Normen
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 2005 §30;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 2005 §30;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, gelangte am 29. April 2005 in das Bundesgebiet und beantragte am nächsten Tag Asyl. Zwischen seinen Einvernahmen am 3. Mai 2005 und am 12. Mai 2005, bei denen er unter anderem seine wiederholte Verschleppung und schwere Misshandlung durch russische Soldaten beschrieb, wurde er am 5. Mai 2005 von der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. Ilse Hruby untersucht. Der Bericht darüber enthält Angaben über Narben am Schädel des Beschwerdeführers, die er seinen Behauptungen zufolge durch Gewehrkolbenschläge erlitten habe, eine ihm mit einem Messer zugefügte Narbe am Handgelenk, eine Läsion an der Ohrmuschel ("sieht älter aus als angegeben") und Zähne, die ihm seinen Behauptungen zufolge ausgeschlagen wurden, eine Darstellung seiner "derzeitigen subjektiven Beschwerden" und als "Schlussfolgerung" - durch Ankreuzen des dafür vorgesehenen Kästchens im Formular - die Verneinung der Frage nach einer "krankheitswerten psychischen Störung" aus "aktueller Sicht".
Mit Bescheid vom 19. Mai 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 5 Abs. 1 des Asylgesetzes 1997 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Asylantrages sei Polen zuständig, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a AsylG dorthin aus.
In seiner Berufung dagegen machte der Beschwerdeführer u. a. geltend, er sei von der russischen Miliz festgehalten und gefoltert worden, habe davon Narben davongetragen und leide seither an Schlaflosigkeit und Verfolgungsängsten. Obwohl er eine Krankenhausbestätigung aus Grosny vorgelegt habe, in der die Kopfverletzungen bestätigt würden, sei ihm vom Bundesasylamt nicht geglaubt worden. Die russische Miliz habe ihn mehrmals am Kopf geschlagen und er habe bei der Einvernahme wiederholt erwähnt, dass er auf Grund der Gehirnerschütterung teilweise Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten habe. Von den Folterungen habe er mehrere Narben davongetragen, auf die er sowohl bei der Einvernahme als auch bei seiner ärztlichen Untersuchung hingewiesen habe.
Am 6. Juni 2005 bestellte die belangte Behörde einen gerichtlich beeideten Sachverständigen für Unfallchirurgie zum nichtamtlichen Sachverständigen mit dem Auftrag, Befund und Gutachten darüber zu erstellen, ob "medizinisch belegbare Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter war".
Zugleich richtete die belangte Behörde an den Beschwerdeführer in der Betreuungsstelle Traiskirchen die Ladung zur Befundaufnahme beim Sachverständigen am 7. Juli 2005. Diese Ladung wurde dem Beschwerdeführer am 13. Juni 2005 durch Hinterlegung zugestellt und blieb unbehoben. Am 1. Juli 2005 übermittelte der Evangelische Flüchtlingsdienst der belangten Behörde jedoch einen Ärztlichen Befundbericht von Univ.- Doz. Dr. Siroos Mirzaei vom 10. Juni 2005, in dem auf die Verletzungsspuren beim Beschwerdeführer eingegangen und behauptet wurde, seine Schilderungen seien "deckend mit den uns bekannten Foltermethoden aus dieser Region" und die "dzt. feststellbaren Verletzungsfolgen" könnten "den geschilderten Misshandlungen entsprechen". Auch die psychischen Symptome könnten "wohl traumatisch bedingt sein, eine ergänzende psychologische Untersuchung von für Trauma spezialisierten Experten (Psychologen/Psychiatern)" sei "anzuraten".
Die belangte Behörde ließ sich von der Betreuungsstelle Traiskirchen bestätigen, dass der Beschwerdeführer dort (auch) während des Zeitraums der Hinterlegung der Ladung zur Befundaufnahme wohnhaft gewesen sei, und erließ sodann den angefochtenen Bescheid, mit dem sie die Berufung gemäß § 5 und 5a AsylG abwies.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde macht geltend, das Verfahren des Beschwerdeführers wäre gemäß § 24b Abs. 1 AsylG zuzulassen gewesen. Diese Bestimmung lautete, soweit hier wesentlich:
"Ergeben sich in der Ersteinvernahme oder einer weiteren Einvernahme im Zulassungsverfahren (§ 24a) medizinisch belegbare Tatsachen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte, ist das Verfahren zuzulassen und der Asylwerber kann einer Betreuungseinrichtung zugewiesen werden."
In der Beschwerde wird dazu die Auffassung vertreten, schon die "aktenkundigen" Verletzungen des Beschwerdeführers seien medizinisch belegbare Tatsachen im Sinne der zitierten Bestimmung. Es komme nicht auf den Beweis an, dass sie tatsächlich auf Folter zurückzuführen seien. Erforderlich sei nur, dass dies der Fall sein "könnte". Die belangte Behörde habe sich aber auch zu Unrecht über den Befundbericht vom 10. Juni 2005 hinweggesetzt.
Im angefochtenen Bescheid wird zu diesem Thema zunächst auf die Feststellungen im Bescheid des Bundesasylamtes verwiesen, die dazu folgenden Satz enthalten:
"Es konnte nicht festgestellt werden, dass der ASt. im Sinne des § 24b AsylG Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert ist".
Eigene Feststellungen dazu traf die belangte Behörde nicht. Sie verwies zunächst noch auf die "zutreffende Beweiswürdigung" des Bundesasylamtes. Gemeint sind damit die - mit Rechtsausführungen vermischten - Ausführungen auf den Seiten 12 unten bis 14 oben des erstinstanzlichen Bescheides. Darin wird auf den Untersuchungsbericht vom 5. Mai 2005 eingegangen und ausgeführt, die Untersuchung habe "eindeutig ergeben", dass eine "krankheitswerte psychische Störung nicht vorliegt". Was Folterspuren anlange, so seien die Narben im Untersuchungsbericht zwar in einer Skizze festgehalten worden, aus den "diesbezüglichen Aufzeichnungen" (gemeint: im Untersuchungsbericht) sei jedoch "kein Hinweis zu entnehmen, dass es sich hierbei um Folterspuren handeln könnte".
Nach einer Auseinandersetzung mit widersprüchlichen Datumsangaben des Beschwerdeführers enden diese - von der belangten Behörde übernommenen - Ausführungen wie folgt:
"Somit kann abschließend festgehalten werden, dass keine medizinisch belegbaren Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der ASt. Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte. Wird einerseits im medizinischen Bericht vom 05.05.2005 das Vorliegen einer psychischen Störung ohnehin dezidiert ausgeschlossen, so stellen andererseits die angeführten Narben bzw. Verletzungen insofern keine medizinisch belegbare Tatsache dar, als diese über eine reine Aufzählung der Angaben des ASt. nicht hinausgehen und in besagtem medizinischen Bericht keinerlei Bezug der angeführten Narben bzw. Verletzungen zu einem möglichen Folterereignis ersichtlich ist, was jedenfalls Grundvoraussetzung für die Qualifizierung als medizinisch belegbare Tatsache wäre. Die Angaben des ASt. zu den angeblichen Narben bzw. Verletzungen wiederum sind, wie bereits weiter oben ausgeführt wurde, unglaubwürdig, weil sie in sich widersprüchlich und unplausibel sind und die Angaben zu den Ereignissen, welche laut ASt. den Narben bzw. Verletzungen zugrunde liegen, von diesem einige Male unterschiedlich dargestellt wurden, insbesondere was den Zeitpunkt des Zustandekommens der vom ASt. vorgewiesenen Narben anbelangt, sowie die Angaben des ASt. hinsichtlich der Dauer der Anhaltung. Somit ist im gegenständlichen Verfahren auszuschließen, dass eine medizinisch belegbare Tatsache vorliegt, dass der ASt. Opfer von Folter oder durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte."
Dem Verweis auf diese "zutreffende Beweiswürdigung" folgen im angefochtenen Bescheid ergänzende Ausführungen dazu, weshalb das Bundesasylamt "zu Recht" eine "Negativ-Feststellung zur behaupteten Folterung" getroffen habe. Die belangte Behörde verweist zunächst darauf, dass der Beschwerdeführer die Ladung zur Befundaufnahme am 7. Juli 2005 nicht behoben habe:
"Diese mangelnde Mitwirkung am Verfahren ist als Hinweis darauf zu werten, dass die behaupteten Folterungen nicht den Tatsachen entsprechen. Der Berufungswerber versucht offenbar, einer ärztlichen Begutachtung, die ein für ein (gemeint: ihn) negatives Ergebnis bringen könnte, auszuweichen und hat stattdessen ein von einem Arzt seiner Wahl verfasstes
'Privatgutachten' vorgelegt. ... Es ist davon auszugehen, dass den Asylwerber ... die Obliegenheit trifft, sich einer entsprechenden
medizinischen Befundaufnahme zu unterziehen. Kommt er dieser Obliegenheit nicht nach, so ist der geforderte medizinische Beleg nicht erbracht und muss davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 erster Satz AsylG nicht erfüllt sind."
Dem folgen ein nochmaliger Hinweis auf die "zutreffenden" Ausführungen des Bundesasylamtes über widersprüchliche Datumsangaben des Beschwerdeführers und schließlich - "im Übrigen" - noch kritische Bemerkungen zu dem am 1. Juli 2005 übermittelten Befundbericht vom 10. Juni 2005, der "keine schlüssige Begründung" dafür liefere, "dass der Berufungswerber in seiner Heimat Opfer von Folterungen war."
Letzteres ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht Voraussetzung für die Zulassung des Verfahrens gemäß § 24b Abs. 1 AsylG. Im Zulassungsverfahren ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung nicht zu klären, ob der Asylwerber traumatisiert ist oder gefoltert wurde. Entscheidend ist nur, ob medizinisch belegbare "Tatsachen" vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass dies der Fall sein "könnte". Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG kann dazu auf die hg. Erkenntnisse vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0011, Zlen. 2006/19/0163 bis 0166, Zl. 2006/19/0442, Zl. 2006/19/0675, Zlen. 2006/19/0851 bis 0854 und Zl. 2006/19/0919, vom 30. Mai 2007, Zlen. 2006/19/0418 bis 0420 und Zlen. 2006/19/0433 bis 0436, sowie vom 20. Juni 2007, Zl. 2006/19/0018, verwiesen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof ist - obwohl der angefochtene Bescheid daran zweifeln lassen könnte und vom Beschwerdeführer auch anders verstanden wurde - der Ansicht, dass die belangte Behörde diesen Maßstab angewendet hat und es nur missverständlich formuliert ist, wenn sich die angefochtene Entscheidung auf eine "Negativ-Feststellung zur behaupteten Folterung" stützt und dem Beschwerdeführer zur Begründung für die Nichterfüllung der im Gesetz umschriebenen Voraussetzungen entgegen gehalten wird, der von ihm vorgelegte Befundbericht enthalte "keine schlüssige Begründung" dafür, dass er "Opfer von Folterungen war". Immerhin hat die belangte Behörde auch auf Teile der erstinstanzlichen Beweiswürdigung verwiesen, in denen das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen unter Verwendung der verba legalia - und somit ohne Widerspruch zur erwähnten Judikatur - verneint wurde. Der in der Beschwerde geäußerten Kritik, die belangte Behörde habe den Inhalt der Norm verkannt, ist daher nicht zu folgen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die belangte Behörde der Ansicht war, die am Beschwerdeführer festgestellten Verletzungsspuren "könnten" nicht von Folter herrühren.
Der angefochtene Bescheid enthält aber - in verfahrensrechtlicher Hinsicht - keine ausreichende Begründung für diese angesichts der Art der Verletzungen nicht von vornherein nahe liegende Annahme. So sind zunächst die beweiswürdigenden Schlüsse der belangten Behörde aus der Nichtbehebung der Ladung zur Befundaufnahme nicht nachvollziehbar, wenn der Beschwerdeführer nicht wissen musste, was Inhalt des zu behebenden Schriftstücks war. Diese Schlüsse nehmen auch nicht erkennbar darauf Bedacht, dass sich der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren der Untersuchung durch Dr. Hruby gestellt hatte und der am 1. Juli 2005 übermittelte Befundbericht schon am 10. Juni 2005, also unabhängig von der Hinterlegung der für den Beschwerdeführer bestimmten Ladung, entstanden war.
Insofern die belangte Behörde Kritik an der ihres Erachtens nicht ausreichenden Schlüssigkeit dieses Befundberichtes übt, ist ihr - abgesehen von der in diesem Zusammenhang gebotenen Erinnerung an den anzulegenden rechtlichen Maßstab - entgegenzuhalten, dass sie der nicht näher begründeten Wahl des anzukreuzenden Kästchens im Untersuchungsbericht vom 5. Mai 2005 durch die Übernahme der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes und in abschließenden Ausführungen zur "angeblichen Traumatisierung des Berufungswerbers" die Bedeutung einer tragfähigen Entscheidungsgrundlage beizumessen scheint. Die Angaben in diesem Formular lassen sich aber nicht als schlüssiges oder überhaupt als Sachverständigengutachten werten, wozu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 17. April 2007, Zl. 2006/19/0919, verwiesen werden kann.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das formularmäßig vorgegebene Thema der von Dr. Hruby im Verfahren vor dem Bundesasylamt zu ziehenden "Schlussfolgerung" ein Tatbestandsmerkmal nicht der hier anzuwendenden Vorschriften, sondern des Asylgesetzes 2005 war (§ 30 AsylG 2005: "an einer ... krankheitswertigen psychischen Störung"). "Schlussfolgerungen" zu möglicherweise erlittener Folter als solcher, also unabhängig von einer daraus resultierenden "psychischen Störung", wurden ihr in diesem Formular - ebenfalls auf die hier noch nicht anzuwendende Rechtslage abstellend - gar nicht abverlangt, was der von der belangten Behörde übernommenen Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in diesem Punkt von vornherein die Grundlage entzieht.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Ausmaß des Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. August 2007
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