VwGH 2007/21/0219

VwGH2007/21/021929.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Hanno Lecher, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Marktstraße 8 (Europapassage), gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. April 2007, Zl. 309.372/3- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §252;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs1 Z15;
NAG 2005 §47 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §252;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
NAG 2005 §2 Abs1 Z15;
NAG 2005 §47 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der (volljährige) Beschwerdeführer strebe die Familienzusammenführung mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Großmutter nach § 47 Abs. 3 NAG an.

Die Großmutter verfüge über ein monatliches Einkommen von EUR 999,--, das pfändungsfreie Existenzminimum betrage für sie EUR 802,20. Für den Unterhalt des Beschwerdeführers seien aber EUR 726,-- erforderlich, die sie sohin nicht aufbringen könne.

Das Gehalt des Großvaters des Beschwerdeführers von monatlich EUR 1.419,41 könne hingegen nicht berücksichtigt werden. Aber selbst wenn dieses Einkommen miteinbezogen werden würde, bliebe nach Abzug des Existenzminimums ein Einkommen von lediglich EUR 935,81 übrig. Dabei sei aber noch zu berücksichtigen, dass die Großeltern des Beschwerdeführers auch noch für den Unterhalt der Schwester des Beschwerdeführers aufzukommen hätten und für diese monatlich EUR 726,-- aufwenden müssten. Darüber hinaus hätten die Großeltern auch noch eine monatliche Kreditbelastung von EUR 203,12 zu begleichen.

Im Übrigen habe der Beschwerdeführer auch nicht nachgewiesen, dass er von seiner Großmutter in seinem Heimatland Unterhalt bezogen hätte. Zwar habe die Großmutter schriftlich bestätigt, Unterhalt geleistet zu haben. Es seien jedoch keine Zahlungsbelege vorgelegt worden.

Weiters führte die belangte Behörde noch aus, weshalb ihrer Ansicht nach auch die in § 11 Abs. 3 NAG vorgesehene Interessenabwägung nicht zur Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels führe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

§ 11 Abs. 2 Z 4, Abs. 3 und Abs. 5 sowie § 47 Abs. 1 und Abs. 3 Z 3 NAG (in der hier maßgeblichen Fassung, jeweils samt Überschrift) lauten:

"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§ 11. ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist.

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.

...

Familienangehörige und andere Angehörige

von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt.

...

(3) Angehörigen von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 kann auf Antrag eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

...

3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat

Unterhalt bezogen haben;

b) die mit dem Zusammenführenden bereits im

Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben und

Unterhalt bezogen haben oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die

persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.

Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende

jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

..."

§ 293 Abs. 1 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG

samt Überschrift (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 532/2006) hat folgenden Wortlaut:

"Richtsätze

§ 293. (1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2

a) für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung,

aa) wenn sie mit dem Ehegatten (der Ehegattin) im

gemeinsamen Haushalt leben 1.091,14 Euro,

bb) wenn die Voraussetzungen nach aa) nicht zutreffen

726,00 Euro,

b) für Pensionsberechtigte auf Witwen(Witwer)pension 726,00

Euro,

c) für Pensionsberechtigte auf Waisenpension:

aa) bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres 267,04 Euro,

falls beide Elternteile verstorben sind 400,94 Euro,

bb) nach Vollendung des 24. Lebensjahres 474,51 Euro,

falls beide Elternteile verstorben sind 726,00 Euro.

Der Richtsatz nach lit. a erhöht sich um 76,09 Euro für jedes Kind (§ 252), dessen Nettoeinkommen den Richtsatz für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreicht.

..."

§ 252 ASVG (samt Überschrift) lautet:

"Kinder

§ 252. (1) Als Kinder gelten bis zum vollendeten 18. Lebensjahr:

1. die ehelichen, die legitimierten Kinder und die Wahlkinder der Versicherten;

  1. 2. die unehelichen Kinder einer weiblichen Versicherten;
  2. 3. die unehelichen Kinder eines männlichen Versicherten, wenn seine Vaterschaft durch Urteil oder durch Anerkenntnis festgestellt ist (§163b ABGB);
  3. 4. die Stiefkinder;
  4. 5. die Enkel.

    Die in Z 4 und 5 genannten Personen gelten nur dann als Kinder, wenn sie mit dem Versicherten ständig in Hausgemeinschaft leben, die in Z 5 genannten Personen überdies nur dann, wenn sie gegenüber dem Versicherten im Sinne des § 141 ABGB unterhaltsberechtigt sind und sie und der Versicherte ihren Wohnsitz im Inland haben. Die ständige Hausgemeinschaft besteht weiter, wenn sich das Kind nur vorübergehend oder wegen schulmäßiger (beruflicher) Ausbildung oder zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Das gleiche gilt, wenn sich das Kind auf Veranlassung des Versicherten und überwiegend auf dessen Kosten oder auf Anordnung der Jugendfürsorge oder des Pflegschaftsgerichtes in Obsorge eines Dritten befindet.

(2) Die Kindeseigenschaft besteht auch nach der Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind

1. sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres; die Kindeseigenschaft von Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannte Einrichtung besuchen, verlängert sich nur dann, wenn für sie

a) a)entweder Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 bezogen wird oder

b) b)zwar keine Familienbeihilfe bezogen wird, sie jedoch ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992 betreiben;

2. seit der Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z 1 genannten Zeitraumes infolge Krankheit oder Gebrechens erwerbsunfähig ist."

Die belangte Behörde hat - unter Berücksichtigung des Begehrens und des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Aufenthaltszwecks - zutreffend geprüft, ob die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 NAG, sohin auch jene des im ersten Teil des NAG enthaltenen § 11 Abs. 2 Z 4 NAG, für die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" vorliegen.

Die Beschwerde wendet sich gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Berechnung der zur Verfügung stehenden Mittel und verweist auf das - zusätzlich zum Einkommen der Großmutter des Beschwerdeführers vorhandene - Einkommen seines im gemeinsamen Haushalt mit seiner Großmutter lebenden Großvaters. Dies führt die Beschwerde zum Erfolg.

Vorweg ist auszuführen, dass die Ansicht der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer müssten gemäß § 11 Abs. 5 NAG Unterhaltsmittel im Ausmaß des einfachen Richtsatzes im Sinn des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG zur Verfügung stehen, keinen Bedenken begegnet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 18. März 2010, Zl. 2008/22/0637, mit näherer Begründung - auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - und unter Bezugnahme auf das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0711, aber auch ausgeführt, dass die sich aus dem zuletzt genannten Erkenntnis ergebenden Grundsätze auch für die Frage der Existenzsicherung desjenigen, der eine Haftungserklärung im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG abgegeben hat, gelten. Die Existenz eines Zusammenführenden ist auch dann gesichert, wenn ihm gemeinsam mit seinem Ehepartner der Haushaltsrichtsatz zur Verfügung steht und das restliche Haushaltseinkommen zur Unterhaltsleistung an den Nachziehenden verwendet wird. Diesfalls kann dann auch von einer tragfähigen Haftungserklärung ausgegangen werden, kann doch der Unterhalt sowohl des Nachziehenden als auch des Zusammenführenden ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen bestritten werden (vgl. Pkt. 6.3. der Entscheidungsgründe). Dass diesbezüglich zwischen den - laut Aktenlage die Familienzusammenführung befürwortenden - Ehepartnern (Großmutter und Großvater des Beschwerdeführers) kein Konsens bestünde, ist der Aktenlage nicht zu entnehmen.

Die belangte Behörde weist allerdings - von der Beschwerde unbestritten - darauf hin, dass die Großeltern des Beschwerdeführers auch für den Unterhalt seiner Schwester Sorge zu tragen haben, was im gegenständlichen Fall mit Blick auf das festgestellte (in der Beschwerde nicht bestrittene) Einkommen der Großeltern im Gesamtausmaß von EUR 2.418,41 nicht ausgeklammert bleiben kann. Dazu ist auszuführen, dass in diesem Zusammenhang allerdings der Frage Bedeutung zukommt, ob die - laut Verwaltungsakten am 18. Oktober 1988 geborene und sohin im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits volljährige - Schwester des Beschwerdeführers die Kriterien des § 252 ASVG erfüllt (wofür es im Verwaltungsakt insofern konkrete Hinweise gibt, als diese als Schülerin bezeichnet wird, und dem Vorbringen zufolge die Großeltern eine Unterhaltspflicht trifft; vgl. zu einem Fall, in dem der Zusammenführende Unterhaltspflichten für minderjährige Kinder hat, das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zlen. 2009/21/0304 und 0305).

Wegen Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und infolgedessen das Einkommen des Großvaters des Beschwerdeführers bei der Errechnung des hier für die Unterhaltsleistung in Betracht kommenden "Haushaltseinkommens" nicht berücksichtigt und weitere für die Berechnung relevante Umstände nicht festgestellt.

Die belangte Behörde führt aber auch noch aus, der Beschwerdeführer habe nicht nachgewiesen, dass die in § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG angeführten (besonderen) Erteilungsvoraussetzungen erfüllt seien. Diese Ansicht stellt sich als nicht nachvollziehbar dar. Der Beschwerdeführer brachte bereits im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor, die Unterhaltsleistungen seien durch seine Großeltern "in Form von Naturalunterhalt bzw. in Form von Barauszahlungen" erfolgt und deswegen lägen keine schriftlichen Unterlagen vor. Diesbezüglich befindet sich in den Verwaltungsakten eine schriftliche Erklärung seiner Großeltern. Diese weisen darin auch darauf hin, dass die Eltern des Beschwerdeführers den notwendigen Unterhalt nicht leisten könnten. Weiters enthalten die Verwaltungsakten eine Kopie des Beschlusses des Gemeindegerichts in Negotin vom 15. Juli 1996, dem entnommen werden kann, dass die Großeltern des Beschwerdeführers für ihn als "außerordentlicher Vormund" bestellt wurden. Dies sei - der Begründung dieses Beschlusses zufolge - erforderlich gewesen, weil der Vater des Beschwerdeführers, dem die Obsorge nach dessen Ehescheidung über den Beschwerdeführer zugekommen sei, sich wieder verheiratet habe. Da sich der Beschwerdeführer mit seiner Stiefmutter aber überhaupt nicht verstanden habe, sei es zur Zerrüttung der familiären Beziehungen im Elternhaus gekommen. Die leibliche Mutter, die ebenfalls wieder verheiratet sei, habe sich (zur Zeit der Erlassung des genannten Beschlusses) schon seit 9 Monaten nicht mehr beim Beschwerdeführer gemeldet und leiste auch keinen Unterhalt.

In diesem Zusammenhang wurde von der belangten Behörde nun in keiner Weise dargelegt, weshalb die (oben angeführten) Angaben des Beschwerdeführers und seiner Großeltern - unter Berücksichtigung des Beschlusses des Gemeindegerichts in Negotin - unrichtig wären. Das Unterbleiben der Vorlage von "Zahlungsbelegen" vermochte demgegenüber im vorliegenden Fall die Annahme der belangten Behörde für sich genommen nicht in nachvollziehbarer Weise zu tragen; hat doch der Beschwerdeführer für die fehlende Existenz solcher Belege eine durchaus nicht unschlüssige Begründung geliefert. Die belangte Behörde hat daher ihren Bescheid - hinsichtlich der Annahme des Fehlens von in § 47 Abs. 3 Z 3 NAG enthaltenen besonderen Erteilungsvoraussetzungen - auch mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. April 2010

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