VwGH 2011/21/0056

VwGH2011/21/005630.8.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 1. Februar 2011, Zl. UVS-5/14013/4-2011, betreffend Bestrafung nach dem Fremdempolizeigesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art140 Abs1;
B-VG Art140 Abs7;
FrPolG 2005 §120 Abs1 idF 2009/I/122;
FrPolG 2005 §120 Abs4 idF 2009/I/122;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Ausspruches über die verhängte Strafe und die diesbezüglichen Kosten des Strafverfahrens wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde über den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 120 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von EUR 1.000,-- verhängt, weil er sich "zumindest seit 11.12.2009" unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Weiters wurde er zur Zahlung eines Kostenbeitrages in der Höhe von EUR 100,-- für das erstinstanzliche Verfahren und von EUR 200,-- für das Berufungsverfahren verpflichtet.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass weder aus dem vorliegenden Verfahrensakt noch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu erkennen sei, dass dieser eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 FPG für den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet erfülle. Auch der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 43 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG sowie seine Absicht, nach dessen Zurückweisung ein "humanitäres Bleiberecht" gemäß § 44 NAG zu erlangen, begründeten kein Aufenthalts- oder Bleiberecht; in derartigen Fällen sei von der Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes eines Fremden auszugehen. Es liege somit ein tatbildlicher Sachverhalt im Sinne der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Übertretung vor. Ein Strafausschließungsgrund sei auch aus dem Berufungsvorbringen in Bezug auf das Vorliegen verschuldensausschließender Umstände (in Zusammenhang mit den erwähnten Anträgen nach dem NAG) nicht zu erkennen, auch wenn sich aus den einschlägigen Bestimmungen des FPG und des NAG "differente normative Verhaltensmuster auftun".

Hinsichtlich der Strafbemessung sei festzuhalten, dass der von der erstinstanzlichen Behörde ausgesprochene Strafbetrag der Mindeststrafe entspreche und somit auch unter Heranziehung der Strafbemessungskriterien gemäß § 19 VStG in der Straffestsetzung durch die Erstbehörde keine Unangemessenheit bzw. Rechtswidrigkeit erkannt werden könne. Allfälligen strafmildernden Aspekten sei mit dem Ausspruch der Mindeststrafe hinlänglich Rechnung getragen worden. Anhaltspunkte für eine Anwendung der §§ 20 und 21 VStG seien vor allem im Hinblick auf die erhebliche Länge des Tatzeitraums nicht zu erkennen. Es sei aber auch keine Veranlassung zu einer "Bagatellisierung des Beschuldigtenverhaltens" in dem Sinn zu erkennen, dass von einem geringen oder vernachlässigbaren Unrechtsgehalt ausgegangen werden könne. Mit dem unrechtmäßigen Aufenthalt sei vom Beschwerdeführer gegen grundlegende öffentliche Interessen verstoßen worden, sodass seinem Verhalten ein dementsprechend schwerer Unrechtsgehalt beizumessen sei, der einer Anwendung des § 21 VStG entgegenstehe.

 

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

§ 120 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, lautete in der Stammfassung unter der Überschrift "Rechtswidrige Einreise und rechtswidriger Aufenthalt" auszugsweise wie folgt:

"§ 120. (1) Wer als Fremder

  1. 1. nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder
  2. 2. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält,

    begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 2 180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. …

(2) Wer die Tat nach Abs. 1 begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe bis zu 4 360 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.

..."

In der am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Fassung des FrÄG 2009 lautete die Bestimmung auszugsweise wie folgt:

"§ 120. (1) Wer als Fremder

  1. 1. nicht rechtmäßig in das Bundesgebiet einreist oder
  2. 2. sich nicht recht(s)mäßig im Bundesgebiet aufhält,

    begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen. …

(4) Wer eine Tat nach Abs. 1, 2 oder 3 begeht, obwohl er wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, ist mit Geldstrafe von 5 000 Euro bis zu 15 000 Euro oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.

..."

Die Beschwerde, die auf den offenen Antrag nach § 43 Abs. 2 NAG nicht mehr zurückkommt, wendet sich gegen die Bestrafung des Beschwerdeführers im Wesentlichen mit dem Argument, dass er am 25. März 2011 einen Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 44 Abs. 4 NAG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) gestellt habe, und legt näher dar, dass die Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels gegeben seien.

Das ist aber für die gegenständliche Bestrafung schon deswegen irrelevant, weil sie nur den Zeitraum bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses im Oktober 2010 erfasst hat (vgl. zum Tatende bei Dauerdelikten, wenn es diesbezüglich an einer ausdrücklichen Umschreibung im Spruch fehlt, das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 2008, Zlen. 2007/02/0165, 0166, mwN).

Auch sonst sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass der Schuldspruch nicht zu Recht erfolgt ist.

Dennoch liegt eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor.

Mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G 53/10-7 u.a., kundgemacht am 4. April 2011 im BGBl. I Nr. 17/2011, hob der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs. 1 und die Wendung "1," in Abs. 4 des § 120 FPG in der von der belangten Behörde herangezogenen Fassung des FrÄG 2009 als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.

Der Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind, bewirkte eine Erstreckung der Anlassfallwirkung insbesondere auch auf die beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 2003, Zl. 98/08/0390), sodass die Anwendung der als verfassungswidrig festgestellten gesetzlichen Bestimmung auch im vorliegenden Beschwerdefall ausgeschlossen ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 17. Dezember 1979, VwSlg. 9994/A, und darin anschließend etwa das - ebenfalls die Verhängung einer Mindeststrafe betreffende - hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2007, Zl. 2002/03/0105).

Der auf die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Bestimmung gestützte Ausspruch der Mindeststrafe erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 30. August 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte