VfGH A8/08

VfGHA8/089.10.2008

Zurückweisung einer Staatshaftungsklage und eines Feststellungsbegehrens eines Anbieters von Finanzdienstleistungen wegen behaupteter mangelhafter Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie mangels Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes; Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte auch im Fall einer behaupteten Vorherbestimmung der schadenskausalen Handlung der Vollziehung durch ein gemeinschaftswidriges Gesetz

Normen

B-VG Art137 / ord Rechtsweg
BankwesenG §1, §4 Abs7
Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG
VfGG §38
VfGG §41
B-VG Art137 / ord Rechtsweg
BankwesenG §1, §4 Abs7
Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG
VfGG §38
VfGG §41

 

Spruch:

I. Die Klage wird zurückgewiesen.

II. Die klagende Partei ist schuldig, dem Bund die mit € 46.362,60 bestimmten Prozesskosten zu Handen der Finanzprokuratur binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Begründung

I. 1. Mit seiner auf Art137 B-VG gestützten Klage begehrt der

Kläger, der Verfassungsgerichtshof möge den Bund zur Zahlung von € 91.974.575,-- s.A. schuldig erkennen und feststellen, dass der Bund dem Kläger "für sämtliche zukünftigen aus der mangelhaften Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie entstandenen Schäden" haftet. Der Wert des Feststellungsbegehrens wird in der Klage mit € 10.000.000,-- angegeben.

2. Der Kläger habe im Jahr 2006 ein - in der Klage detailliert beschriebenes - Geschäftsmodell entwickelt. Dieses Modell hätte darin bestanden, dass eine Gesellschaft - die G. Ltd. -, an deren Eigenkapital sich interessierte Anleger beteiligen können sollten, (über eine "Immobilienerwerbsgesellschaft" als Tochtergesellschaft der G. Ltd.) Immobilien aus Zwangsversteigerungen erwirbt und verwertet. Den Anlegern wäre eine bestimmte Rendite zugekommen; der Kläger erwartete sich Wertsteigerungen seiner "Aufgriffsrechte" an der Immobilienerwerbsgesellschaft.

Der Kläger stützt sein Begehren auf "Staatshaftung wegen mangelhafter Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie". Der Schaden, dessen Ersatz er geltend macht, sei dadurch verursacht worden, dass die Finanzmarktaufsichtsbehörde (in der Folge: FMA) am 3. Februar 2007 eine Mitteilung veröffentlicht habe, die als "Warnmeldung zu einem unseriösen Anbieter von Finanzdienstleistungen" bezeichnet war und in der darüber informiert wurde, dass die G. Ltd. "in Österreich nach §1 Abs1 Z1 BWG (Einlagengeschäft) und §1 Abs1 Z3 BWG (Kreditgeschäft) konzessionspflichtige Bankgeschäfte an[biete], ohne über die erforderliche Berechtigung zu verfügen". Bei dieser Veröffentlichung habe sich die FMA auf §4 Abs7 BWG gestützt. Dieses Vorgehen sei (gemeinschafts)rechtswidrig gewesen. Der Bundesgesetzgeber sei verpflichtet gewesen, spätestens bis zum 12. Oktober 2004 die sog. Marktmissbrauchsrichtlinie und die entsprechende Durchführungsrichtlinie umzusetzen

(Richtlinie 2003/6/EG über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation [Marktmissbrauch], ABl. L 96, 16 sowie Richtlinie 2003/124/EG zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, ABl. L 339, 70). Der Bundesgesetzgeber habe es nach Auffassung des Klägers "im Zuge der Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie (BGBl. I 127/2004) verabsäumt, die Bestimmung des §4 Abs7 BWG aufzuheben bzw. ihren Anwendungsbereich richtlinienkonform einzuschränken".

3. Der Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, hat eine Gegenschrift erstattet, in der er primär die Zurückweisung und hilfsweise die Abweisung der Klage beantragt. Als schadensauslösender Akt werde in der Klage das Verhalten einer Behörde, nämlich die "Warnmeldung" der FMA, bezeichnet. Es werde daher keine Haftung aus unmittelbar dem Gesetzgeber zurechenbarem Unrecht geltend gemacht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes folge daraus die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und es scheide daher die Zuständigkeit des Verfassungsgerichthofes nach Art137 B-VG aus. Im Übrigen tritt der Bund dem Tatsachenvorbringen des Klägers entgegen und führt mit näherer Begründung aus, dass die einschlägigen Bestimmungen des BWG dem Gemeinschaftsrecht nicht widersprächen und auch die sonstigen Voraussetzungen für einen Staatshaftungsanspruch nicht gegeben seien.

4. Am 23. September 2008 langte beim Verfassungsgerichtshof ein weiterer, als "Klagsausdehnung" und "Replik" bezeichneter Schriftsatz des Klägers ein. Das Leistungsbegehren blieb - mit Ausnahme des Zinsenbegehrens - unverändert, ebenso das Feststellungsbegehren. Die Klage wurde um ein Unterlassungsbegehren und ein Widerrufsbegehren erweitert.

Zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes bringt der Kläger in diesem Schriftsatz vor, dass er seine Ansprüche "ausschließlich auf Staatshaftung wegen legislativen Unrechts stütze". Bei gemeinschaftsrechtswidriger Umsetzung einer Richtlinie durch den Gesetzgeber müsse das verwaltungsbehördliche Handeln, aus dem sich ein Schaden ableitet, keineswegs selbst rechtswidrig sein. In Konstellationen, in denen der behauptete Schaden kumulativ durch legislatives und administratives Handeln verursacht werde, bestehe eine Rechtsschutzlücke: Der Verfassungsgerichtshof habe in seiner bisherigen Rechtsprechung seine Zuständigkeit in jenen Fällen verneint, in denen dem Gesetzgeber eine gemeinschaftsrechtswidrige Rechtslage vorzuwerfen war, in denen aber der Vollziehung insofern keine rechtswidrige Schadensverursachung vorwerfbar gewesen sei, als die verletzte gemeinschaftsrechtliche Norm nicht unmittelbar anwendbar und die Vollziehung daher an das innerstaatliche Gesetz gebunden war. In dieser Konstellation sei die Schadensverursachung "unmittelbar" auf den Gesetzgeber zurückzuführen und daher die Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte ausgeschlossen, sodass nach Art137 B-VG der Verfassungsgerichtshof zuständig sei. Hinsichtlich der Schadenshöhe geht der Kläger von der Annahme aus, dass er bei dem ohne Warnmeldung zu erwartenden Investitionsvolumen "Aufgriffsrechte" im Wert von € 91 Mio. erlangt hätte. Das Feststellungsbegehren bewertet der Kläger ohne nähere Begründung mit € 10 Mio.

II. Der Verfassungsgerichtshof ist zur Entscheidung über die Klage nicht zuständig:

1.1. Nach dem Vorbringen der Klage war auslösendes Moment des behaupteten Schadens eine auf §4 Abs7 BWG gestützte Mitteilung der FMA, deren Rechtswidrigkeit der Kläger unter anderem darin erblickt, dass die genannte Bestimmung des BWG gegen Gemeinschaftsrecht verstoße. Wenn im Schriftsatz vom 23. September 2008 nunmehr behauptet wird, dass "ausschließlich legislatives Unrecht" geltend gemacht werde, ändert das nichts daran, dass dem Klagsvorbringen (insgesamt) eindeutig zu entnehmen ist, dass die "Warnmeldung" der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom Kläger als kausal für den behaupteten Vermögensschaden qualifiziert wird.

Aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes geht nun mit ausreichender Deutlichkeit hervor, dass seine Zuständigkeit zur Entscheidung über vermögensrechtliche Ansprüche aus dem Titel der Staatshaftung nach Gemeinschaftsrecht wegen "legislativen Unrechts" nur dann besteht, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind: Der Gerichtshof hat in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass "es bei der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte auch für eine gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung [bleibt], wenn der behauptete Schaden an ein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Handeln [anknüpft]". Aus seiner Judikatur geht weiters klar hervor, dass dies auch dann gilt, wenn die verwaltungsbehördliche (oder gerichtliche) Handlung "durch ein Fehlverhalten des Gesetzgebers vorherbestimmt" ist (vgl. VfSlg. 16.107/2001 [S 273], 17.611/2005 [S 12], 18.020/2006 [S 932 f.]): Eine auf Gemeinschaftsrecht gestützte Staatshaftungsklage unterliegt der Zuständigkeit der Amtshaftungsgerichte somit auch dann, wenn - wie hier behauptet - die schadenskausale Handlung der Vollziehung durch ein gemeinschaftsrechtswidriges Gesetz zwingend "vorherbestimmt" sein sollte. Die in der Klage angedeutete Unterscheidung danach, ob die behauptete Gemeinschaftsrechtswidrigkeit bereits auf Ebene des Gesetzes oder auf Ebene der Vollziehung zu vermeiden gewesen wäre, ist für die Frage der Zuständigkeit des Amtshaftungsgerichtes irrelevant. Ob die dem behördlichen Vorgehen zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen dem Gemeinschaftsrecht entsprechen, unterläge der Beurteilung durch das Amtshaftungsgericht im Rahmen einer meritorischen Entscheidung, ist aber für die Zuständigkeitsfrage nicht entscheidend.

Der geltend gemachte Schaden ist somit nicht unmittelbar auf die - behauptete - Fehlleistung des Gesetzgebers, sondern auf das Vorgehen einer Verwaltungsbehörde zurückzuführen und wäre somit im Amtshaftungsweg geltend zu machen. Der Verfassungsgerichtshof ist daher zur Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Leistung von € 91.974.575,-- s.A. nicht zuständig.

1.2. Gleiches gilt für das Feststellungsbegehren. Gegenstand eines Feststellungserkenntnisses iSd §38 VfGG können nur die in Art137 B-VG umschriebenen, nach dieser Vorschrift einklagbaren vermögensrechtlichen Ansprüche sein (VfSlg. 365/1924, 2531/1953, 5789/1968). Da aber die Feststellung der Verpflichtung des Bundes zum Ersatz von Schäden aufgrund der oben dargestellten Vorgänge begehrt wird, ist offensichtlich, dass Gegenstand der Feststellung ein Schadenersatzanspruch ist, über den zu befinden nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes fällt.

1.3. Der mit dem ergänzenden Schriftsatz geltend gemachte Unterlassungs- und Widerrufsanspruch ist kein vermögensrechtlicher Anspruch im Sinne des Art137 B-VG, mögen auch mittelbare wirtschaftliche Auswirkungen oder Reflexwirkungen im Bereich des Vermögens bestehen (VfSlg. 14.284/1995, 15.445/1999). Das erweiterte Begehren ist daher schon deshalb unzulässig.

2. Die Klage ist daher ohne weiteres Verfahren wegen offenbarer Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lita VfGG; vgl. auch VfGH 24.9.2007, A6/07).

3. Die in der Klage aufgeworfenen Fragen ließen ein Einschreiten der Finanzprokuratur als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung der beklagten Partei notwendig erscheinen. Die beklagte Partei hat ihre Kosten ausgehend von dem in der Klage angegebenen Streitwert (von insgesamt € 101.974.575,-- s.A.) dem RATG entsprechend verzeichnet. Die Kosten waren ihr gemäß §41 iVm §35 VfGG und §41 Abs2 ZPO zuzusprechen.

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