VwGH 2011/01/0129

VwGH2011/01/012921.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel sowie Hofrat Dr. Blaschek und Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde des MSM in W, geboren 1983, vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Bräuhausgasse 63/7- 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. September 2007, Zl. 310.915-1/2E-XI/33/07, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §17 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
AVG §52;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §17 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
AVG §46;
AVG §52;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, beantragte am 27. Dezember 2004 Asyl.

In seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 4. Jänner 2005 und am 5. Oktober 2005 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er Mitglied der Awami League (AL) und seit 1. Jänner 2004 deren Obmann in seinem Heimatdorf gewesen sei. Er sei mehrmals von Mitgliedern der Bangladesh Nationalist Party (BNP) mit dem Umbringen bedroht worden. Am 3. April 2004 sei er von Mitgliedern der BNP fälschlicherweise wegen illegalen Waffenbesitzes bei der Polizei angezeigt worden, am 3. Mai 2004 bzw. 2005 sei ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden. Er werde von der Polizei und von einer Sondereinheit der Sicherheitsbehörde namens RAB gesucht. Diese Sondereinheit sei sehr brutal und bringe willkürlich Leute um; sie seien öfters bei seinem Elternhaus gewesen und hätten dieses durchsucht. Für den Fall seiner Rückkehr befürchte er, von Mitgliedern der BNP oder von Beamten der RAB getötet zu werden.

In der Folge ersuchte das Bundesasylamt mit Schreiben vom 7. September 2006 einen länderkundlichen Sachverständigen, zu ermitteln, ob gegen den Beschwerdeführer tatsächlich ein Haftbefehl erlassen worden und eine Strafanzeige gegen ihn anhängig sei. Mit Schreiben vom 23. Jänner 2007 übermittelte der Sachverständige dem Bundesasylamt den Ermittlungsbericht eines Rechtsanwaltes aus Bangladesch, der darin das Ergebnis seiner vor Ort durchgeführten Recherchen darlegte.

In der darauf folgenden Einvernahme des Beschwerdeführers am 26. Februar 2007 teilte der Organwalter des Bundesasylamtes diesem mit, dass ein Vertrauensanwalt in seinem Heimatland Erkundigungen eingeholt und keinerlei Hinweise darauf gefunden habe, dass er in Bangladesch behördlich verfolgt worden wäre; weder läge eine Anzeige gegen ihn vor noch sei sein Fall vor dem Gericht aktenkundig. Der Beschwerdeführer gab an, dass er dazu nichts sagen könne; er habe keinen Kontakt zu seinem Heimatland.

Mit Bescheid vom 13. März 2007 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus. In der Begründung beurteilte das Bundesasylamt das Fluchtvorbringen als unglaubwürdig, weil der Beschwerdeführer keine Beweismittel vorgelegt habe, obwohl ein politischer Funktionär in der Lage sein sollte, auch aus dem Ausland Kontakte zu seiner Partei herzustellen und von sich aus Nachweise zu erbringen. Unter diesem Aspekt seien die schablonenhaften und stereotypen Ausführungen des Beschwerdeführers wenig geeignet gewesen, die Behörde vom Bestehen einer Gefahr für Leib und Leben zu überzeugen. Es sei daher ein Gutachter mit der Vornahme von Recherchen im Heimatland des Beschwerdeführers beauftragt worden. Das Ergebnis der Recherche habe keinen Zweifel offen gelassen, dass wesentliche Eckpfeiler des Vorbringens, nämlich die Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes und ein daraus resultierender Haftbefehl, offensichtlich nicht den Tatsachen entsprächen. Der Beschwerdeführer habe auch keine Erklärung dafür anbieten können. Dem Refoulement des Beschwerdeführers nach Bangladesch würden keine von Amts wegen wahrzunehmenden stichhaltigen Gründe entgegen stehen; der Beschwerdeführer selbst habe im Übrigen weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen außergewöhnlichen Umstand behauptet, der ein Abschiebungshindernis darstellen könnte. Die Ausweisung des Beschwerdeführers sei zulässig, weil dieser keinen Familienbezug in Österreich habe und der Eingriff ins Privatleben nach Abwägung der berührten Interessen gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen und bemängelte, dass ihm "kein 'schriftlicher' Bericht vom Gutachter vorgelegt" worden sei, "der die Art und Weise bestätigen würde, wann, wie und wo der Gutachter angeblich mit Behörden in Bangladesch Kontakt aufgenommen hatte bzw. wie er zu seinen Feststellungen gekommen ist". Aus diesem Grund sei der ihm von der Behörde vorgetragene Bericht zu einseitig und unzureichend, ihm seine Verfolgungsgründe abzusprechen. Die Behörden in seinem Heimatstaat seien korrupt und nicht parteiunabhängig; derzeit sei die BNP an der Macht. Weiters zitierte der Beschwerdeführer aus einem Bericht von Amnesty International über die Situation in Bangladesch im Jahr 2005.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG dorthin aus. Die belangte Behörde schloss sich den im angefochtenen Bescheid wörtlich wiedergegebenen Feststellungen und den beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesasylamtes an und hielt zum Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers fest, dass ihm der Inhalt des Berichtes vom Bundesasylamt vorgehalten worden sei und er nichts zu entgegnen gewusst habe. Anlässlich dieses Vorhalts hätte der Beschwerdeführer den im Verwaltungsakt aufliegenden Bericht zur Einsicht verlangen können. Darüber hinaus habe er in der Berufung nicht dartun können, was er bei Vorlage des Berichtes entgegnet hätte. Die in der Berufung angeführten Zitate aus dem Bericht von Amnesty International seien nicht in konkretem Bezug zum Beschwerdeführer gesetzt worden.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens abgesprochen werde, weshalb es ihm nicht gelungen sei, Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft zu machen. Deshalb sei eine Asylgewährung ausgeschlossen und die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nach Bangladesch zulässig. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Eingriff in sein Privat- oder Familienleben geltend gemacht, weshalb die Ausweisung zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele geboten sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde rügt die nicht erfolgte Vorlage bzw. Übermittlung des vollständigen Berichts des Vertrauensanwaltes an den Beschwerdeführer, bestreitet die Richtigkeit der vorgenommenen Erhebungen und legt zum Beweis der Existenz einer Anzeige und eines Haftbefehls gegen den Beschwerdeführer verschiedene Dokumente aus dessen Heimat vor.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde wesentliche Verfahrensmängel auf.

Die belangte Behörde hat die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers vorwiegend damit begründet, dass nach dem Ergebnis der Recherche eines beauftragten Gutachters, das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Anzeige wegen illegalen Waffenbesitzes und zum darauf basierenden Haftbefehl gegen ihn, nicht den Tatsachen entspreche.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 99/20/0578, mwN) stellt die Stellungnahme eines Vertrauensanwaltes einer österreichischen Botschaft im Heimatland des Asylwerbers keinen Beweis durch Sachverständige im Sinn des § 52 AVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung dar. Es handelt sich um ein Beweismittel eigener Art, das auf Grund der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf asylrechtlich relevante Sachverhalte im Heimatland des Asylwerbers im Sinne des § 46 AVG geeignet und zweckdienlich sein kann, bei dessen Würdigung aber stets zu berücksichtigen ist, dass sich die Qualifikation und die Vorgangsweise des Vertrauensanwaltes einer Kontrolle weitgehend entziehen und er im Gegensatz zu einem Sachverständigen im Sinne des § 52 AVG auch nicht persönlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Eine Beweiswürdigung, die hierauf nicht Bedacht nimmt, ist fehlerhaft.

Das ist hier der Fall, weil die belangte Behörde nicht berücksichtigt hat, dass die Erhebungen im Heimatstaat des Beschwerdeführers nicht von dem vom Bundesasylamt beauftragten landeskundlichen Sachverständigen selbst, sondern von einem dort ansässigen Anwalt, der vom Sachverständigen damit beauftragt wurde, durchgeführt wurden. Dem Schreiben des Sachverständigen kann auch nicht entnommen werden, dass dieser eine Würdigung des vom beauftragten Anwalt erzielten Ergebnisses vorgenommen hätte.

Darüber hinaus hatte der Beschwerdeführer bereits in seiner Berufung zu Recht gerügt, dass ihm der Ermittlungsbericht anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt nicht zur Kenntnis gebracht worden sei. Auch die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, in welchem dem Beschwerdeführer weder der genaue Inhalt dieses Ermittlungsberichtes noch die Identität des Sachverständigen oder des ermittelnden Anwalts zur Kenntnis gebracht wurden, reichte nicht aus, um den Beschwerdeführer in die Lage zu versetzen, dazu entsprechend Stellung zu nehmen. Dem Beschwerdeführer kann auch nicht entgegen gehalten werden, wie die belangte Behörde vermeint, er hätte im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesasylamt die Möglichkeit gehabt, Einsicht in den Bericht zu verlangen, weil - unabhängig von dem von der belangten Behörde dabei unberücksichtigt gelassenen Umstand, dass auf dem Ermittlungsbericht der Vermerk "Ausgenommen von Akteneinsicht" angebracht ist - die Nichtgebrauchnahme vom Recht auf Akteneinsicht die Verletzung des Parteiengehörs, welches von Amts wegen zu gewähren ist, nicht heilen kann. Nur die ausdrückliche Aufforderung zur Akteneinsicht zum Zweck der Kenntnisnahme von Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens hätte die Mitteilung dieser Ergebnisse ersetzen können (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 23. Dezember 1999, Zl. 99/06/0066, und vom 28. Mai 1997, Zl. 95/12/0050, jeweils mwN).

Der im Übrigen in der Beweiswürdigung angeführte Umstand, der Beschwerdeführer habe keine Beweismittel für sein Vorbringen vorgelegt, sowie die nicht näher begründete Behauptung, er habe lediglich schablonenhafte und stereotype Ausführungen getätigt, vermögen den von der belangten Behörde gezogenen Schluss, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig, nicht zu tragen. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften ein anderes Verfahrensergebnis möglich gewesen wäre, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die begehrte Umsatzsteuer im zuerkannten Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 21. April 2011

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