VwGH 2011/22/0178

VwGH2011/22/017813.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des A D in G, geboren am 7. Februar 1966, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 26. Mai 2011, Zl. 30406-353/675/1/3-2010, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §44 Abs4;
VwRallg;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4 idF 2009/I/122;
NAG 2005 §44 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom 2. November 2010 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 18. März 2004 illegal nach Österreich eingereist und habe am selben Tag einen Asylantrag gestellt. Mit 1. Februar 2005 sei sein Asylantrag in erster Instanz abgewiesen und gleichzeitig die Ausweisung in die Türkei erlassen worden. Die gegen diese Entscheidung eingebrachte Berufung sei vom Asylgerichtshof mit Bescheid vom 14. Oktober 2010 abgewiesen worden. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 8. Dezember 2010 abgelehnt. Dem an ihn gerichteten Ausreiseauftrag habe der Beschwerdeführer nicht Folge geleistet, sondern den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG gestellt.

Nach der Darstellung der Rechtslage führte die belangte Behörde weiter aus, dass die gemäß § 44 Abs. 4 NAG geforderten (legalen) Aufenthaltszeiten vorlägen.

Hinsichtlich des Grades der Integration habe das Ermittlungsverfahren ergeben, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum 1. Mai 2004 bis 28. September 2008 (mit einer Unterbrechung vom 13. Dezember 2007 bis zum 25. Mai 2008) finanzielle Mittel aus der Grundversorgung bezogen habe. Über einen Zeitraum von vier Jahren sei er daher als selbsterhaltungsunfähig zu bezeichnen gewesen. Seit Dezember 2007 sei er mit saisonalen Unterbrechungen (während deren er teilweise wieder Grundversorgung bezog) in einem näher bezeichneten Hotelbetrieb beschäftigt und verdiene dort als Abwäscher monatlich EUR 1.248,--. Ein Empfehlungsschreiben des Arbeitgebers sei vorgelegt worden. Eine Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt habe durch diese Tätigkeit jedenfalls erfolgen können, die "Gefahr einer Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses" bestehe jedoch. Die bisherige Beschäftigung in Österreich stelle eine reine Hilfstätigkeit ohne besondere Ausbildungsvoraussetzungen dar, eine weiterführende berufliche Ausbildung habe der Beschwerdeführer in Österreich nicht nachgewiesen. Auf Grund der persönlichen Vorsprachen des Beschwerdeführers könne festgestellt werden, dass er "recht gut" deutsch spreche, am 28. März 2011 habe er einen Sprachkenntnisnachweis auf A2-Niveau, abgelegt am 19. März 2011, vorgelegt.

Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Kinder, er wohne in Österreich alleine und mit keiner Österreicherin oder daueraufenthaltsberechtigten Fremden in Lebensgemeinschaft. Er wohne im Personalhaus seines Arbeitgebers. In Österreich (Niederösterreich) lebe noch sein Bruder mit seiner Familie.

Hinsichtlich der zu prüfenden Kriterien gemäß § 44 Abs. 4 NAG sei jeweils ein minderer Grad der Integration - den jeder in dieser Lage erfüllen würde - erkannt worden. Es lägen auch keine Fakten vor, um den Sachverhalt als einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall beurteilen zu können, da nicht davon auszugehen sei, dass jeder "Altfall" gemäß § 44 Abs. 4 NAG als ein solcher anzusehen sei. Auch der nicht näher spezifizierte Freundeskreis (die vorgelegte Unterschriftenliste weise Nennungen auf, ohne das Verhältnis zum Beschwerdeführer konkret darzulegen), das Unterstützungsschreiben des Arbeitgebers und der Gemeinde G. vermöchten nicht einen solchen Integrationsgrad zu bewirken, dass von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall gesprochen werden könnte.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

§ 44 Abs. 4 NAG (in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 122/2009) ermöglicht die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" für besonders berücksichtigungswürdige "Altfälle", wofür solche Fremde in Betracht kommen, die sich zumindest seit 1. Mai 2004 durchgängig in Österreich aufhalten. Wann ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, sagt das Gesetz nicht ausdrücklich. Es sieht aber vor, dass die Behörde bei ihrer Beurteilung den Grad der Integration des Fremden, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen hat.

Die Gesetzesmaterialien (zur Novelle BGBl. I Nr. 29/2009, ErläutRV 88 BlgNR 24. GP 10 f; das FrÄG 2009, BGBl. I Nr. 122/2009, hat insofern keine Änderung bewirkt) deuten darauf hin, dass andere Kriterien, die im Rahmen einer Prüfung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen wären, keine Bedeutung haben sollen. Gleichwohl können die in § 11 Abs. 3 NAG genannten, bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK zu beachtenden Gesichtspunkte auch in die Beantwortung der Frage einfließen, ob ein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" vorliegt, und zwar in dem Maße, als sie auf den Integrationsgrad des betreffenden Fremden Auswirkungen haben. Daran kann auch deshalb kein Zweifel bestehen, weil § 44 Abs. 4 NAG im Rahmen der erwähnten "Altfälle" erkennbar vor allem jene Konstellationen erfassen soll, in denen die Schwelle des Art. 8 EMRK, sodass gemäß den Kriterien des § 11 Abs. 3 NAG ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, noch nicht erreicht wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0255, mwN).

Der Beschwerdeführer hat, was seine soziale Integration betrifft, neben der Beziehung zu seinem in Österreich lebenden Bruder auf positive, aber bloß allgemein gehaltene Stellungnahmen seiner Wohnsitzgemeinde und seines Arbeitgebers sowie auf eine Liste mit fünfzehn (überwiegend unleserlichen) Unterschriften zur "Bestätigung" von Freundschaften verwiesen. Er verfügt zufolge den Feststellungen der belangten Behörde über "recht gute" Deutschkenntnisse und hat am 19. März 2011 eine Prüfung für das Niveau "A2" abgelegt. Eine schulische oder berufliche Aus- oder Weiterbildung in Österreich ist aber nicht erfolgt. Hinsichtlich seiner beruflichen Integration kann er seit Ende 2007 auf saisonal unterbrochene Beschäftigungszeiten als Abwäscher - zusammen rund drei Jahre - verweisen. Insgesamt erreichen damit die im Beschwerdefall vorliegenden integrationsbegründenden Umstände - auch unter Bedachtnahme auf die Aufenthaltsdauer von rund sieben Jahren - aber noch keinen solchen Grad, dass von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall auszugehen wäre (vgl. demgegenüber das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2010/21/0522, in dem der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Falles bei einer Aufenthaltsdauer von neun Jahren und einer nahezu durchgehenden achtjährigen Beschäftigung sowie Vorlage einer Patenschaftserklärung durch den Arbeitgeber bejaht hat, und in Abgrenzung dazu das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2010/21/0051, in dem bei im Übrigen vergleichbaren Voraussetzungen - insbesondere: keine Kernfamilie in Österreich, Patenschaftserklärung durch den Arbeitgeber - eine Beschäftigung während vierzehn Monaten bei einer Aufenthaltsdauer von sieben Jahren nicht als ausreichend angesehen wurde).

Die Frage, inwieweit zum Herkunftsland noch Bindungen bestehen, ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 NAG nicht relevant, weil sie nicht den Grad der Integration betrifft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2010/21/0522, mwN). Bei der in der Beschwerde relevierten Unterstützungsbedürftigkeit des chronisch erkrankten Bruders des Beschwerdeführers handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG), so dass hier dahingestellt bleiben kann, ob dadurch der Grad der Integration überhaupt eine Verstärkung erfährt.

Zusammenfassend kann der belangten Behörde damit im Ergebnis nicht entgegengetreten werden, wenn sie das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen "Altfalles" verneinte. Die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers nach § 44 Abs. 4 NAG erweist sich demnach als zutreffend, weshalb die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 13. September 2011

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