VwGH 2008/22/0197

VwGH2008/22/019710.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Benedikt Suhsmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Helferstorferstraße 4, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Mai 2007, Zl. 147.258/2- III/4/06, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) einen vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen von Gambia, am 16. Dezember 2005 bei der Bundespolizeidirektion Wien gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer nach seinen eigenen Angaben unter Umgehung der Grenzkontrolle im Juli oder August 2005 illegal nach Österreich eingereist sei und keinen Antrag auf Gewährung von Asyl gestellt habe. Am 25. November 2005 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und den gegenständlichen Antrag am 16. Dezember 2005 im Inland eingebracht. Der Beschwerdeführer sei seit 11. Oktober 2005 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet; er habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung und auch danach in Österreich aufgehalten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe von § 82 Abs. 1, § 81 Abs. 1, § 21 Abs. 1 und 2, §§ 74 und 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des Antrags entgegenstehe, sodass sich ein weiteres Eingehen auf den unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mit Blick auf den "Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG" erübrige.

Als besonders berücksichtigungswürdigen Grund habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung angeführt, dass er als Angehöriger einer Österreicherin gegenüber einem Ehepartner eines anderen EU-Bürgers diskriminiert werde. Von Seiten der belangten Behörde hätten allerdings keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkannt werden können; die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein stelle "noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde den vorliegenden Fall in Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides zutreffend nach der Rechtslage des am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen NAG beurteilt hat (§§ 81 Abs. 1, 82 Abs. 1 NAG).

Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der Beschwerdeführer den gegenständlichen Antrag vom 16. Dezember 2005 während seines Aufenthalts im Inland gestellt hat und auch nach dem In-Kraft-Treten des NAG im Inland verblieben ist.

In dieser Hinsicht bringt die Beschwerde lediglich vor, der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Antragstellung nach dem Fremdengesetz 1997 - FrG zur Antragstellung im Inland berechtigt gewesen und habe auf die damals geltende Rechtslage vertraut; die durch das In-Kraft-Treten des NAG geänderten "Formalvoraussetzungen" könnten nicht zur Abweisung seines Antrages führen, vielmehr sei seine Berechtigung zur Inlandsantragstellung nicht nach § 21 Abs. 1 NAG, sondern nach § 49 Abs. 1 FrG zu beurteilen.

Dem ist allerdings mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu entgegnen, dass es sich bei dem Erfordernis nach § 21 Abs. 1 NAG nicht um ein bloßes Formalerfordernis, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung handelt. Darüber hinaus ist dem NAG weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen In-Kraft-Treten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretene FrG anzuwenden wären (vgl. etwa aus jüngerer Zeit das Erkenntnis vom 11. Mai 2010, 2008/22/0440, mwN).

Die Beschwerde behauptet auch nicht etwa, dass sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten hätte, sodass auch die Ausnahmebestimmung des § 21 Abs. 2 Z. 1 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) auf den vorliegenden Fall nicht Anwendung findet.

Der Beschwerdeführer hätte somit nach § 21 Abs. 1 zweiter Satz NAG nach dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abwarten müssen, weshalb die belangte Behörde auf den Antrag zutreffend den Grundsatz der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG angewendet hat.

Da die belangte Behörde ihre abweisende Entscheidung allein auf § 21 Abs. 1 NAG gestützt hat, gehen die Beschwerdeausführungen, wonach der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstelle (vgl. § 11 Abs. 4 Z. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 NAG), ins Leere.

In Hinblick auf den allein herangezogenen Abweisungsgrund ist auch die Verfahrensrüge, dass die belangte Behörde mit Blick auf die sonstigen Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG sowie die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 47 (Abs. 2) NAG den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt habe (vgl. § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG), nicht berechtigt.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287, mwN).

Art. 8 EMRK verlangt eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dieses Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des besagten persönlichen Interesses ist aber auch auf die Auswirkungen, die eine fremdenpolizeiliche Maßnahme auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, mwN).

Die Beschwerde weist in dieser Hinsicht auf die Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und darauf hin, dass am 21. November 2006 eine Tochter des Ehepaares geboren worden sei. Das Vorbringen hinsichtlich der Geburt eines gemeinsamen Kindes stellt sich allerdings als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar (vgl. § 41 Abs. 1 erster Satz VwGG).

Angesichts des zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nur etwa zweijährigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kommt auch der nach der illegalen Einreise in das Bundesgebiet geschlossenen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin im vorliegenden Fall kein so entscheidendes Gewicht zu, dass von einem aus Art. 8 EMRK resultierenden Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels und damit von einer Verpflichtung der belangten Behörde, die Inlandsantragstellung nach § 74 NAG zuzulassen, ausgegangen werden müsste (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. September 2010, 2009/22/0037, mwN).

Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den im angefochtenen Bescheid enthaltenen Teil der Begründung wendet, wonach "ein weiteres Eingehen" auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, "auch im Hinblick auf Art. 8 MRK, entbehrlich" sei, so ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde trotz dieses im Bescheid (auch) enthaltenen Begründungsduktus durch die Anwendung des § 72 NAG ohnehin eine Prüfung nach Art. 8 EMRK vorgenommen hat. In solchen Fällen kommt dem zitierten Teil der Bescheidbegründung kein eigenständiger Begründungswert zu (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2009/22/0022).

Da sich der angefochtene Bescheid somit nicht als rechtswidrig erweist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 10. November 2010

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