VwGH 95/18/0120

VwGH95/18/012030.5.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer, Dr. Robl und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der R in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 15. November 1994, Zl. Fr 1372/94, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §17 Abs2;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §67 Abs1;
JN §29;
VwRallg;
AVG §1;
AVG §6 Abs1;
AVG §63 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §17 Abs2;
FrG 1993 §20 Abs1;
FrG 1993 §67 Abs1;
JN §29;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem unter dem Datum 4. Mai 1994 ergangenen (und am selben Tag zugestellten) Bescheid hatte die Bezirkshauptmannschaft Baden als Fremdenbehörde erster Instanz die Beschwerdeführerin, eine bosnische Staatsangehörige, gemäß § 17 Abs. 2 Z. 4 und 6 und Abs. 3 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

2. Über die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung entschied die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (die belangte Behörde) dahingehend, daß dieser keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt wurde.

Die Beschwerdeführerin sei, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes gewesen zu sein, am 29. April 1994 aus Ungarn nach Österreich eingereist. Der von ihr gestellte Asylantrag sei mit Bescheid vom 10. Mai 1994 abgewiesen worden. Die Beschwerdeführerin sei zumindest nicht entsprechend den Bestimmungen des 2. Teiles des Fremdengesetzes in das Bundesgebiet eingereist; sie halte sich hier rechtswidrig auf. Sie habe überdies den Besitz der Mittel zu ihrem Unterhalt nicht nachweisen können. Es liege demnach in zweifacher Hinsicht eine Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen vor.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.

4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde wird vorgebracht, daß die belangte Behörde zur Entscheidung über die Berufung der Beschwerdeführerin örtlich nicht zuständig gewesen sei. Die örtliche Zuständigkeit richte sich gemäß § 67 Abs. 1 FrG nach dem Wohnsitz des Fremden im Inland. Da die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides ihren Wohnsitz in L gehabt habe, sei für die Berufungsentscheidung nicht die belangte Behörde, sondern die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich zuständig gewesen.

2.1. Gemäß § 1 AVG richtet sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Behörden nach den Vorschriften über ihren Wirkungsbereich und nach den Verwaltungsvorschriften.

Nach den damit primär angesprochenen Verwaltungsvorschriften ist für den Beschwerdefall die Bestimmung des § 67 Abs. 1 FrG maßgebend, derzufolge sich die örtliche Zuständigkeit im Inland, sofern nicht anderes bestimmt ist (was für eine Ausweisung zutrifft), nach dem Wohnsitz des Fremden im Inland, falls kein solcher errichtet ist, nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens.

Gemäß § 6 Abs. 1 AVG hat die Behörde ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen.

Der i.S. dieser Gesetzesstelle für die Beurteilung der Zuständigkeit entscheidende Zeitpunkt ist - vorbehaltlich einer abweichenden Regelung im Einzelfall (eine solche besteht vorliegend nicht) - der der Vornahme der Amtshandlung. Die Zuständigkeit zur Erlassung eines Bescheides bestimmt sich demgemäß nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Sach- und Rechtslage. Da es im Verwaltungsverfahren anders als nach § 29 JN für das zivilgerichtliche Verfahren keine perpetuatio fori gibt, ist auch auf nach Anhängigwerden einer Verwaltungssache bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides eintretende Änderungen in den für die Zuständigkeit maßgebenden Umständen Bedacht zu nehmen und das Verfahren von der danach zuständig gewordenen Behörde weiterzuführen. Mit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides aber ist die Zuständigkeit der Berufungsbehörde fixiert; nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen in für die Zuständigkeit der Erstbehörde relevanten Umständen vermögen an der einmal gegebenen (funktionellen) Zuständigkeit der Rechtsmittelbehörde nichts mehr zu ändern. (Vgl. zum Ganzen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. April 1984, Zl. 82/11/0358, sowie Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht5 Rz 82).

2.2. Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß die Beschwerdeführerin NACH Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Baden (am 4. Mai 1994) von T nach L verzogen ist, somit das die örtliche Zuständigkeit der Erstbehörde begründende Sachverhaltselement des Wohnsitzes (siehe § 67 Abs. 1 FrG) erst NACH dem - unter Zugrundelegung der Ausführungen oben 2.1. - für die Begründung der Zuständigkeit der Berufungsbehörde Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich maßgeblichen Zeitpunkt eine Änderung erfahren hat. Die besagte Wohnsitzverlegung war demnach für die Zuständigkeit der belangten Behörde zur Erledigung der von der Beschwerdeführerin am 11. Mai 1995 erhobenen Berufung ohne rechtliche Relevanz.

Die behauptete Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde liegt somit nicht vor.

3.1. Die Beschwerde vertritt die Ansicht, daß die belangte Behörde bei Anwendung des § 17 Abs. 2 FrG von dem ihr eingeräumten Ermessen nicht i.S. des Gesetzes Gebrauch gemacht habe. Nach den Materialien zum Fremdengesetz sei vom Ermessen nur dann zum Nachteil des Fremden Gebrauch zu machen, wenn die Außerlandesschaffung des Fremden im Interesse der öffentlichen Ordnung geboten sei. Davon aber könne bei der Beschwerdeführerin, die nur versucht habe, den Kriegswirren in Bosnien zu entkommen, keine Rede sein.

3.2. Gemäß § 17 Abs. 2 FrG können Fremde "im Interesse der öffentlichen Ordnung" ausgewiesen werden. Die Ermessensübung der Behörde hat sich demnach davon leiten zu lassen, von welchem Gewicht die Störung der öffentlichen Ordnung ist. Andere Umstände hat die Behörde bei der Ermessensübung nicht zu berücksichtigen, insbesondere ist es ihr verwehrt, auf allenfalls für den Fremden sprechende Umstände i.S. des § 20 Abs. 1 FrG Bedacht zu nehmen. Im Gegensatz zur Beschwerdemeinung kommt eine Berücksichtigung solcher nach dem Gesetz ausschließlich im Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zum Tragen kommender Umstände im Wege der Analogie nicht in Betracht, bietet sich doch kein Anhaltspunkt dafür, daß insoweit eine "echte Lücke" vorliege (vgl. zur Zulässigkeit der Analogie im Fall einer solchen Lücke Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht7 Rz 136). Lediglich in Fällen, in denen die öffentliche Ordnung nur ganz geringfügig berührt wird, wird im Lichte einer gesetzmäßigen Ermessensübung von der Erlassung einer Ausweisung abzusehen sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. September 1993, Zl. 93/18/0349).

Von einer derart geringfügigen Berührung der öffentlichen Ordnung kann im Beschwerdefall aber keine Rede sein. Vielmehr ist das Verhalten der Beschwerdeführerin, die sich über maßgebende, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnde Vorschriften (§ 2 Abs. 1 und § 5 FrG) hinweggesetzt hat, als unter dem Gesichtspunkt der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung i.S. des § 17 Abs. 2 FrG zu qualifizieren (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 15. Dezember 1994, Zl. 94/18/0945, und vom 19. Jänner 1995, Zl. 94/18/1026). Von daher gesehen hat die belangte Behörde vorliegend zu Recht den Tatbestand des § 17 Abs. 2 Z. 6 FrG als verwirklicht angesehen.

4. Im Hinblick auf die Erfüllung dieses Tatbestandes war eine Prüfung der Frage, ob im Beschwerdefall auch eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 17 Abs. 2 Z. 4 FrG anzunehmen war, entbehrlich. Ein Eingehen auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen erübrigte sich demnach.

5. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als zur Gänze unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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