VwGH 2008/21/0486

VwGH2008/21/048619.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 14. Jänner 2008, Zl. 2 F 380/1-2007, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
NAGDV 2005 §11 Abs1 C litb;
SMG 1997 §27 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs1;
VwGG §34 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
NAGDV 2005 §11 Abs1 C litb;
SMG 1997 §27 Abs2;
SMG 1997 §28 Abs1;
VwGG §34 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein 1985 geborener kroatischer Staatsangehöriger, kam im August 1991 im Alter von sechseinhalb Jahren gemeinsam mit seinen Eltern nach Österreich. Ihm wurden in der Folge Aufenthaltstitel, zuletzt am 20. Juli 2007 ein Niederlassungsnachweis, erteilt.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 30. August 2006 wegen des Verbrechens des versuchten Raubes als Beteiligter nach den §§ 12 dritter Fall, 15, 142 StGB und des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Einbruchsdiebstahls, teilweise in der Begehungsform als Beteiligter nach den §§ 127, 129 Z 1, 130 erster und vierter Fall; 12 dritter Fall, 15 StGB sowie wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall und Abs. 4 Z 3 SMG (gewerbsmäßiges In-Verkehr-Setzen von Suchtgift im Umfang von zumindest dem Fünfundzwanzigfachen der Grenzmenge) und des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster, zweiter und sechster Fall, Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG (Erwerb, Besitz und gewerbsmäßiges Überlassen von Suchtgift) und schließlich angesichts weiterer Fakten wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 1 SMG (Erwerb und Besitz einer großen Menge Suchtgift mit Veräußerungsvorsatz) und wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG (Erwerb und Besitz von Suchtgift) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dabei wertete das Strafgericht das Geständnis, das wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen habe, die Unbescholtenheit, die untergeordnete Rolle beim Raub (Aufpasserdienste und Fluchtfahrer), das teilweise Alter unter 21 Jahren, die Schadenswiedergutmachung und den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als mildernd, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von drei Verbrechen mit mehreren Vergehen, das Zusammenwirken mit Mittätern, das sechsfache Überschreiten der großen Menge Suchtgift, den langen Deliktszeitraum und die rasche Tatabfolge, zumal nur wenige Stunden nach dem misslungenen Raubüberfall versucht worden sei, durch einen Einbruchsdiebstahl zu Geld zu kommen.

Im Hinblick auf diese Verurteilung erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 14. Jänner 2008 gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

In der Begründung stellte die belangte Behörde - dem Schuldspruch des Strafurteiles folgend - die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten im Einzelnen fest. Daraus ist hervorzuheben, dass er den gewerbsmäßigen Suchtgifthandel in der Zeit von Mitte 2004 bis (zu seiner Festnahme am) 25. Mai 2006 betrieben hatte. Dieser Handel bezog sich auf insgesamt 380 Gramm Speed, 4.200 Ecstasy-Tabletten, 60 Gramm Kokain und

1.100 Gramm Cannabiskraut. Der unzulässige Suchgifterwerb und - besitz kurz vor der Festnahme umfasste insgesamt 120 Gramm Kokain und 2.600 Gramm Cannabiskraut.

Die belangte Behörde ging rechtlich im Hinblick auf die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer drei Monate übersteigenden (unbedingten) Freiheitsstrafe von der Verwirklichung des Tatbestandes nach § 60 Abs. 2 Z 1 FPG aus. Weil es sich beim Beschwerdeführer offensichtlich um eine besonders gefährliche Person handle und im Hinblick auf die große Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten, hielt sie auch die Annahme iSd § 60 Abs. 1 FPG für gerechtfertigt, es bestehe eine maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.

Das Aufenthaltsverbot stelle - so begründete die belangte Behörde unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 FPG - einen "relevanten" Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar, zumal sich die Familie (Eltern und drei Brüder) des Beschwerdeführers mit Aufenthaltstiteln in Graz befinde, der Beschwerdeführer sich seit 1990 (richtig: 1991) rechtmäßig in Österreich aufhalte, hier die Volks- und Hauptschule besucht und eine Lehre als Installateur absolviert habe sowie danach in diesem Beruf auch unselbständig tätig gewesen sei.

Dennoch sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten und die Abstandnahme von dessen Erlassung würde wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Deren Interessen stehe nämlich - so lässt sich die Begründung der belangten Behörde zusammenfassen - das besonders hohe öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität gegenüber. In diesem Zusammenhang ist auch das in den Bescheid (unter anderem) aufgenommene Zitat des in der Rechtsprechung entwickelten Rechtssatzes zu sehen, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angesichts der mit der Suchtgiftkriminalität verbundenen erheblichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden nicht als rechtswidrig zu erkennen sei.

Davon ausgehend erachtete die belangte Behörde die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für zulässig und eine Ermessensübung im Sinne einer Abstandnahme von dieser Maßnahme nicht für gerechtfertigt.

Die unbefristete Dauer des Aufenthaltsverbotes begründete die belangte Behörde - zusammengefasst - damit, dass wegen der bei Suchtgiftdelikten bestehenden großen Wiederholungsgefahr ein Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht vorhergesehen werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht (unter anderem) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die genannte Alternative dieses Tatbestandes ist im gegenständlichen Fall ausgehend von der vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellten rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren erfüllt. Die Beschwerde tritt auch der - zu Recht auf das zugrundeliegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers gestützten - Ansicht der belangten Behörde, es sei die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt, nicht konkret entgegen. Die allgemein gehaltene Behauptung, die belangte Behörde habe es unterlassen, eine "fremdenpolizeiliche Zukunftsprognose" vorzunehmen, trifft - wie sich aus der obigen Darstellung der Bescheidbegründung ergibt - nicht zu.

Zu beachten wäre zwar gewesen, dass dem Beschwerdeführer im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 ein Niederlassungsnachweis ausgestellt wurde, der gemäß § 11 Abs. 1 Abschnitt C lit. b NAG-DV nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" gilt. Dem Beschwerdeführer kommt daher die Rechtsstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu, gegen den eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur bei Vorliegen der im § 56 FPG genannten Voraussetzungen zulässig ist (vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0101, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer dadurch, dass die belangte Behörde das Verhalten des Beschwerdeführers nicht am Gefährdungsmaßstab des § 56 FPG gemessen hat, jedoch nicht in Rechten verletzt, weil die im Abs. 1 dieser Bestimmung genannten Tatbestandsvoraussetzungen mehrfach - rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verbrechens, wegen § 27 Abs. 2 SMG und wegen § 28 Abs. 1 SMG - erfüllt sind.

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG ist eine Ausweisung, mit der in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Eine Ausweisung darf nach § 66 Abs. 2 FPG (in der hier noch maßgeblichen Stammfassung) jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen sowie auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen. Nach § 60 Abs. 6 FPG gilt § 66 FPG auch für Aufenthaltsverbote.

Unter diesem Gesichtspunkt bringt die Beschwerde vor, es hätten die für die Strafbemessung mildernden Umstände, das Aufwachsen des Beschwerdeführers von klein auf in Österreich, seine familiären Beziehungen, die vollständige Integration am Arbeitsmarkt und das Fehlen von jeglichen Beziehungen zu seinem ursprünglichen Heimatland dazu führen müssen, dass die belangte Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand nehme.

Dem ist zu entgegnen, dass die belangte Behörde die in der Beschwerde ins Treffen geführten Umstände bei ihrer Interessenabwägung erkennbar ohnehin zu Grunde gelegt hat. Ihr kann aber im Ergebnis nicht entgegen getreten werden, dass sie diese Aspekte insgesamt nicht schwerer gewichtete als das entgegenstehende besonders große öffentliche Interesse an der Bekämpfung des Suchtmittelhandels (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beispielsweise das Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0474). Es entspricht überdies der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei solchen Verbrechen gegen das SMG in der Regel weder ein langjähriger Aufenthalt in Österreich noch eine vollkommene soziale Integration im Inland einem Aufenthaltsverbot entgegen stehen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2008/21/0339, mwN). Dazu kommt im vorliegenden Fall noch, dass dem Beschwerdeführer nicht nur gewerbsmäßiger Suchtgifthandel während eines langen, erst durch seine Festnahme beendeten Deliktszeitraums, sondern auch die gewerbsmäßige Begehung von Einbruchsdiebstählen und die Beteiligung an einem versuchten Raub zur Last liegen, was dessen hohes kriminelles Potential eindrucksvoll dokumentiert. Angesichts dessen hat der erwachsene Beschwerdeführer sowohl die Trennung von seinen Eltern und Seitenverwandten als auch Schwierigkeiten bei der Eingliederung in seinen Heimatstaat im öffentlichen Interesse hinzunehmen.

Im Zentrum der Beschwerdeausführungen steht die Kritik, dass das gegenständliche Aufenthaltsverbot unbefristet erlassen worden ist, und es wird insoweit ein Begründungsmangel geltend gemacht. In diesem Zusammenhang wird gerügt, dass bei der diesbezüglichen Prognose sowohl auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit dem sechsten Lebensjahr und die unbefristete "Niederlassungsbewilligung" als auch auf den Umstand Bedacht zu nehmen gewesen wäre, dass der Beschwerdeführer vor seiner strafgerichtlichen Verurteilung nicht negativ in Erscheinung getreten sei. Außerdem hätten die vom Strafgericht herangezogenen Milderungsgründe berücksichtigt und es hätte weiters einbezogen werden müssen, dass der Verbüßung einer Freiheitsstrafe eine entsprechende läuternde Wirkung nicht abgesprochen werden könne.

Dem ist zunächst zu entgegnen, dass unter dem Blickwinkel des hier maßgeblichen Fremdenrechts ein allfälliger Gesinnungswandel eines Straftäters in erster Linie daran zu messen ist, innerhalb welchen Zeitraumes er sich nach der Entlassung aus der Strafhaft in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 23. September 2010, Zl. 2010/21/0008, mwH) und dass sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch in Haft befand. Richtig ist zwar, dass bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes gemäß § 63 Abs. 2 FPG auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen ist und dass als solche Umstände - abgesehen vom gesetzten Fehlverhalten und der daraus resultierenden Gefährdung öffentlicher Interessen - auch die privaten und familiären Interessen iSd § 66 FPG in Betracht kommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. November 2006, Zl. 2006/18/0323). Die belangte Behörde hat zwar bei der Begründung der unbefristeten Dauer des Aufenthaltsverbotes die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich erwähnt, doch ist der Beschwerdeführer dadurch nicht in Rechten verletzt, weil die (wegen der bei Suchtgiftdelikten der vorliegenden Art bestehenden Wiederholungsgefahr gezogene) Schlussfolgerung der belangten Behörde, ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes (der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet) könne nicht vorhergesehen werden, im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Einerseits liegt nämlich noch kein maßgebliches, für eine diesbezügliche Prognose relevantes Wohlverhalten des Beschwerdeführers vor, andererseits vermochten die von ihm ins Treffen geführten integrationsbegründenden Umstände auch in der Vergangenheit nicht, ihn von der Begehung von Straftaten abzuhalten.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Von der in der Beschwerde beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 19. Mai 2011

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