.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2012 erhob der Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis Berufung. Der Text beginnt mit folgendem Wortlaut:
"Ihr Straferkenntnis vom 5. Juni 2012, Zahl ../6059/.., ist bei der Kanzlei Dr. Pochieser, Wien, am 14. Juni 2012 eingelangt und wurde mir am 15. Juni 2012 zur Kenntnis gegeben."
Die belangte Behörde wies diese Berufung zunächst mit Bescheid vom 21. August 2012 als verspätet zurück. Auf Grund einer an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde, in der der in diesem Verfahren einschreitende Beschwerdevertreter Dr. Pochieser bestritt, auch im Strafverfahren erster Instanz nach dem AuslBG bevollmächtigt gewesen zu sein, erließ die belangte Behörde einen Bescheid vom 24. Oktober 2012 gemäß § 52a Abs. 1 VStG, mit dem sie die den Zurückweisungsbescheid wegen Verspätung von Amts wegen behob.
Da die Zustellung nicht wirksam am 14. Juni 2012 (an den Rechtsanwalt) erfolgt sei und der Beschwerdeführer frühestens erst am 15. Juni 2012 Kenntnis vom Straferkenntnis erlangt habe, sei die Berufungsfrist "jedenfalls noch nicht abgelaufen" gewesen.
Die belangte Behörde befasste sich in der Folge nicht mit der Frage, in welcher Form dem Beschwerdeführer das Straferkenntnis vom 5. Juni 2012 "zur Kenntnis gegeben" wurde, sondern führte das Berufungsverfahren in der Sache durch Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung durch. Erstmalig in der "Bekanntgabe" (anlässlich der Ladung zur Verhandlung) vom 7. November 2012 berief sich Dr. Pochieser auf die ihm erteilte Vollmacht.
Der angefochtene Bescheid wurde RA Dr. Pochieser zugestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 6. Juni 2013, B 167/2013-6, ihre Behandlung ab und trat sie über nachträglichen Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde macht u.a. geltend, der Beschwerdeführer sei im Verfahren vor der Behörde erster Instanz nicht anwaltlich vertreten gewesen, dennoch sei das Straferkenntnis an RA Dr. Pochieser zugestellt worden. Dem Beschwerdeführer persönlich sei es nie zugestellt worden. Er habe zwar in weiterer Folge Kenntnis von dessen Inhalt erlangt, eine Heilung nach § 7 ZustG sei aber nicht eingetreten, weil diese erfordere, dass die für den Empfänger bestimmte Ausfertigung diesem tatsächlich zukomme.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Schon aus dem - oben wieder gegebenen - Text der Berufung gegen das Straferkenntnis Zl. ../6060/.. ist klar, dass sich die "Beauftragung" des Rechtsanwaltes nicht auch auf das gegenständliche Verfahren nach dem AuslBG zur Zl. ../6059/.. bezieht.
Doch selbst wenn man daran zweifeln sollte, war eine "Zustellung an RA Dr. Pochieser" nicht zulässig. Denn für das Wirksamwerden eines Vollmachtsverhältnisses ist - anders als bei der "Namhaftmachung" eines bloßen Zustellungsbevollmächtigten - wesentlich, dass die Bevollmächtigung vom Vertreter angenommen wird. Die bloße Erklärung, einem Dritten (hier: Rechtsanwalt) Vollmacht erteilt zu haben (hier: in "Mit der Fortführung des weiteren Verfahrens habe ich … beauftragt"), bietet daher - bis zum Nachweis der Annahme durch den "Bevollmächtigten/Beauftragten" - für die Behörde keinen Anlass, diesen Dritten dem Verfahren beizuziehen, insbesondere auch nicht, an diesen Zustellungen vorzunehmen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 30. Oktober 2003, Zl. 2003/02/0139).
Es liegt daher ein Zustellmangel vor, der gemäß § 7 Abs. 1 ZustG grundsätzlich sanierbar ist.
Die Rechtswirksamkeit der Erlassung des Bescheides der Behörde erster Instanz vom 5. Juni 2012 an den Beschwerdeführer und damit die Beantwortung der Frage, ob die belangte Behörde aufgrund der Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid zur Entscheidung in der Sache gemäß § 66 Abs. 4 AVG ermächtigt war, hängt daher davon ab, ob der - in der zu Unrecht an Dr. Pochieser erfolgten Bescheidzustellung liegende - Zustellmangel gemäß § 7 ZustellG saniert wurde. Dies wäre dann der Fall, wenn der Bescheid der Behörde erster Instanz zufolge seiner Adressierung für den Beschwerdeführer bestimmt gewesen und diesem auch tatsächlich (im Original) zugekommen wäre. Die bloße Kenntnis vom Vorhandensein und vom Inhalt des Dokuments (etwa infolge der Empfangnahme einer Ablichtung oder der eigenständigen Anfertigung einer Kopie) genügt nicht. Angesichts der Adressierung dieses Bescheides an den "Beschwerdeführer, Zustellung an RA Dr. Pochieser" ist davon auszugehen, dass der Bescheid auch für den Beschwerdeführer und nicht nur für Dr. Pochieser i.S.d.
§ 7 ZustellG "bestimmt" war (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 25. März 1996, Zl. 95/10/0052 mwN, sowie die in Raschauer ua, Öst. Zustellrecht 2007, Seite 55 f, Rz 5 zu § 7 zitierte Rechtsprechung und Literatur).
Die Beweislast dafür, ob das Straferkenntnis dem Beschwerdeführer "tatsächlich zugekommen" ist, trägt die Behörde. Sie muss durch (im Verfahren festgestellte) Anhaltspunkte belegen können, dass das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist, allenfalls hat sie diese Frage durch Ermittlungen zu klären (vgl. zur Wortfolge "tatsächlich zugekommen" die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 1992, Zl. 92/05/0067, und vom 22. November 2011, Zl. 2007/04/0082, und den Beschluss des OGH vom 20. Dezember 2000, 9 ObA 321/00y).
Die belangte Behörde hat sich im Berufungsverfahren mit diesen Fragen nicht auseinandergesetzt. Sie weist in der Gegenschrift auf den - oben wieder gegebenen - Wortlaut in der Berufung und den Umstand, dass sich der Beschwerdeführer auf das Berufungsverfahren eingelassen habe, hin.
Einerseits können Ausführungen in der Gegenschrift mangelnde Feststellungen sowie eine fehlende Begründung im angefochtenen Bescheid nicht ersetzen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1998, Zl. 89/03/0153).
Andererseits ist das Vorbringen in der Gegenschrift auch inhaltlich verfehlt: Entgegen der Ansicht der belangten Behörde lässt die Wortfolge "zur Kenntnis gegeben" keinesfalls die unmissverständliche Deutung zu, dass dem Beschwerdeführer das Original des Straferkenntnisses "übergeben" (im Sinne von ausgefolgt) wurde. Die Wortfolge ist vielmehr eine Mischung aus "zur Kenntnis gebracht" und "übergeben", ihre wahre Bedeutung hätte durch Ermittlungen geklärt werden müssen. Daran ändert auch der weitere Hinweis der belangten Behörde nichts, dass sich der Beschwerdeführer auf das Berufungsverfahren eingelassen habe.
Es fehlt daher ein überzeugender Anhaltspunkt dafür, dass das Straferkenntnis vom 5. Juni 2012 dem Beschwerdeführer auch "tatsächlich zugekommen" ist und er nicht etwa bloß Kenntnis von seinem Inhalt erlangt habe.
Bei Fehlen einer rechtswirksamen Zustellung hätte die Berufung wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen werden müssen.
Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 3. Oktober 2013
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