VwGH 2010/03/0191

VwGH2010/03/019118.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der C B.V. in den Niederlanden, vertreten durch Waitz - Obermühlner Rechtsanwälte OG in 4020 Linz, Museumstraße 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 11. August 2010, Zl Senat-BN-08-0002, betreffend Verfall einer Sicherheitsleistung in einem Verfahren wegen Übertretung des GGBG (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
Auswertung in Arbeit!

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

A) Zum angefochtenen Bescheid

Mit dem Bescheid wurde im Instanzenzug die am 20. Juni 2007 gegen 0:20 Uhr von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung nach §§ 7 Abs 1, Abs 2, 13 Abs 1a Z 3 iVm § 27 Abs 3 Z 5 des Gefahrgutbeförderungsgesetzes, BGBl I Nr 145/1998, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 63/2007 (GGBG), beim Lenker einer Beförderungseinheit als Vertreter des Beförderers - der beschwerdeführenden Partei - vorläufig eingehobene Sicherheitsleistung von EUR 300,-- gemäß § 37a Abs 5 iVm § 37 Abs 5 VStG für verfallen erklärt.

Begründend wurde (nach Wiedergabe einschlägiger Rechtsvorschriften) im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe ihren Sitz in den Niederlanden, was jedenfalls die erhebliche Erschwerung der Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens und vor allen Dingen die Unmöglichkeit des Strafvollzugs bedeute, weil zwischen der Republik Österreich und den Niederlanden zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides kein Vertrag über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungsstrafsachen bestanden habe. Zum Zeitpunkt der Kontrolle habe der Verdacht auf die in Rede stehende Übertretung nach dem GGBG bestanden, weshalb die Einhebung der vorläufigen Sicherheit zu Recht erfolgt sei.

Dem Hinweis der Beschwerdeführerin, dass die Durchführung eines Verwaltungsstrafverfahrens infolge einer bestehenden Zustellanschrift möglich sei, müsse entgegnet werden, dass ein Verwaltungsstrafverfahren nur gegen eine natürliche Person gerichtet werden könne und schon die Ermittlung des Verantwortlichen ohne Mitwirkung der Beschwerdeführerin unmöglich sei. Auch das Argument, durch den Sicherheitserlag sei gewährleistet, dass eine allfällig ausgesprochene Strafe vollzogen werden könne, gehe fehl, weil die vorläufige Sicherheit frei werde, wenn sie nicht binnen sechs Monaten für verfallen erklärt werde und es praktisch unmöglich sei, ein Verwaltungsstrafverfahren innerhalb von sechs Monaten rechtskräftig abzuschließen. Auf Grund der Unmöglichkeit der Strafverfolgung und des Strafvollzugs sei auch die Voraussetzung für den Verfall der vorläufigen Sicherheit gegeben. B) Zum Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

C) Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 37a Abs 1 VStG kann die Behörde besonders geschulte Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigen, nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen eine vorläufige Sicherheit bis zum Betrag von EUR 180,-- festzusetzen und einzuheben. Besondere Ermächtigungen in anderen Verwaltungsvorschriften bleiben unberührt.

Gemäß § 37a Abs 2 VStG kann sich die Ermächtigung darauf beziehen, dass das Organ von Personen, die auf frischer Tat betreten werden und bei denen eine Strafverfolgung oder der Strafvollzug offenbar unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird, die vorläufige Sicherheit einhebt (Z 2).

Gemäß § 37a Abs 5 VStG wird die vorläufige Sicherheit frei, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den Beschuldigten verhängte Strafe vollzogen ist oder wenn nicht binnen sechs Monaten gemäß § 37 Abs 5 VStG der Verfall ausgesprochen wird.

Gemäß § 37 Abs 5 VStG kann die Sicherheit für verfallen erklärt werden, sobald sich die Strafverfolgung des Beschuldigten oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist.

Gemäß § 27 Abs 4 GGBG kann als vorläufige Sicherheit im Sinne des § 37a VStG bei Verdacht einer Übertretung gemäß § 27 Abs 2 GGBG oder gemäß § 27 Abs 3 lit a GGBG ein Betrag bis EUR 7.500,--, bei Verdacht einer Übertretung gemäß § 27 Abs 3 lit b GGBG ein Betrag bis EUR 2.500,-- festgesetzt werden. Der Lenker der Beförderungseinheit gilt als Vertreter des Beförderers, falls nicht dieser selbst oder ein von ihm bestellter Vertreter bei den Amtshandlungen anwesend ist.

2. Die belangte Behörde hat (wie dargestellt) die Ansicht vertreten, dass schon das Fehlen eines entsprechenden Amts- und Rechtshilfeabkommens vor allem die Unmöglichkeit des Strafvollzugs, aber auch die Unmöglichkeit der Strafverfolgung belege und damit den Ausspruch des Verfalls rechtfertige.

3.1. Nach der hg Rechtsprechung darf aber unter Berufung auf die Unmöglichkeit des Strafvollzugs der Verfall erst dann ausgesprochen werden, wenn tatsächlich schon eine Strafe rechtskräftig verhängt worden ist (vgl die hg Erkenntnisse vom 17. April 2009, Zl 2007/03/0174, und Zl 2006/03/0147, sowie das hg Erkenntnis vom 23. November 2009, Zl 2009/03/0052).

Da es im vorliegenden Fall nach den insoweit unstrittigen Feststellungen der belangten Behörde bislang nicht zur rechtskräftigen Verhängung einer Strafe wegen der in Rede stehenden Übertretung gekommen ist, kann der bekämpfte Bescheid rechtens nicht darauf gestützt werden, dass sich der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist (§ 37 Abs 5 erster Satz, zweiter Halbsatz, zweiter Fall VStG).

3.2. Ungeachtet dessen ist zur Frage der Unmöglichkeit des Vollzugs einer Verwaltungsstrafe im vorliegenden Fall auf den Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen, ABl L 76 vom 22. März 2005, S 16 (geändert durch Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009, ABl L 81 vom 27. März 2009, S 24) hinzuweisen.

Zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses betreffend die von Verwaltungsbehörden verhängten Geldstrafen und Geldbußen wurde das EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetz - EU-VStVG, BGBl I Nr 3/2008, erlassen. Das EU-VStVG betrifft sowohl die Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten in Österreich (2. Abschnitt des EU-VStVG) als auch die Vollstreckung von österreichischen Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (3. Abschnitt dieses Gesetzes). Auf das EU-VStVG wurde auch schon in der Literatur wiederholt eingegangen (vgl die Kommentierung dieses Gesetzes von B. Raschauer/Köhler in:

N. Raschauer/Wessely (Hrsg.), Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz, 2010, 963 ff, sowie die dort genannte Literatur).

Diesem Bundesgesetz hat die belangte Behörde aber keine Beachtung geschenkt. Sie hat sich daher auch nicht damit auseinander gesetzt, ob der besagte Rahmenbeschluss auch im Verhältnis zu dem in Rede stehenden Sitzstaat - den Niederlanden - zur Anwendung gelangt. Nach dem im genannten Kommentar verwiesenen diesbezüglichen Rundschreiben des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienstes vom 6. November 2008 (vgl K. Stöger, § 37a VStG, in: N. Raschauer/Wessely (Hrsg.), Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz, 2010, S 535 f) hatten die Niederlande damals den Rahmenbeschluss in nationales Recht umgesetzt.

In einem Fall wie dem vorliegenden wären von der belangten Behörde - die nach § 66 Abs 4 AVG zu entscheiden hatte - auch die dort genannten Rechtsnormen zu beachten gewesen.

4. Nach der hg Judikatur ergibt sich ferner allein aus dem Fehlen eines entsprechenden Amts- und Rechtshilfeübereinkommens mit dem Sitzstaat der Beschwerdeführerin (hier: die Niederlande) noch nicht zwingend die Unmöglichkeit einer Strafverfolgung iSd § 37 Abs 5, erster Satz, zweiter Halbsatz, erster Fall VStG (vgl die hg Erkenntnisse vom 17. April 2009, Zl 2006/03/0129, und Zl 2007/03/0167, sowie das schon genannte hg Erkenntnis 2009/03/0052).

Diesbezüglich ist vorliegend aber ohnehin auf das Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, BGBl III Nr 65/2005, hinzuweisen. Nach der Kundmachung im Bundesgesetzblatt ist dieses Übereinkommen für Österreich mit 3. Juli 2005 in Kraft getreten, weiters steht es in den Niederlanden in Geltung. Der wesentliche Inhalt dieses Übereinkommens betrifft die Rechtshilfe auch in Verfahren wegen Verwaltungsdelikten (vgl näher RV 696 Blg NR sowie Art 3 des Übereinkommens). Das Übereinkommen erlaubt ua die Übersendung und Zustellung von Verfahrensurkunden (Art 5) oder die Übermittlung von Rechtshilfeersuchen (Art 6).

Die belangte Behörde hat diesem Übereinkommen keine Beachtung geschenkt und sich daher auch nicht damit auseinander gesetzt, dass die Anwendung dieses Übereinkommens im vorliegenden Fall zwar versucht wurde, aber praktisch gescheitert ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung der belangten Behörde, dass sich im vorliegenden Fall die Durchführung eines Strafverfahrens praktisch als unmöglich erwiesen habe, als verfehlt.

5. Aus dem Gesagten folgt, dass der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil im pauschalierten Ersatzbetrag für den Schriftsatzaufwand Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

Wien, am 18. Mai 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte