VwGH 2011/01/0276

VwGH2011/01/027631.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des M M in E, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Spittelwiese 6, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 7. November 2011, Zl. Sich01-183-2011, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung, zu Recht erkannt:

Normen

SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;
SPG 1991 §65 Abs1 idF 2007/I/114;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 7. November 2011 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert gemäß § 65 Abs. 1 in Verbindung mit § 77 Abs. 2 des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) und § 19 AVG sich bei der Polizeiinspektion G. einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen und an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Wortlautes der §§ 65 Abs. 1 und 77 Abs. 2 SPG aus, der Beschwerdeführer "wurde am 28.5.2011 durch die Polizeiinspektion G. der Staatsanwaltschaft L. angezeigt, weil er verdächtig ist, Veruntreuung begangen zu haben". Mit Schreiben vom 5. August 2011 sei er aufgefordert worden, sich bei der Polizeiinspektion G. erkennungsdienstlich behandeln zu lassen. Trotz dieser Aufforderung habe er dies unterlassen. Auf Grund "des Sachverhaltes und dessen Wertung" sei dem Beschwerdeführer die Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung mit Bescheid aufzuerlegen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblichen Rechtsvorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) in der Fassung BGBl. I Nr. 114/2007 lauten:

"Allgemeine Gefahr; gefährlicher Angriff; Gefahrenerforschung

§ 16. (1) …

(2) Ein gefährlicher Angriff ist die Bedrohung eines Rechtsgutes durch die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung, die vorsätzlich begangen und nicht bloß auf Begehren eines Beteiligten verfolgt wird, sofern es sich um einen Straftatbestand

1. nach dem Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974, ausgenommen die Tatbestände nach den §§ 278, 278a und 278b StGB, oder

  1. 2. nach dem Verbotsgesetz, StGBl. Nr. 13/1945, oder
  2. 3. nach dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, oder

    4. nach dem Suchtmittelgesetz (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, handelt, es sei denn um den Erwerb oder Besitz eines Suchtmittels zum eigenen Gebrauch.

(3) Ein gefährlicher Angriff ist auch ein Verhalten, das darauf abzielt und geeignet ist, eine solche Bedrohung (Abs. 2) vorzubereiten, sofern dieses Verhalten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der angestrebten Tatbestandsverwirklichung gesetzt wird.

Erkennungsdienstliche Behandlung

§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies wegen der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich scheint.

(2) … (3)…

(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.

Verfahren

§ 77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.

(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs. 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs. 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.

(3) Wurde wegen des für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Verdachtes eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft erstattet, so gelten die im Dienste der Strafjustiz geführten Erhebungen als Ermittlungsverfahren (§ 39 AVG) zur Erlassung des Bescheides. Dieser kann in solchen Fällen mit einer Ladung (§ 19 AVG) zur erkennungsdienstlichen Behandlung verbunden werden.

(4) Steht die Verpflichtung zur Mitwirkung gemäß § 65 Abs. 4 fest, so kann der Betroffene, wenn er angehalten wird, zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorgeführt werden. ..."

Nach dieser Rechtslage ermächtigt § 65 Abs. 1 SPG die Sicherheitsbehörden, Menschen, die im Verdacht stehen eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, unter weiteren Voraussetzungen erkennungsdienstlich zu behandeln. Diese Befugnis dient sicherheitspolizeilichen Zielsetzungen, nämlich der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe vorzubeugen. Sie ist gefährlichkeitsbezogen (vgl. Hauer/Keplinger, Sicherheitspolizeigesetz, Kommentar, 4. Auflage, Seite 693, Anm. 2 bis 4).

Nach der dargelegten Rechtslage ist die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung - zusätzlich zu dem Verdacht einer mit Strafe bedrohten Handlung - an eine weiter hinzukommende Voraussetzung geknüpft: Der Betroffene muss entweder im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muss sonst auf Grund der Art oder Ausführung der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich erscheinen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 20. September 2011, B 924/11).

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde es unterlassen, sich mit der weiter hinzukommenden Voraussetzung zu befassen und im angefochtenen Bescheid darzulegen, weshalb sie eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers aus den angeführten Gründen für notwendig hält. Dass der Beschwerdeführer im Rahmen einer "kriminellen Verbindung" tätig geworden sei, wurde nicht dargelegt; ein Sachverhalt in dieser Hinsicht ist auch nicht ansatzweise erkennbar.

Will die Behörde sich auf den Tatbestand "Art oder Ausführung der Tat oder Persönlichkeit des Betroffenen" stützen, hat sie darzutun (zu begründen), auf welche Überlegungen sie das Vorbeugungserfordernis stützt. Zur Alternative "Ausführung der Tat" kommt es auf die konkrete Ausführung der konkreten Tat an und auch hinsichtlich der "Persönlichkeit des Betroffenen" ist auf dessen konkrete Persönlichkeitsmerkmale abzustellen (vgl. Hauer/Keplinger, a.a.O., Seite 695, Anm. 6.3.2. und 6.3.3.).

Zur Ausführung der Tat(en) oder der Persönlichkeit des Beschwerdeführers fehlen Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Die belangte Behörde hat nur festgehalten, der Beschwerdeführer sei im Verdacht gestanden, eine "Veruntreuung" begangen zu haben. Dass diese angelastete "Veruntreuung" wegen ihrer Art für die Annahme ausreiche, die erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers sei zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe erforderlich, wurde im angefochtenen Bescheid nicht dargetan (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Mai 2009, Zl. 2009/17/0053; und vom 19. April 2012, Zl. 2012/01/0011).

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen erfüllen die oben dargestellten Anforderungen nicht.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 31. Mai 2012

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