VwGH 2008/19/0139

VwGH2008/19/013928.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien 1. N,

2. J, 3. I, 4. K, und 5. R, alle vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier, Dr. Thomas Neugschwendtner, Univ.- Prof. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenats jeweils vom 9. Jänner 2008, 1.) Zl. 316.695-1/2E-III/07/08 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0139), 2.) Zl. 316.699- 1/2E-III/07/08 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0140),

3.) Zl. 316.697-1/2E-III/07/08 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0141), 4.) Zl. 316.696-1/2E-III/07/08 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0142), 5.) Zl. 316.698-1/2E-III/07/08 (protokolliert zu hg. Zl. 2008/19/0143), betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §10 Abs4;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5;
EMRK Art3;
EMRK Art8;
32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §10 Abs4;
AsylG 2005 §5 Abs1;
AsylG 2005 §5;
EMRK Art3;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Der erst- und der viertangefochtene Bescheid werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die zweit-, dritt- und fünftangefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 4.956,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien; alle sind Staatsangehörige der Russischen Förderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.

Die Erstbeschwerdeführerin reiste mit den dritt- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien im Frühjahr 2007 über die weißrussisch/polnische Grenze in das Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Alle stellten zunächst in Polen Asylanträge. Ohne den Ausgang der dortigen Asylverfahren abzuwarten, gelangten sie im Juli 2007 in das Bundesgebiet und beantragten (neuerlich) internationalen Schutz.

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde im August 2007 bereits in Österreich geboren. Auch für sie wurde im Anschluss ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die belangte Behörde sämtliche Anträge gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück, sprach aus, dass für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung Polen zuständig sei, wies die beschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 dorthin aus und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 für zulässig.

Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde beantragte gleichzeitig mit der Vorlage der Verwaltungsakten die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde; auf die Erstattung einer Gegenschrift wurde verzichtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die Beschwerde bestreitet die Zuständigkeit der Republik Polen für die Prüfung der gegenständlichen Anträge nach den Zuständigkeitskriterien der Dublin-Verordnung nicht. Sie strebt aber die Ausübung des Selbsteintrittsrechts der österreichischen Asylbehörden gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung an und bezieht sich dabei vor allem auf die gesundheitlichen Probleme der Erst- und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Die Abschiebung nach Polen würde eine "in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufes oder der Heilungsmöglichkeiten" für diese Personen bewirken. Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Verfahren geführt, weil insbesondere notwendige Untersuchungsergebnisse nicht abgewartet worden seien und die Begründung der angefochtenen Bescheide wesentliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens unberücksichtigt ließe. Weiters rügt die Beschwerde, dass zwischen der Erstbeschwerdeführerin und ihren in Österreich lebenden Angehörigen (insbesondere einer Großtante) eine "Mutter-Tochter-Beziehung" bestehe. Vor allem auch die schwer traumatisierte Viertbeschwerdeführerin habe zu dieser Großtante eine intensive Bindung aufgebaut, weshalb die Ausweisung einen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Familienleben der beschwerdeführenden Parteien darstelle. Hervorgehoben wird auch, dass eine Trennung der psychisch kranken Viertbeschwerdeführerin von ihrer Großtante laut ärztlicher Einschätzung derzeit unmöglich sei, weil die Minderjährige an schweren Angstzuständen leide und ihre gewohnten Bezugspersonen brauche.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Bezug auf den erst- und den viertangefochtenen Bescheid relevante Verfahrensmängel auf.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung der Höchstgerichte des öffentlichen Rechts macht eine grundrechtskonforme Interpretation des Asylgesetzes eine Bedachtnahme auf die - in Österreich im Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig. Dementsprechend müssen die Asylbehörden bei Entscheidungen nach § 5 AsylG 2005 auch Art. 3 und Art. 8 EMRK berücksichtigen und bei einer drohenden Verletzung dieser Vorschriften das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung ausüben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2007, 2006/01/0949, mit weiteren Nachweisen).

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 6. März 2008, B 2400/07, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dargelegt, unter welchen Voraussetzungen im Lichte des Art. 3 EMRK eine Krankheit zur Unzulässigkeit einer Überstellung des Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union führen kann. Zusammenfassend ergibt sich daraus, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland der Abschiebung oder Überstellung nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaats gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben.

Nach diesen Kriterien hat auch der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt beurteilt, ob die Abschiebung eines Kranken zulässig ist (vgl. dazu etwa aus jüngerer Zeit die hg. Erkenntnisse vom 10. Dezember 2009, Zlen. 2008/19/0809 bis 0812, und vom 31. März 2010, Zlen. 2008/01/0312 bis 0313).

3. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Familienlebens. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 9. Juni 2006, B 1277/04, ausgeführt, dass eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen auch nach der Rechtsprechung des EGMR dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen. Dem ist auch der Verwaltungsgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen gefolgt (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 17. November 2009, 2007/20/0955, mit weiteren Nachweisen, vom 28. Mai 2009, Zl. 2008/19/0938, und vom 25. April 2008, Zl. 2007/20/0720).

4. In Bezug auf die Viertbeschwerdeführerin diagnostizierte die vom Bundesasylamt beigezogene Ärztin in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 17. August 2007 nach "reiner Verhaltensbeobachtung", dass bei dem Kind eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege. Eine Behandlung dieser Erkrankung "sollte im Zielland möglich sein, sofern das Kind dieser überhaupt zustimmt (derzeit Trennung von Mutter oder Tante auch für kurze Zeit unmöglich)". Im erstinstanzlichen Bescheid betreffend die Viertbeschwerdeführerin führte das Bundesasylamt aus, die ärztliche Untersuchung habe "ein intensives Klammern an der Mutter" ergeben. Die Überstellung/Abschiebung nach Polen bewirke aber keine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes. Der Viertbeschwerdeführerin stünde in Polen eine Behandlungsmöglichkeit offen.

5. Hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin diagnostizierte die von der Asylbehörde beigezogene Ärztin in einer gutachterlichen Stellungnahme vom 1. August 2007 zunächst keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung. Nach Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen relativierte sie ihre Meinung jedoch in einer Stellungnahme vom 10. Oktober 2007 dahingehend, dass sie "aufgrund der Komplexität um die Einholung einer Zweitmeinung" ersuche. Der deshalb konsultierte Facharzt für Neurologie und Psychiatrie gelangte in seiner Stellungnahme vom 16. Oktober 2007 zu dem Ergebnis, dass bei der Erstbeschwerdeführerin eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege. Nach der Aktenlage beauftragte das Bundesasylamt in der Folge einen weiteren Facharzt für Neurologie und Psychiatrie insbesondere mit der "Untersuchung bez. Möglichkeit der Überstellung (der Erstbeschwerdeführerin( nach Polen". Das Ergebnis dieser Untersuchung scheint in den Verwaltungsakten nicht auf. Im erstinstanzlichen Bescheid betreffend die Erstbeschwerdeführerin führte das Bundesasylamt aus, ihre Untersuchung hätte eine - nicht näher beschriebene - belastungsabhängige psychische Störung ergeben. Es bestünde jedoch im Falle einer Überstellung (nach Polen) keine reale Gefahr, dass die Erstbeschwerdeführerin auf Grund dieser psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtern könne. In Polen bestünden auch Behandlungsmöglichkeiten für traumatisierte Personen und sie seien für die Erstbeschwerdeführerin zugänglich.

6. Gegen diese Entscheidungen erhoben die beschwerdeführenden Parteien eine gemeinsame Berufung.

Sie führten aus, die Erstbehörde sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Überstellung der Erst- und der Viertbeschwerdeführerin nach Polen trotz der Erkrankung zulässig sei. In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin seien jedoch notwendige Ermittlungen zum relevanten Sachverhalt nicht getätigt worden, um die gesundheitlichen Auswirkungen einer Abschiebung festzustellen. Insbesondere habe die vom Bundesasylamt in Aussicht genommene letzte medizinische Untersuchung nicht stattgefunden. Die Erstbeschwerdeführerin sei seit etwa fünf Monaten in psychotherapeutischer Betreuung und ergebe sich aus einem Bericht ihrer behandelnden Psychotherapeutin, dass eine Überstellung der Familie nach Polen nicht zulässig sei, weil insbesondere auch die Erstbeschwerdeführerin durch die Erlebnisse in Tschetschenien schwer gezeichnet sei und eine neuerliche Destabilisierung durch die Überstellung nach Polen drohen würde.

In Bezug auf die Viertbeschwerdeführerin liege ein aktueller Befundbericht des Landesklinikums Mödling, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, vom Dezember 2007 vor, der der Berufung beigelegt werde. Darin heiße es, dass auf Grund der bei der Viertbeschwerdeführerin vorliegenden Erkrankung nach extremen Gewalterfahrungen in ihrer Heimat Tschetschenien die Abschiebung aus Österreich, wo sie jetzt an Familienangehörige angebunden sei, eine neuerliche schwere Retraumatisierung bedeuten würde. Die Viertbeschwerdeführerin halte sich sehr oft bei ihrer Großtante in Wien auf. Die Großtante begleite die Viertbeschwerdeführerin auch meistens zu den Terminen in die psychosomatische Ambulanz in Mödling. Die Mutter der Viertbeschwerdeführerin (Erstbeschwerdeführerin) sei nämlich völlig überlastet mit ihren vier Kindern und ihren eigenen Problemen. Insbesondere die erwähnte Tante kümmere sich sehr um die Kinder und fahre fast täglich nach Traiskirchen, wo die beschwerdeführenden Parteien untergebracht seien. Vor kurzem seien alle vier Kinder (in Abstimmung mit dem Jugendamt) für ca. zwei Wochen bei der Großtante untergebracht gewesen. Sie seien krank gewesen und von der Großtante liebevoll gepflegt worden. Die Erstbeschwerdeführerin selbst habe zu ihrer Tante eine sehr starke Bindung, weil sie bei ihr aufgewachsen sei. Die Erstbehörde sei auf diese Situation der beschwerdeführenden Partei nicht eingegangen und habe weitere Untersuchungsergebnisse nicht abgewartet, obwohl sie selbst der Meinung gewesen sei, dass solche noch eingeholt werden müssten.

7. Die belangte Behörde schloss sich in der Begründung der angefochtenen Bescheide den erstinstanzlichen Erwägungen "vollinhaltlich" an.

Den Berufungseinwänden hielt sie entgegen, dass nach der strengen Judikatur des EGMR die Abschiebung nur dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstelle, wenn der davon Betroffene lebensbedrohend erkrankt sei, sich im Endstadium der Krankheit befinde und im Zielstaat keine medizinische Hilfe erhalten könne. Mentaler Stress bei einer Abschiebung sei ebenfalls kein ausreichendes "real risk". Vor diesem Hintergrund könne nicht erkannt werden, dass eine Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Polen ihre Rechte nach Art. 3 EMRK verletze, weil in ihren Fällen nicht das Endstadium einer tödlichen Krankheit gegeben und in Polen, einem Mitgliedstaat der EU, eine medizinische Behandlung verfügbar sei. Auch dem weiteren Einwand, die Beziehungen der beschwerdeführenden Parteien zu den in Österreich befindlichen Tanten begründe eine nach Art. 8 EMRK relevante familiäre Bindung, könne nicht gefolgt werden. Die beschwerdeführenden Parteien seien erst wenige Monate in Österreich, sie lebten aber nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihren Tanten, sondern nach ihren Berufungsausführungen gut betreut im "Haus der Frauen". Weiters bestünde kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis, da Asylwerber sowohl in Österreich als auch in Polen grundversorgt würden und daher nicht wirtschaftlich in ihrer Existenz bedroht seien, sodass letztlich allein durch die regelmäßigen Besuche und die fallweise Unterstützung durch ihre Tanten in der Kinderbetreuung kein so besonders enges familiäres Band vorliege, dass von einem Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK gesprochen werden könne.

8. Mit diesen Ausführungen geht die belangte Behörde nur unzureichend auf das Berufungsvorbringen der beschwerdeführenden Parteien ein.

Es mag zwar im Regelfall zutreffen, dass psychische Erkrankungen eines Asylwerbers nicht jene Schwere erreichen, die es unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK untersagen würde, ihn in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu überstellen. Trotzdem setzt die Beurteilung, ob insbesondere die Abschiebung selbst im Einzelfall zu einer unzumutbaren Destabilisierung und Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen würde, nachvollziehbare Feststellungen über die Art der Erkrankung des Betroffenen und die zu erwartenden Auswirkungen auf den Gesundheitszustand im Falle einer (allenfalls medizinisch unterstützen) Abschiebung voraus (vgl. auch dazu die hg. Erkenntnisse vom 10. Dezember 2009, Zlen. 2008/19/0809 bis 0812, und vom 31. März 2010, Zlen. 2008/01/0312 bis 0313). Solche Feststellungen sind weder dem erst- noch dem viertangefochtenen Bescheid zu entnehmen.

In der Begründung des erstangefochtenen Bescheides wird auf das Berufungsargument der Erstbeschwerdeführerin, ihr Gesundheitszustand sei im Verfahren vor dem Bundesasylamt nur unzureichend ermittelt worden, insbesondere sei die zuletzt in Aussicht genommene Untersuchung nicht mehr durchgeführt worden, welche aber notwendig gewesen wäre, um die Zumutbarkeit einer Überstellung zu klären, nicht eingegangen. Auch auf das aktenkundige Beweisergebnis betreffend die Viertbeschwerdeführerin, wonach die in erster Instanz beigezogene Ärztin eine Trennung der Viertbeschwerdeführerin von der Tante für "derzeit nicht möglich" bezeichnet hatte, nimmt die belangte Behörde keinen Bezug. Ebenso lässt die Begründung des viertangefochtenen Bescheides nicht erkennen, dass die belangte Behörde den mit der Berufung vorgelegten ärztlichen Befundbericht und seine Einschätzung, die Überstellung der Viertbeschwerdeführerin nach Polen würde zu einer schweren Retraumatisierung führen, in ihre Überlegungen einbezogen hätte. Der allgemeine Hinweis der belangten Behörde, "mentaler Stress bei einer Abschiebung" sei kein ausreichendes "real risk" reicht dafür nicht aus, zumal die belangte Behörde nicht darlegt, aus welchen Gründen sie davon ausgeht, dass im Falle einer Abschiebung der Viertbeschwerdeführerin keine (unzumutbare) Retraumatisierung, sondern lediglich "mentaler Stress" auftreten wird.

Hinzu kommt, dass die medizinischen Probleme der Erst- und Viertbeschwerdeführerinnen auch für die Beurteilung der behaupteten Verletzung des Art. 8 EMRK Bedeutung haben können, weil die beschwerdeführenden Parteien in ihrer Berufung ihre Abhängigkeit von der in Österreich lebenden (Groß-)Tante (zu der auch aus früherer Zeit eine enge Beziehung bestünde) gerade aus dieser besonderen individuellen Lebenssituation ableiteten. Darauf ist die belangte Behörde nur unzureichend eingegangen, wenn sie dem detaillierten Berufungsvorbringen lediglich entgegenhielt, dass die fallweise Betreuung durch die Tante kein enges familiäres Band begründe. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage hätte vielmehr Feststellungen über die Beziehung zwischen den beschwerdeführenden Parteien und der näher bezeichneten Tante in der Vergangenheit und in der Gegenwart vorausgesetzt, die den angefochtenen Bescheiden nicht entnommen werden können.

Im fortgesetzten Verfahren wird überdies zu beachten sein, dass bei der Erstbeschwerdeführerin mittlerweile eine HIV-Infektion diagnostiziert worden sein soll, wodurch sich sowohl ihre gesundheitliche, als auch ihre familiäre Situation (Abhängigkeit) verändert haben könnte.

Der erst- und der viertangefochtene Bescheid waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die Bescheide der zweit-, dritt- und fünftbeschwerdeführenden Parteien durch und belastet diese mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die zweit-, dritt- und fünftangefochtenen Bescheide waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf den §§ 47 ff, insbesondere § 52 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatz-verordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 28. April 2010

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