VwGH 2011/23/0280

VwGH2011/23/028029.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des H, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 26. Mai 2008, Zl. E1/206.762/2008, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
StGB §43;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
StGB §43;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1976 geborener serbischer Staatsangehöriger, reiste am 11. März 2005 illegal nach Österreich ein, wo er einen Asylantrag stellte. Dieser wurde im Instanzenzug mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. April 2008 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen. Unter einem wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Republik Kosovo zulässig sei und er wurde gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Republik Kosovo ausgewiesen. Mit Beschluss vom 25. April 2008 wurde der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt; in der Folge wurde deren Behandlung mit Beschluss vom 24. Juni 2010, Zl. 2008/01/0340, abgelehnt.

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 12. März 2008 war der Beschwerdeführer zuvor rechtskräftig wegen des Verbrechens der (teils vollendeten, teils versuchten) Schlepperei nach § 114 Abs. 2, Abs. 4 erster Fall und Abs. 5 erster Fall Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt worden, wovon ein Teil von 16 Monaten unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen worden war. Dieser Verurteilung lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer zwischen September und November 2007 gewerbsmäßig unter mehrfacher Tatwiederholung die rechtswidrige Ein- oder Durchreise von insgesamt 34 Fremden als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und mit dem Vorsatz gefördert (bzw. zu fördern versucht) hatte, sich durch das dafür geleistete Entgelt unrechtmäßig zu bereichern.

Im Hinblick auf diese Verurteilung hatte die Bundespolizeidirektion Wien am 19. April 2008 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und 5 FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. Mai 2008 mit der Maßgabe keine Folge, dass sie gemäß § 62 Abs. 1 FPG ein unbefristetes Rückkehrverbot erließ. Nach Darstellung des eingangs wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalts folgerte die belangte Behörde, dass die Verurteilung den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 (iVm § 62 Abs. 2) FPG erfülle. Das dem Schuldspruch zu Grunde liegende Verhalten, das im angefochtenen Bescheid noch näher beschrieben wurde, rechtfertige aber auch die Annahme iSd § 62 Abs. 1 FPG, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit" gefährde und anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, nämlich insbesondere den der Verhinderung von strafbaren Handlungen, zuwiderlaufe. Der Beschwerdeführer sei - nach illegaler Einreise - seit etwa drei Jahren im Bundesgebiet. Sein Asylverfahren sei rechtskräftig negativ abgeschlossen, wobei seiner Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, weshalb er nach wie vor Asylwerber und sein Aufenthalt nach dem AsylG weiterhin "geduldet" sei. Der Beschwerdeführer sei ledig, ohne Sorgepflichten und beschäftigungslos. Im Hinblick auf die Dauer seines Aufenthalts als Asylwerber in Österreich und seiner behaupteten Integration sei von einem "gewissen" Eingriff in sein Privatleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei das Rückkehrverbot im Grunde des § 66 Abs. 1 FPG zulässig und wegen des besonders großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung des Schlepperunwesens zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Eine positive Verhaltensprognose könne schon im Hinblick auf den relativ kurzen Zeitraum seit der Verurteilung und die erhebliche Schwere der Taten, wobei der Beschwerdeführer gewerbsmäßig und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung agiert habe, in keinem Fall erstellt werden. Es werde noch einer langen Phase des Wohlverhaltens nach der Haftentlassung und in Freiheit bedürfen, um auch nur auf eine Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen zu können.

Zur Interessenabwägung nach § 66 Abs. 2 FPG führte die belangte Behörde aus, dass einer allfälligen aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration, wobei er, ohne dies näher zu konkretisieren, Deutschkenntnisse und Beziehungen zu Verwandten und sonstige Bindungen behauptet habe, insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als eine solche durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Sein gesamter Aufenthalt beruhe auf einem "abgewiesenen Asylverfahren", sodass eine daraus allenfalls ableitbare Integration auch aus diesem Grund zu relativieren sei. Der Beschwerdeführer habe anlässlich seines Parteiengehörs selbst angegeben, außer seinem Bruder keine Familienangehörigen in Österreich zu haben. Mangels konkreten Vorbringens zu weiteren Verwandten sei davon auszugehen, dass eine Beziehung zu solchen nicht über jenes Maß hinausgehe, welches unter erwachsenen Seitenverwandten üblich sei. Insgesamt müssten die privaten Interessen des Beschwerdeführers gegenüber den genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen, nämlich dem besonders großen öffentlichen Interesse an der Bekämpfung des Schlepperunwesens, aber auch an einem geordneten Fremdenwesen, jedenfalls in den Hintergrund treten. Angesichts seines Gesamt- (fehl-)verhaltens, der Art und Schwere der ihm zur Last gelegten Straftaten sowie des Fehlens von besonders berücksichtigungswürdigen Umständen könne auch nicht im Rahmen des der belangten Behörde eingeräumten Ermessens von der Erlassung des Rückkehrverbots Abstand genommen werden. Die unbefristete Dauer des Rückkehrverbots, so führte die belangte Behörde abschließend aus, sei im Hinblick auf das Verhalten des Beschwerdeführers "absolut gerechtfertigt", sei doch "vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes" ein Wegfall des für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgeblichen Grundes nicht zu erwarten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu prüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Mai 2008) maßgebliche Fassung des genannten Gesetzes.

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen iSd Abs. 1 u. a. jene des § 60 Abs. 2 Z 1 und 5 FPG. Danach liegen die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsachen dann vor, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist bzw. Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat.

Bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Rückkehrverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Rückkehrverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. Februar 2011, Zl. 2010/21/0350, mwN).

Der Beschwerdeführer bestreitet die festgestellte gerichtliche Verurteilung und das dieser Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten nicht. Die von der Behörde daraus gezogene Schlussfolgerung, dass der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 (zweiter Fall) und Z 5 FPG erfüllt sei, erweist sich daher nicht als rechtswidrig.

Entgegen den Beschwerdeausführungen vermag weder das Verhängen einer teilbedingten Strafe noch die bedingte vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft an der Prognosebeurteilung iSd § 62 Abs. 1 FPG etwas zu ändern, die von den Fremdenbehörden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen vorzunehmen ist, weil den Tatbeständen des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen ist, dass die bedingte Strafnachsicht einem Aufenthaltsverbot oder einem Rückkehrverbot nicht entgegensteht (vgl. das Erkenntnis vom 29. September 2011, Zl. 2009/21/0138). Gerade dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und damit auch an der Bekämpfung der Schlepperei kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Februar 2010, Zl. 2010/18/0011, mwN). Gegen dieses maßgebliche öffentliche Interesse hat der Beschwerdeführer durch die ihm zur Last liegende Schlepperei gravierend verstoßen, wobei er dieses Fehlverhalten nicht nur gewerbsmäßig, also in der Absicht sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, sondern überdies als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begangen hat und ihm insgesamt neun, in relativ kurzen Abständen verübte Fakten zur Last gelegt wurden. Unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts ist im Übrigen ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters - anders als die Beschwerde meint - in erster Linie daran zu messen, innerhalb welchen Zeitraums er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (siehe beispielsweise das Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0486, mwN). Zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides war der Beschwerdeführer jedoch gerade einen Monat aus der Haft entlassen.

Soweit die Beschwerde weitere Ermittlungen begehrt, "ob eine positive Zukunftsprognose gestellt werden kann oder nicht", zeigt sie keine konkreten Umstände auf, die im Rahmen eines weiteren Ermittlungsverfahrens zu einer positiven Zukunftsprognose hätten führen können. Wenn der Beschwerdeführer weiters rügt, dass sich die belangte Behörde keinen "persönlichen Eindruck" von ihm verschafft habe, ist ihm zu erwidern, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht darauf besteht, von der Behörde mündlich gehört zu werden (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 14. April 2011, Zl. 2010/21/0495).

Insgesamt erweist es sich somit nicht als rechtswidrig, dass die belangte Behörde die Gefährdungsprognose nach § 62 Abs. 1 FPG für gegeben erachtete.

Die Beschwerde wendet sich im Übrigen gegen die von der belangten Behörde nach § 62 Abs. 3 iVm § 66 FPG vorgenommene Interessenabwägung. Sie vermag in diesem Zusammenhang jedoch keine Umstände aufzuzeigen, welche die belangte Behörde nicht bereits ausreichend berücksichtigt hätte. Wenn die Beschwerde eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darin erblickt, dass die Behörde die in der Berufung "zum Thema der familiären und sonstigen Bindungen sowie zu deren Dauer und Ausmaß der Integration" namhaft gemachten Zeugen nicht einvernommen habe, ist ihr entgegen zu halten, dass auch in der Beschwerde keine konkreten und entscheidungswesentlichen Tatsachen angeführt werden, deren Vorliegen durch die Vernehmung der Zeugen erwiesen hätten werden sollen. Die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels wird somit nicht dargetan. Die belangte Behörde berücksichtigte aber ohnedies die vom Beschwerdeführer selbst angegebene Anwesenheit seines (ebenfalls bereits volljährigen) Bruders in Österreich. Auch die (bei Erlassung des angefochtenen Bescheides gerade dreijährige und daher noch nicht lange) Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich hat die belangte Behörde bei ihrer Interessenabwägung angemessen berücksichtigt. Der belangten Behörde kann aber auch nicht entgegengetreten werden, wenn sie den von ihr angenommenen Eingriff in das Privatleben des (ledigen und beschäftigungslosen) Beschwerdeführers trotzdem wegen des großen öffentlichen Interesses an der Unterbindung der Schlepperei als dringend geboten angesehen hat.

Es ist - anders als die Beschwerde meint - auch nicht zu sehen, dass im Hinblick auf die angeführten Umstände aus Ermessensgründen von der Erlassung des Rückkehrverbots hätte Abstand genommen werden müssen.

Schließlich bestehen auch gegen die festgesetzte Gültigkeitsdauer des Rückkehrverbots - entgegen den Beschwerdeausführungen - keine Bedenken. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Aufenthalts- oder Rückkehrverbot unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 1 FPG für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarer Weise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Dezember 2011, Zl. 2011/23/0262). Die Beschwerde zeigt aber keine Umstände auf, die bereits bei Erlassung des angefochtenen Bescheides den Schluss zugelassen hätten, dass zu einem bestimmt vorhersehbaren Zeitpunkt die für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. März 2012

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