VfGH A9/08

VfGHA9/0819.6.2009

Zurückweisung einer Staatshaftungsklage wegen mangelhafter Umsetzung von EU-Richtlinien betreffend die Umweltverträglichkeitsprüfung iZm dem Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat; kein legislatives Unrecht, sondern Schaden des Liegenschaftseigentümers aufgrund von Handlungen und Unterlassungen der Verwaltungsbehörden; Geltendmachung der Ansprüche daher im Amtshaftungsverfahren

Normen

B-VG Art137 / ord Rechtsweg
Bundes-UmgebungslärmschutzG §6, §7
LuftFG §145b
Richtlinie des Rates vom 27.06.85, 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinie) idF der Richtlinien 97/11/EG und 2003/35/EG Art2, Art4
UVP-G 2000 §3 Abs7
VfGG §38
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
Bundes-UmgebungslärmschutzG §6, §7
LuftFG §145b
Richtlinie des Rates vom 27.06.85, 85/337/EWG, über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-Richtlinie) idF der Richtlinien 97/11/EG und 2003/35/EG Art2, Art4
UVP-G 2000 §3 Abs7
VfGG §38

 

Spruch:

Die Klage wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1.1. Mit ihrer auf Art137 B-VG gestützten Klage begehrt die

Klägerin, der Verfassungsgerichtshof möge den Bund zur Zahlung von € 200.000,-- samt 4 % Zinsen schuldig erkennen sowie feststellen, dass der Bund der Klägerin "für sämtliche zukünftige, derzeit nicht bekannte Schäden aus dem legislativen Unrecht - nämlich der mangelhaften Umsetzung aller oder auch nur einer der in der Klage genannten RL und der damit verbundenen Verletzung der gemeinschaftlichen Grundrechte - haftet". Der Wert dieses Feststellungsbegehrens wird mit € 20.000,-- angegeben.

1.2. Die Klägerin führt dazu im Wesentlichen aus:

Die Klägerin sei Eigentümerin einer Liegenschaft (samt darauf befindlichem Einfamilienhaus), welches in der "Sicherheitszone" des Flughafens Wien-Schwechat liege. Für die umfangreichen Ausbauten des Flughafens seit dem "Masterplan" im Jahr 1998 (insb. Ausbau der Pistensysteme und der Flug-Stellplatzbereiche, Errichtung eines neuen Hangars, Aufstockung von bestehenden und Errichtung von neuen Parkhäusern, Bau eines neuen Flugsicherungstowers, Bus-Terminal, Bau des Air Cargo Centers, des Office-Centers und Straßensystems, etc.) sei kein Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren durchgeführt worden. Diese Erweiterungen des Flughafens hätten aber zu einer erheblichen Steigerung des Passagieraufkommens und des Flugbetriebes geführt. Die damit einhergehende Lärmbelästigung, die Abgase und Treibstoffrückstände würden die Gesundheit der Klägerin gefährden und beeinträchtigen und hätten zu einer massiven Entwertung der Liegenschaft der Klägerin geführt. Dadurch sei zudem in ihre Rechte, insbesondere nach Art1 1. ZPEMRK und Art8 EMRK sowie Art13 EMRK, unverhältnismäßig eingegriffen worden.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften habe in einem Schreiben an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten festgehalten, dass die Republik Österreich - ihrer Auffassung nach - dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art2 Abs1 und Art4 Abs2 und 3 in Verbindung mit Anhang I Z7a und Anhang II Z13 der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 1985 L 175, S 40) idF der Richtlinie 97/11/EG (ABl. 1997 L 73, S 5) und der Richtlinie 2003/35/EG (ABl. 2003 L 156, S 17) - (im Folgenden: UVP-Richtlinie) - verstoßen habe, dass für die zahlreichen Ausbauten des Flughafens Wien-Schwechat trotz des in der UVP-Richtlinie und auch im Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) vorgesehenen Kumulations- und Konzentrationsprinzips kein Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren durchgeführt worden sei.

Zudem sei die UVP-Richtlinie in ihrer konsolidierten Fassung nicht korrekt in das innerstaatliche Recht umgesetzt worden. Die nach dem UVP-G 2000 vorgesehenen Schwellenwerte bzw. Kriterien zur Auslösung einer UVP-Pflicht für Flughafenerweiterungen seien - wie es die Kommission zunächst diplomatisch formuliere - für die Erfassung erheblicher Umweltauswirkungen nur bedingt geeignet. Der Verweis in Anhang 1 Z14 lite, f und g 3. Spalte UVP-G 2000 auf die Schutzkategorie E "Siedlungsgebiet" erscheine der Kommission sogar als ungeeignet, um die weiträumigen Auswirkungen von erheblichen Fluglärmsteigerungen zu erfassen. Weiters bemängle die Kommission das alleinige Abstellen auf Gesamtpistenlängen im Rahmen der technischen Kriterien nach Anhang 1 Z14 litc, f ohne Berücksichtigung anderer wesentlicher Verkehrs- und Infrastruktureinrichtungen wie Terminals, Rollwege, Abstellflächen, Frachtumschlagsflächen etc., als nicht ausreichend, um alle Änderungen mit potenziell signifikanten Umweltauswirkungen zu erfassen. Nach Auffassung der Klägerin seien zudem nicht die erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen im Sinne von Art2 ff. der Richtlinie 2003/35/EG getroffen worden und sei auch durch die UVP-Spezialbestimmung des §145b des Bundesgesetzes über die Luftfahrt (Luftfahrtgesetz - LFG) keine korrekte Umsetzung der UVP-Richtlinie erfolgt. Daneben sei die Richtlinie 2002/49/EG über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (ABl. 2002 L 189, S 12) nur unzureichend in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Zwar seien das Bundesgesetz über die Erfassung von Umgebungslärm und über die Planung von Lärmminderungsmaßnahmen (Bundes-Umgebungslärmschutzgesetz - Bundes-LärmG) und die Verordnung des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft über die Methoden und technischen Spezifikationen für die Erhebung des Umgebungslärms (Bundes-Umgebungslärmschutzverordnung - Bundes-LärmV) erlassen worden. Bislang sei aber weder die eigentlich bis 31. Mai 2007 vorgesehene Umgebungslärmkartierung vorgenommen noch seien von den zuständigen Ministerien Aktionspläne erstellt worden. Außerdem entsprächen die in der Bundes-LärmV vorgesehenen Schwellenwerte für konkrete Maßnahmen nicht den Vorgaben der Richtlinie. Schließlich sei auch die Richtlinie 2002/30/EG über Regeln und Verfahren für lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen der Gemeinschaft (ABl. 2002 L 85, S 40) unzureichend in innerstaatliches Recht umgesetzt worden. Dass das Bundesgesetz über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen keinen richtlinienkonformen Rahmen für den von der Richtlinie vorgesehenen "ausgewogenen Ansatz" schaffe, zeige sich nicht zuletzt darin, dass für den massiven Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat in den letzten Jahren keine ernsthaften "Betriebsbeschränkungen" in Erwägung gezogen worden seien. Die mangelhafte Umsetzung dieser Gemeinschaftsrichtlinien in das nationale Recht sei unmittelbar kausal für die der Klägerin verursachten Schäden und Rechtsverletzungen und unmittelbar der beklagten Partei zuzurechnen, da der Bund in den betroffenen Materien die Gesetzgebungskompetenz innehabe und Bundesminister mit Verordnungsermächtigungen bzw. Verordnungsverpflichtungen ausgestattet seien.

2. Der Bund, vertreten durch den Bundeskanzler, hat eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, der Verfassungsgerichtshof wolle die Klage als unzulässig zurückweisen, in eventu als unbegründet abweisen.

In Bezug auf die Frage der Zulässigkeit weist der Bund zunächst darauf hin, dass die von der Klägerin behaupteten Gemeinschaftsrechtsverstöße nicht als "legislatives Unrecht" im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu qualifizieren seien. Der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 17.611/2005, 18.048/2007, 18.192/2007) liege erkennbar ein restriktives Verständnis "legislativen Unrechts" zugrunde. In diesem Zusammenhang habe der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem grundlegenden Erkenntnis VfSlg. 16.107/2001 betont, dass es nicht richtig sei, undifferenziert immer dann eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B-VG anzunehmen, wenn der Grund für die gemeinschaftsrechtliche Rechtswidrigkeit in einem "legislativen Unrecht" liege; vielmehr bestehe eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes bloß dann, wenn die Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen seien. Soweit also die Möglichkeit bestanden hätte, den behaupteten Schaden durch gemeinschaftsrechtskonforme Handhabung staatlichen Rechts oder vorrangige Anwendung unmittelbar wirksamen Gemeinschaftsrechts abzuwenden, sei die Verletzung des Gemeinschaftsrechts nicht vom Gesetzgeber, sondern von den zuständigen Organen der Vollziehung zu verantworten, sodass für eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B-VG kein Raum bleibe (vgl. Frank, Art137 B-VG, in: Rill/Schäffer [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht Kommentar, Rz 28). Ausgehend davon werde in der Lehre auch die Staatshaftung aus Gemeinschaftsrechtsverstößen durch (nicht erlassene) Verordnungen nicht als legislatives Unrecht mit daran anknüpfender Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes qualifiziert, sondern als Vollzugsunrecht im Sinne des Art23 Abs1 B-VG bzw. §1 Abs1 AHG auch im staatshaftungsrechtlichen Zusammenhang in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte verwiesen (vgl. Kucsko-Stadlmayer, Art288 EGV, in: Mayer [Hrsg.], Kommentar EU- und EG-Vertrag 2004, Rz 98; Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht3, 2006, 198).

Vor diesem Hintergrund führt der Bund im Einzelnen aus:

"Insoweit die Klägerin eine 'unzureichende Vollziehung des UVP-G' bzw. der UVP-RL durch Nichtdurchführung einer - ihrer Ansicht nach gemeinschaftsrechtlich zwingend erforderlichen - Umweltverträglichkeitsprüfung rügt (S 12f der Klage), behauptet sie ein Fehlverhalten der zuständigen Behörden, das keinesfalls unmittelbar dem Gesetzgeber des UVP-G 2000 zuzurechnen ist. Dies gilt nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch dann, wenn die Behauptung der Klägerin zutreffen sollte, dass die im UVP-G 2000 für die Auslösung einer UVP-Pflicht für Flughafenerweiterungen vorgesehenen Schwellenwerte nicht im Einklang mit der UVP-RL stehen. Diesfalls läge es nämlich wiederum an den innerstaatlich zuständigen Behörden, ein auf die unmittelbare Anwendung der einschlägigen Genehmigungstatbestände der UVP-RL gestütztes Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren durchzuführen.

Wie nämlich der EuGH in ständiger Rechtsprechung feststellt, besteht ungeachtet des den Mitgliedstaaten nach Art4 Abs2 der UVP-RL zukommenden Ermessensspielraums hinsichtlich der Normierung einer UVP-Pflicht für die im Anhang II der UVP-RL angeführten Projekte eine Verpflichtung aller Träger der öffentlichen Gewalt des Mitgliedstaats zu überprüfen, ob dieser Ermessensspielraum überschritten wurde. Ist dies der Fall, haben sie die der Durchführung einer UVP entgegenstehenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen und alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit die betreffenden Projekte im Hinblick darauf geprüft werden, ob bei ihnen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, und, wenn dies der Fall ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen unterzogen werden. Auf diese Verpflichtung können sich Einzelne kraft (objektiv) unmittelbarer Wirkung der UVP-RL vor nationalen Behörden und Gerichten berufen (vgl. grundlegend EuGH Rs. C-72/95 , Kraaijeveld, Slg 1996, I-05403, Rn. 56 ff, und in Bezug auf Flughafenerweiterungen EuGH Rs. C-435/97 , WWF [Flughafen Bozen], Slg 1999,I-5613, Rn. 68 ff). Dem folgt auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwGH 2000/03/0136, Koralmbahn (Althofen/Drau - Klagenfurt); VwGH, 2000/05/0127, 380kv Tauern-Pongau-Salzach, VwSlg 15.908 A/2000; VwGH 2007/07/0025, Flussbauliches Gesamtprojekt).

Weiters rügt die Klägerin die Nichterlassung einer Verordnung nach §145b Abs4 LFG (S 13 der Klage). Auch dabei handelt es sich um einen allenfalls der Vollziehung, keinesfalls aber unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnenden Gemeinschaftsrechtsverstoß.

Gleiches gilt für die von der Klägerin in der Nichterlassung strategischer Lärmkarten bzw. von Aktionsplänen für das Gebiet des Flughafens Wien-Schwechat sowie in der Normierung zu hoher Schwellenwerte in der Bundes-LärmV erblickte unzureichende Umsetzung der Umgebungslärm-RL 2002/49/EG (S 14 der Klage). Nach §6 Abs1 bzw. §7 Abs2 des diese Richtlinie umsetzenden Bundes-LärmG obliegen die Ausarbeitung von strategischen Lärmkarten und die Erlassung von Aktionsplänen einem Bundesminister, somit einem Organ der Vollziehung. Auch die Umgebungslärm-RL überantwortet die Ausarbeitung strategischer Lärmkarten und die Erlassung von Aktionsplänen ausdrücklich 'den zuständigen Behörden' (vgl. Art7 und 6 der Richtlinie). Bei der Bundes-LärmV handelt es sich ebenfalls um einen nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnenden Rechtsakt.

Schließlich wäre auch der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen die Richtlinie 2002/30/EG dadurch, dass auf Basis des Bundesgesetzes über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen 'für den massiven Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat in den letzten Jahren keine ernsthaften Betriebsbeschränkungen in Erwägung gezogen [worden] wurden', nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen.

Die Klägerin behauptet weiters, dass sie durch die mangelhafte Umsetzung der genannten Richtlinien in näher bezeichneten Gemeinschaftsgrundrechten verletzt wurde (S 11 f). Schon dem Klagsvorbringen nach sind aber diese behaupteten Grundrechtsverletzungen nicht unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen.

Im Ergebnis wird von der Klägerin kein wie immer gearteter Gemeinschaftsrechtsverstoß behauptet, der im Sinn der einleitend dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen wäre."

Darüber hinaus hält der Bund zum Vorbringen der Klägerin zu den behaupteten Grundrechtsverletzungen fest, dass die Klägerin - ausweislich ihrer Ausführungen in der Sache - ihren Staatshaftungsanspruch im Ergebnis gerade nicht aus Gemeinschaftsgrundrechten, sondern aus einer Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ableite. Dies sei aber kein zulässiger Gegenstand einer Staatshaftungsklage, da - wie der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt festgestellt habe - aus einer Norm der EMRK, die Teil des österreichischen Verfassungsrechts ist, ein gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch als solcher nicht unmittelbar abgeleitet werden könne (VfSlg. 17.002/2003, 18.153/2007). Gleiches müsse für die im StGG verankerten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gelten.

In der Sache bestreitet der Bund das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach zur Gänze und erhebt zudem den Einwand der Verjährung.

3. Die Klägerin erstattete eine "Äußerung zur Gegenschrift" des Bundes.

In dieser Äußerung sprach sich die Klägerin zunächst gegen die Zulassung der Gegenschrift des Bundes aus, da deren Erstattung am 13. Oktober 2008 im Hinblick auf die Verfügung durch den Verfassungsgerichtshof vom 17. Juni 2008 jedenfalls verfristet erfolgt sei. Die Klägerin stellte den Antrag, gemäß §35 VfGG iVm §396 Abs1 ZPO ein Versäumungsurteil gegen den Bund zu fällen und dem auf Leistung und Feststellung gerichteten Klagebegehren - auf Grundlage des Vorbringens der Klägerin - unmittelbar Folge zu geben.

Daneben bestreitet die Klägerin die vom Bund behauptete Unzulässigkeit der Klage im Wesentlichen mit der Begründung, dass sie entgegen der Behauptung der beklagten Partei nicht (nur) ein Fehlverhalten der zuständigen Behörden behauptet, sondern mit der dargestellten unkorrekten Umsetzung von Richtlinien hauptsächlich ein legislatives Unrecht geltend gemacht habe. Außer Streit gestellt werde, dass die nicht korrekte Umsetzung der Richtlinien auch für daran anknüpfende Vollzugsmängel - wie etwa die Unterlassung von UVP-Verfahren - kausal gewesen sei. Demnach liege eine "Kumulation von legislativem Unrecht mit dadurch unmittelbar verursachtem, administrativem Unrecht vor".

Abgesehen davon, dass die beklagte Partei nicht einmal selbst behaupte, dass die mit dem Ausbau des Flughafens Wien-Schwechat befassten Behörden überhaupt je die unkorrekte Umsetzung der Richtlinien erkannt bzw. eine unmittelbare Wirkung dieser Richtlinien angenommen hätten, könne es nach Ansicht der Klägerin dahingestellt bleiben, ob bzw. welche der Erweiterungen und Ausbauten des Flughafens (auch angesichts des Kumulationsprinzips) einer unmittelbaren Wirkung u.a. der UVP-Richtlinie unterlagen. Wie der EuGH in der Rechtssache Denkavit (17.10.1996, Rs. C-283/94 , Slg. 1996, I-5063) ausgesprochen habe, seien Umsetzungsfehler des Gesetzgebers nämlich auch dann weiterhin als "unmittelbar kausal" für den eingetretenen Schaden zu betrachten, wenn zum legislativen Verstoß auf der Rechtsanwendungsebene ein staatshaftungsrechtlich ebenso erheblicher Fehler der Exekutive (Missachtung ihrer unmittelbaren Wirkung) hinzutrete. Bringen die zuständigen nationalen Behörden also eine fehlerhafte Umsetzungsnorm zur Anwendung, obwohl sie diese aufgrund der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie unangewendet lassen müssten, hafte neben der Verwaltung jedenfalls auch der Gesetzgeber. Zudem hafte der Mitgliedstaat für den unmittelbar schadensauslösenden Fehler des Gesetzgebers, wenn eine richtlinienkonforme Auslegung der umzusetzenden nationalen Norm nicht möglich sei. Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Denkavit; EuGH 16.12.1993, Rs. C-334/92 , Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911; 4.2.1998, Rs. C-94/95 ua., Bonifaci, Slg. 1997, I-3969) werde entgegen der Ansicht der beklagten Partei der Kausalzusammenhang zwischen einem Fehler des Gesetzgebers und dem eingetretenen Schaden durch ein Dazwischentreten der Exekutive nach der maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH in aller Regel nicht durchbrochen.

4. Der Bund erstattete eine "Gegenäußerung", in der er dem Vorbringen der Klägerin in ihrer Äußerung zur Gegenschrift (insb. betreffend die Zulässigkeit der Klage sowie betreffend den Zeitpunkt der Kenntnis der Klägerin vom Ursachenzusammenhang zwischen legislativem Unrecht und Schaden) entgegentritt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Klage erwogen:

1. Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, dass ein Fehlverhalten des Gesetzgebers, nämlich die mangelhafte Umsetzung mehrerer EU-Richtlinien, der Grund für den Eintritt des Schadens sei. Sie führt im Rahmen ihrer Äußerung zur Gegenschrift des Bundes ferner aus, dass die nicht korrekte Umsetzung der Richtlinien auch für daran anknüpfende Vollzugsmängel - wie etwa die Unterlassung von UVP-Verfahren - kausal gewesen sei, weshalb eine "Kumulation von legislativem Unrecht mit dadurch unmittelbar verursachtem, administrativem Unrecht" vorliege.

2. Aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes geht hervor, dass seine Zuständigkeit zur Entscheidung über vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Titel der Staatshaftung nach Gemeinschaftsrecht wegen "legislativen Unrechts" nur dann besteht, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind: Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass "es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung" bleibt, wenn "der behauptete

Schaden an ein ... verwaltungsbehördliches oder gerichtliches

Handeln" anknüpft (VfSlg. 17.611/2005). Aus seiner Judikatur geht weiters klar hervor, dass dies auch dann gilt, wenn die verwaltungsbehördliche (oder gerichtliche) Handlung "durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmt" ist (vgl. VfSlg. 16.107/2001, 18.020/2006): Eine auf Gemeinschaftsrecht gestützte Staatshaftungsklage fällt somit auch dann in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte, wenn - wie hier behauptet - die für den Eintritt des behaupteten Schadens kausale Handlung der Vollziehung durch ein gemeinschaftsrechtswidriges Gesetz (etwa auf Grund der fehlerhaften Umsetzung einer EU-Richtlinie) zwingend "vorherbestimmt" sein sollte. Ob die dem behördlichen Vorgehen zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen dem Gemeinschaftsrecht entsprechen, unterläge der Beurteilung durch das Amtshaftungsgericht im Rahmen einer meritorischen Entscheidung, ist aber für die Zuständigkeitsfrage nicht entscheidend. Eine kumulative Zuständigkeit sowohl des Verfassungsgerichtshofes als auch der Amtshaftungsgerichte ist vor diesem Hintergrund ausgeschlossen.

3. Aus dem Vorbringen der Klage folgt, dass der behauptete Schaden letztlich auf Handlungen und Unterlassungen von Verwaltungsbehörden zurückzuführen ist. Der Ausbau des Flughafens Wien im Rahmen des sog. "Masterplanes" wurde zwar insgesamt keinem Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren unterzogen, jedoch wurden in Bezug auf einzelne davon erfasste Ausbauschritte Genehmigungsverfahren durchgeführt und - wie der Bund in seiner Gegenschrift ausführt - es wurde für ein Projekt des "Masterplanes" auch ein Feststellungsverfahren nach §3 Abs7 UVP-G 2000 durchgeführt. Daraus folgt, dass Verwaltungsbehörden tätig geworden sind bzw. allenfalls tätig werden hätten müssen - dies in Anwendung der Bestimmungen des UVP-G 2000 und des Bundesgesetzes über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen auf Flughäfen unter angemessener Bedachtnahme auf die einschlägigen EG-Richtlinien, sei es in unmittelbarer Anwendung einer Richtlinie, sei es in richtlinienkonformer Interpretation des Gesetzes (EuGH 24.10.1996, Rs. C-72/95 , Kraaijeveld, Slg. 1996, I-5403). Die Klägerin bezieht sich im Übrigen in ihrer Äußerung zur Gegenschrift auch selbst auf "die mit dem Ausbau des Flughafens Wien Schwechat befassten Behörden".

Nicht nur die (gemeinschafts-)rechtswidrige Erlassung von Verordnungen, auch die behauptetermaßen (gemeinschafts-)rechtswidrige Säumnis bei der Erlassung einer Verordnung ist der Verwaltungstätigkeit zuzuordnen und fällt daher grundsätzlich - sofern die jeweiligen Rechtsvorschriften die Behörden zur Erlassung der betreffenden Verordnung verpflichten - in die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte (vgl. Öhlinger/Potacs, aaO, 198 mwN u.a. auf Schragel, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz3, 2003, §1 Rz 67; vgl. auch Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Bundesverfassungsrecht10, 2007, Rz 596; VwSlg. 13.110 A/1990). Den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie trifft die Verpflichtung, im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft nach §145b Abs4 LFG eine Verordnung über geeignete objektseitige Maßnahmen im Sinne von §145b Abs3 LFG zu erlassen (arg.

"Diese Maßnahmen sind mit Verordnung ... nach Maßgabe der

Erfordernisse des Lärmschutzes festzulegen"). Die Nichterlassung dieser Verordnung ist daher einer Verwaltungsbehörde zuzurechnen. Die Ausarbeitung von strategischen Umgebungslärmkarten und die Erlassung von Aktionsplänen in Zusammenhang mit Flughäfen obliegt nach §6 Abs1, 3, 6 und 8 und §7 Abs2 und 4 Bundes-LärmG dem Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie. Ihre behauptete Nichterlassung ist daher ebenfalls einer Verwaltungsbehörde zuzurechnen, zumal den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie eine entsprechende Verpflichtung trifft (s. zu den strategischen Lärmkarten §6 Abs1, 3, 6, 8 Bundes-LärmG "[hat] bis spätestens ... auszuarbeiten"; zu den Aktionsplänen §7 Abs2, 4 Bundes-LärmG "[hat]

bis spätestens ... auszuarbeiten"). Da die Bundes-LärmV schließlich

vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft erlassen wurde, sind auch allenfalls zu hohe Schwellenwerte in dieser Verordnung einer Verwaltungsbehörde zuzurechnen.

Der geltend gemachte Schaden ist somit nicht unmittelbar auf - behauptete - Fehlleistungen des Gesetzgebers zurückzuführen, sondern durch Verwaltungsbehörden verursacht und wäre somit im Wege einer Klage nach dem AHG geltend zu machen. Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Leistung von € 200.000,-- s.A. nicht zuständig.

4. Gleiches gilt für das Feststellungsbegehren. Gegenstand eines Feststellungserkenntnisses iSd §38 VfGG können nur die in Art137 B-VG umschriebenen, nach dieser Vorschrift einklagbaren vermögensrechtlichen Ansprüche sein (VfGH 9.10.2008, A8/08 mwN). Da aber die Feststellung der Verpflichtung des Bundes zum Ersatz künftiger Schäden auf Grund der oben dargestellten Behauptungen begehrt wird, ist offensichtlich, dass Gegenstand der Feststellung ein Schadenersatzanspruch ist, über den zu befinden nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fällt.

5. Die Klage ist daher schon aus diesem Grund ohne weiteres Verfahren wegen offenbarer Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lita VfGG).

6. Bei diesem Ergebnis war auf den Antrag der Klägerin auf Erlassung eines Versäumungsurteils gemäß §35 VfGG iVm §396 Abs1 ZPO nicht einzugehen. Die Erlassung eines Versäumungsurteiles würde die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Entscheidung über die Klage voraussetzen. Das Vorliegen der Voraussetzungen für seine Zuständigkeit überprüft und beurteilt der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen.

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