VwGH 2013/01/0134

VwGH2013/01/013418.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Pitsch, über die Beschwerde der S H in W, vertreten durch Dr. Michl Münzker, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landskrongasse 5, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 13. September 2013, Zl. B5/144118/2013 bzw. P1/355882/1/2013, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung nach dem SPG, zu Recht erkannt:

Normen

SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2012/I/013;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2012/I/013;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid der Landespolizeidirektion Wien vom 13. September 2013 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert sich gemäß § 77 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) und § 19 Abs. 3 AVG einer erkennungsdienstlichen Behandlung in der Polizeiinspektion D. zu unterziehen.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Wortlautes der §§ 65 Abs. 1 und Abs. 4 sowie 77 Abs. 2 SPG aus, die Beschwerdeführerin sei dringend verdächtig durch Täuschung und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen widerrechtlich die UID-Nummer einer "anderen Person" zum Zwecke der "Lukrierung" eines Vorsteuerabzuges verwendet und dadurch die Republik Österreich geschädigt zu haben. Sie stehe im Verdacht, dabei planmäßig und systematisch vorgegangen zu sein und sich vorsätzlich bereichert zu haben. Darüber hinaus stehe die Beschwerdeführerin dringend im Verdacht, durch widerrechtliche Verwendung der UID-Nummer sich eine fortlaufende Einnahmequelle verschafft zu haben. Auch sei sie verdächtig, bei der Ausstellung von Honorarnoten die Unterschrift "einer anderen Person" gefälscht zu haben. Der Verdacht gegen die Beschwerdeführerin im Sinne der §§ 146, 147 und 148 StGB gründe sich auf Erhebungen im Namen der Strafjustiz; in diesem Zusammenhang sei an die Staatsanwaltschaft W. Strafanzeige erstattet worden.

Auf Grund der "bezeichneten Umstände" scheine es notwendig zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe eine erkennungsdienstliche Behandlung vorzunehmen. Im Hinblick auf eine "mögliche Rückfallsgefahr oder zu erwartende Aufklärungswahrscheinlichkeit" sei die Maßnahme angemessen. Die Beschwerdeführerin habe die Mitwirkung an einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach formloser Aufforderung (am 25. Juni 2013) verweigert. Daher sei ihr diese Verpflichtung bescheidmäßig aufzuerlegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Die Beschwerdeführerin erstattete zu dieser Gegenschrift eine Replik.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass es sich vorliegend um keinen Übergangsfall nach dem VwGbk-ÜG handelt und somit gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes BGBl. I Nr. 566/1991, in der Fassung BGBl. I Nr. 13/2012 (SPG), lauten:

"Erkennungsdienstliche Behandlung

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe erforderlich erscheint.

...

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§ 73 und 74) bestehen. In den Fällen des § 75 Abs. 1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.

(6) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, Namen, Geschlecht, frühere Namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Namen der Eltern, Ausstellungsbehörde, Ausstellungsdatum und Nummer mitgeführter Dokumente, allfällige Hinweise über die Gefährlichkeit beim Einschreiten einschließlich sensibler Daten, soweit deren Verwendung zur Wahrung lebenswichtiger Interessen anderer notwendig ist und Aliasdaten eines Menschen (erkennungsdienstliche Identitätsdaten), den sie erkennungsdienstlich behandelt haben, zu ermitteln und zusammen mit den erkennungsdienstlichen Daten und mit dem für die Ermittlung maßgeblichen Grund zu verarbeiten. In den Fällen des Abs. 1 sind die Sicherheitsbehörden ermächtigt, eine Personsfeststellung vorzunehmen.

...

Verfahren

§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.

(4) Steht die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 65 Abs. 4 fest, so kann der Betroffene, wenn er angehalten wird, zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden."

Nach dieser Rechtslage ermächtigt § 65 Abs. 1 SPG die Sicherheitsbehörden, Menschen, die im Verdacht stehen eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, unter weiteren Voraussetzungen erkennungsdienstlich zu behandeln. Diese Befugnis dient sicherheitspolizeilichen Zielsetzungen, nämlich der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe vorzubeugen. Sie ist gefährlichkeitsbezogen. Nach der dargelegten Rechtslage ist die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung - zusätzlich zu dem Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung - an eine weiter hinzukommende Voraussetzung geknüpft: Der Betroffene muss entweder im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. März 2013, Zl. 2013/01/0006; und vom 31. Mai 2012, Zl. 2011/01/0276).

Die Beschwerdeführerin bestreitet, eine Unterschriftenfälschung begangen bzw. gewerbsmäßig gehandelt zu haben, es ist aber nicht strittig, dass sie bei der Staatsanwaltschaft W. wegen "§§ 146, 147, 148 StGB" zur Strafanzeige gebracht wurde und im Verdacht steht, eine Straftat im Zusammenhang mit der Honorarnote vom 3. Mai 2012 (über EUR 19.920,--) begangen zu haben. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten ist deswegen ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft W. gegen die Beschwerdeführerin deswegen anhängig.

Da die Sicherheitsbehörden gemäß § 65 Abs. 1 SPG ermächtigt sind, Menschen die im Verdacht stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, hatte die Behörde weder festzustellen noch zu untersuchen, ob die im Verdachtsbereich vorgeworfenen Straftaten - welche die Beschwerdeführerin leugnet - von ihr begangen wurden.

Die Beschwerdeführerin macht gegen die Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung geltend, sie habe - abgesehen von dem von ihr bestrittenen Fall der Honorarnote vom 3. Mai 2012 -

in keinen "sonstigen Geschäftsfällen" die UID-Nummer verwendet. Sie sei weder in einer kriminellen Vereinigung tätig gewesen, noch rechtfertige ihre Persönlichkeit oder die besondere Art oder Ausführung einer Tat diese Maßnahme.

Mit dem Vorbringen, die belangte Behörde habe es unterlassen, im angefochtenen Bescheid darzulegen, weshalb sie eine erkennungsdienstliche Behandlung für notwendig erachte, ist die Beschwerdeführerin im Recht.

Wie im hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2009, Zl. 2009/17/0053, dargelegt wurde, hält der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf den geänderten Gesetzestext und die damit verfolgte Absicht des Gesetzgebers, seine bisherige, zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung nicht aufrecht; daher geht er davon aus, dass im zweiten Fall des § 65 Abs. 1 SPG eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft, für die die Annahme ausreicht, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2009, Zl. 2009/17/0070; vom 1. April 2010, Zl. 2010/17/0065; und vom 22. Mai 2014. Zl. 2013/01/0045).

Eine derartige Annahme ist nach der Begründung des angefochtenen Bescheides aus der angelasteten Tat (Betrug im Zusammenhang mit Honorarnote vom 3. Mai 2012) nicht plausibel abzuleiten. Insoweit angenommen wurde, die Beschwerdeführerin sei dringend verdächtig "mit der Absicht vorgegangen zu sein, sich durch die widerrechtliche Verwendung der UID-Nummer verschafft zu haben", hat die belangte Behörde jedoch sachverhaltsmäßig nicht dargetan, worauf sich dieser mit dem Gesetzeswortlaut der Gewerbsmäßigkeit (vgl. §§ 70 und 148 StGB) umschriebene Verdacht stützt. Selbst wenn (gegebenenfalls) gewerbsmäßig handelt, wer nur eine einzige strafbare Handlung in der Absicht begeht, sich selbst durch wiederholte Begehung solcher Taten eine fortlaufende Einnahmsquelle zu verschaffen, wäre zu begründen, worauf sich dieser (nur mit dem Gesetzeswortlaut umschriebene) Verdacht bezogen auf die Beschwerdeführerin gründet. Der Hinweis auf eine sorgfältige Vorbereitung der Tat durch die Beschwerdeführerin (sie sei "dabei planmäßig und systematisch vorgegangen") lässt für sich allein keinen Schluss auf eine Wiederholungsabsicht (iS der §§ 70 und 148 StGB) zu.

Daher lassen aber "die bezeichneten Umstände" bzw. die "mögliche Rückfallsgefahr oder zu erwartende Aufklärungswahrscheinlichkeit" nicht hinreichend erkennen, weshalb - etwa auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder Persönlichkeit der Beschwerdeführerin - die belangte Behörde die erkennungsdienstliche Behandlung für notwendig hält. Dass die wegen der Honorarnote vom 3. Mai 2012 im Verdachtsbereich angelastete Betrugshandlung wegen ihrer Art ausreiche, die erkennungsdienstliche Behandlung der Beschwerdeführerin zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe zu rechtfertigen, wurde im angefochtenen Bescheid nicht dargetan (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. März 2013, Zl. 2013/01/0006; vom 31. Mai 2012, Zl. 2011/01/0276; und vom 19. April 2012, Zl. 2012/01/0011).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG sowie § 3 Z. 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, auf den §§ 47 ff VwGG iVm § 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der verzeichnete Schriftsatzaufwand zuzüglich Umsatzsteuer in den Ansätzen der genannten Verordnung keine Deckung findet.

Wien, am 18. Juni 2014

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte