VwGH 2005/05/0169

VwGH2005/05/016928.4.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde 1. des JS und 2. der IS, beide in H, beide vertreten durch Dr. Lorenz E. Riegler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 6, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. April 2005, Zl. RU1 BR 323/001 2005, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde K, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52
AVG §8
BauO NÖ 1976 §62 Abs2 implizit
BauO NÖ 1996 §48
BauO NÖ 1996 §48 Abs2
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z2
BauRallg
B-VG Art15a
FeuerwehrG NÖ §23 Abs1 Z2
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z5
Warn- und Alarmsystem VE Bund Bundesländer 1988

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2006:2005050169.X00

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von € 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schriftsatz vom 12. November 2004 ersuchte die mitbeteiligte Gemeinde um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Aufstellung einer Sirene am Dach des Gemeindeamtes in H (Grundstück Nr. .88 KG H). Den dem Antrag beigelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass die tragende Konstruktion der Sirene des Sirenentypes E 57 mit drei Schellen am Holzdachstuhl befestigt ist und die Sirene ca. 1,4 m über die Dachfläche hinaus ragt.

Die Beschwerdeführer sind Anrainer des Gemeindeamtes.

Über dieses Vorhaben fand am 2. Dezember 2004 eine mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen der bautechnische Sachverständige angab, gegen die Erteilung der nachträglichen Baubewilligung für die Aufstellung der Sirene bestehe aus bautechnischer Sicht bei Einhaltung näher dargestellter Auflagen kein Einwand. Der beigezogene Sachverständige aus dem Gebiet der Schalltechnik erklärte, dass die Sirene laut Firmenangaben in 1 m Entfernung einen Schalldruckpegel von 132 dB, A bewertet, aufweise. Sirenen stellten keinen Betriebs , Gewerbeoder Freizeitlärm dar. Ihr primärer Zweck liege in der Warnung der Bevölkerung vor Gefahren. Es sei daher zwecks eindeutiger Wahrnehmung durch die Bevölkerung notwendig, dass diese Warneinrichtung auch in größerer Entfernung deutlich über dem Umgebungsgeräusch liege. Zur Überprüfung der Funktion werde einmal pro Woche ein etwa 30 sec langer Dauerton abgestrahlt.

Es gebe weder in Niederösterreich noch bundesweit Höchstgrenzen für die Schallemission. Bestehende Richtlinien über Lärmgrenzwerte seien auf Grund des Warncharakters einer Sirene nicht anwendbar. Die Beurteilung erfolge daher in Anlehnung an die Regelung für das Bundesland Wien. Dort sei seitens der MA 15 (Amtsarzt) ein Immissionspegel für Probealarm von 120 dB, A bewertet, in 30 m Entfernung bei einer Dauer von weniger als 1 min zulässig.

Am 27. November 2004 sei durch den schalltechnischen Sachverständigen der Probealarm neben dem Grundstück der Beschwerdeführer (Parkplatz) messtechnisch in einer Entfernung von 35 m erfasst worden. Die Messung habe einen Schallimmissionspegel von 110 dB erbracht. Umgelegt auf eine Entfernung von 30 m von der Sirene ergebe sich ein Schalldruckpegel von 111 dB, A bewertet. Damit werde sowohl hinsichtlich des Lärmgrenzwertes als auch hinsichtlich der Dauer die Vorgabe der MA 15 eingehalten. In Anlehnung an die Wiener Regelung bestehe daher aus schalltechnischer Sicht kein Einwand gegen den Betrieb der Sirene.

Die Beschwerdeführer verwiesen bei der mündlichen Verhandlung auf ein von ihnen verfasstes Schreiben vom 14. Oktober 2004, das die Antragstellung durch die Gemeinde veranlasst habe, und erklärten, dieses vollinhaltlich aufrecht zu halten.

In diesem Schreiben vom 14. Oktober 2004 hatten die Beschwerdeführer hinsichtlich der auf dem Dach des Gemeindeamtes in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft angebrachten Sirene erklärt, diese erzeuge im Betrieb einen nicht zumutbaren Lärmpegel. Die Sirene verursache weiters im Betrieb Erschütterungen bzw. Vibrationen, die an den Glasflächen der Fenster ihres Hauses mit der Hand deutlich spürbar seien. Dieser Umstand wirke auf die Bausubstanz und könne von ihnen nicht akzeptiert werden.

Aus einer weiteren Stellungnahme des beigezogenen Sachverständigen für Schallschutz vom 7. Dezember 2004 geht hervor, dass dieser auch die bereits seit längerem bestehende Sirene auf dem Feuerwehrhaus, ebenfalls in H, lärmtechnisch vermessen hatte. Diese Messung sei in einer ähnlichen Entfernung wie bei der neuen Sirene auf dem Gemeindeamt erfolgt und habe als Ergebnis einen Schalldruckpegel in ca. 30 m Entfernung von 96 dB/A bei einer Dauer des Sirenentones von ungefähr 15 sec erbracht. Hinsichtlich eines eventuell beabsichtigten Standorttausches der bestehenden Sirene auf dem Feuerwehrhaus mit der neuen auf dem Gemeindeamt bedeute dies im Ergebnis, dass die bestehende Sirene auf dem Feuerwehrhaus mit 96 dB um ca. 15 dB geringere Schallimmissionen in 30 m Entfernung aufweise. Dies bedeute für den normal empfindenden Menschen eine Lautstärke, die weniger als halb so laut empfunden werde. Damit sei auch die Störwirkung wesentlich geringer. Ein Austausch hätte zwar zur Folge, dass die Schallimmissionen bei den nächstgelegenen Anrainern beim Gemeindeamt geringer wären, also etwa 95 dB betrügen; andererseits würden die Schallimmissionen zufolge Sirenentons bei den Anrainern beim Feuerwehrhaus entsprechend ansteigen, zumal dort die nächstgelegenen Anrainer im Wesentlichen auch nicht in größerer Entfernung zu der Sirene situiert seien.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2004 erteilte der Bürgermeister der Gemeinde K als Baubehörde erster Instanz der mitbeteiligten Partei auf Grund ihres Ansuchens vom 21. November 2004 gemäß § 23 Abs. 1 und 2 der Niederösterreichischen Bauordnung, LGBl. 8200 in der derzeit geltenden Fassung (NÖ BauO 1996), die baubehördliche Bewilligung zur Aufstellung einer Sirene auf dem Dach des Gemeindeamtes H. Auf Grund der gesetzlichen Vorgaben, des Ergebnisses der Bauverhandlung vom 2. Dezember 2004 samt Stellungnahme des schalltechnischen Sachverständigen, der vorliegenden Bestätigung über die fachgerechte Montage sowie über die ordnungsgemäße Ausführung der Elektroinstallationen habe die Bewilligung spruchgemäß erteilt werden können. Bezüglich der Einwendungen der Beschwerdeführer werde auf die Stellungnahme des schalltechnischen Sachverständigen verwiesen.

Die Beschwerdeführer erhoben gegen diesen Bescheid Berufung, in der sie ihre Einwendungen vollinhaltlich aufrecht erhielten. Bei der nachträglichen Bauverhandlung vom 2. Dezember 2004 sei zwar eine Stellungnahme eines schalltechnischen Sachverständigen mit durchgeführten Messdaten angeführt, diese nehme aber lediglich auf eine Information über eine Wiener Regelung Bezug, was keine Beurteilung darstelle, ob der vorhandene Schalldruckpegel eine unzumutbare Belästigung darstelle. Die persönliche Meinung des Sachverständigen, wonach der „Lärm schon unangenehm“ sei, sei nicht in die Niederschrift übernommen worden. Die Beschwerdeführer wiederholten, dass die Sirene im Betrieb Erschütterungen bzw. Vibrationen erzeuge, die an den Glasflächen ihrer Fenster mit der Hand deutlich spürbar seien und auf die Bausubstanz wirkten. Sie verwiesen auch auf § 48 der NÖ Bautechnikverordnung 1997 und dessen Nichteinhaltung.

Mit Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde vom 31. Jänner 2005 wurde die Berufung der Beschwerdeführer als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer erhoben Vorstellung, in der sie im Wesentlichen ihr Berufungsvorbringen wiederholten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. April 2005 wies die belangte Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 4 der NÖ Gemeindeordnung 1973, LGBl. 1000 12, als unbegründet ab.

Nach Darstellung des Sachverhaltes, des Wortlautes des § 6 Abs. 1 und 2 sowie des § 48 Abs. 1 NÖ BauO 1996 stellte die belangte Behörde fest, dass die Beschwerdeführer Anrainer des Baugründstückes seien und Einwendungen gemäß § 6 Abs. 2 NÖ BauO 1996 erhoben hätten, sodass ihre Parteistellung gegeben sei. Ob Belästigungen gemäß Abs. 2 leg. cit. örtlich zumutbar seien, sei nach der für das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerkes und dessen Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen zu beurteilen. Die Baubehörde habe vorweg zu prüfen, ob das Vorhaben mit der jeweils rechtskräftigen Flächenwidmung vereinbar sei, wobei auf die entsprechenden Normen des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 zurückgegriffen werden müsse. Hiebei sei allein die Widmung des zu bebauenden Grundes, nicht aber die Widmung der Nachbargrundstücke entscheidend. Nach dem vorliegenden Projekt gelte für das gegenständliche Grundstück laut rechtskräftigem Flächenwidmungsplan der Gemeinde die Widmung „Bauland Agrargebiet“. Unter der Voraussetzung der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit der im Flächenwidmungsplan festgesetzten Widmungsart hätten die Nachbarn einen Anspruch darauf, dass sie vor Gefahren, die das örtlich zumutbare Maß übersteigen, geschützt werden.

Die Grenze des zulässigen Ausmaßes an Emissionen richte sich nach dem auf die jeweilige Widmungskategorie bezogenen üblichen Ausmaß. Bei einer Sirene handle es sich um eine Warneinrichtung, welche im verbauten Gebiet aufgestellt werden müsse, um die Bevölkerung zu warnen bzw. um eine Alarmierung der Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr H zu ermöglichen, sodass die Aufstellung einer Sirene im Bauland als mit der Widmung vereinbar anzusehen sei. Für die Feststellung einer allfälligen Gesundheitsgefährdung oder Belästigung habe sich die Behörde der Mithilfe von Sachverständigen aus dem Bereich der Technik zu bedienen, die das Vorhaben jeweils auf Grund des letzten Standes ihrer Wissenschaft zu beurteilen in der Lage seien. Der lärmtechnische Sachverständige habe in seinem im Rahmen der Bauverhandlung abgegebenen Gutachten die Zumutbarkeit des zu erwartenden Betriebsgeräusches der Sirene durch Vergleich des bei der Schallmessung an Ort und Stelle erhobenen Schallemissionspegels von 111 dB, mit dem „im Bundesland Wien seitens der MA 15 festgelegten zulässigen Schallemissionswert für Sirenen von 120 dB, A bewertet, in 30 m Entfernung“ beurteilt. Diese Beurteilung habe ergeben, dass unter Beachtung des von der Stadtgemeinde Wien, MA 15, festgesetzten Immissionspegelwertes für Sirenen von 120 dB, A bewertet, welcher in 30 m Entfernung in Wohngebieten als zulässig und unbedenklich angesehen werde, der durch die Messung und Berechnung ermittelte Wert von 111 dB deutlich unter diesem oben angeführten Grenzwert liege.

Da somit die Vorgabe der MA 15 eingehalten werde, sei mit keiner unzulässigen Lärmbelästigung und in weiterer Folge mit keiner Gesundheitsgefährdung zu rechnen. Insbesondere sei darauf hinzuweisen, dass die Dauer dieser Probealarme bzw. Alarme in der Regel eine Minute nicht überschreite. In der Verhandlungsschrift sei angegeben worden, dass der wöchentliche Probealarm nur 30 sec dauern solle. Unter Beachtung dieser sehr kurzen Betriebszeit und den Erfahrungswerten der Magistratsabteilung 15 der Stadtgemeinde Wien, die als Grundlage zur Festsetzung des oben beschriebenen Grenzwertes dienten, habe von keiner Beeinträchtigung und gesundheitlichen Schädigung eines gesunden, normal empfindenden Menschen ausgegangen werden können.

Zur Nichtberücksichtigung der Bestimmungen des § 48 der NÖ Bautechnikverordnung 1997 werde ausgeführt, dass diese nur den Schutz der Benützer von Wohnund Aufenthaltsräumen vor dem Außenlärm regle. Beim Neubau von Wohnungen würden bestimmte Anforderungen gelten, um Schallübertragungen von Außen bzw. vom Straßenlärm zu verhindern. Bezüglich der angeblichen Vibrationen der Fensterscheiben werde ausgeführt, dass bei der kurzen Belastung von 30 sec wohl nicht von einer unzumutbaren Belästigung gesprochen werden könne. Zu dem Vorwurf, die Gemeinde würde in diesem Verfahren über die Nachbarn „drüberfahren“, werde festgehalten, dass seitens der Aufsichtsbehörde dieser Eindruck nicht bestätigt werden könne. Die Gemeinde habe sogar den möglichen Austausch der neuen Sirene mit der alten am Dach des Feuerwehrhauses geprüft und sei zum Ergebnis gelangt, dass dies nur zu einer Verlagerung des Problems führen würde. Auch erscheine es lebensfremd, wenn die im Sinne des Katastrophenschutzes bestehende Verpflichtung für Gemeinden, eine flächendeckende Alarmierung des Gemeindegebietes zu gewährleisten, durch die Erhebung von ungerechtfertigten Einwendungen im Bauverfahren unterlaufen werden könnte. Zusammenfassend werde ausgeführt, dass das gegenständliche Bauverfahren ergeben habe, dass durch die Errichtung und den Betrieb der Sirene auf dem Dach des Gemeindeamtes unter Berücksichtigung der beabsichtigten Betriebsdauer und Betriebsweise die Beschwerdeführer nicht unzumutbar belästigt würden. Sie seien dadurch auch nicht in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführer machen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Unter dem Aspekt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit verweisen sie auf die im Gegenstand örtlich unzumutbare Belästigung. Die Erforderlichkeit der Erhöhung der Beschallung (durch Aufstellung einer zweiten Sirene) sei ebenso ungeprüft geblieben wie Alternativen, zB. der entsprechende Ausbau des vorhandenen Standortes. Die Ausführungen im Bescheid, wonach der Austausch der beiden Sirenen nur zu einer Verlagerung der Lärmimmissionen führen würde, seien nicht nachvollziehbar; dabei sei man offenbar davon ausgegangen, dass jeweils nur eine Sirene in Betrieb sei. Schließlich ergebe sich aber auch aus dem Gutachten vom 7. Dezember 2004, dass zumindest eine Reduzierung der Schallpegelwerte bei den Beschwerdeführern von 15 dB erreichbar wäre, was aber die Beeinträchtigung erheblich verringert hätte. Die Werte der Schallpegel verliefen nicht linear zur Entfernung, sodass bei einem Unterschied von 10 dB/A annähernd die doppelte Lautstärke wahrgenommen werde. Dies habe die Behörde aber bei Beurteilung der Zumutbarkeit der Immissionen nicht geprüft.

Weiters machen die Beschwerdeführer geltend, die Voraussetzungen des § 48 NÖ BauO 1996 seien nicht abschließend geprüft worden, weil keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden seien, ob auf Grund der zu erwartenden Immissionen Leben und Gesundheit von Menschen tatsächlich gefährdet würden. Der Verweis auf einen von der MA 15 festgelegten Schallemissionswert, der weder eine verbindliche Norm darstelle noch analog anzuwenden sei, sei nicht ausreichend. Daraus eine fehlende Gesundheitsbeeinträchtigung abzuleiten, sei jedenfalls unzulässig. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmimmissionen wären aber auch jedenfalls Schallpegelwerte beim Betrieb beider Sirenen zu messen gewesen, weil dadurch eine nicht unwesentliche Erhöhung des Schallpegels eintrete. Daraus hätte sich aber eine andere Grundlage für die Beurteilung der Immissionen ergeben.

Unter dem Aspekt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügen die Beschwerdeführer das Fehlen ausreichender Feststellungen zur Frage, inwieweit Leben und Gesundheit von Menschen gefährdet würden. Die Behörde hätte sich diesbezüglich auch eines medizinischen Sachverständigen zu bedienen gehabt. Schließlich seien zu den Einwendungen im Hinblick auf die auftretenden Erschütterungen überhaupt keine Ermittlungen durchgeführt oder Feststellungen getroffen worden, obwohl § 48 Abs. 1 Z. 2 NÖ BauO 1996 auch diesbezüglich ausdrücklich subjektiv öffentliche Rechte vorsehe.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte. Zum nicht eingeholten medizinischen Gutachten führte die belangte Behörde aus, seitens der MA 15 der Stadtgemeinde Wien (amtsärztlicher Dienst) werde ein Emissionspegel für Probealarme von 120 dB/A, in 30 m Entfernung bei einer Dauer von weniger als 1 min, als zulässig angesehen. Da die Beurteilung der Zulässigkeit von Sirenenlärm und ihrer gesundheitlichen Auswirkungen auf Menschen von einer amtsärztlichen Abteilung der Stadtgemeinde Wien erfolgt sei, sei die belangte Behörde der Ansicht, dass diesbezüglich bereits eine medizinische Beurteilung erfolgt und daher die Einholung eines neuerlichen medizinischen Gutachtens nicht notwendig sei.

Die mitbeteiligte Partei hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführer sind als Nachbarn, die rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, Parteien im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 3 NÖ BauO 1996. Nach dieser Bestimmung sind Nachbarn nur dann Parteien, wenn sie durch das Bauwerk und dessen Benützung in den in Abs. 2 erschöpfend festgelegten subjektiv öffentlich Rechten berührt sind.

§ 6 Abs. 2 und § 48 leg. cit. haben folgenden Wortlaut:

„§ 6. (1) ....

(2) Subjektiv öffentliche Rechte werden begründet durch jene Bestimmungen dieses Gesetzes, des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976, LGBl. 8000, der NÖ Aufzugsordnung, LGBl. 8200, sowie der Durchführungsverordnungen zu diesen Gesetzen, die

1. die Standsicherheit, die Trockenheit und den Brandschutz der Bauwerke der Nachbarn (Abs. 1 Z. 4) sowie

2. den Schutz vor Immissionen (§ 48), ausgenommen jene, die sich aus der Benützung eines Gebäudes zu Wohnzwecken oder einer Abstellanlage im gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß (§ 63) ergeben, gewährleisten und über

3. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe, dem Bauwich, die Abstände zwischen Bauwerken oder deren zulässige Höhe, soweit diese Bestimmungen der Erzielung einer ausreichenden Belichtung der Hauptfenster (§ 4 Z. 9) der zulässigen (bestehende bewilligte und zukünftig bewilligungsfähige) Gebäude der Nachbarn dienen.

Immissionsschutz

§ 48. (1) Emissionen, die von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen, dürfen

1. das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht gefährden;

2. Menschen durch Lärm, Geruch, Staub, Abgase, Erschütterungen, Blendung oder Spiegelung nicht örtlich unzumutbar belästigen.

(2) Ob Belästigungen örtlich zumutbar sind, ist nach der für das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerks und dessen Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen zu beurteilen.“

Im vorliegenden Fall wurde im Dachbereich des Gemeindeamtes, mit dem Dachstuhl baulich verbunden, eine Sirene installiert, die auch über die Dachfläche hinausragt. Die Emissionen, die von der Sirene ausgehen, sind daher als Emissionen zu betrachten, die von der Benützung eines Bauwerkes (Gemeindeamt) ausgehen, weshalb der Immissionsschutz des § 48 NÖ BauO 1996 auch im vorliegenden Fall zu beachten ist (vgl. das hinsichtlich eines Schornsteines eines Presshauses ergangene hg. Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2002/05/1237).

Im Gegensatz zu § 62 Abs. 2 NÖ BauO 1976, wonach die Baubehörde für Bauwerke, die das örtlich zumutbare Maß übersteigende Belästigungen der Nachbarn erwarten ließen, die zur Abwehr dieser Gefahren oder Belästigungen nötigen Vorkehrungen zu treffen hatte, ist nach § 48 NÖ BauO 1996 nicht mehr vorgesehen, dass nötige Vorkehrungen zu treffen bzw. Auflagen zu erteilen sind. Das Verbot, dass Emissionen das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht gefährden oder Menschen nicht örtlich unzumutbar belästigen dürfen, ist vielmehr ein absolutes, sodass dann, wenn das örtlich zumutbare Maß überschritten wird, mit einer Versagung der Baubewilligung vorzugehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. August 2000, 2000/05/0066).

Die örtliche Zumutbarkeit einer Belästigung ergibt sich nach § 48 Abs. 2 leg. cit. aus der Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerkes oder seiner Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen. Bei dieser Beurteilung ist die bestehende Immissionsbelastung der (bewilligten) Bauwerke oder deren Benützung zu berücksichtigen. Es kommt - entgegen der Vorgängerbestimmung des § 62 Abs. 2 NÖ BauO 1976 - darauf an, wie sich die projektgemäßen Veränderungen auf die vorhandenen tatsächlichen örtlichen Verhältnisse auswirken (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. März 2000, 99/05/0238).

Die Widmungsart des hier in Rede stehenden Grundstückes ist „Bauland-Agrargebiet.“ Mit dieser Widmungsart ist die Errichtung einer Sirene, soweit es sich dabei um die Schaffung einer nötigen Einrichtung zur möglichst raschen Alarmierung der Feuerwehr im Sinne des § 23 Abs. 1 Z 2 des Niederösterreichischen Feuerwehrgesetzes, LGBl. Nr. 142/1974 (4400-6), oder um eine akustische Warneinrichtung für die Bevölkerung im Rahmen des Warn- und Alarmsystemes (vgl. die Art. 15a B VGVereinbarung zwischen dem Bund und den Bundesländern vom 4. Juni 1987, BGBl.Nr. 87/1988 bzw. (NÖ) LGBl Nr. 47/1988) oder um eine Alarm- oder Warneinrichtung der Bevölkerung aufgrund einer anderen rechtlichen Verpflichtung handelt, jedenfalls vereinbar; der von einer solchen Sirene ausgehende Lärm stellt daher eine zulässige Emission eines Bauwerkes bzw. dessen Benützung nach dieser Widmungsart dar.

Diesbezüglich findet sich in der Begründung des Bescheides des Gemeindevorstandes vom 31. Jänner 2005 der Hinweis, dass die Freiwillige Feuerwehr und der Zivilschutzbeauftragte der Gemeinde die Montage einer zusätzlichen Sirene im Oberort von H deshalb beantragt hätten, weil eine ausreichende Beschallung des gesamten Ortsgebietes durch die derzeit vorhandene Sirene am Dach des Feuerwehrhauses nicht gegeben gewesen sei. Vor allem in Richtung Nordwest sei die Beschallung des Ortsgebietes durch den Kirchturm und höher gelegene Wohnbauten bzw. durch natürliche Niveauerhöhungen des Ortes nicht gegeben.

Die Notwendigkeit der Erhöhung der Beschallung zur Erreichbarkeit der (gesamten) Bevölkerung, was auf eine Notwendigkeit zur Errichtung dieser Anlage im Sinne des § 23 Abs. 1 des NÖ Feuerwehrgesetzes hindeutet, wird von den Beschwerdeführern nicht in Zweifel gezogen. Sie warfen aber die Frage auf, ob nicht eine Verstärkung der vorhandenen Sirene am Standort Feuerwehrhaus den gleichen Effekt erzielen würde. Bestand aber eine rechtliche Verpflichtung zur Verstärkung der bestehenden, nicht ausreichenden Warneinrichtungdies wäre von der belangten Behörde im fortgesetzten Verfahren noch näher darzulegen, dann stand jede Maßnahme, die dazu dient, dass dieser Verpflichtung entsprochen wird, also sowohl die zusätzliche Errichtung einer zweiten Sirene als auch allenfalls eine Verstärkung der vorhandenen Einrichtung, mit der Widmungsart im Einklang, die davon ausgehenden Lärmbelästigungen stellen zulässige Auswirkungen des Bauwerkes bzw. dessen Benutzung dar.

Ob die Belästigungen (durch die genannte Emission) nun örtlich zumutbar sind, hängt von ihren Auswirkungen auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen ab. Diese Auswirkungen hat die Behörde im Ermittlungsverfahren festzustellen. Sie hat sich hiebei im Allgemeinen der Mithilfe von Sachverständigen, und zwar eines technischen und eines medizinischen Sachverständigen zu bedienen. Sache des technischen Sachverständigen ist es, über das Ausmaß der zu erwartenden Immissionen und ihre Art Auskunft zu geben, während es dem medizinischen Sachverständigen obliegt, seine Meinung hinsichtlich der Wirkungen der Immissionen auf den menschlichen Organismus darzulegen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. November 2005, Zl. 2003/05/0121, und vom 19. Juni 2002, Zl. 2000/05/0059, m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedarf die Frage, ob eine das örtlich zumutbare Maß übersteigende Belästigung vorliegt, stets der Beantwortung durch einen medizinischen Sachverständigen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 24. März 1987, Zl. 86/05/0132, und vom 5. Februar 1991, Zl. 90/05/0142).

Die Baubehörde erster Instanz zog einen schalltechnischen Sachverständigen bei, der das Ausmaß der zu erwartenden Schallemission im Bereich der Grundstücke der Beschwerdeführer ermittelte. Auf Grundlage einer nicht näher dargestellten „Regelung“ für Probealarm seitens der MA 15 der Gemeinde Wien ging der schallschutztechnische Amtssachverständige weiters davon aus, dass sich der vor Ort gemessene Schalldruckpegel (von 111 dB/A) innerhalb der darin enthaltenen Vorgaben bewege, es bestehe daher „aus schalltechnischer Sicht“ kein Einwand gegen den Betrieb der Sirene. Ein medizinisches Gutachten wurde nicht eingeholt. In der Gegenschrift meint die belangte Behörde nun, durch die Bezugnahme auf diesen Grenzwert der MA 15, des amtsärztlichen Dienstes der Stadt Wien, sei bereits eine Beurteilung der Zulässigkeit von Sirenenlärm hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Auswirkungen auf Menschen erfolgt, sodass von der Einholung eines medizinischen Gutachtens habe abgesehen werden können.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes genügt das Ermittlungsverfahren nicht den oben dargestellten Anforderungen. Zum einen fehlen nähere Angaben zu dem herangezogenen Grenzwert; so findet sichaußer dem allgemeinen Hinweis auf „eine Regelung für das Bundesland Wien seitens der MA 15“insbesondere keine Darstellung, um welche Art von „Regelung“ es sich dabei handelt und ob bzw. welche Kriterien bei der Festlegung dieses Grenzwertes Berücksichtigung gefunden haben. Am Mangel näherer Informationen über das Zustandekommen und die Hintergründe dieses „Grenzwertes“ scheitert aber die Möglichkeit, ihn der vorliegenden Beurteilung zu Grunde zu legen.

Zum anderen kann ein Hinweis im Gutachten eines Technikers auf nicht näher dargestellte Grenzwerte, selbst wenn sie von (Amts)ärzten festgelegt worden sein sollten, kein medizinisches Gutachten eines Sachverständigen ersetzen. Es wäre nämlich darauf angekommen, dass ein medizinischer Sachverständiger die Auswirkungen der vom Techniker festgestellten Immissionen auf den menschlichen Organismus darlegt. Diesem Erfordernis vermag der genannte Verweis im Gutachten des Schalltechnikers nicht zu genügen.

Dazu kommt, dass den eingeholten Gutachten auch nicht zu entnehmen ist, obbezogen auf den Zeitpunkt des wöchentlichen Probealarmseine allenfalls bestehende Immissionsbelastung durch die zweite Sirene am Feuerwehrhaus Berücksichtigung fand bzw. ob und warum sie keine Berücksichtigung zu finden hatte.

Das Fehlen ausreichender Ermittlungsergebnisse hindert aber die Beurteilung der Zumutbarkeit dieser Belästigung im Sinne des § 48 Abs. 1 Z 2 NÖ BauO 1996.

Die Beschwerdeführer zeigen einen weiteren Verfahrensmangel insofern auf, als auch Ermittlungen hinsichtlich der geltend gemachten unzumutbaren Belästigung durch Erschütterungen bzw. der Gefährdung der Bausubstanz durch Vibrationen fehlen. So wurde weder erhoben, ob die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Erschütterungen für die Dauer des Sirenenlärms tatsächlich gegeben sind, noch wurde der Frage der örtlichen Zumutbarkeit dieser Emissionen, sollten sie vorliegen, näher nachgegangen.

Die belangte Behörde hätte daher die aufgezeigten Ermittlungsmängel erkennen und deshalb den Bescheid des Gemeindevorstandes der mitbeteiligten Gemeinde beheben müssen. Dadurch, dass sie dies unterließ und stattdessen die Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet abwies, verletzte sie Rechte der Beschwerdeführer, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu führen hatte.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 28. April 2006

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