VwGH 2009/21/0138

VwGH2009/21/013829.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des N, vertreten durch Kocher & Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 14. April 2009, Zl. E1/1291/2-2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
StGB §43;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
StGB §43;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, kam Ende Oktober 2003 nach Österreich und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. Februar 2004 abgewiesen wurde. Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung.

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 2. Juni 2008 wegen des Verbrechens nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG (vorschriftswidriges Überlassen von Suchtgift an andere in einem die Grenzmenge übersteigendem Ausmaß) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Im Hinblick darauf erließ die Bundespolizeidirektion Graz mit Bescheid vom 15. Jänner 2009 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 2 (gemeint: Z 1) des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 14. April 2009 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

In der Begründung stellte die belangte Behörde zu der erwähnten strafgerichtlichen Verurteilung fest, der Beschwerdeführers sei schuldig erkannt worden, im Zeitraum Winter 2006 bis August 2007 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit seiner Lebensgefährtin insgesamt zumindest 475 Gramm Marihuana an näher genannte Abnehmer und nicht ausgeforschte Personen mit Gewinnaufschlag verkauft zu haben.

Daran anknüpfend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der einschlägigen Bestimmungen zunächst zur Gefährdungsprognose aus, der Tatbestand des § 62 Abs. 2 (iVm § 60 Abs. 2 Z 1) FPG sei im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten erfüllt. Weiters verwies die belangte Behörde auf die bei Suchtgiftdelikten generell bestehende große Wiederholungsgefahr und auf die deshalb gegebene mangelnde Vorhersehbarkeit des Wegfalls der für die Erlassung des Rückkehrverbotes maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. In diesem Zusammenhang brachte sie auch zum Ausdruck, die Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten lasse ein gegenüber der österreichischen Rechtsordnung negativ eingestelltes Charakterbild erkennen, sodass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bilde.

Die belangte Behörde ging in der weiteren Begründung von einem durch das Rückkehrverbot bewirkten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers aus und stellte dazu (seinen Angaben in der Niederschrift vom 2. Juli 2008 folgend) fest, er lebe (seit Juli 2007) mit seiner Lebensgefährtin und der am 11. September 2007 geborenen gemeinsamen Tochter an einer Adresse in Graz. Derzeit gehe er keiner Beschäftigung nach und werde von der Caritas mit monatlich EUR 180,- unterstützt. Das reiche nicht aus, um seine Selbsterhaltungsfähigkeit zu dokumentieren. Der Eingriff in das Familienleben werde außerdem dadurch relativiert, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als seine Komplizin tätig gewesen sei.

Zusammenfassend kam die belangte Behörde sodann unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG zum Schluss, unter Abwägung aller angeführten Tatsachen würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbotes wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Aus diesen Gründen habe auch die Ermessensübung nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers erfolgen können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG (in der hier maßgeblichen Fassung vor dem FrÄG 2011) kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 insbesondere jene des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 5, 8 bis 10 und 12 bis 14 FPG. Nach dem - hier in Betracht kommenden - § 60 Abs. 2 Z 1 FPG (in der genannten Fassung) hat als bestimmte, die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die dritte Alternative dieses Tatbestandes ist im gegenständlichen Fall ausgehend von der unbestrittenen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten erfüllt. Entgegen den Beschwerdeausführungen vermag die durch das Strafgericht vorgenommene bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe an der Prognosebeurteilung iSd § 62 Abs. 1 FPG, die von den Fremdenbehörden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen vorzunehmen ist, nichts zu ändern, zumal den Tatbeständen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen ist, dass die bedingte Strafnachsicht einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot nicht entgegensteht (vgl. etwa das Erkenntnis 27. März 2007, Zl. 2006/21/0033). Der Verwaltungsgerichtshof ist in Bezug auf Suchtgifthandel auch bereits wiederholt davon ausgegangen, diese Deliktsform stelle ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben sei und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse bestehe (vgl. unter vielen etwa das Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0370, mwN). Davon durfte die belangte Behörde auch im vorliegenden Fall angesichts der Tatbegehung über einen langen Zeitraum, des Verkaufs einer großen Suchtgiftmenge an zahlreiche verschiedene Abnehmer und der festgestellten Gewinnerzielungsabsicht ausgehen. In diesem Zusammenhang ist aber auch darauf zu verweisen, dass den Beschwerdeführer seine familiären Bindungen damals nicht von der Begehung der Straftaten abhalten konnte, vielmehr handelte er sogar im Zusammenwirken mit seiner Lebensgefährtin. Dass ihn nun die bedingte Strafnachsicht jedenfalls zu einem Wohlverhalten bewegen könnte, wie in der Beschwerde ins Treffen geführt wird, überzeugt aber für sich genommen nicht, zumal auch der Zeitraum seit Begehung der Straftaten (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) zu kurz ist, um insoweit eine verlässliche positive Prognose erstellen zu können. Mit der bloßen Behauptung, der Beschwerdeführer bereue seine Verfehlungen zutiefst, vermag die Beschwerde daher ebenfalls die Gefährdungsannahme der belangten Behörde nicht wirksam zu bekämpfen. Es bestehen somit keine Bedenken dagegen, dass die belangte Behörde die Gefährdungsprognose nach § 62 Abs. 1 FPG für gegeben erachtete.

Soweit der Beschwerdeführer meint, das auf die strafrechtliche Verurteilung gestützte Rückkehrverbot stelle eindeutig eine (unzulässige) "Doppelbestrafung" dar, ist ihm zu entgegnen, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot um keine Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme handelt (siehe aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2007/21/0447).

Bei ihrer - inhaltlich im Ergebnis auch den Kriterien des § 66 Abs. 2 FPG in der Fassung der (am 1. April 2009 in Kraft getretenen) Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 genügenden - Abwägung nach § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 FPG hat die belangte Behörde die zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt und zutreffend einen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Ihr kann aber auch nicht entgegen getreten werden, wenn sie diesen Eingriff nach Durchführung einer Interessenabwägung wegen des großen öffentlichen Interesses an der Unterbindung von Suchtgifthandel als dringend geboten angesehen hat. Es ist somit nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers zumindest gleich hoch bewertete wie das Interesse des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen an einem Verbleib in Österreich. In diesem Zusammenhang ist nämlich darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer keine Umstände ins Treffen geführt hat, die es seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter unmöglich machten, ihn im Falle der Aufenthaltsbeendigung (nach Erlassung einer asylrechtlichen Ausweisung) in das gemeinsame Heimatland Nigeria zu begleiten. Soweit in der Beschwerde an einer Stelle (neuerungsweise) behauptet wird, die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sei österreichische Staatbürgerin, steht das aber im Widerspruch zum Inhalt der dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten.

Wenn die Beschwerde noch auf eine zeitweise Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeitungskolporteur, sein monatliches Einkommen als Fußballer in Höhe von EUR 350,- und auf die Deckung des Lebensunterhaltes durch seine berufstätige Lebensgefährtin verweist, kommt dem bei der Interessenabwägung aber keine entscheidende Bedeutung zu. Diesbezüglichen Ermittlungs- und Feststellungsmängeln fehlt daher die Relevanz. Gleiches gilt aber auch für den Vorwurf der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe sich bei seiner Einreise eines Schleppers bedient (siehe zu diesem nicht tragfähigen Argument die Hinweise in dem zuletzt ergangenen Erkenntnis vom 5. Juli 2011, Zl. 2008/21/0384).

Wenn der Beschwerdeführer noch meint, die im anhängigen Asylverfahren geschilderten Gründe stünden der Erlassung eines Rückkehrverbotes entgegen, genügt es darauf zu verweisen, dass eine allfällige, die Abschiebung unzulässig machende Gefährdungs- oder Bedrohungssituation im Herkunftsstaat nicht im Verfahren über eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu prüfen ist (siehe in diesem Sinn etwa das schon genannte Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0370).

Schließlich werden in der Beschwerde auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. September 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte