VwGH 2009/21/0304

VwGH2009/21/030429.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde von 1. V P, und

2. D P, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres vom 1. September 2009, jeweils Zl. BMI-1013740/0001-II/3/2009, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293 Abs1 lita sublitaa;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293 Abs1 lita sublitaa;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 2.212,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die beiden Beschwerdeführer, serbische Staatsangehörige, sind die Eltern einer in Wien wohnhaften österreichischen Staatsbürgerin. Ihnen wurde erstmals am 15. Februar 2005 - noch unter dem Regime des Fremdengesetzes 1997 - eine mit einem Jahr befristete Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrer Tochter und ihrem österreichischen Schwiegersohn, der eine Verpflichtungserklärung über die Unterhaltsgewährung abgegeben hatte, erteilt. Über rechtzeitigen Antrag erhielten die Beschwerdeführer sodann eine "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Z 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) mit einer Befristung bis 21. Jänner 2007. Mit Eingabe vom 11. Jänner 2007 stellten sie einen Verlängerungsantrag.

Mit Bescheiden der Bundespolizeidirektion Wien vom 15. März 2007 wurden die Beschwerdeführer gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes - FPG aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen.

Die dagegen erhobenen Berufungen wurden mit den angefochtenen, in Stattgebung eines Devolutionsantrages der Beschwerdeführer ergangenen und im Wesentlichen inhaltsgleichen Bescheiden der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 1. September 2009 abgewiesen.

Die Ausweisung der Beschwerdeführer wurde auch von der belangten Behörde auf die Z 2 des § 54 Abs. 1 FPG gestützt, wonach (u.a.) Fremde, die sich während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht. Das Vorliegen eines Versagungsgrundes für die Verlängerung des den Beschwerdeführern zuletzt erteilten Aufenthaltstitels begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Schwiegersohn der Beschwerdeführer - dieser hatte nach der Aktenlage eine entsprechende Haftungserklärung abgegeben - über ein monatliches Einkommen aus zwei Arbeitsverhältnissen von insgesamt EUR 2.666,16 verfüge und dessen Ehefrau (die Tochter der Beschwerdeführer) mit monatlich EUR 737,04 "zum Budget der Familie, somit unter 40 %, beiträgt". Von den dem Schwiegersohn der Beschwerdeführer zur Verfügung stehenden Einkünften sei gemäß § 11 Abs. 5 NAG "das Existenzminimum in der Höhe von EUR 2.278,40 abzuziehen, da er für drei Kinder und Ihre Tochter, die nicht mindestens 40 % zum Haushaltseinkommen beiträgt, unterhaltspflichtig ist." Es verblieben somit nur noch EUR 387,76, die der Schwiegersohn zur Deckung des Unterhalts der Beschwerdeführer aufwenden könne. Selbst wenn man den (nicht nachgewiesenen) Pensionsbezug der Beschwerdeführer von EUR 130,-- pro Monat berücksichtige, sei es dem Schwiegersohn nicht möglich, mit einem Betrag von insgesamt EUR 517,76 den Unterhalt der Beschwerdeführer auch nur annähernd zu decken, zumal dafür EUR 1.544,80 notwendig wären.

Es bestehe somit die Gefahr, dass die öffentliche Hand zur Gewährleistung des Unterhalts der Beschwerdeführer unterstützend eingreifen müsse, was sich auch schon verwirklicht habe, weil die Beitragspflicht zur Wiener Gebietskrankenkasse aufgrund der wirtschaftlichen Lage der Beschwerdeführer für die Jahre 2007 und 2008 von EUR 319,61 auf EUR 79,90 herabgesetzt worden sei.

Gegen diese Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde tritt den wiedergegebenen Ausführungen der belangten Behörde mit dem Argument entgegen, durch das von Schwiegersohn und Tochter bezogene Familieneinkommen, das mit EUR 3.440,-- zuzüglich Familienbeihilfe von EUR 570,-- beziffert wird, sei auch der Unterhalt der beiden Beschwerdeführer ausreichend gesichert.

Schon das führt die Beschwerde zum Erfolg:

Die Beschwerdeführer begehrten die Verlängerung des ihnen zuletzt gemäß § 47 Abs. 3 Z 1 NAG erteilten Aufenthaltstitels.

Diese Bestimmung lautet samt Überschrift:

"Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in

Österreich wohnhaften Zusammenführenden

Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und

'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.

(2) ...

(3) Angehörigen von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 kann auf Antrag eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. Verwandte des Zusammenführenden oder seines Ehegatten in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird;

...

Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende

jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben."

Die mit dem Verweis auf den 1. Teil des NAG (u.a.) angesprochenen allgemeinen Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel sind im § 11 NAG angeführt, der in der hier maßgeblichen Fassung vor der (am 1. Jänner 2010 in Kraft getretenen) Novelle BGBl. I Nr. 122/2009 - soweit hier wesentlich -

wie folgt lautete:

"§ 11.

(1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen."

Zu diesen Bestimmungen hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0711, mit eingehender Begründung ausgeführt, dass das Existenzminimum des § 291a EO nicht auf alle Fälle einer Unterhaltsberechnung nach § 11 Abs. 5 NAG, die ausdrücklich anhand des § 293 ASVG vorzunehmen ist, angewendet werden kann. Insbesondere ist bei einem gemeinsamen Haushalt unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen zu prüfen, ob das Haushaltsnettoeinkommen den "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG erreicht, wobei in einer solchen Konstellation auf das Existenzminimum des § 291a EO nicht Bedacht zu nehmen ist. Demzufolge kommt es bei einem gemeinsamen Haushalt - wie er hier einerseits zwischen den Beschwerdeführern und andererseits zwischen den Angehörigen der Familie ihrer Tochter besteht - nur darauf an, ob das Haushaltsnettoeinkommen den unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen jeweils zu ermittelnden "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG deckt. In einer solchen Konstellation ist - wie erwähnt - auf das Existenzminimum des § 291a EO nicht Bedacht zu nehmen (vgl. auch das Erkenntnis vom 17. Dezember 2009, Zl. 2009/22/0231; siehe zu einem ähnlichen Fall noch das Erkenntnis vom 25. September 2009, Zlen. 2007/18/0651, 0652).

Das hat die belangte Behörde - die im Übrigen bei der Annahme einer (vollen) Unterhaltspflicht des Schwiegersohns gegenüber seiner ein eigenes Einkommen beziehenden Ehefrau die Sorgepflichten für die Kinder unberücksichtigt gelassen hat (vgl. dazu RIS-Justiz RS 0012492, T 3) - im vorliegenden Fall verkannt.

Im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführer unstrittig in einem gemeinsamen Haushalt leben, wäre nach dem Gesagten die Annahme, dass deren Aufenthalt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führt, bereits dann gerechtfertigt, wenn beiden gemeinsam ein dem Richtsatz des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. II Nr. 7/2009) in Höhe von EUR 1.158,08 monatlich zur Verfügung gestanden wäre bzw. hätte zur Verfügung gestellt werden können (vgl. das schon genannte Erkenntnis Zl. 2007/18/0651, 0652). Zur Ermittlung des zur Deckung dieses Unterhaltsbedarfs verbleibenden Betrages wäre von dem - von der belangten Behörde zugrundegelegten - Haushaltseinkommen des Schwiegersohns und seiner Ehefrau in der Höhe von insgesamt EUR 3.403,20 (EUR 2.666,16 + EUR 737,04) der für die Deckung des eigenen Lebensbedarfs notwendige "Haushaltsrichtsatz" von EUR 1.400,93 (nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG für die Ehegatten EUR 1.158,08 zuzüglich nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG Erhöhung für deren drei Kinder um jeweils EUR 80,95) in Abzug zu bringen gewesen (vgl. dazu, insbesondere auch zur Maßgeblichkeit beider Einkommen das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0637; siehe daran anschließend etwa auch das Erkenntnis vom 15. April 2010, Zl. 2008/22/0399). Der verbleibende Betrag von etwa EUR 2.000,-- hätte aber jedenfalls ausgereicht, um den Unterhaltsbedarf der Beschwerdeführer zu decken, und zwar selbst dann, wenn man ihn - wie die belangte Behörde - für jeden Beschwerdeführer gesondert in Höhe des Richtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb) ASVG mit jeweils EUR 772,20, zusammen daher mit EUR 1.544,80, angenommen hätte.

Demzufolge war der angefochtene Bescheid schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren war abzuweisen, weil die in der genannten Verordnung festgelegten Pauschalbeträge die in der Beschwerde gesondert verzeichnete Umsatzsteuer bereits enthalten.

Wien, am 29. April 2010

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