VwGH 2001/21/0139

VwGH2001/21/01398.7.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerden des E, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen die Bescheide jeweils der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 3. August 2001, Zl. Fr 847/1999, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (hg. Zl. 2001/21/0140), und Zl. Fr 847/2-1999, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 (hg. Zl. 2001/21/0139), zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75 Abs4;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75 Abs4;

 

Spruch:

Der zu hg. Zl. 2001/21/0140 angefochtene Bescheid betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Beschwerde gegen den zu hg. Zl. 2001/21/0139 angefochtenen Bescheid betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 25,75 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die jeweiligen Kostenmehrbegehren werden abgewiesen.

Begründung

Mit den vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen nach seinen Behauptungen nigerianischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 und Abs. 2 Z. 7 iVm den §§ 37 bis 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot und stellte gemäß § 75 Abs. 1 FrG fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Nigeria gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei.

Zur Begründung des Aufenthaltsverbotes führte sie im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei am 18. August 1997 über die ungarisch-österreichische Grenze in einem Lkw versteckt illegal eingereist und habe am 19. August 1997 einen Asylantrag gestellt. Sein Asylverfahren sei mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. April 1999 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden. Der Verwaltungsgerichtshof habe seine Beschwerde gegen diesen Bescheid als unbegründet abgewiesen (Zl. 99/20/0434). Somit habe die dem Beschwerdeführer erteilte vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Asylgesetz 1997 geendet. § 21 Abs. 1 leg. cit. stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG sei erfüllt, weil der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe bestreite und keiner Beschäftigung nachgehe. Im Hinblick auf die aus der Mittellosigkeit eines Fremden resultierende Gefahr strafbarer Handlungen und einer finanziellen Belastung der öffentlichen Hand sei die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer verfüge über keine Nahebeziehung zu einer in Österreich lebenden Person, weshalb mit dem Aufenthaltsverbot kein relevanter Eingriff in sein in Österreich geführtes Privat- und Familienleben bewirkt werde.

Letztlich sah sich die belangte Behörde nicht veranlasst, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von der Verhängung des Aufenthaltsverbotes abzusehen.

Zur Begründung des Ausspruches nach § 75 Abs. 1 FrG verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftige Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers, auf das Fehlen irgendeines Ausweis- oder Identitätspapiers und auf die Unglaubwürdigkeit seiner Angaben über eine Bedrohungssituation. Vor dem Bundesasylamt habe der Beschwerdeführer angegeben, er wäre seit Jänner 1997 Mitglied der Partei NCPN in Nigeria gewesen und hätte für diese Partei Nachrichten an andere Parteimitglieder weitergeleitet. Er hätte keine führende Funktion innegehabt und wäre wegen der Tätigkeit bei dieser Partei in seinem Heimatland auch nicht verfolgt worden. Er wäre beauftragt worden, die politischen Aktivitäten der gegnerischen Partei zu beobachten. Nach einer Wahl am 15. März 1997 - bei der er beobachtet hätte, dass die Angehörigen der Gegenpartei NCN diese Wahl hätten beeinflussen wollen - sei es zu Auseinandersetzungen gekommen. Er wäre deshalb mit anderen Personen inhaftiert worden.

Am 4. Dezember 1997 habe der Beschwerdeführer gegenüber Beamten der Bundespolizeidirektion Graz ausgeführt, es hätte am 15. März 1997 eine Demonstration wegen einer angeblich manipulierten Wahl gegeben und es wäre dabei zu Ausschreitungen mit der Gegenpartei gekommen. Während dieser Ausschreitungen hätte der Beschwerdeführer die Führung seiner Partei innegehabt. Nach dem Einschreiten der Polizei wäre es zu Festnahmen gekommen und der Beschwerdeführer wäre mit mehreren Demonstranten eingesperrt worden und danach fünf Monate im Gefängnis gewesen. Dem gegenüber habe der Beschwerdeführer bei der Asylantragstellung nicht von einer Demonstration und auch nicht davon gesprochen, dass er während der Ausschreitungen nach den Wahlen am 15. März 1997 die Führung in seiner politischen Partei innegehabt hätte.

Für die belangte Behörde sei unglaubwürdig, dass der Beschwerdeführer den Namen des Führers seiner Partei in seinem Bereich nicht bekannt geben könne und die Organisation NADECO für eine physische Person gehalten habe. Unglaubwürdig sei weiters, dass der Beschwerdeführer nach seiner Aussage dadurch aus dem Gefängnis hätte flüchten können, dass er in der Toilette die Decke mit seinen Händen durchgebrochen hätte und auf den Dachboden gelangt wäre; danach hätte er nach einigen Metern die Decke des Dachbodens wieder durchgebrochen und wäre außerhalb des Gefängnisses gewesen.

Darüber hinaus befasste sich die belangte Behörde mit der allgemeinen Situation in Nigeria und folgerte aus zitierten Unterlagen, dass für das Jahr 2001 von einer funktionierenden Staatsgewalt in der Bundesrepublik Nigeria gesprochen werden könne. Weiters sei der Beschwerdeführer in keiner der zitierten Unterlagen im Zusammenhang mit einer darin geschilderten Demonstration bzw. tätlichen Auseinandersetzung bzw. strafbaren Handlung namentlich genannt. Der Beschwerdeführer habe somit keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft machen können, dass er bei einer allfälligen Rückkehr in die Bundesrepublik Nigeria gemäß § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG bedroht oder verfolgt wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde über die wegen des sachlichen und persönlichen Zusammenhanges verbundenen Beschwerden erwogen:

I. Zum Aufenthaltsverbot:

Der Beschwerdeführer gesteht zu, dass sein Asylverfahren mittlerweile rechtskräftig negativ abgeschlossen ist; er meint, dass er im Hinblick auf die Anhängigkeit eines Verfahrens nach § 75 FrG ein Recht habe, im Bundesgebiet den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten. Daran ist richtig, dass gemäß § 75 Abs. 4 FrG ein Fremder in den in seinem Feststellungsantrag genannten Staat bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag nicht abgeschoben werden darf. Keine Bestimmung hindert jedoch die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz eingebrachten Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung.

Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 7 FrG gilt als bestimmte Tatsache für eine Gefährlichkeitsprognose nach Abs. 1, wenn der Fremde den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen vermag, es sei denn, er wäre rechtmäßig zur Arbeitsaufnahme eingereist und innerhalb des letzten Jahres im Inland mehr als sechs Monate einer erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer keiner Beschäftigung nachgehe und seinen Unterhalt aus Mitteln der Sozialhilfe bestreite.

Es trifft zu, dass der Bezug von Sozialhilfe als Indiz für eine Mittellosigkeit gewertet werden darf (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2002/21/0152), und dass aus der Mittellosigkeit eines Fremden die Gefahr abzuleiten ist, dass er seinen Unterhalt im Weg strafbarer Handlungen zu finanzieren versuche und/oder die Republik Österreich finanziell belaste (vgl. auch dazu das zit. Erkenntnis Zl. 2002/21/0152).

Dem Vorwurf, er sei mittellos, hält der Beschwerdeführer entgegen, er verdiene monatlich S 6.000,-- bis S 7.000,-- bei einer namentlich genannten Firma. Die belangte Behörde nahm zur Frage der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers selbst keine Ermittlungen vor, sondern legte ihren Feststellungen die Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens zu Grunde. Wenn auch diese Vorgangsweise wegen der einem Berufungswerber offen stehenden Möglichkeit, in der Berufung oder in ergänzenden Schriftsätzen ein Vorbringen zu erstatten, grundsätzlich zulässig ist, kann der Umstand nicht außer Betracht bleiben, dass die belangte Behörde nach Einbringung der Berufung am 15. November 1999 die mit 3. August 2001 datierte Berufungsentscheidung erlassen hat, ohne im Blick auf den nicht unbeträchtlichen Zeitablauf die bisherigen Ermittlungsergebnisse über die finanziellen Mittel des Beschwerdeführers für seinen Unterhalt zu aktualisieren. Unter den gegebenen Umständen wäre sie dazu im Rahmen des sich aus § 37 AVG ergebenden Grundsatzes der amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, § 37 AVG/E 1) verpflichtet gewesen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Einkommen, welchem Erheblichkeit nicht von vornherein abgesprochen werden kann, unterliegt daher nicht dem Neuerungsverbot.

II. Zum Feststellungsantrag:

Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall seiner Abschiebung in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 7. April 2000, Zl. 99/21/0001.)

Soweit die Beschwerde davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer Mitglied der NCPN in seinem Heimatland gewesen sei, auf Grund der Teilnahme an einer Demonstration vier bis fünf Monate in einem Gefängnis verbracht habe und durch die Teilnahme an einer Demonstration gegen das herrschende Regime seine politische Meinung manifestiert habe, entfernt sie sich von dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt. Die belangte Behörde gelangte nämlich anhand einer ausführlich begründeten Beweiswürdigung zum Ergebnis, dass die Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe unglaubwürdig seien. Sie stützte sich dabei auf die Ergebnisse des Asylverfahrens, auf das Fehlen von Identitätspapieren sowie auf widersprüchliche und unklare Aussagen des Beschwerdeführers. Gegen die darauf gestützte - entgegen der Beschwerdeansicht in keiner Weise antizipierende - Beweiswürdigung hegt der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der ihm zukommenden Schlüssigkeitsprüfung (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keine Bedenken. Aus den ihn persönlich betreffenden Ereignissen hatte die belangte Behörde somit entgegen der Beschwerdeansicht nicht auf eine Verfolgungsgefahr im Fall der Abschiebung nach Nigeria schließen können. Weiters durfte sie verneinen, dass unabhängig von persönlichen Umständen für jede in Nigeria aufhältige Person stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden (§ 57 Abs. 1 FrG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 126/2002). Es fehlen auch jegliche konkrete Hinweise, warum die Tatsache, dass der Beschwerdeführer in Österreich um Asyl angesucht habe, ausreiche, um ihn bei zwangsweiser Abschiebung nach Nigeria einer Gefahr im Sinn des § 57 FrG auszusetzen. Nicht nachvollziehbar ist der Beschwerdehinweis auf die Möglichkeit einer "Doppelbestrafung" in Nigeria, wurde doch eine Bestrafung des Beschwerdeführers in Österreich weder behauptet noch festgestellt.

Nach dem Gesagten fehlt den in der Beschwerde verlangten "ergänzenden Ermittlungen" die erforderliche Relevanz.

Insgesamt durfte daher die belangte Behörde zum Schluss gelangen, dass der Beschwerdeführer eine Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG für den Fall der Abschiebung nach Nigeria nicht habe glaubhaft machen können. III. Nach dem Gesagten war die Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen; hingegen war der Aufenthaltsverbotsbescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 6 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Der Bund hat dem Beschwerdeführer den Schriftsatzaufwand für die erfolgreiche Beschwerde, der Beschwerdeführer hingegen dem Bund den halben Vorlageaufwand zu ersetzen.

Wien, am 8. Juli 2004

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