VwGH 2011/06/0193

VwGH2011/06/019322.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des E D in G, vertreten durch Mag. Michael Löschnig-Tratner, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Neunkirchner Straße 17, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom 3. Oktober 2011, Zl. 020537/2011/0018, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (weitere Partei:

Steiermärkische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: Ö Gesellschaft mbH in G), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauG Stmk 1995 §13;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z3;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §4 Z12;
BauG Stmk 1995 §4 Z28;
BauG Stmk 1995 §43 Abs2 Z5;
BauRallg;
AVG §8;
BauG Stmk 1995 §13;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1 Z3;
BauG Stmk 1995 §26 Abs1;
BauG Stmk 1995 §4 Z12;
BauG Stmk 1995 §4 Z28;
BauG Stmk 1995 §43 Abs2 Z5;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Landeshauptstadt Graz Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 28. Mai 2009 beim Magistrat der Landeshauptstadt Graz eingebrachten, undatierten Baugesuch kam die mitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerberin) um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für den Neubau von sechs Mehrfamilienwohnhäusern mit insgesamt 45 Wohnungen, einer Tiefgarage für 46 Pkw, vier oberirdischen Parkplätzen (für zuletzt 21 Pkw) und verschiedenen Nebengebäuden auf einem lang gestreckten Grundstück in Graz ein, das als reines Wohngebiet gewidmet ist. Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines unmittelbar angrenzenden Grundstückes (die Einfahrts- sowie die Ausfahrtsrampe zur bzw. von der Tiefgarage sind entlang seiner Grundgrenze situiert; die Zufahrt zur Tiefgarage ist über die öffentliche Verkehrsfläche K-Straße vorgesehen, die Abfahrt über die öffentliche Verkehrsfläche I-Gasse, die ihrerseits an das Grundstück des Beschwerdeführers grenzen).

Der Beschwerdeführer sowie weitere Nachbarn erhoben Einwendungen gegen das Vorhaben.

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens (in dem es auch zu einer Projektmodifikation kam) erteilte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz mit dem erstinstanzlichen Bescheid vom 31. März 2011 die angestrebte Baubewilligung mit einer Reihe von Vorschreibungen und erachtete in der Bescheidbegründung die Einwendungen teils als unbegründet und teils als unzulässig.

Dagegen erhoben verschiedene Nachbarn, darunter auch der Beschwerdeführer, Berufung.

Im Zuge des Berufungsverfahrens kam es über Anregung der belangten Behörde zu Projektmodifikationen: Die noch im erstinstanzlichen Verfahren vorgesehene oberirdische Überdachung der Tiefgaragenrampen entfiel, die Seitenwände der Rampen wurden hochschallabsorbierend verkleidet, und in weiterer Folge wurden auch die entlang der Grenze des Grundstückes des Beschwerdeführers vorgesehenen Lärmschutzwände um die Ecke nach Norden über eine Länge von 2,0 m an der K-Straße einerseits sowie an der I-Gasse andererseits (zwischen diesen Verkehrsflächen und dem Grundstück des Beschwerdeführers) verlängert. Zu diesen geänderten Vorhaben wurden ergänzende schallschutztechnische (und immissionstechnische) Stellungnahmen abgegeben. Der Beschwerdeführer äußerte sich ablehnend.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf die im Berufungsverfahren vorgenommenen Projektmodifikationen die Berufungen ua. des Beschwerdeführers teils als unbegründet abgewiesen und teils als unzulässig zurückgewiesen.

Soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich, vertrat die belangte Behörde die Auffassung, der Beschwerdeführer sei mit seinen Einwendungen nicht präkludiert. Er habe sich zu Recht gegen die Situierung der Tiefgaragenrampen, soweit sie ursprünglich vorgesehen gewesen seien, gewendet, weil die Rampen in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung als selbständige Gebäude zu beurteilen gewesen seien. Dies sei nun nach der vorgenommenen Projektmodifikation nicht mehr der Fall. Mangels Überdachung handle es sich nicht mehr um Gebäude, weshalb die Abstandsvorschriften nicht zur Anwendung kämen (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 22. April 1999, Zl. 97/06/0220, zum Folgeerkenntnis vom 26. April 2002, Zl. 2000/06/0006, und vom 20. April 2004, Zl. 2003/06/0099, jeweils zu Rampen von Tiefgaragen). Eine Verletzung von Abstandsvorschriften sei demnach nicht mehr gegeben.

§ 26 Abs. 1 Z 1 Stmk. BauG iVm den raumordnungsrechtlichen Vorschriften sehe für Wohnbauten im reinen Wohngebiet keinen Immissionsschutz vor. Dies treffe jedoch nur insoweit zu, als die von einem Wohnhaus im Wohngebiet typischerweise ausgehenden Immissionen von Nachbarn hinzunehmen seien. Besondere Umstände im Einzelfall bedingten eine andere Betrachtungsweise. Projektgemäß seien um etwa 1 1/2 Mal mehr Kfz-Abstellplätze vorgesehen als Pflichtstellplätze erforderlich wären. Auch sei die Zu- und Ausfahrtsituation komplex, wie das ergänzende Ermittlungsverfahren ergeben habe. Daher könne diesbezüglich nicht mehr von einer mit einer Wohnnutzung typischerweise einhergehenden Immissionsbelastung gesprochen werden. Dabei sei auch zu beachten, dass es auf dem Grundstück des Beschwerdeführers (und auch auf weiteren Grundstücken) Bereiche gebe (im Verfahren als "Zwickelbereiche" bezeichnet), die einer Immissionsbelastung ausgesetzt seien, die noch durch Fahrbewegungen auf dem Bauplatz verursacht werde. In einem solchen Fall (wenn nämlich Lärm auf dem Bauplatz erzeugt werde) könnten Nachbarrechte auch dann berührt bzw. verletzt werden, wenn sich zwischen dem Bauplatz und dem Nachbargrundstück eine öffentliche Verkehrsfläche befinde (wurde näher ausgeführt). Hinsichtlich des Grundstückes des Beschwerdeführers seien in solchen "Zwickelbereichen" relevante Lärmzunahmen errechnet worden, die auch zum Teil erstmals das Widmungsmaß überstiegen. Dem habe entscheidend durch die von der Bauwerberin vorgenommene Projektmodifikation begegnet werden können, wodurch die Lärmschutzwände nach Norden verlängert worden seien, sodass nunmehr in diesen "Zwickelbereichen" keine Veränderung zur Ist-Situation eintrete. In der Stellungnahme des Dr. T. vom 24. August 2011 sei an zwei näher bezeichneten Immissionspunkten beim Grundstück des Beschwerdeführers ein Prognosemaß von 34 dB errechnet worden, das wesentlich geringer sei als vor der Projektänderung. Damit (gemeint: mit der vorgenommenen Projektänderung) könne der Planungsrichtwert (das sei das Widmungsmaß, wenn dieses nicht überschritten werde, bzw. das Ist-Maß, wenn dieses bereits das Widmungsmaß überschreite) eingehalten werden. Auch an den Enden der Schallschutzwände werde der Planungsrichtwert zur Nachtzeit von 40 dB nicht überschritten.

Die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 28. Juli 2011 genannten Lärmwerte (Steigerung um bis zu 10 dB) könnten nur dahin verstanden werden, dass die in der Stellungnahme von Dr. T. vom 14. Juni 2011 angeführten Ergebnisse für den Immissionspunkt zwischen den Rampen (an der Grundgrenze zum Beschwerdeführer) in Relation zu jenen Ergebnissen an diesem Immissionspunkt vor der Projektänderung (Entfall der Rampenüberdachung) gesetzt worden seien. Allerdings handle es sich in der Stellungnahme vom 14. Juni 2011 um das Prognosemaß. Vor der Projektänderung sei an dieser Stelle ein Prognosemaß von Tag/Nacht von 29/27 dB errechnet worden, das durch den Entfall der "Rampen" (gemeint Überdachung der Rampen) auf Tag/Nacht bei 38/35 dB angestiegen sei. Daraus ergebe sich nicht, dass sich das Summenmaß relevant im Sinne der Ausführungen des Beschwerdeführers bzw. im Verhältnis zum Ist-Maß ändere, im Gegenteil, dies bleibe unverändert bei Tag/Nacht 45/38 dB und somit weiterhin unter dem Widmungsmaß.

Die weitere Behauptung in dieser Stellungnahme, dass die Immissionsberechnungen bezüglich der Projektänderungen nicht nachvollziehbar seien, sei nicht zutreffend. Es sei offensichtlich, dass die ergänzenden Berechnungen auf Grundlage der Befunde bzw. Rechenmodelle der erstinstanzlichen Gutachten durchgeführt worden seien. Diese müssten in den ergänzenden Stellungnahmen im Berufungsverfahren nicht im gesamten Umfang wiederholt werden, damit die Ergebnisse als nachvollziehbar qualifiziert werden könnten.

Schlüssig sei auch in der Stellungnahme vom 14. Juni 2011 dargelegt worden, dass aus lufthygienischer Sicht die zu erwartende Zusatzbelastung in der Nachbarschaft unverändert deutlich unter den Irrelevanzgrenzen entsprechend dem Schwellenwertkonzept bleibe. Im Anschluss an die Rampen verlaufe der Verkehr entlang der verlängerten Lärmschutzwände und sodann ausschließlich auf den öffentlichen Verkehrsflächen; dort erzeugte Immissionen könnten dem Bauvorhaben nicht mehr zum Nachteil gereichen, weil dem Nachbarn im Bauverfahren kein Mitspracherecht dahingehend zukomme, dass sich der Verkehr auf öffentlichen Straßen nicht ändere, dies auch aus dem Gesichtspunkt von Lärm- oder Abgasbelästigungen (Hinweis auf hg. Judikatur).

Soweit der Beschwerdeführer Verfahrensmängel im erstinstanzlichen Verfahren behaupte, sei ihm entgegenzuhalten, dass er mit seinen Einwendungen nicht präkludiert sei, er habe Gelegenheit gehabt, seinen Standpunkt darzulegen, sodass allfällige Mängel nicht relevant seien (wurde näher ausgeführt).

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Steiermärkische Baugesetz 1995, LGBl. Nr. 59 (Stmk. BauG), in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 49/2010 anzuwenden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, uva.). Das gilt weiterhin auch für den Nachbarn, der i.S. des § 27 Stmk. BauG die Parteistellung behalten hat.

Gemäß § 26 Abs. 1 Stmk. BauG kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlich-rechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

"1. die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

  1. 2. die Abstände (§ 13);
  2. 3. den Schallschutz (§ 43 Abs. 2 Z. 5);
  3. 4. die Brandwände an der Grundgrenze (§ 51 Abs. 1);
  4. 5. die Vermeidung einer Brandgefahr, einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung (§ 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 und § 65 Abs. 1);

    6. die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6)."

    § 4 Z. 12 Stmk. BauG definiert den Begriff "bauliche Anlage"

    wie folgt:

    "12. Bauliche Anlage (Bauwerk): Jede Anlage,

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