European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0459:2025:0070BS00155.24D.0123.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* B* des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB schuldig erkannt und dafür nach § 107a Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurde.
Demnach hat er im Zeitraum 13. März 2024 bis 10. Juni 2024 seine Noch-Ehegattin C* B* widerrechtlich beharrlich verfolgt, indem er in einer Weise, die geeignet ist, sie in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen, eine längere Zeit hindurch fortgesetzt unter Verwendung eines sonstigen Kommunikationsmittels Kontakt zu ihr herstellte, indem er ihr fast täglich zahlreiche E-Mails übermittelte.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 14) und ausgeführte (ON 17) Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, mit der er primär einen Freispruch, allenfalls die Kassation des Urteils und die Zurückverweisung des Verfahrens an das Erstgericht zum Zwecke eines diversionellen Vorgehens oder aber eine Herabsetzung der Strafe anstrebt.
Sie bleibt erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (vgl zur gebotenen Reihenfolge bei der Behandlung verschiedener Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe: Ratz in WK-StPO § 476 Rz 9) dient ausschließlich der Bekämpfung tatsächlich getroffener Feststellungen, mit anderen Worten der tatsächlich angestellten Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0122980). Derartige Kritik, die sich gegen bestimmte Sachverhaltsannahmen richtet, ist dem Rechtsmittel jedoch nicht zu entnehmen. Weil aber bereits die bloße Erklärung, das Urteil wegen des Ausspruchs über die Schuld anzufechten, genügt, um das Rechtsmittelgericht zur Prüfung aller für den Standpunkt des Berufungswerbers sprechenden Argumente zu verpflichten (vgl Ratz in WK-StPO § 467 Rz 2), sei festgehalten: Der Erstrichter stützt seine konzise Beweiswürdigung auf die Screenshots der inkriminierten Nachrichten (vgl 2.10) und leitet seine Annahmen zur subjektiven Tatseite lebensnah aus dem festgestellten Verhalten (dazu: Ratz in WK-StPO § 281 Rz 452) sowie einem aufgrund gleichgelagerter Vorwürfe gegen den Angeklagten geführten unmittelbar vor Beginn des Tatzeitraums diversionell beendeten Verfahren ab (US 4). Bedenken an seinen Schlussfolgerungen bestehen nicht, so dass die Feststellungen Bestand haben.
Das unter dem Titel Schuldberufung erstattete Rechtsmittelvorbringen ist der Sache nach als Rechtsrüge nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a (§ 489 Abs 1) StPO zu verstehen (und als solche zu behandeln: § 467 Abs 2 zweiter Satz [§ 489 Abs 1] StPO), bestreitet der Angeklagte damit doch, dass auf Basis dieser Konstatierungen Beharrlichkeit anzunehmen sei, und die Intensität des festgestellten Verhaltens ausreiche, um eine unzumutbare Beeinträchtigung herbeizuführen.
Entscheidendes Kriterium für die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals „Beharrlichkeit“ ist die Belastung für das Opfer. Diese erfordert wiederholtes Handeln über eine längere Zeit (Schwaighofer in WK-StGB² § 107a Rz 9) und hängt – neben Art und Schwere der einzelnen Stalkinghandlungen – von deren Anzahl, Dauer und den dazwischen liegenden Zeitabständen ab. Maßgebend ist die Gesamtbetrachtung dieser Parameter, womit eine besonders starke Ausprägung eines davon unter dem Aspekt der Subsumtion eine Reduktion des Gewichts der andern zulässt (RIS-Justiz RS0130054). Typisch für Beharrlichkeit ist die Hartnäckigkeit des Verhaltens, das trotz Rückschlägen und Misserfolgen fortgesetzt wird (Schwaighofer aaO Rz 8).
Die Rechtsfrage, ob die Tathandlungen geeignet sind, eine unzumutbare Beeinträchtigung der Lebensführung herbeizuführen, wiederum ist anhand eines objektiv-individuellen Maßstabs zu beurteilen, wobei die widerstreitenden Interessen von Täter und Opfer abzuwägen sind (Schwaighofer aaO Rz 11, Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 107a Rz 10). Eine derartige Eignung ist zu bejahen, wenn das Verhalten so unerträglich ist, dass auch ein Durchschnittsmensch in dieser Situation auf Grund derartiger Handlungen möglicherweise seine Lebensgestaltung geändert hätte (Leukauf/Steininger/Tipold aaO Rz 9). Ob es tatsächlich zu einer Beeinträchtigung kommt, ist dagegen irrelevant. Der Tatbestand ist demnach nicht als Erfolgsdelikt sondern als potentielles Gefährdungsdelikt ausgestaltet (Schwaighofer aaO Rz 2, Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 107a Rz 8) und die Reaktion des Opfers allenfalls ein Indiz für die geforderte Eignung, aber nicht entscheidend (Schwaighofer aaO Rz 11).
Hier wurden 524 Kontaktaufnahmen per E-Mail über einen Zeitraum von knapp drei Monaten (im Schnitt zumindest fünf pro Tag) konstatiert. An Spitzentagen waren es mehr als 50 Mailnachrichten (26. März 2024: 65, 5. Juni 2024: 53, 10. Juni 2024: 71; US 2 f). Ausgehend von dieser Häufigkeit und dieser Dauer ist selbst unter Berücksichtigung der (im Vergleich zu anderen von § 107a Abs 2 StGB erfassten Verhaltensweisen) eher geringen Intensität der einzelnen Verfolgungshandlungen (schlichte Wünsche nach Kontakterwiderung ohne beleidigende oder gar bedrohliche Inhalte) die vom Gesetz geforderte Beharrlichkeit gegeben. Dabei wird nicht übersehen, dass der Berufungswerber zwischen 3. April und 7. Mai 2024 keinen einzigen Kontaktversuch unternahm. Diese Zeit des Stillhaltens wird aber durch Phasen besonders intensiver Aktivität zu Beginn (218 Nachrichten im zwischen 13. und 29. März 2024 [mehr als 12 im Tagesschnitt]) und insbesondere am Ende des Tatzeitraums (233 Nachrichten zwischen 1. und 10. Juni 2024 [mehr als 23 im Tagesschnitt]) aufgewogen. Ob eine Blockierung des Berufungswerbers technisch leicht möglich wäre, ist entgegen dem Rechtsmittelvorbringen unter dem Aspekt der Beharrlichkeit ohne Relevanz. Zum einen stellt diese auf das Täterverhalten ab (Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari aaO Rz 2: schlichtes Tätigkeitsdelikt) und zum anderen wäre ansonsten die vom Gesetz explizit angeführte Kontaktaufnahme im Wege einer Telekommunikation (vgl § 107a Abs 2 Z 2 erster Fall StGB) regelmäßig nicht vom Tatbestand erfasst. Der Kontakt ist übrigens bereits hergestellt, sobald die E-Mail beim Empfänger eingeht; dies unabhängig davon, ob sie gelesen oder allenfalls sogar gleich gelöscht wird (Leukauf/Steininger/Tipold aaO Rz 5, Schwaighofer aaO Rz 20).
Ebenfalls zu Recht erkannte der Erstrichter dem festgestellten Verhalten die Eignung zu, die Ehefrau des Berufungswerbers in ihrer Lebensführung unzumutbar zu beeinträchtigen. Erneut ist auf die Anzahl der E-Mails über einen Zeitraum von knapp drei Monaten hinzuweisen. Selbst unter Berücksichtigung des familiären Naheverhältnisses trägt dieses Verhalten die Gefahr in sich, die Adressatin zu einer Änderung ihrer Lebensgestaltung, naheliegend zur Aufgabe ihrer E-Mail-Adresse (dazu: Fabrizy/Michel-Kwapinski/Oshidari aaO Rz 9, Schwaighofer aaO Rz 12), zu bewegen. Weil diese Frage ex ante zu beurteilen ist (ErläutRV 1316 BlgNR 22. GP 6), bleibt ohne Relevanz, in welchem Ordner des E-Mail-Programms die Nachrichten letztlich abgelegt werden. Dass sich im gegebenen Fall das Opfer letztlich nicht zu einer ihre Lebensführung ändernden Reaktion entschloss, ist – wie oben bereits dargestellt – ohne Einfluss auf die Strafbarkeit.
Das Erstgericht hat den Sachverhalt damit rechtsfehlerfrei beurteilt.
Auch der Diversionsrüge (§ 281 Abs 1 Z 10a [§ 489 Abs 1] StPO) ist kein Erfolg beschieden. Ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der Strafprozessordnung ist nur dann zulässig, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den (hier:) Berufungswerber von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 198 Abs 1 letzter Halbsatz StPO). Im gegebenen Zusammenhang beweist die zeitliche Abfolge hinlänglich, dass ein diversionelles Vorgehen nicht den gewünschten Effekt erzielen könnte. Noch am Tag der Einstellung eines wegen ähnlicher Vorwürfe geführten Verfahrens nach Zahlung eines Geldbetrags gemäß §§ 199, 200 Abs 1 StPO (vgl US 3) begann der Berufungswerber mit den hier inkriminierten Verfolgungshandlungen. Vor diesem Hintergrund stehen – worauf die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 7. Jänner 2025 zutreffend hinweist – unüberwindbare spezialpräventive Bedenken einer erneuten Diversion entgegen (vgl zum Ganzen: Schroll/Kert in WK-StPO § 198 Rz 39).
Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe:
Das Erstgericht wertete bei der Strafzumessung den bisher ordentlichen Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) mildernd und keinen Umstand erschwerend (US 4).
Der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 17 StGB wurde entgegen dem Rechtsmittelvorbringen zutreffenderweise nicht herangezogen. In seiner Ausformung als reumütiges Geständnis müsste dieses auch die subjektive Tatseite umfassen (RIS-Justiz RS0101781, RS0091585). Und als wesentlicher Beitrag zur Wahrheitsfindung wäre es nur dann relevant, wenn es sich maßgeblich auf die Beweiswürdigung auswirkt (RIS-Justiz RS0091460). Weder das eine noch das andere ist hier der Fall.
Vielmehr ist der Strafzumessungskatalog zum Nachteil des Berufungswerbers zu ergänzen, hat er doch ein gegen die Freiheit gerichtetes Vorsatzdelikt zum Nachteil seiner Ehefrau begangen (§ 33 Abs 2 Z 2 StGB).
Damit ist die im angefochtenen Urteil verhängte zweimonatige Freiheitsstrafe nicht reduktionsfähig. Bedingte Strafnachsicht wurde ohnedies gewährt und die Probezeit zutreffend mit drei Jahren festgesetzt.
Der an sich gebotenen (RIS-Justiz RS0090783, RS0089927) Verhängung einer Geldstrafe versagte der Berufungswerber seine Zustimmung (vgl § 295 Abs 2 zweiter Satz StPO).
Bleibt in Hinblick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz (§ 489 Abs 1, § 471) StPO und den Auslandsaufenthalt des Berufungswerbers bis zum 4. Juni 2024 (vgl S 4 in ON 2.6, S 4 in ON 2.7, S 2 in ON 12) anzumerken, dass § 107a StGB zwar als schlichtes Tätigkeitsdelikt konzipiert ist, weshalb die inländische Gerichtsbarkeit nicht an einen Erfolgseintritt im Bundesgebiet anknüpfen kann (vgl Salimi in WK-StGB² § 67 Rz 20, 84 f). Gleichzeitig handelt es sich jedoch um ein Dauerdelikt (Schwaighofer aaO Rz 34), bei dem ein inländischer Tatort im Sinne des § 67 Abs 2 StGB immer dann vorliegt, wenn zumindest eine Phase des deliktischen Geschehens im Inland erfolgt (RIS-Justiz RS0092155, Salimi aaO Rz 24). Da der Berufungswerber seine Kontaktaufnahmen nach dem 4. Juni 2024 in Österreich nahtlos fortsetzte, unterliegt die gesamte Tat als Inlandstat nach § 62 StGB der (originären) österreichischen Gerichtsbarkeit.
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