VwGH 2008/22/0258

VwGH2008/22/025810.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der Z, vertreten durch Dr. Thomas König, LL.M, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Ertlgasse 4/11, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Februar 2008, Zl. 317.788/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) einen von der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, am 31. Juli 2003 persönlich bei der Bundespolizeidirektion Wien gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin mit einem "Visum für Schengen Staaten", gültig vom 3. Februar bis 5. März 2003, in das Bundesgebiet eingereist sei, wo sie seit 13. Februar 2003 mit Hauptwohnsitz gemeldet sei.

Am 20. Mai 2003 habe sie einen österreichischen Staatsbürger geheiratet; mit dem vorliegenden Antrag strebe sie die Familienzusammenführung mit ihrem Ehemann an. Die Beschwerdeführerin sei seit 1. Mai 2005 "laufend bis dato" als Angestellte des H.H., eines Versicherungsmaklers, beschäftigt.

Die Beschwerdeführerin, die sich sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag im Inland aufgehalten habe, sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Republik Österreich gewesen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe von § 82 Abs. 1, § 81 Abs. 1, § 21 Abs. 1 und 2 Z. 1 sowie §§ 74 und 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass der vorliegende Antrag als Erstantrag zu werten sei, sodass § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung entgegenstehe.

Die belangte Behörde habe auch keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkennen können, aufgrund derer gemäß § 74 NAG die Inlandsantragstellung zuzulassen gewesen wäre: Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger allein stelle "noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht" dar; auch das "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland und die Integration in Österreich" böten "keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde den Antrag in Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zutreffend nach der Rechtslage des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) NAG beurteilt hat (§§ 82 Abs. 1, 81 Abs. 1 NAG).

Die Beschwerde wendet sich in ausführlichen Darlegungen gegen die Heranziehung des § 21 Abs. 1 NAG durch die belangte Behörde und vertritt im Kern die Auffassung, dass es unzulässig sei, auf "nach alter Gesetzeslage zulässigerweise" gestellte Anträge die erst durch das NAG eingeführten "Formvorschriften" rückwirkend anzuwenden.

Dem ist allerdings mit der ständigen hg. Rechtsprechung zu erwidern, dass es sich bei dem Erfordernis nach § 21 Abs. 1 NAG nicht um ein bloßes Formalerfordernis, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung handelt. Darüber hinaus ist dem NAG weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das Erkenntnis vom heutigen Tag, 2008/22/0197, mwN).

Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass das der Beschwerdeführerin erteilte Visum nur bis 5. März 2003 gültig war, der Beschwerdeführerin noch nie ein Aufenthaltstitel für die Republik Österreich erteilt worden ist und sie sich auch zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Bundesgebiet aufgehalten hat.

In Hinblick darauf begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag vom 31. Juli 2003 um einen Erstantrag handle (vgl. § 2 Abs. 1 Z. 11 bis 13 NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 157/2005), keinen Bedenken.

Die Beschwerdeführerin hätte somit nach § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG nach dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes die Entscheidung über ihren Antrag im Ausland abwarten müssen, weshalb die belangte Behörde auf den Antrag zutreffend den Grundsatz der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG angewendet hat.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das bereits angeführte hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die die fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287, mwN).

Die Beschwerdeführerin hat schon in ihrer Berufung gegen den Bescheid der Behörde erster Instanz, der die Antragsabweisung ebenfalls auf § 21 Abs. 1 NAG stützte, humanitäre Gründe im Sinn des § 72 NAG geltend gemacht.

Unter Berücksichtigung der im angefochtenen Bescheid in dieser Hinsicht getroffenen Feststellungen (Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich seit Februar 2003, durchgehendes Beschäftigungsverhältnis seit Mai 2005 und aufrechte Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger seit Mai 2003) vermag sich der Verwaltungsgerichtshof der Beurteilung der belangten Behörde im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller sozialen und beruflichen Bindungen der Beschwerdeführerin im Inland nicht anzuschließen, dass diese keinen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung geltend machen könne (vgl. auch das bereits angeführte Erkenntnis vom 26. Jänner 2010). Angesichts der angeführten, zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu wertenden Umstände kommt auch dem von Anfang an unsicheren Aufenthaltsstatus der Beschwerdeführerin, die lediglich über ein kurzfristiges Visum verfügt hat, keine so ausschlaggebende Bedeutung mehr zu, dass dies bei der Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen könnte.

Damit aber liegt ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG vor, weshalb die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen wäre. Auf das in der Berufung der Beschwerdeführerin enthaltene Vorbringen, wonach sie die einzige Verwandte ihres Vaters in Österreich sei und sich dieser in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befinde, muss daher gar nicht weiter eingegangen werden.

Im Übrigen hat die belangte Behörde auch dadurch, dass sie dem "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und der "Integration in Österreich" von vornherein die Eignung als "Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall" abgesprochen hat, die Rechtslage schon vom Ansatz her verkannt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. November 2009, 2008/22/0249, mwN).

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 10. November 2010

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