VwGH 2007/13/0150

VwGH2007/13/01506.7.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch die Kraft & Winternitz Rechtsanwälte-Gesellschaft mbH in 1010 Wien, Heinrichsgasse 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 12. Juli 2007, GZ. RV/1340-W/06, betreffend Einkommensteuer 2003, zu Recht erkannt:

Normen

EStG §34 Abs1;
EStG §34 Abs3;
EStG §34 Abs1;
EStG §34 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.286,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Beschwerdefall ist die Anerkennung von Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 34 EStG 1988 strittig. Im Rahmen eines gemäß § 150 BAO erstellten Berichtes über das Ergebnis einer Außenprüfung bei dem als Rechtsanwalt tätigen Beschwerdeführer stellte sich der Prüfer auf den Standpunkt, dass Adoptionskosten generell nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 abziehbar seien.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Einkommensteuerbescheid 2003 keine Folge, in dem - nach Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 Abs. 4 BAO - unter Hinweis auf die Feststellungen des Prüfers die Adoptionskosten nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt worden waren.

Im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides vertrat die belangte Behörde im Wesentlichen den Standpunkt, die vom Beschwerdeführer in der Berufung dargestellte gesellschaftliche Entwicklung (sukzessives Ansteigen der älteren Gesellschaftsmitglieder und ständiges Absinken der Geburtenrate) könne zwar "im allgemeinen problematisch erscheinen", eine sittliche Verpflichtung zur Zeugung oder Adoption von Kindern, der man sich auf Grund dieser Entwicklung nicht "entziehen" könne, sei daraus jedoch nicht ableitbar. Auch sei davon auszugehen, dass der Beweggrund zur Adoption von Kindern primär im Eigeninteresse der Adoptiveltern liege. Weiters sei nicht erkennbar, dass bei Kinderlosigkeit eine allgemeine (zwangsläufige) sittliche Verpflichtung bestehen würde, Kinder zu adoptieren. Im Erkenntnis vom 3. November 2005, 2002/15/0124, habe es der Verwaltungsgerichtshof zwar nicht ausgeschlossen, die Kosten einer In-Vitro-Fertilisation als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen, die allfällige Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung allerdings auch von weiteren Faktoren (z.B. keine freiwillig herbeigeführte Fortpflanzungsunfähigkeit, homologe bzw. heterologe Befruchtung) abhängig gemacht.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 29. November 2007, B 1557/07, abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Im Beschwerdefall hat die belangte Behörde die Anerkennung der in Rede stehenden Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG 1988 deshalb verneint, weil die für eine steuerliche Geltendmachung als außergewöhnliche Belastung erforderliche Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 nicht vorliege. Nach dieser Bestimmung erwächst dem Steuerpflichten die Belastung zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich zuletzt im Erkenntnis vom 24. September 2007, 2005/15/0138, VwSlg. 8268/F, (unter Hinweis auf das auch im angefochtenen Bescheid angesprochene Erkenntnis vom 3. November 2005, 2002/15/0124, VwSlg. 8080/F) mit der Frage beschäftigt, ob die Kosten einer künstlichen Befruchtung (In-Vitro-Fertilisation) als außergewöhnliche Belastung angesehen werden können. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 12. Dezember 1991, G 188, 189/91, VfSlg. 12940, im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen für Kinder entwickelte Gedanke, wonach in Hinblick auf das öffentliche Interesse der Gesellschaft an Kindern Zwangsläufigkeit von vornherein zu unterstellen sei, auch auf die Berücksichtigung der Aufwendungen für eine In-Vitro-Fertilisation als außergewöhnliche Belastung zu übertragen sei. Im Hinblick auf das öffentliche Interesse der Gesellschaft an Kindern könnten demnach Kosten einer medizinisch indizierten In-Vitro-Fertilisation als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung finden, wenn die Fortpflanzungsunfähigkeit nicht freiwillig herbeigeführt worden sei.

In der Beschwerde wird zur Erfüllung des Kinderwunsches durch den Beschwerdeführer und seine Ehefrau u.a. vorgebracht, dass eine so genannte In-Vitro-Fertilisation medizinisch nicht möglich gewesen sei. Die belangte Behörde hat auch nicht festgestellt, dass die Fortpflanzungsunfähigkeit freiwillig herbeigeführt worden wäre. Damit lag aber jedenfalls ein Sachverhalt vor, der im Sinne der zur künstlichen Befruchtung entwickelten Judikatur, dem darin betonten öffentlichen Interesse der Gesellschaft an Kindern, geeignet war, die Anerkennung der Kosten für die Adoption als außergewöhnliche Belastung nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 (im Sinne einer Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen nach § 34 Abs. 3 leg. cit., vgl. Sutter, AnwBl 2008/03, 133) zu rechtfertigen. Da dies die belangte Behörde verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 6. Juli 2011

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