Normen
Novellen BGBl2007/I/114 Art1;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;
Novellen BGBl2007/I/114 Art1;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt (der belangten Behörde) vom 10. März 2009 wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen und an den hiefür erforderlichen Handlungen mitzuwirken. Die belangte Behörde führte als Rechtsgrundlage § 77 Abs. 2 iVm § 65 Abs. 4 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) an. Begründend führte die Behörde nach Wiedergabe des § 77 Abs. 1 und Abs. 2 SPG aus, der Beschwerdeführer sei des Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz verdächtig, weshalb er der Staatsanwaltschaft Linz angezeigt worden sei. Er sei mit Schreiben der belangten Behörde vom 5. Februar 2009 aufgefordert worden, sich innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt dieser Aufforderung einer erkennungsdienstlichen Behandlung bei einer näher bezeichneten Polizeiinspektion zu unterziehen. Da er dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, sei er dazu spruchgemäß zu verhalten gewesen.
In seiner dagegen erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof (nur) inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag erstattet, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Beschwerdeführer hat hierauf repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer bringt vor dem Verwaltungsgerichtshof vor, er sei am 9. Jänner 2009 kurz vor Mitternacht beobachtet worden, wie er auf einem näher bezeichneten öffentlichen Parkplatz gemeinsam mit drei anderen Personen in einem PKW einen Cannabis-Joint geraucht habe; als sich die vier Personen ca. eine Stunde später wieder in diesen PKW begaben, sei der Zugriff durch die Polizei erfolgt. In seiner Beschuldigtenvernehmung am 16. Jänner 2009 habe er auf seine Angaben im Zuge der Ersterhebungen am Tatort verwiesen. Mit der Durchführung einer erkennungsdienstlichen Behandlung am 16. Jänner 2009 sei er nicht einverstanden gewesen.
In rechtlicher Hinsicht führte der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0341 aus, gemäß § 65 Abs. 1 SPG seien die Sicherheitsbehörden ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht stehe, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig geworden sei oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen, mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich erscheine. Nach dem zweiten Satz des Abs. 5 dieser Bestimmung sei in diesen Fällen der Betroffene darauf hinzuweisen, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolge, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken.
Die amtswegige Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung (unter sicherheitspolizeilichen Gesichtspunkten) sei demnach an zwei Voraussetzungen geknüpft. Einerseits müsse die betreffende Person im Verdacht stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, wobei diese Voraussetzung gemäß § 64 Abs. 6 SPG auch nach einer rechtskräftigen Verurteilung wegen der entsprechenden gerichtlich strafbaren Handlung bestehen bleibe. Andererseits müsse die betreffende Person im Rahmen krimineller Verbindungen tätig geworden sein oder es müsse die erkennungsdienstliche Behandlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe dieser Person erforderlich erscheinen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2003, Zl. 2001/01/0098). Diesbezüglich sei auf die spezifische Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verhinderung weiterer gefährlicher Angriffe durch das Wissen um die Möglichkeit einer Wiedererkennung abzustellen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 17 September 2002, Zl. 2002/01/0320).
Bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung habe die Behörde nach ständiger Rechtsprechung (des Verwaltungsgerichtshofes) eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sie sich mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er in Zukunft gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer durch die erkennungsdienstliche Behandlung bewirkten "Vorbeugung" im erwähnten Sinne auseinander zu setzen habe (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 2003, Zl. 2002/01/0592, mit dem die vor der Novelle 2002 ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich aufrecht erhalten worden sei).
Im konkreten Beschwerdefall werde im angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10. März 2009 zutreffend angeführt, dass der Beschwerdeführer eines Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz verdächtig sei. Jedoch befasse sich der angefochtene Bescheid nicht näher mit der Art des Vergehens, auch nicht damit, ob es sich bei dem angezeigten Delikt überhaupt um einen gefährlichen Angriff handle oder die Ausnahme des § 16 Abs. 2 Z. 3 zweiter Satzteil SPG vorliege. Ausführungen über die Erforderlichkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung im Sinne einer konkreten, fallbezogenen Prognose fehlten im angefochtenen Bescheid völlig. Weder setze sich die belangte Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes auseinander, noch mit der Art des dadurch verwirklichten Deliktes, noch mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er in Zukunft gefährliche Angriffe begehen werde, noch mit der Frage des dadurch abzuleitenden Erfordernisses einer durch die erkennungsdienstliche Behandlung bewirkten Vorbeugung im erwähnten Sinne.
Der angefochtene Bescheid scheine - so die Beschwerdeausführungen weiter - auf der Rechtsauffassung zu beruhen, dass jede Person, die einer strafbaren Handlung (zumindest aber einer strafbaren Handlung nach dem Suchtmittelgesetz) verdächtig sei, verpflichtet sei, die erkennungsdienstliche Behandlung zu dulden. Dies stehe mit der geltenden österreichischen Rechtslage nicht im Einklang.
Es bestehe schon auf Grund der Geringfügigkeit und der Art der Tat keinerlei Notwendigkeit durch eine erkennungsdienstliche Behandlung präventiv zu wirken, da keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Beschwerdeführer an einen unbestimmten Kreis unbekannter Personen Suchtmittel in Verkehr setzen würde, die ihn dann auf Grund der erkennungsdienstlichen Lichtbilder wieder erkennen würden. Auch könne die Präventionswirkung eines erstmals gegen den Beschwerdeführer geführten Strafverfahrens und der voraussichtlichen Zurücklegung der Anzeige für eine Probezeit von zwei Jahren gemäß § 35 Abs. 1 SMG nicht außer Acht gelassen werden.
§ 65 des Bundesgesetzes über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. Nr. 566/1991 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung durch die Novelle BGBl. I Nr. 114/2007 regelt die erkennungsdienstliche Behandlung wie folgt (auszugsweise):
"(1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.
...
(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
(5) Die Sicherheitsbehörden haben jeden, den sie erkennungsdienstlich behandeln, schriftlich darüber in Kenntnis zu setzen, wie lange erkennungsdienstliche Daten aufbewahrt werden und welche Möglichkeiten vorzeitiger Löschung (§§ 73 und 74) bestehen. In den Fällen des § 75 Abs. 1 letzter Satz ist der Betroffene über die Verarbeitung seiner Daten in einer den Umständen entsprechenden Weise in Kenntnis zu setzen.
..."
Nach § 77 Abs. 1 SPG (in der Stammfassung) hat die Behörde einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern. Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm gemäß Abs. 2 leg. cit. die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 SPG bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig.
Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen gemäß § 77 Abs. 3 SPG als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.
Gemäß der Definition des § 16 Abs. 2 Z. 4 SPG ist ein gefährlicher Angriff die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, handelt, es sei denn um den Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch.
Die belangte Behörde verweist in der Gegenschrift (zutreffend) auf die EB zur RV 272 BlgNR 23. GP 8 f, wo im Zusammenhang mit der durch die Novelle BGBl. I Nr. 114/2007 Gesetz gewordenen Formulierung der Abs. 1 und 5 des § 65 SGP ausgeführt wird wie folgt:
"Mit der Änderung des § 65 Abs. 1 durch die SPG-Novelle 2002 (vgl. die entsprechenden EB zur RV, 1138 BlgNR, XXI. GP) sollte erreicht werden, dass eine erkennungsdienstliche Behandlung bei Verdacht einer Einzelstraftat nicht nur dann zulässig ist, wenn beim Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder der Gefahr der Begehung anderer gefährlicher Angriffe bestehen, sondern auch wenn eine für bestimmte Deliktsbereiche typische (statistische) Rückfallsgefahr vorliegt. Die Art des begangenen Delikts oder konkrete Umstände bei der Tatbegehung sollten Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe darstellen. Zu dieser Fassung des § 65 Abs. 1 hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Erkenntnissen (etwa VwGH vom 16. Juli 2003, 2002/01/0592 oder VwGH vom 7. Oktober 2003, 2003/01/0191) festgehalten, dass die aktuelle Textierung des § 65 - insbesondere auch wegen des unverändert gebliebenen § 65 Abs. 5 letzter Satz - eine rein abstrakte Betrachtungsweise verbiete. Für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 sei es immer erforderlich, eine konkrete fallbezogene Prognose zu treffen, bei der sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer 'Vorbeugung' durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zusetzen habe. Im Rahmen dieser Überlegungen komme es 'auch' auf die Art des Delikts an. § 65 Abs. 5 zweiter Satz bezweckt, dass dem Betroffenen der vorbeugende Charakter der erkennungsdienstlichen Behandlung (entsprechend der sicherheitspolizeilichen Aufgabenstellung des § 22 Abs. 2) nochmals vor Augen geführt werden soll. Da dieser Satz für die Frage, ob die Maßnahme zur Vorbeugung künftiger gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint, keinen Mehrwert bringt, kann er gestrichen werden. Darüber hinaus soll durch die Neufassung von § 65 Abs. 1 klargestellt werden, dass - abgesehen von der Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Verbindung - konkrete Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung oder Begehung anderer gefährlicher Angriffe entweder in der Person des Betroffenen selbst oder in der Art oder Ausführung der Tat liegen können. Es genügt im zweiten Fall eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an die verwirklichte Tat anknüpft und den Schluss rechtfertigt, dass die Tat nach der allgemeinen Lebenserfahrung kein Einzelfall bleiben wird."
Im Hinblick auf den geänderten Gesetzestext die hier zum Ausdruck gekommene Absicht des (historischen) Gesetzgebers vermag der Verwaltungsgerichtshof seine bisherige, zur früheren Rechtslage ergangene Rechtsprechung nicht aufrecht zu erhalten. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass im zweiten Fall des § 65 Abs. 1 SPG bereits eine abstrakte Form von Wahrscheinlichkeit, die an der verwirklichten Tat anknüpft, für die Annahme ausreicht, die erkennungsdienstliche Behandlung sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich. Ob eine solche vorliegt, wurde im angefochtenen Bescheid nicht dargetan.
Darüber hinaus verweist die Beschwerde zutreffend darauf, dass die Begründung des angefochtenen Bescheides - in Verkennung der Rechtslage - sich nicht (im Sinne des § 16 Abs. 2 Z. 4 SPG) damit auseinandersetzt, ob (k)ein Fall des Erwerbes oder Besitzes eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch vorliegt.
Aus den dargelegten Erwägungen war somit der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die den Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 18. Mai 2009
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