VwGH 2002/08/0252

VwGH2002/08/025222.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Baumgartenstraße 82, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 27. Juni 2002, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2002-8556, betreffend Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1297;
AlVG 1977 §25 Abs1;
VwRallg;
ABGB §1297;
AlVG 1977 §25 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 21. Mai 2002 hat die regionale Geschäftsstelle gemäß § 24 Abs. 2 AlVG die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes für den Zeitraum 15. Februar bis 30. April 2002 widerrufen und gemäß § 25 Abs. 1 AlVG die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes in Höhe von EUR 1.349,11 verpflichtet. In der Begründung ist dazu ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe die Leistungen in dem genannten Zeitraum zu Unrecht bezogen, weil sie bereits seit 14. Februar 2002 Wochengeld von der Wiener Gebietskrankenkasse erhalten und dies nicht dem Arbeitsmarktservice gemeldet habe.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung hat die Beschwerdeführerin geltend gemacht, sie habe am 14. Februar 2002 das ärztliche Zeugnis, welches ihr gemäß § 3 Abs. 3 des Mutterschutzgesetzes jegliche Beschäftigung ab sofort untersagt habe, erhalten. Am 15. Februar 2002 habe sie dies dem Arbeitsmarktservice gemeldet. Dort sei vom Zeugnis eine Kopie angefertigt und ihr eine neue Terminkarte für den 3. Juli 2002 ausgefolgt worden. Sie treffe daher kein Verschulden und sei daher nicht bereit, Rückzahlungen zu leisten.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben. In der Begründung hat sie nach Gesetzeszitaten und einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe seit 2. Jänner 2002 Arbeitslosengeld in Höhe von EUR 21,03 täglich bezogen. Mit Datum 14. Februar 2002 sei ihr ein ärztliches Zeugnis gemäß § 3 Abs. 3 Mutterschutzgesetz ausgestellt worden, wonach ihr jegliche Weiterbeschäftigung untersagt worden sei. Am 15. Februar habe sie dem Arbeitsmarktservice das ärztliche Zeugnis vorgelegt.

Die Anweisung ihres "Bezuges von der Wiener Gebietskrankenkasse" für den Zeitraum 14. Februar 2002 bis 13. März 2002 sei am 4. März 2002 in einer Höhe von EUR 1.059,80 erfolgt. Das Arbeitsmarktservice habe der Beschwerdeführerin am 4. März 2002 für den Monat Februar einen Betrag von EUR 443,46 angewiesen. Für den Zeitraum 14. März bis 10. April 2002 habe die Beschwerdeführerin von der Wiener Gebietskrankenkasse am 3. April eine Anweisung in Höhe von EUR 1.059,80 und für den Zeitraum 11. April bis 8. Mai 2000 am 29. April 2002 eine Anweisung in Höhe von ebenfalls EUR 1.059,80 erhalten. Vom Arbeitsmarktservice habe sie mit 3. April 2002 eine Anweisung für den Monat März in Höhe von EUR 386,11 und am 2. Mai 2002 eine Anweisung für den Monat April in Höhe von EUR 518,70 erhalten.

Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG sei der Empfänger des Arbeitslosengeldes zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte. Gerade auf Grund der von der Beschwerdeführerin erstatteten Meldung und insbesondere unter Beachtung der Auszahlungsdaten hätte es ihr auffallen müssen, dass ihr die Leistung des Arbeitsmarktservice für die Monate März und April nicht bzw. für den Monat Februar nicht in dieser Höhe zugestanden seien. Die Beschwerdeführerin hätte erkennen müssen, dass für diese Zeiträume ein Doppelbezug vorgelegen sei. Der Rückforderungstatbestand sei damit verwirklicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Die Beschwerdeführerin erachtet sich "in ihrem Recht auf Nichtrückzahlung des zu Unrecht bezogenen Arbeitslosengeldes gemäß § 25 Abs. 1 AlVG" verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Umschreibung des Beschwerdepunkte sowie auch die vorgetragenen Beschwerdegründe lassen erkennen, dass sich die Beschwerdeführerin vor dem Verwaltungsgerichtshof lediglich in Ansehung der mit dem angefochtenen Bescheid auch ausgesprochenen Rückforderung des Arbeitslosengeldes, nicht aber auch hinsichtlich des Widerrufes dieser Leistung als beschwert erachtet. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich daher auf die Prüfung der Rechtmäßigkeit des die Rückforderung betreffenden Abspruches zu beschränken. Insoweit ist ausschließlich strittig, ob die belangte Behörde zu Recht die Erfüllung des Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 erster Satz dritter Fall AlVG angenommen hat, ob also die Beschwerdeführerin hätte erkennen müssen, dass ihr das Arbeitslosengeld im genannten Zeitraum nicht gebührte.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 3. Oktober 2002, 97/08/0569, mit zahlreichen Hinweisen) ist der dritte Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG schon nach dem Wortlaut der Wendung "wenn er erkennen musste, dass ..." nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich oder ihrer Höhe nach erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennen-Müssen ab und statuiert dadurch eine (freilich zunächst nicht näher bestimmte) Diligenzpflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den beiden anderen in § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG genannten Rückforderungstatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass für die Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform, nämlich Fahrlässigkeit, genügt. Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht oder nicht in der konkreten Höhe gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen.

Nach der Judikatur ist zwar im Allgemeinen davon auszugehen, dass einem Leistungsbezieher aus der Arbeitslosenversicherung, der ein Beschäftigungsverhältnis antritt, erkennbar ist, dass er für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung hat (vgl. die Erkenntnisse vom 16. Juni 1992, 91/08/0158, und vom 29. September 1992, 92/08/0178). Im Beschwerdefall ist ein derartiger Doppelbezug jedoch nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin hat neben dem Arbeitslosengeld Wochengeld bezogen. Während die regionale Geschäftsstelle ihren Bescheid damit begründete, die Beschwerdeführerin habe ihr den Wochengeldbezug verschwiegen, und die Rückforderung daher auf § 25 Abs. 1 erster Satz zweiter Fall gestützt hat, zog die Berufungsbehörde - die offenbar diesen Rückforderungstatbestand nicht für gegeben erachtete - den dritten Fall des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG heran. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin hätte erkennen müssen, dass ihr das Arbeitslosengeld neben dem Wochengeld nicht gebührte, ist eine gemischte Tat- und Rechtsfrage. Soweit die Tatfrage in Rede steht, wäre der Partei gemäß § 45 Abs. 3 AVG Parteiengehör zu gewähren gewesen. Dies hat die belangte Behörde unterlassen. Sie hat aber auch nicht näher dargetan, auf Grund welcher Umstände die Beschwerdeführerin den Doppelbezug als rechtswidrig hätte erkennen müssen. Die Tatsache eines Doppelbezuges für sich allein begründet diesen Rückforderungstatbestand im Allgemeinen noch nicht (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 1993, 91/08/0175, und vom 3. Oktober 2002, 97/08/0569).

Es kommt beim Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz, 1. und 2. Fall AlVG (unwahre Angaben, Verschweigen maßgebender Tatsachen) nach dem offenkundigen Zweck der Norm nicht darauf an, dass ein die Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung beeinflussender Umstand bereits zu einem früheren Zeitpunkt aktenkundig wurde oder von der Behörde hätte leicht festgestellt werden können, wie überhaupt ein Mitverschulden der Behörde am Überbezug im Falle des Verschweigens von maßgebenden Tatsachen oder unwahrer Angaben ohne Belang ist. Maßgeblich ist nur, ob der fragliche Umstand in Beantwortung der Fragen im Antragsformular richtig und vollständig einbekannt oder der Behörde gleichzeitig oder doch rechtzeitig vor Anweisung der jeweiligen Leistung in einer zumindest gleichwertigen Weise (z.B. durch Vorlage einer entsprechenden Bestätigung) mitgeteilt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2004, 2002/08/0137).

Den nur auszugsweise vorgelegten Aktenteilen sind zwar keine Unterlagen darüber zu entnehmen, wann und für welche Zeiträume der Beschwerdeführerin überhaupt das nunmehr zurückgeforderte Arbeitslosengeld zuerkannt worden ist und es ist für den Verwaltungsgerichtshof aus diesen (offensichtlich unvollständig vorgelegten) Aktenteilen auch nicht erkennbar, was damit gemeint sein soll, wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides (Seite 3) auf bereits erfüllte Rückforderungstatbestände verweist. Es finden sich aber zumindest Hinweise darauf, dass die Beschwerdeführerin während des Arbeitslosengeldbezuges aus einem Beschäftigungsverhältnis ein Arbeitslosigkeit ausschließendes Entgelt bezogen hat. Sollte dieses Beschäftigungsverhältnis (worüber die Aktenlage aber keine Auskunft gibt) nicht dem AMS gemeldet und während des Wochengeldanspruchs weiterhin aufrecht gewesen sein, so wäre die Beschwerdeführerin wegen dieses bestehenden Beschäftigungsverhältnisses auch nach Beendigung des Entgeltanspruchs (daher auch während des Wochengeldbezuges) weiterhin nicht arbeitslos gewesen. Die Rückforderung wäre dann jedenfalls auf den zweiten Fall des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG zu stützen, wenn die Beschwerdeführerin den Antritt dieses Beschäftigungsverhältnisses nicht gemeldet hätte. Auf ein allfälliges Mitverschulden des AMS käme es diesfalls nach der oben erwähnten Rechtsprechung dann nicht an, wenn ihm im Rückforderungszeitraum vor der jeweiligen Anweisung des Arbeitslosengeldes dieser Umstand nicht in einer adäquaten Weise mitgeteilt worden ist. Die Übermittlung eines ärztlichen Zeugnisses über ein Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz (ohne Bezugnahme auf ein Beschäftigungsverhältnis oder zumindest einen Arbeitgeber) oder die Mitteilung des Wochengeldbezuges wären in diesem Zusammenhang nicht ausreichend. Darauf wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren Bedacht zu nehmen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.

Die belangte Behörde hat ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 22. September 2004

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