Normen
HVG §1 Abs1 idF 2002/I/150;
HVG §1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
VwGG §42 Abs2 Z1;
HVG §1 Abs1 idF 2002/I/150;
HVG §1 idF 2002/I/150;
HVG §2 Abs1 idF 1993/110;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1981 geborene Beschwerdeführer leistete in der Zeit vom 31. März 2003 bis zum 24. April 2003 Grundwehrdienst beim Österreichischen Bundesheer. In der Nacht vom 23. bis zum 24. April 2003 hat in der Unterkunft ein Rekrut dem Beschwerdeführer dreimal ins Gesicht geschlagen. Dadurch erlitt der Beschwerdeführer schwere Verletzungen, nämlich eine Fraktur des Jochbogens und der Augenhöhle rechts, einer peripheren Facialisparese mit Lähmung des Lidschlusses, der Innovation der mimischen Muskulatur im Mittelgesicht und des rechten Mundwinkels, einer posttraumatischen Belastungsreaktion mit Schlafstörungen sowie wiederholten Angstzuständen. Der Beschwerdeführer hatte den Zimmerkameraden, welcher ihm diese Verletzungen zugefügt hatte, provoziert und beschimpft und die Zufügung dieser schweren Verletzungen war als Reaktion auf das unleidige Verhalten und provokative Beschimpfungen durch den Beschwerdeführer erfolgt. Am 26. August 2008 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Anerkennung dieser Gesundheitsschädigungen als Dienstbeschädigung und Versorgung nach dem Heeresversorgungsgesetz (HVG).
Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 10. April 2009 wurden die geltend gemachten Gesundheitsschädigungen gemäß §§ 1 und 2 HVG nicht als Dienstbeschädigungen anerkannt und der Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gemäß § 4 Abs. 1 HVG abgelehnt. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Gesundheitsschädigung nicht auf die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen sei, sondern lediglich ein zeitlicher Zusammenhang mit dem Grundwehrdienst vorliege.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er ausführte, dass er die geltend gemachten Verletzungen in Ausübung seines Dienstes durch Fremdeinwirkung nach dem Befehl "Bettruhe" erlitten habe und dass ihm diese Verletzungen ursächlich zugefügt worden seien. Die erlittenen Verletzungen seien mit Wahrscheinlichkeit auf die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen, da die Gesundheitsschädigungen nicht erlitten worden wären, wenn der Beschwerdeführer nicht im Grundwehrdienst gestanden hätte. Es obliege dem zuständigen Zimmerkommandanten, für Ordnung zu sorgen und derartige Fälle zu unterbinden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 9. September 2009 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 HVG abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt. Begründet wurde dies nach Darstellung des Verfahrensganges und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen damit, dass nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in der Heeresversorgung die Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingungen gelte. Danach sei nicht jede an dem Zustandekommen einer Wirkung beteiligte Bedingung als Ursache zu werten. Unter den beteiligten Bedingungen könnten vielmehr nur diejenigen als wirkende Glieder in die Kausalkette eingereiht werden, die zur Entstehung der Wirkung wesentlich beigetragen hätten. Wie für die Kausalitätsbeurteilung eines Arbeitsunfalls die Betriebsgefahr seien für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges in der Heeresversorgung die Gefahren von Bedeutung, die aus den dem Präsenzdienst eigentümlichen Verhältnissen resultierten. In der gesetzlichen Unfallversicherung bestehe kein Anspruch, wenn der Arbeitnehmer lediglich durch eine während der Arbeitszeit unternommene mutwillige Betätigung zu Schaden gekommen, jedoch keiner Betriebsgefahr erlegen sei. Wohl erstrecke sich der Schutz der Unfallversicherung auch auf Gefahren, die das Zusammenarbeiten mehrerer Versicherten an der Betriebsstätte mit sich bringen könne; der eine äußere Umstand, dass die Verletzung des Versicherten an der Arbeitsstätte und durch Arbeitskollegen zugefügt worden sei, mache den Unfall noch nicht zu einem Arbeitsunfall. Gleiche Grundsätze gälten auch in der Heeresversorgung. Das Beweisverfahren habe ergeben, dass der erlittenen Gesundheitsschädigung ein Raufhandel in einem dienstfreien Zeitraum auf Grund eines freien Willensaktes vorangegangen sei. Da somit der Eintritt der Gesundheitsschädigung als Folge eines Raufhandels zu qualifizieren sei, sei der ursächliche Zusammenhang mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen gelöst. Der Umstand, dass die Verletzung während der Ableistung des Präsenzdienstes in der militärischen Unterkunft erfolgt sei, reiche für die Annahme des ursächlichen Zusammenhanges nicht aus. Es handle sich um eine rein private Auseinandersetzung, die mit den Gefahren, die dem Militärdienst eigentümlich seien, nichts gemeinsam hätten. Da die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse weder Ursache noch wesentliche Bedingung für den Eintritt des Erfolges bildeten, sei ein Anspruch auf Beschädigtenversorgung nicht gegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Nach § 1 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG), BGBl. Nr. 27/1964 in der Fassung BGBl. I Nr. 150/2002, ist eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes, einschließlich einer beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat, erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung zu entschädigen.
Nach § 2 Abs. 1 leg. cit., in der Fassung BGBl. 110/1993, ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist. Wenn dem schädigenden Ereignis oder den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnissen nur ein ursächlicher Anteil an einer Gesundheitsschädigung zugemessen werden kann, die mit Hilflosigkeit oder Blindheit (§§ 27, 28 HVG) verbunden ist, ist der die Hilflosigkeit oder Blindheit verursachende Leidenszustand zur Gänze als Dienstbeschädigung im Sinne des § 1 HVG anzuerkennen.
Hat der Beschädigte die Gesundheitsschädigung vorsätzlich herbeigeführt oder durch eine gerichtlich strafbare, mit Vorsatz begangene und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte Handlung veranlasst, derentwegen er mit rechtskräftigem Strafurteil schuldig erkannt worden ist, so ist gemäß § 3 Abs. 1 HVG keine Dienstbeschädigung anzuerkennen. Dies gilt jedoch nicht für einen Selbstmord, der mit der Dienstleistung im ursächlichen Zusammenhang (§ 2) steht. Ein Anspruch auf Anerkennung einer Dienstbeschädigung ist ferner dann nicht gegeben, wenn die Gesundheitsschädigung wesentliche Folge einer durch den Missbrauch von Alkohol oder Suchtgiften bewirkten Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit des Beschädigten ist. Das Erfordernis eines rechtskräftigen Strafurteiles entfällt gemäß Abs. 2 leg. cit., wenn ein solches wegen des Todes, der Abwesenheit oder eines anderen in der betreffenden Person liegenden Grundes nicht gefällt werden kann.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes macht das HVG die Gewährung von Versorgungsleistungen für Gesundheitsschädigungen davon abhängig, dass das schädigende Ereignis oder die mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse mit der Gesundheitsschädigung in ursächlichem Zusammenhang (Kausalzusammenhang) stehen. Die Zurechnung eines schädigenden Ereignisses oder der mit den der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse hat (auch im Bereich der Heeresversorgung) nach der so genannten Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung zu erfolgen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. April 2004, Zl. 2001/09/0007).
Auch in Fällen, in denen die Gesundheitsschädigung unbestritten "im Dienst" erlitten wurde, muss regelmäßig zusätzlich zum Vorliegen des zeitlichen und örtlichen Zusammenhanges ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Präsenzdienstleistung bestehen (siehe das bereits genannte hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2009, und zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2008/09/0173).
Dieser ursächliche Zusammenhang wurde etwa im Falle einer vom Präsenzdiener gesetzten, für die Gesundheitsschädigung ursächlichen rechtswidrigen Handlung (tätlicher Angriff gegenüber einem Dienstvorgesetzten, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1967, Zl. 1246/66), im Falle der bloßen Einnahme einer im Speiseraum des Militärkommandos servierten Mahlzeit (Linsengericht, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. November 1986, Zl. 85/09/0208), im Falle eines nicht mehr als Wegunfall zu qualifizierenden Sturzes über eine unbeleuchtete Kellerstiege auf dem Heimweg in die Kaserne (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Dezember 1988, 88/09/0112), sowie im Falle einer für die Militärbehörden völlig unerwarteten somnambulen Attacke (Fenstersturz eines Schlafwandlers, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. Juli 1993, Zl. 93/09/0088) verneint. Im zuletzt angeführten Fall hat der Verwaltungsgerichtshof allerdings hervorgehoben, dass sich kein Anhaltspunkt dafür ergeben habe, dass der militärischen Dienststelle zum Unfallszeitpunkt der Somnambulismus des Beschwerdeführers überhaupt bekannt gewesen wäre, und somit für die Militärbehörden auch keine Veranlassung zur Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen gegen somnabule Attacken bestanden habe. Hinsichtlich einer Verletzung, die ein Präsenzdiener durch das unbeabsichtigte Lösen eines Schusses aus dem Dienstgewehr eines Kameraden erlitt, als sie vom befohlenen Streifenweg abgewichen und zum Einkauf und zur Konsumation von Alkohol in einen Privathaushalt eingekehrt waren, wurde ebenfalls ein ausreichender ursächlicher Zusammenhang verneint (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 94/09/0117).
Auch eine Gesundheitsschädigung, die bei einem Verkehrsunfall in der dienstfreien Zeit im Rahmen eines außerordentlichen Präsenzdienstes während eines Auslandseinsatzes erlitten wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 2002, Zl. 2001/09/0057), sowie der Sturz aus einem Schlafraum der militärischen Unterkunft infolge Hinausklettern aus dem Fenster, der jedoch nicht auf die besonderen örtlichen Verhältnisse zurückzuführen war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2004, Zl. 2001/09/0007), sowie der Sturz eines Präsenzdieners durch eine Plexiglasüberdachung, welche er überklettern hatte wollen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 2009, Zl. 2008/09/0222), wurden vom Verwaltungsgerichtshof als Gesundheitsschädigungen gewertet, bei welchen kein ausreichend kausaler Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der Präsenzdienstleistung bestand.
Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof etwa das Vorliegen eines kausalen Zusammenhanges im dargestellten Sinne im Fall einer Verletzung durch den Sprung eines Präsenzdieners in ein Schwimmbad in der dienstfreien Zeit bejaht, in dem sich aufzuhalten dem Soldaten anempfohlen worden war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1994, Zl. 93/09/0403), in einem Fall, in welchem ein Soldat als Zimmerkommandant einige leere Cola-Flaschen von der Unterkunft in die Kantine des Soldatenheimes tragen wollte und dabei über einen erhöhten Kanaldeckel stolperte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 1997, Zl. 94/09/0231), in welchem ein Präsenzdiener eine Gesundheitsschädigung erlitt, als er an einer erweiterten Körperausbildung teilnahm, obzwar er sich zuvor im Verlauf eines privaten Fußballspiels eine Prellung der Lendenwirbelsäule zugezogen hatte und die Teilnahme an der erweiterten Körperausbildung dienstlich geboten war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. März 2000, Zl. 97/09/0368). Einen derartig ausreichenden kausalen Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof letztlich auch in einem Fall bejaht, in welchem ein Präsenzdiener auf dem Weg vom Streifendienst zur Unterkunft von einem Zug erfasst wurde, ungeachtet des Umstandes, dass er den vorgeschriebenen Weg nicht genau eingehalten hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2008/09/0173).
Die Gefahr, in der militärischen Unterkunft während des Präsenzdienstes in der Nacht durch den Übergriff eines Kameraden bei einem Raufhandel verletzt zu werden, war im vorliegenden Fall daher ohne Zweifel auf Grund des inneren Zusammenhanges mit dem Präsenzdienst als dessen Folge zu werten. Die Gesundheitsschädigung ist "infolge des Präsenzdienstes" iSd § 1 HVG eingetreten (vgl. zur ähnlichen Rechtslage des § 175 ASVG das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 28. Jänner 2009, 1 Ob 259/089).
Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid sohin in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 15. Dezember 2011
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