VwGH 2008/19/0527

VwGH2008/19/05276.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Mag. Rehak sowie die Hofräte Dr. Fasching und Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde des X, geboren am 3. Januar 1990, vertreten durch Mag. Dr. Esther Lenzinger, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. November 2007, Zl. 315.026-1/4E-IV/44/07, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit (§ 35 Asylgesetz 2005) (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §35 Abs4;
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §58;
VwRallg;
AsylG 2005 §35 Abs4;
AVG §56;
AVG §58 Abs1;
AVG §58;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die "Erledigung des Bundesasylamts vom 4. Mai 2007, Zl: 07 02.850-BAT" gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei der minderjährige Bruder eines afghanischen Staatsangehörigen, dem in Österreich mit Bescheid des Bundesasylamts vom 8. Juni 2006 gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt worden sei. Der Beschwerdeführer habe durch Vorlage eines mit 15. Februar 2007 datierten "Antrags- und Befragungsformulars im Familienverfahren" gemäß § 35 Abs. 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad einen Antrag nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 gestellt. Diesen Antrag habe die Österreichische Botschaft "mit dem Ersuchen um weitere Veranlassung" an das Bundesasylamt übermittelt. Am 4. Mai 2007 habe das Bundesasylamt eine "Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG" an die Österreichische Botschaft gesandt. Darin sei zum Einreiseantrag des Beschwerdeführers mitgeteilt worden, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigen an ihn nicht wahrscheinlich sei. Die Mitteilung habe die Vermerke "via E-Mail:

Islamabad-ob@bmaa.gv.at " und "Bitte nicht aushändigen!" aufgewiesen und sei durch eine Organwalterin des Bundesasylamts mit der Fertigungsklausel "für den Direktor des Bundesasylamts" unterzeichnet gewesen.

Am 11. Juli 2007 habe ein "gesetzlicher Vertreter" des Beschwerdeführers in den Akt des Bundesasylamts Einsicht genommen und dabei von dieser Mitteilung Kenntnis erlangt.

In der Folge sei gegen die als "Bescheid" bezeichnete Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 Berufung erhoben worden, die jedoch - zusammengefasst - deshalb zurückzuweisen sei, weil die angefochtene Erledigung kein Bescheid sei. Aus der sprachlichen Gestaltung der Erledigung sei eindeutig ersichtlich, dass eine Übermittlung bzw. Ausfolgung an den Beschwerdeführer nicht beabsichtigt gewesen sei. Dies ergebe sich einerseits aus der (bloß) an die Botschaft Islamabad erfolgten Adressierung, andererseits auch aus dem angebrachten Vermerk "Bitte nicht aushändigen!". Der Beschwerdeführer sei in der Erledigung nicht als Empfänger bezeichnet worden und das Bundesasylamt habe auch keine Zustellung der Erledigung an ihn veranlasst. Der Beschwerdeführer habe davon nur durch Akteneinsicht Kenntnis erlangt. Die angefochtene Erledigung des Bundesasylamts nehme "gemäß ihrer formellen und inhaltlichen sprachlichen Gestaltung" auch nicht in Anspruch, über die Fragen der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten gegenüber dem Beschwerdeführer eine abschließende Entscheidung zu treffen.

Dagegen wendet sich die Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde macht - zusammengefasst - geltend, bei der gegenständlichen Erledigung des Bundesasylamtes habe es sich entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde um einen anfechtbaren Bescheid gehandelt.

Dem ist nicht zuzustimmen.

2. Für den Bescheidcharakter einer behördlichen Erledigung sind nicht nur die äußere Form, sondern auch der Inhalt maßgebend; eine Erledigung, die nicht die Form eines Bescheides aufweist, ist dann ein Bescheid, wenn sie nach ihrem deutlich erkennbaren objektiven Gehalt eine Verwaltungsangelegenheit normativ regelt, also für den Einzelfall Rechte oder Rechtsverhältnisse bindend gestaltet oder feststellt (vgl. etwa VfSlg 12.753 und aus jüngerer Zeit die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Oktober 2009, B 1776/08 u.a., und vom 1. März 2010, B 570/09 u. a., jeweils mit weiteren Nachweisen; vgl. weiters aus der jüngeren hg. Rechtsprechung etwa die Erkenntnisse vom 21. März 2007, Zl. 2004/05/0240, mit weiteren Nachweisen, und vom 4. Februar 2009, Zl. 2008/12/0059). Wenn nach der anzuwendenden Rechtslage überhaupt kein Bescheid zu erlassen war, ist nicht anzunehmen, dass einem formlosen Schreiben Bescheidqualität inne wohnt. Ob eine Erledigung, die nicht als Bescheid bezeichnet ist, inhaltlich dennoch als Bescheid zu werten ist, ist vor dem Hintergrund der geltenden Rechtslage zu beurteilen (vgl. etwa VfSlg 13.723, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch einer "in Briefform gekleideten Mitteilung" Bescheidcharakter zukommen, wenn diese nach ihrem Inhalt eine normative Erledigung im Einzelfall darstellt und die Behörde nach der anzuwendenden Rechtslage einen Bescheid zu erlassen hatte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/08/0064, mwN). Bringt die sprachliche Gestaltung der behördlichen Erledigung einen normativen Inhalt nicht zweifelsfrei zum Ausdruck, liegt kein Bescheid vor (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), § 58 AVG E 38).

3. Auf dieser Grundlage ist auch die rechtliche Qualität der gegenständlichen "Mitteilung gemäß § 35 Abs. 4 AsylG" des Bundesasylamts vom 4. Mai 2007 zu prüfen.

Die dafür maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 (in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 100/2005) lauten:

"Anträge im Familienverfahren bei Berufungsvertretungsbehörden

§ 35. (1) Der Familienangehörige eines Fremden, dem der

Status des Asylberechtigten ... zuerkannt wurde und der sich im

Ausland befindet, hat einen Antrag gemäß § 34 Abs. 1 bei der mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Berufsvertretungsbehörde im Ausland (Berufsvertretungsbehörde) zu stellen. Dieser Antrag gilt außerdem als Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels.

...

(3) Wird ein Antrag nach Abs. 1 ... gestellt, hat die Berufsvertretungsbehörde dafür Sorge zu tragen, dass der Fremde ein in einer ihm verständlichen Sprache gehaltenes Antrags- und

Befragungsformular ausfüllt; ... der Antrag im Familienverfahren

ist unverzüglich dem Bundesasylamt zuzuleiten.

(4) Die Berufsvertretungsbehörde hat dem Fremden nach Abs. 1 ... ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen, wenn das Bundesasylamt mitgeteilt hat, dass die Gewährung des Status des Asylberechtigten ... wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesasylamt nur erteilen, wenn das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht. Die Berufsvertretungsbehörde hat weiters den Fremden zu informieren, dass der Antrag erst nach persönlicher Stellung in der Erstaufnahmestelle als eingebracht gilt (§ 17 Abs. 2)."

Gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 gilt der Antrag eines Familienangehörigen (§ 2 Z 22 leg. cit.) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, als Antrag auf Gewährung des selben Schutzes. Als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Z 22 AsylG 2005 ist anzusehen, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Gemäß § 25 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren als gegenstandslos abzulegen, wenn dem Fremden nach Befassung des Bundesasylamts die Einreise nicht gewährt wird.

4. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum AsylG 2005 (952 BlgNR 22. GP 54f) wurde ausdrücklich festgehalten, dass gegen die Mitteilung des Bundesasylamts (gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005) kein Rechtsmittel möglich ist, wohl aber könne nach den Vorschriften des Fremdenpolizeigesetzes gegen die Verweigerung des Visums ein - je nach Fall - ordentliches oder außerordentliches Rechtsmittel ergriffen werden.

Die Mitteilung des Bundesasylamts gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 soll daher nach dem Willen des Gesetzgebers keiner Anfechtung zugänglich sein. Sie dient auch nicht dazu, die Frage einer Asylgewährung abschließend zu beurteilen, sondern ist lediglich Grundlage für die Erteilung eines Einreisetitels.

5. Ausgehend davon war über die Wahrscheinlichkeit der Asylgewährung an den Beschwerdeführer nach der anzuwendenden Rechtslage durch das Bundesasylamt im Verfahren nach § 35 Abs. 4 AsylG 2005 kein Bescheid zu erlassen.

Auch nach Form und Inhalt war die Mitteilung des Bundesasylamtes vom 4. Mai 2007 nicht dazu bestimmt, dem Beschwerdeführer zuzukommen und seine Asylangelegenheit normativ abschließend zu erledigen.

Zu Recht hat die belangte Behörde daher die Bescheidqualität dieser Mitteilung verneint.

6. Soweit die Beschwerde argumentiert, "das Verfahren nach § 35 AsylG" sei für den Beschwerdeführer "die einzige Möglichkeit ... zur Erlangung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten" und sie daraus offenbar ableiten möchte, dass ihm - ungeachtet der bisherigen Ausführungen - aus rechtsstaatlichen Gründen ein "Familienverfahren" im Inland eröffnet werden müsse, ist ihr abschließend zu erwidern, dass der Beschwerdeführer nicht zu den "Familienangehörigen" im Sinne des § 2 Z. 22 AsylG 2005 zählt, weshalb auf ihn die Bestimmungen der §§ 34, 35 AsylG 2005 über das Familienverfahren nicht zur Anwendung kommen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 6. Oktober 2010

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