VwGH 2008/21/0012

VwGH2008/21/001227.5.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des F, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. November 2007, Zl. 317.278/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293;
EO §291a;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293;
EO §291a;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein am 12. Juni 1981 geborener mazedonischer Staatsangehöriger, stellte am 12. Juni 2006 bei der österreichischen Botschaft in Skopje einen - auf seinen die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Vater als "Zusammenführenden" bezogenen - Erstantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Z 3 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG).

Dieser Antrag wurde mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich erlassenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 21. Dezember 2006 gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 und 4 sowie Abs. 5 NAG abgewiesen, weil der Unterhalt des Beschwerdeführers angesichts des hiefür nicht ausreichenden Einkommens seines Vaters nicht gesichert sei.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung, in der vor allem auf Sparbücher des Vaters des Beschwerdeführers mit einem Gesamtguthabensstand von EUR 104.000,-- unter Anschluss von diesbezüglichen Kopien hingewiesen wurde, wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) ohne weiteres Ermittlungsverfahren mit dem angefochtenen Bescheid vom 26. November 2007 ab.

Begründend führte die belangte Behörde nach zusammengefasster Darstellung des bisherigen Verfahrensganges unter Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, der Vater des Beschwerdeführers, von dem der angestrebte Aufenthaltstitel abgeleitet werden solle und der auch eine Haftungserklärung abgegeben habe, müsse als "Zusammenführender" im Sinne des § 47 NAG einen Einkommensnachweis erbringen. Bei der Überprüfung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten sei dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a EO zu berücksichtigen; das bedeute, dass sich der Vater des Beschwerdeführers nur mit dem Betrag, der über sein pfändungsfreies Existenzminimum hinausgehe, gegenüber dem Beschwerdeführer verpflichten könne.

Aus dem erstinstanzlichen Akt und aus der Berufung ergebe sich ein monatliches Nettoeinkommen des Vaters des Beschwerdeführers von EUR 1.480,94 (14 x jährlich), unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen durchschnittlich somit von EUR 1.727,73. Das pfändungsfreie Existenzminimum betrage unter Bedachtnahme auf die Unterhaltspflicht für seine Ehefrau und ein minderjähriges Kind EUR 1.368,--, sodass dem Vater des Beschwerdeführers lediglich EUR 359,76 zur Deckung der sich aus der Haftungserklärung ergebenden Verpflichtungen verblieben. Laut Mietvertrag betrage der monatliche Mietzins EUR 340,--, wovon der "Wert der freien Station" von aktuell EUR 235,15 abzuziehen sei, sodass für die Mietbelastungen zusätzlich EUR 104,85 zur Verfügung stehen müssten. Der Betrag von EUR 359,76 reduziere sich daher auf EUR 254,91. Für den Beschwerdeführer wären jedoch nach dem heranzuziehenden Richtsatz gemäß § 293 ASVG Unterhaltsmittel von monatlich EUR 726,-- erforderlich, sodass der Vater des Beschwerdeführers über ein Einkommen von EUR 2.198,85 verfügen müsste. Er erhalte aber lediglich ein Nettoeinkommen von EUR 1.727,73. Die in der Berufung ins Treffen geführten Guthaben auf drei mit Losungswort gesicherten Sparbüchern seien keine "festen und regelmäßigen Einkünfte" im Sinne des § 11 Abs. 5 NAG und daher als Unterhaltsnachweis nicht geeignet. Zudem gehe aus den vorgelegten Kopien nicht hervor, "in welchem Bezug diese Sparbücher zur Person Ihres Vaters stehen bzw. ob dieser überhaupt darüber verfügungsberechtigt sind (ist)". Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass im gegenständlichen Fall keine tragfähige Haftungserklärung vorliege.

Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK führte die belangte Behörde dann noch aus, den öffentlichen Interessen müsse auch deshalb gegenüber den privaten Interessen des volljährigen und somit nicht mehr zur Kernfamilie zählenden Beschwerdeführers "absolute Priorität" eingeräumt werden, weil im vorliegenden Fall keine tragfähige Haftungserklärung vorliege. Es sei daher die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung ausgeschlossen und demzufolge der Antrag der Beschwerdeführerin abzuweisen, weil die Sicherung des Lebensunterhaltes im NAG eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels darstelle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde hat die Abweisung des Antrages - in Bestätigung des Bescheides der Erstbehörde - der Sache nach nur auf § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG, somit auf die Nichterfüllung einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung, gestützt. Nach der erstangeführten Bestimmung dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Unter welchen Bedingungen diese Voraussetzung verwirklicht ist, wird in § 11 Abs. 5 NAG bestimmt, der in der hier maßgeblichen Stammfassung (damals) wie folgt lautete:

"(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen."

Zur Auslegung dieser Bestimmung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0711, grundlegend Stellung genommen.

Unter anderem hat er - für die Rechtslage vor der am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 - klargestellt, dass keine gesetzliche Grundlage bestehe, das zu berücksichtigende Einkommen des Unterhaltspflichtigen durch Wohnkosten zu schmälern oder den "Wert der freien Station" hinzuzurechnen (siehe Punkt 5.4. der Entscheidungsgründe). Soweit daher die belangte Behörde davon ausgegangen ist, dem Vater des Beschwerdeführers müsse für "Mietbelastungen" ein zusätzlicher Betrag (EUR 104,85) zur Verfügung stehen, der sich aus der Differenz der tatsächlichen Wohnungskosten und dem sogenannten "Wert der freien Station" (§ 292 Abs. 3 ASVG) errechne, steht dies somit nicht im Einklang mit dieser Rechtslage.

In dem genannten Erkenntnis (Punkt 5.3.) hat der Verwaltungsgerichtshof weiters mit eingehender Begründung dargelegt, dass das Existenzminimum des § 291a EO nicht auf alle Fälle einer Unterhaltsberechnung nach § 11 Abs. 5 NAG, die ausdrücklich anhand des § 293 ASVG vorzunehmen sei, angewendet werden könne. Insbesondere sei bei einem gemeinsamen Haushalt unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen den "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG erreiche, wobei in einer solchen Konstellation auf das Existenzminimum des § 291a EO nicht Bedacht zu nehmen sei.

Der Gerichtshof hat in diesem Erkenntnis somit im Grundsätzlichen aufgezeigt, dass es zur Existenzsicherung nicht für jede Person eines Einkommens nach dem für einen alleinstehenden Pensionsempfänger vorgesehenen Richtsatz bedarf, sondern das Haushaltsnettoeinkommen am "Familienrichtsatz" zu messen ist, sofern der Anspruchsberechtigte mit einem Ehepartner (und allenfalls einem Kind iSd § 252 ASVG) im gemeinsamen Haushalt lebt. Nichts anderes gilt für die Frage der Existenzsicherung desjenigen, der eine Haftungserklärung im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG abgegeben hat. Gesteht nämlich der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf den Ausgleichszulagenrichtsatz einer mit dem Ehepartner im gemeinsamen Haushalt lebenden Person zu, dass der sogenannte "Haushaltsrichtsatz" für die Unterhaltsbedürfnisse beider Ehepartner ausreicht, ist die Existenz des Zusammenführenden auch dann gesichert, wenn ihm gemeinsam mit seinem Ehepartner der Haushaltsrichtsatz zur Verfügung steht und das restliche Haushaltseinkommen zur Unterhaltsleistung an den Nachziehenden verwendet wird. Diesfalls kann somit von einer tragfähigen Haftungserklärung ausgegangen werden, kann doch der Unterhalt sowohl des Nachziehenden als auch des Zusammenführenden ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen bestritten werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0637).

Auch das hat die belangte Behörde verkannt, indem sie hinsichtlich der Deckung des Bedarfs für den Vater der Beschwerdeführerin und für seine (mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebende) Ehefrau und das minderjährige Kind auf das pfändungsfreie Existenzminimum nach § 291a EO und nicht auf den diesbezüglichen Ausgleichszulagenrichtsatz abstellte. Demnach wäre in Bezug auf den Bedarf des Vaters des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau vom Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG auszugehen gewesen; dieser hatte nach der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 532/2006 damals EUR 1.091,14 betragen. Unter Berücksichtigung der Unterhaltspflicht für ein minderjähriges Kind erhöht sich dieser Betrag nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG um EUR 76,09 auf EUR 1.167,23. Zutreffend hat die belangte Behörde angenommen, dass zur Deckung des Lebensbedarfs des Beschwerdeführers ein dem Richtsatz nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG entsprechender Betrag von (damals) EUR 726,-- zur Verfügung hätte stehen müssen. Demnach wäre auf Basis der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Rechtslage zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers, seiner Eltern und des minderjährigen Kindes ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von insgesamt EUR 1.893,23 erforderlich gewesen (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zlen. 2009/21/0304, 0305), das ausgehend vom damaligen Gesamteinkommen des Vaters des Beschwerdeführers rein rechnerisch somit um EUR 165,50 unterschritten wurde.

Damit wird relevant, dass die belangte Behörde die Rechtslage noch in einem weiteren Punkt, nämlich hinsichtlich der Tauglichkeit von Sparguthaben zum Nachweis der Deckung des Unterhaltsbedarfs, verkannt hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt nämlich der Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel auch durch Spareinlagen in Betracht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22. September 2009, Zl. 2008/22/0659, mwN; siehe beispielsweise auch das Erkenntnis vom 10. November 2009, Zl. 2008/22/0859). Dass die erwähnte Differenz sogar auf Dauer durch Sparguthaben in der Höhe von über EUR 100.000,-- bei Weitem gedeckt werden könnte, bedarf keiner weiteren Erörterung. Soweit die belangte Behörde aber Zweifel an der Verfügungsberechtigung des Vaters des Beschwerdeführers äußerte, verletzte sie - wie in der Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird - das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers, der somit keine Möglichkeit hatte, diesbezügliche Bedenken der belangten Behörde durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung zu entkräften.

Die belangte Behörde nahm zwar - der Sache nach - auch auf § 11 Abs. 3 NAG Bedacht, demzufolge ein Aufenthaltstitel trotz des Fehlens (u.a.) der Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG erteilt werden kann, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist. In der Folge ging sie jedoch mit der Begründung der mangelnden Tragfähigkeit der Haftungserklärung wegen des nicht gesicherten Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers davon aus, dass den öffentlichen Interessen gegenüber den privaten Interessen "absolute Priorität" einzuräumen sei. Diese Begründung würde dazu führen, dass bei fehlendem Nachweis ausreichender Unterhaltsmittel die Interessenabwägung niemals zu Gunsten des Fremden ausgehen könne. Dass diese Rechtsmeinung mit dem Gesetz nicht in Einklang steht, hat der Verwaltungsgerichtshof - wie hier zur Klarstellung zu wiederholen ist - aber bereits mehrfach dargelegt (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 18. Februar 2010, Zl. 2008/22/0396, mit weiteren Nachweisen).

Der angefochtene Bescheid war aber schon aus den vorgenannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Mai 2010

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