VwGH 2005/08/0089

VwGH2005/08/008926.11.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des D in K, vertreten durch Dr. Horst Wendling und Mag. Katharina Dwyer, Rechtsanwälte in 6370 Kitzbühel, Kirchplatz, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 11. April 2005, Zl. uvs-2004/19/090-2, betreffend Zurückweisung einer Berufung gegen ein wegen Verletzung des § 111 ASVG ergangenes Straferkenntnis (weitere Partei: Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

VwRallg;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §2 Z5 idF 2004/I/010;
ZustG §4;
VwRallg;
ZustG §17 Abs3;
ZustG §2 Z5 idF 2004/I/010;
ZustG §4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel vom 13. April 2004 als verspätet zurückgewiesen.

Dieses Straferkenntnis sei dem Beschwerdeführer am 16. April 2004 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt worden. Die Abholfrist habe am selben Tag zu laufen begonnen. Die Berufung sei am 3. Mai 2004 bei der belangten Behörde eingebracht worden.

Zur Überprüfung der Rechtzeitigkeit habe die belangte Behörde Erhebungen vorgenommen und den Beschwerdeführer gefragt, ob er sich "zum Zeitpunkt der Zustellung nicht regelmäßig an der Abgabestelle (Zustellort) aufgehalten" habe bzw. ob er "zum Zeitpunkt der Zustellung vorübergehend kurz von der Abgabestelle (Zustellort) abwesend" gewesen sei. Er sei darauf aufmerksam gemacht worden, dass er seine zu den Fragen aufgezeigten Umstände durch Angabe von Beweismitteln (dem Verwaltungsakt zufolge "Flugticket, Hotelrechnung etc.") glaubhaft zu machen habe. Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, seine Aufenthalte in K wären unregelmäßig und er würde einen großen Teil des Jahres sowohl geschäftlich als auch privat reisen. Er wäre erst am Wochenende vor der Einbringung der Berufung nach K gereist und wäre am 3. Mai 2004 direkt zur Post gegangen, um das Straferkenntnis zu beheben. Auf Grund seiner zahlreichen Reisen würde er seine Flugtickets niemals über einen längeren Zeitraum aufbewahren. Es wäre ihm nicht mehr möglich, entsprechende Belege darüber vorzuweisen.

Mit der bloßen Behauptung einer Ortsabwesenheit - so die belangte Behörde weiter - ohne nähere Angaben und ohne Anbot entsprechender Bescheinigungsmittel könne das Vorliegen einer unwirksamen Zustellung durch Hinterlegung nicht dargetan werden. Würde jemand behaupten, es lägen Zustellmängel vor, so hätte er diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und zu beweisen, "welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen". Dies habe der Beschwerdeführer nicht getan. Es sei zwar möglich, dass er seine Flugtickets niemals aufhebe, doch wäre es ihm "durch Kreditkartenabrechnungen bzw. Bestätigung durch die Fluglinie auf jeden Fall möglich gewesen, die behauptete Abwesenheit darzutun". Die Zustellung durch Hinterlegung sei wirksam. Die Berufungsfrist habe am 30. April 2004 geendet. Die am 3. Mai 2004 eingebrachte Berufung sei verspätet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beweis, dass eine Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist, wird durch den eine öffentliche Urkunde darstellenden Zustellnachweis (Rückschein) erbracht, gegen den jedoch gemäß § 292 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 24 VStG und § 47 AVG der Gegenbeweis zulässig ist. Behauptet jemand, es läge ein Zustellmangel vor, so hat er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet sind (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 1. April 2008, Zl. 2006/06/0243, mwN).

Der Beschwerdeführer bringt in der Beschwerde - wie schon im Verwaltungsverfahren - vor, er sei "englischer Staatsbürger" (gemeint: Staatsbürger des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland) und verbringe einen Teil seiner Freizeit äußerst unregelmäßig in K. Es könne keine Rede davon sein, dass er an der Hinterlegungsstelle seinen regelmäßigen Aufenthalt habe. Auch der Zusteller habe keinen Grund zur Annahme gehabt, dass dies der Fall sei. Er habe der belangten Behörde mit Schreiben vom 1. April 2005 mitgeteilt, dass er keinen regelmäßigen Aufenthalt in K habe. Es seien keinerlei Erhebungen diesbezüglich durchgeführt worden. Darüber hinaus sei ihm nicht die Möglichkeit eingeräumt worden, in einer persönlichen Einvernahme seine Angaben zu bekräftigen.

§ 2 Z. 5 Zustellgesetz in der hier noch anzuwendenden, ab 1. März 2004 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 10/2004 lautet:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeuten die Begriffe:

(...)

5. 'Abgabestelle': die Wohnung oder sonstige Unterkunft, die Betriebsstätte, der Sitz, der Geschäftsraum, die Kanzlei oder auch der Arbeitsplatz des Empfängers, im Falle einer Zustellung anlässlich einer Amtshandlung auch deren Ort, oder ein vom Empfänger der Behörde für die Zustellung in einem laufenden Verfahren angegebener Ort;

(...)"

§ 4 ZustellG idF BGBl. I Nr. 10/2004, lautet:

"§ 4. (1) Soweit gesetzlich nicht die Zustellung an bestimmte Zustelladressen vorgeschrieben ist, darf einem Empfänger an jede Zustelladresse zugestellt werden. Sie ist in der Zustellverfügung zu benennen. Sieht die Zustellverfügung eine elektronische Zustellung mit Zustellnachweis vor, darf nur eine elektronische Zustelladresse verwendet werden, die einem elektronischen Zustelldienst bekannt gegeben wurde.

(2) Bei der Bestimmung der Zustelladresse ist neben den Zwecken des Verfahrens und den konkreten Umständen darauf Bedacht zu nehmen, dass bei der Zustellung von behördlichen Erledigungen aus einem elektronischen Aktensystem der elektronischen Zustellung der Vorzug zu geben ist.

(3) Als Zustelladresse darf eine Abgabestelle nicht verwendet werden, von welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch dauernd abwesend ist, oder eine elektronische Adresse, an welcher der Empfänger durch längere Zeit hindurch nicht erreichbar ist. Dies ist außer in Fällen offensichtlich Missbrauchs von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn der Empfänger diesen Umstand bei der Behörde oder beim Zustelldienst rechtzeitig bekannt gegeben hat. Hat der Empfänger die Bekanntgabe seiner länger dauernden Abwesenheit von einer Abgabestelle unterlassen, dieses Geschehen aber in der Folge glaubhaft gemacht, wird die Zustellung erst mit dem auf seiner Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag wirksam.

(4) Mangels einer Zustelladresse darf - unbeschadet der Möglichkeit einer Zustellung nach § 8 - dem Empfänger an jedem Ort zugestellt werden, an dem er angetroffen wird; die Zustellung kann zudem auch durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 25 erfolgen.

(5) Trotz Vorhandenseins einer Zustelladresse darf an jedem Ort zugestellt werden, an dem der Empfänger angetroffen wird, wenn er die Annahme der Sendung nicht verweigert. Für die Zustellung durch unmittelbare Ausfolgung in Amtsräumen gilt § 24. Dieser gilt hinsichtlich der elektronischen Übergabe von Dokumenten durch die Behöre an den Empfänger im online-Dialogverkehr sinngemäß mit der Maßgabe, dass die Zustellung nur zulässig ist, wenn der Empfänger von der elektronischen Entgegennahme des Dokuments der Behörde seine Identität und die Authentizität der Kommunikation in geeigneter Form nachgewiesen hat."

Unter einer "Wohnung" - auf deren Vorhandensein die belangte Behörde das Vorliegen einer Abgabestelle an der angegebenen Adresse in K stützt - ist jene Räumlichkeit zu verstehen, die der Empfänger tatsächlich benützt, wo er also tatsächlich wohnt. Der dazu erforderliche regelmäßige Aufenthalt des Empfängers ist dabei nach objektiven Gesichtspunkten ex post und ohne Rücksicht darauf zu beurteilen, wie sich die Verhältnisse dem Zustellorgan seinerzeit subjektiv geboten haben sowie ohne Rücksicht auf die Absichten des Empfängers. Eine "Wohnung" wird durch das Faktum des (regelmäßigen) Bewohntwerdens begründet. Davon kann keine Rede sein, wenn nur eine bloß fallweise Benützung vorliegt (vgl. die zum identen Begriff der Wohnung gemäß § 4 Zustellgesetz in der bis zum 29. Februar 2004 geltenden Stammfassung BGBl. Nr. 200/1982 ergangenen hg. Erkenntnisse vom 25. April 2002, Zl. 2001/07/0120, und vom 30. Jänner 2007, Zl. 2004/18/0428). Erst wenn das Vorliegen einer Wohnung im genannten Sinn und damit einer Abgabestelle iSd § 4 ZustellG bejaht werden kann, käme es im weiterer Folge darauf an, ob der Zustellempfänger iSd § 17 Abs. 3 Zustellgesetz wegen Abwesenheit von dieser Abgabestelle von einem Zustellvorgang nicht rechtzeitig hätte Kenntnis erlangen können (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 1993, Zl. 92/09/0331, und vom 30. Juni 2005, Zl. 2003/18/0209).

Da der Beschwerdeführer auf seinen Wohnsitz im Vereinigten Königreich und das Fehlen eines regelmäßigen Aufenthalts an der genannten inländischen Adresse verwiesen und bereits damit der Sache nach das Vorliegen einer Abgabestelle an der genannten Adresse bestritten (und nicht eine ausnahmsweise bzw. vorübergehende Abwesenheit von der Abgabestelle behauptet) hat, ist er seiner Behauptungslast hinreichend konkret nachgekommen. Die Behörde hätte zum Zwecke der Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Abgabestelle an der genannten Adresse von Amts wegen ermitteln müssen, ob der Beschwerdeführer dort tatsächlich und regelmäßig wohnt. Dem Grundsatz der amtswegigen Feststellung des Sachverhalts korrespondiert eine Verpflichtung der Partei zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes insbesondere dann, wenn der amtswegigen behördlichen Erhebung faktische Grenzen gesetzt sein sollten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1995, Zl. 95/04/0036). Der Verwaltungsgerichtshof teilt jedoch in Anbetracht des vorliegenden Beweisthemas jedoch nicht die Ansicht, dass der Beschwerdeführer durch den Hinweis, er bewahre die - durch die Behörde von ihm ausdrücklich verlangten - Flugtickets nicht auf, könne aber seine Vernehmung als Partei anbieten, gegen diese Mitwirkungspflicht verstoßen habe. Es geht nämlich - anders als die belangte Behörde meint - nicht darum, ob der Beschwerdeführer von einer Abgabestelle abwesend war, sondern um die Frage, ob an der Adresse überhaupt wirksam hinterlegt werden durfte. Verneinte man diese Frage, weil sich der Beschwerdeführer an dieser Adresse nicht regelmäßig aufhält, dann läge eine unwirksame Zustellung vor, die erst mit dem tatsächlichen Zugang des Schriftstückes geheilt wäre (§ 7 ZustellG). Diesfalls wäre es für die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels auch unerheblich, ob die Behauptung der Beschwerde zutraf, der Beschwerdeführer habe das Schriftstück erst am 3. Mai 2004 behoben, oder ob dies schon zu einem früheren Zeitpunkt der Fall war, zumal der Beschwerdeführervertreter nach der Aktenlage schon am 29. April 2004 Akteneinsicht genommen und sein am 3. Mai 2004 überreichtes Rechtsmittel mit 30. April 2004 datiert hat.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 26. November 2008

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