VwGH 2000/18/0219

VwGH2000/18/021913.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der S O in Wien, geboren am 29. Jänner 1967, vertreten durch Mag. Martin Breunig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Herrengasse 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 1. August 2000, Zl. St 176-9/95, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1;
AVG §63 Abs1;
AVG §1;
AVG §63 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 1. August 2000 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) gemäß § 75 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass die Beschwerdeführerin in Liberia gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

Die Beschwerdeführerin sei am 25. April 1995 mit Hilfe eines Schleppers unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist. Ihr am darauf folgenden Tag gestellter Asylantrag sei am 22. Mai 1995 rechtskräftig abgewiesen worden. Im Asylverfahren habe die Beschwerdeführerin als Fluchtgrund angegeben, dass im Jänner 1995 Uniformierte gekommen wären und ihren Ehegatten abgeholt hätten, um ihn zur Armee zu rekrutieren. Sie könnte nicht sagen, um welche Uniformierte es sich dabei gehandelt hätte. Es wären alle Männer, nicht nur ihr Ehegatte, mitgenommen worden. Sie könnte derzeit nicht nach Liberia zurück, würde jedoch dorthin zurückkehren, sobald der Bürgerkrieg beendet wäre.

Bei der Einvernahme vom 27. April 1995 (bei der sie den verfahrensgegenständlichen Antrag gestellt hat) habe die Beschwerdeführerin angegeben, sie würde von der Polizei in Liberia gesucht, weil sie ihrem Mann zur Flucht verholfen hätte. Sie persönlich hätte nie Probleme mit der Polizei gehabt und wäre auch nie eingesperrt gewesen. Sollte sie jedoch nach Liberia zurückkehren müssen, würde sie wegen Beihilfe zur Flucht um ihr Leben fürchten. Das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin habe sich auf die damals bestehende allgemeine Situation in Liberia bezogen.

Der den vorliegenden Antrag rechtskräftig abweisende Bescheid der belangten Behörde vom 29. Juni 1995 sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Jänner 2000, Zl. 96/21/0195, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden. In diesem Erkenntnis habe der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten individuellen Verfolgungsgründe im Zusammenhang mit der Suche nach dem Ehegatten nicht geeignet wären, eine Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des (nunmehrigen) § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG darzutun. Der im ersten Rechtsgang ergangene Bescheid sei jedoch deshalb aufgehoben worden, weil dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zu entnehmen gewesen sei, dass in Liberia infolge des Bürgerkrieges keine funktionierende Ordnungsmacht bestehe und damit zu befürchten sei, dass ein dorthin Abgeschobener - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - einer Gefährdung bzw. Bedrohung ausgesetzt sei. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in dem genannten Erkenntnis wäre dies dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage bestünde, dass praktisch jedem, der nach Liberia abgeschoben würde, einer Gefahr für Leib und Leben in einem Maß drohte, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

Möge eine derartige Situation im Jahr 1995 bestanden haben, so liege sie jedenfalls derzeit nicht mehr vor. Nach den der belangten Behörde vorliegenden Unterlagen sei in Liberia im Juli 1997 mit der Wahl des früheren Rebellenführers Charles Taylor eine siebenjährige Bürgerkriegsphase beendet worden. Die neue Regierung habe alles daran gesetzt, von legistischer Seite her einen Mindeststandard an Menschen- und Bürgerrechten wieder in Kraft zu setzen bzw. zu schaffen. Dies ergebe sich aus einem Bericht der österreichischen Botschaft in Abidjan vom 12. Oktober 1999. Bei der derzeit gegebenen Situation sei davon auszugehen, dass in Liberia nunmehr eine funktionierende Ordnungsmacht vorhanden und nicht damit zu rechnen sei, dass ein dorthin abgeschobener Fremder mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr unmittelbar ausgesetzt wäre.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Vorweg sei festgehalten, dass der Umstand, dass die Beschwerdeführerin aktenkundig am 3. Mai 1996 von ihrer Linzer Adresse abgemeldet wurde und nunmehr in Wien wohnt, nichts an der Zuständigkeit der belangten Behörde ändert. Die Zuständigkeit der Berufungsbehörde wird nämlich mit dem Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides fixiert; nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in für die Zuständigkeit der Erstbehörde relevanten Umständen vermögen an der einmal gegeben (funktionellen) Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde nichts mehr zu ändern (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1995, Zl. 95/18/0120). Vorliegend wurde der erstinstanzliche Bescheid von der auf Grund des damaligen Wohnsitzes der Beschwerdeführerin in Linz gemäß § 67 Abs. 1 FrG aus 1992 örtlich zuständigen Bundespolizeidirektion Linz jedoch bereits am 16. Mai 1995, also vor dem Umzug der Beschwerdeführerin nach Wien, erlassen.

2. Im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG hat der Fremde das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. Für die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung ist erforderlich, dass sich die Gefährdung und/oder Bedrohung auf das gesamte Gebiet des vom Antrag umfassten Staates bezieht. (Vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa das Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0458.)

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem von der belangten Behörde zitierten, die Beschwerdeführerin betreffenden aufhebenden Erkenntnis, Zl. 96/21/0195, zu den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten, sie individuell betreffenden Verfolgungsgründen (auf Grundlage des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992) Folgendes ausgeführt:

"Zwar stellen die von der Beschwerdeführerin betreffend ihre konkrete Situation in Liberia behaupteten Umstände im Zusammenhang mit der Suche nach ihrem Ehegatten keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Gefährdung oder Bedrohung der Beschwerdeführerin in ihrer Heimat im Sinn des § 37 Abs. 1 und 2 FrG dar. Zum einen geht aus dem Vorbringen nämlich nicht hervor, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführerin aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (§ 37 Abs. 2 FrG); zum anderen entbehrt die behauptete Gefahr einer unmenschlichen Behandlung (§ 37 Abs. 1 FrG) in diesem Zusammenhang einer näher konkretisierten Untermauerung. Eine lapidare Behauptung in dieser Richtung reicht zur Glaubhaftmachung des Vorbringens stichhaltiger Gründe nicht hin ..."

Da die Beschwerdeführerin im fortgesetzten Verfahren kein weiteres Vorbringen erstattet hat, werden diese Ausführungen auch vor dem Hintergrund des nunmehr geltenden - inhaltsgleichen - § 57 Abs. 1 und Abs. 2 FrG aufrechterhalten.

Soweit die Beschwerdeführerin rügt, dass sie im fortgesetzten Verfahren nicht neuerlich zu den sie individuell betreffenden Verfolgungsgründen vernommen worden sei, zeigt sie nicht auf, welches konkrete Vorbringen sie erstattet hätte, und tut somit die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dar.

4.1. Die Beschwerdeführerin macht als Verfahrensmangel geltend, dass die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen Erhebungen über die derzeitige konkrete Lage in Liberia durchzuführen und entsprechende Feststellungen zu treffen.

4.2. Die belangte Behörde hat festgestellt, dass der Bürgerkrieg in Liberia beendet sei und nunmehr eine funktionierende Ordnungsmacht bestehe, welche alles daran setze, ein Mindestmaß an Menschen- und Bürgerrechten wiederherzustellen. Diese Feststellungen über die allgemeine Lage in Liberia hat sie auf einen Bericht der österreichischen Botschaft in Abidjan, der ein für derartige Feststellungen geeignetes Beweismittel darstellt, gestützt.

Die belangte Behörde hat somit auf ein konkret genanntes, taugliches Beweismittel gestützte Feststellungen zur allgemeinen Lage in Liberia getroffen. Der Verweis der Beschwerdeführerin auf nicht näher konkretisierte "Meldungen", "unabhängige und glaubwürdige Schätzungen" und "Berichte" von Amnesty International ist nicht geeignet darzutun, dass sich die belangte Behörde nicht mit dem von ihr herangezogenen Bericht der österreichischen Botschaft hätte begnügen dürfen.

5. Ungeachtet der Frage, ob es sich dabei um im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerungen handelt (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG), ist das in der Beschwerde enthaltene Vorbringen zur allgemeinen Lage in Liberia nicht geeignet, eine die Beschwerdeführerin mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit treffende Gefährdung oder Bedrohung im Sinn von § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen.

Soweit sich das Beschwerdevorbringen auf die Situation in Liberia während des Bürgerkrieges bezieht, ist es schon deshalb nicht zielführend, weil die Beschwerdeführerin selbst zugesteht, dass der Bürgerkrieg durch das Friedensabkommen von Abuja habe beendet werden können.

Mit dem Hinweis auf erneut ausgebrochen Kämpfe im Bezirk Lofa und Übergriffe in einem bestimmten Dorf an der Grenze zu Sierra Leone gelingt es der Beschwerde nicht eine - jeden betreffende - sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehende Gefährdung und/oder Bedrohung darzutun.

Weiters verweist die Beschwerdeführerin auf eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Anhängern von Präsident Taylor und Anhängern eines bestimmten Rebellenführers; im Zuge dieser Auseinandersetzung habe es extralegale Hinrichtungen gegeben. Insbesondere Angehörige der Volksgruppen der "Lorma" und "Mandingo", die sich während des Bürgerkrieges den Gegnern von Charles Taylor angeschlossen hätten, würden "schikaniert und brutal behandelt". Zahlreiche Personen würden lediglich auf Grund ihrer physischen Erscheinung verfolgt und mitunter sogar umgebracht, weil vom physischen Erscheinungsbild auf die politische Ansicht geschlossen werde.

Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass die Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht hat, einer der danach in besonderer Weise verfolgten (nach der politischen Gesinnung, der Volkszugehörigkeit oder dem äußeren Erscheinungsbild abgegrenzten) Gruppierungen anzugehören.

Mit dem allgemeinen Hinweis auf Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte und nicht ordnungsgemäß durchgeführte Prozesse wegen Hochverrates gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, eine sie konkret mit ausreichender Wahrscheinlichkeit treffende Gefährdung bzw. Bedrohung darzutun.

6. Da die belangte Behörde das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht als unglaubwürdig qualifiziert hat, gehen die dagegen gerichteten Beschwerdeausführungen ins Leere.

Entgegen der Beschwerdemeinung hat die belangte Behörde ihre Ansicht, eine Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG liege nicht vor, nicht auf den Ausgang des Asylverfahrens gestützt. Auch das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen geht somit ins Leere.

7. Aus den dargestellten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. März 2001

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte