European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E127413
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.489,86 EUR (darin enthalten 248,31 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war von 5. 1. 2015 bis 30. 4. 2018 als „Vice President Global Human Resources“ für die Beklagte tätig. Das Dienstverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung zum 30. 4. 2018.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Softwareunternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich, das Teil eines international agierenden, aus 37 Unternehmen bestehenden Konzerns ist. Zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin hatte die Unternehmensgruppe der Beklagten über 1.400 Mitarbeiter, zum Zeitpunkt ihres Ausscheidens weltweit mehr als 3.000 Mitarbeiter.
Die Klägerin war Personalleiterin für den gesamten Konzern mit den Aufgabenbereichen Entgelt, Organisation und Training und für sämtliche Arbeitnehmer verantwortlich. Das von ihr geleitete Human Resources‑Team umfasste 65 bis 85 Mitarbeiter, davon berichteten 12 Mitarbeiter direkt an die Klägerin, die restlichen Mitarbeiter waren wiederum diesen Mitarbeitern zugeordnet. Die Klägerin ihrerseits berichtete an den Co‑CEO des Konzerns. Keiner der der Klägerin unmittelbar zugeordneten Mitarbeiter arbeitete in Österreich.
Die Klägerin arbeitete von ihrer Privatwohnung in Wien aus und kommunizierte mit ihren Mitarbeitern via Skype und sonstigen elektronischen Medien. Die Geräte wurden von der Beklagten zur Verfügung gestellt. Eine betriebliche Notwendigkeit für die Anwesenheit der Klägerin in Österreich bestand nicht.
Die Klägerin war befugt, innerhalb ihres Verantwortungsbereichs, also für ihre unmittelbaren Mitarbeiter, Entscheidungen auch hinsichtlich Aufnahme und Beendigung von Dienstverhältnissen selbständig zu treffen. Das galt auch für die Vergütung. Innerhalb einer genehmigten Strategie oder eines genehmigten Budgets konnte sie dieses selbst verwalten und selbständige Entscheidungen treffen, dies betraf auch die Zustimmung etwa zu Gehaltserhöhungen. Die Klägerin verdiente 260.000 EUR brutto jährlich, zuzüglich eines Jahresbonus von zuletzt 98.000 EUR brutto sowie Sachbezüge wie Pensionsversicherung, Dienstwagen und Krankenversicherungen.
Außer der Klägerin befindet sich in Österreich lediglich ein „Sales Team“, das aus neun Personen besteht. Auch diese Mitarbeiter haben Homeoffice‑Arbeitsverträge und befinden sich überwiegend unterwegs oder bei Kundenvorführungen. Etwa seit Mitte 2017 gibt es ein angemietetes Büro in Wien, das zwei PC‑Arbeitsplätze aufweist. Diese Räumlichkeiten dienen vor allem dazu, dass Mitarbeiter, die gerade in Wien sind, einen ausgestatteten Arbeitsplatz zur Verfügung haben. Das Sales‑Team macht lediglich Produktvorführungen, ist jedoch nicht berechtigt, Abschlüsse vorzunehmen. Vom Leiter dieses Teams wird an den Salesverantwortlichen für Österreich, Schweiz, Deutschland und Osteuropa berichtet, der in München stationiert ist. Dieser wiederum berichtete dem Verantwortlichen bei der Beklagten für Europa und den mittleren Osten und letztlich an den Co‑CEO. Soweit die Beklagte in Österreich wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet, hat die betreffende Organisation keine Rechtspersönlichkeit. Eine inhaltliche Zusammenarbeit zwischen dem Sales‑Team und der Klägerin fand nicht statt. Betriebsmittel wurde nicht gemeinsam genutzt. Es gab keine organisatorische, den Ablauf betreffende und strukturelle Gemeinsamkeit zwischen ihren Tätigkeiten. Es gab keine gemeinsame arbeitstechnische Leitung, kein gemeinsames Budget und keine gemeinsame Rechnungslegung. Die Klägerin hatte keine Schlüssel zum Büro des Sales‑Teams. Sie konnte dort jedoch an sie gesandte Poststücke abholen. Bestimmte Personalverwaltungstools werden auch vom österreichischen Sales‑Team verwendet. Unmittelbarer Leiter in Personalangelegenheiten war jedoch nicht die Klägerin, sondern eine andere Mitarbeiterin, die wiederum an einen Mitarbeiter zu berichten hatte, der der Klägerin zugeordnet war.
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit und Vorliegens eines unlauteren Motivs nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG. Sie sei an ihrem Wiener Arbeitsort im Rahmen eines selbständigen Betriebs im Sinn des § 34 ArbVG tätig geworden. Sie sei nicht leitende Angestellte im Sinn des § 36 ArbVG.
Die Beklagte bestritt und brachte vor, dass sie in Österreich keinen eigenständigen Betrieb betreibe. Die Klägerin sei leitende Angestellte nach § 36 ArbVG. Eine wesentliche Interessenbeeinträchtigung liege nicht vor.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging davon aus, dass das Sales‑Team keinen selbständigen Betrieb bilde, die Klägerin diesem Team aber auch nicht zuzuordnen sei. Dass sie in ihrem Homeoffice für sich allein einen Betrieb bilde, sei nicht behauptet worden, es fehle aber jedenfalls an der Voraussetzung der dauernden Beschäftigung von fünf Arbeitnehmern. Die Klägerin habe daher keinen Kündigungsschutz nach dem ArbVG.
Der Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Beklagte über keinen selbständigen Betrieb in Österreich verfüge. Da das Vorhandensein eines Betriebs in Österreich zu verneinen sei, könne eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Klägerin leitende Angestellte sei, unterbleiben.
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, da erhebliche Rechtsfragen nicht zu lösen seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit einem Aufhebungsantrag, in eventu einem Abänderungsantrag.
Die Beklagte beantragt, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, aber nicht berechtigt.
1. Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht die Klägerin das Fehlen ihrer Ansicht nach relevanter Feststellungen geltend, behauptet daher das Vorliegen eines sekundären Feststellungsmangels, der aber der Rechtsrüge zuzuordnen ist und in deren Rahmen zu behandeln ist.
2. Die Kündigung und die Entlassung eines Arbeitnehmers unterliegen den im II. Teil des ArbVG („Betriebsverfassung“) geregelten Anfechtungsbestimmungen der §§ 105 ff ArbVG.
Nach § 33 Abs 1 ArbVG gelten die Bestimmungen des II. Teils für Betriebe aller Art. § 34 Abs 1 ArbVG definiert den Betrieb als jede Arbeitsstätte, die eine organisatorische Einheit bildet, innerhalb der eine physische oder juristische Person oder eine Personengemeinschaft mit technischen oder immateriellen Mitteln die Erzielung bestimmter Arbeitsergebnisse fortgesetzt verfolgt, ohne Rücksicht darauf, ob Erwerbsabsicht besteht oder nicht.
In der „organisatorischen Einheit“ muss die Einheit des Betriebsinhabers, des Betriebszwecks und der Organisation zum Ausdruck kommen. Dieser Einheit muss also ein gewisses Mindestmaß an Selbständigkeit, insbesondere in technischer Hinsicht, eingeräumt sein, und auch dem Ergebnis des Arbeitsvorgangs dieser Einheit muss eine wenn auch beschränkte Abgeschlossenheit oder Unabhängigkeit von anderen Betriebsvorgängen eigen sein (RS0051107). Sind diese Kriterien nicht gegeben, liegt bloß eine unselbständige Arbeitsstätte vor.
3. Die außerordentliche Revision verweist darauf, dass bei der Beklagten eine Firmenstruktur vorliege, in der in einem Computernetz verbundene Mitarbeiter miteinander kommunizieren und als solches einen Betrieb darstellen. Der einheitliche Betriebszweck liege in der Betreibung des Softwareunternehmens, die einheitliche Organisation in der Firmenhierarchie.
Dabei übersieht die Klägerin, dass die Vorinstanzen sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob die Beklagte in ihrer Gesamtheit als international tätiges Unternehmen einen Betrieb darstellt, sondern ob die Beklagte in Österreich einen Betrieb unterhält. Die Zugehörigkeit der in Österreich ansässigen Mitarbeiter der Beklagten zu einem allenfalls nicht in Österreich ansässigen Betrieb wurde dagegen – unter Zugrundelegung des Territoritalitätsprinzips – nicht geprüft.
Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann aber nicht vom Vorhandensein einer in Österreich tätigen organisatorischen Einheit mit einem gewissen Maß an Selbständigkeit gegenüber der Zentrale ausgegangen werden. Richtig haben die Vorinstanzen darauf hingewiesen, dass, selbst wenn das Sales‑Team als eine solche Einheit angesehen werden sollte, wogegen beachtliche Argumente sprechen, die Klägerin diesem Sales‑Team als von der Zentrale unabhängiger Organisationseinheit nicht angehört. Die Klägerin ist vielmehr Teil der Zentralorganisation, der vom Sales‑Team mittelbar zugearbeitet wird und nur zufällig ebenso wie das konkrete Sales‑Team in Österreich stationiert.
Da sich der Kündigungsschutz nach §§ 105 ff ArbVG nur auf solche Betriebe bezieht, in denen nach § 40 ArbVG ein Betriebsrat zu errichten ist, und damit auch die Klägerin allein keinen Betrieb in Österreich bilden kann, liegt in Österreich insgesamt keine Struktur vor, die als Betrieb im Sinn des § 34 ArbVG anzusehen ist.
4. Die Klägerin macht weiters geltend, dass das Vorliegen eines Betriebs in Österreich keine Voraussetzung für die Anfechtung der Kündigung nach dem ArbVG ist.
Entgegen ihrer Ansicht lässt sich jedoch aus 9 ObA 144/08d nicht ableiten, dass ein in Österreich tätiger Arbeitnehmer eines ausländischen Betriebs ohne Niederlassung in Österreich zu einer Kündigung nach § 105 ArbVG berechtigt wäre. In dieser Entscheidung war nur die Zuständigkeit österreichischer Gerichte für eine entsprechende Klage zu klären, die materielle Berechtigung eines solchen Anspruchs wurde dagegen nicht behandelt.
In der älteren Judikatur (vgl etwa 9 ObA 12/95) wurde bislang, so wie auch von den Vorinstanzen, davon ausgegangen, dass für die Kündigungsschutzbestimmungen des ArbVG das Territorialitätsprinzip gilt, also ein Betrieb in Österreich vorausgesetzt ist. Allerdings wurde zuletzt, etwa in den Entscheidungen 9 ObA 65/11s und 9 ObA 101/17v, ausdrücklich offengelassen, ob Arbeitnehmer, die ihre Arbeitsleistung in Österreich erbringen und für deren Dienstverträge österreichisches Recht anwendbar ist, die aber einem ausländischen Betrieb angehören, sich auf die Kündigungsschutzbestimmungen des ArbVG berufen können.
In der Literatur werden zu dieser Frage unterschiedliche Ansätze vertreten (vgl etwa Burger, DRdA 2015/43; Niksova, ZAS 2013/4; Niksova, ecolex 2014, 358 ff; Gahleitner in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht II5 § 33 ArbVG Rz 2; Windisch‑Graetz in ZellKomm3 § 33 ArbVG Rz 4; Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 33 Rz 17).
Allerdings muss auch im vorliegenden Fall zu dieser Frage nicht abschließend Stellung genommen werden.
5. Nach § 36 Abs 1 ArbVG sind Arbeitnehmer im Sinn des II. Teils des ArbVG alle im Rahmen eines Betriebs beschäftigten Personen einschließlich der Lehrlinge und der Heimarbeiter ohne Unterschied des Alters. Gemäß § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG gelten leitende Angestellte, denen maßgebender Einfluss auf die Führung des Betriebs zusteht, nicht als Arbeitnehmer. Maßgeblich ist, ob der Arbeitnehmer durch seine Position an der Seite des Arbeitgebers und durch Ausübung von Arbeitgeberfunktionen in einen Interessengegensatz zu anderen Arbeitnehmern geraten kann (RS0053034). Bei den Arbeitgeberfunktionen, die die Unterstellung unter den Begriff des leitenden Angestellten rechtfertigen können, steht der Einfluss auf die Eingehung oder auf Lösung von Arbeitsverhältnissen im Vordergrund. Wesentlich ist auch die Ingerenz in Gehaltsfragen, bei Vorrückungen, bei der Urlaubseinteilung, bei der Anordnung von Überstunden, bei der Ausübung des Direktionsrechts und der Aufrechterhaltung der Disziplin. Entscheidend ist dabei, ob der Mitarbeiter rechtlich und nicht nur faktisch befugt war, eine selbständige Personalkompetenz eigenständig auszuüben (RS0050979).
Ausgehend von den Feststellungen kam der Klägerin die Funktion einer leitenden Angestellten zu, da sie in ihrem Verantwortungsbereich für ihre Mitarbeiter berechtigt war, Dienstverhältnis einzugehen und zu beenden sowie im Rahmen des von ihr eigenständig verwalteten Budgets auch hinsichtlich finanzieller Fragen, insbesondere auch betreffend der Gehälter die Letztverantwortung hatte.
Soweit in der außerordentlichen Revision geltend gemacht wird, dass Feststellungen zur Beurteilung der Frage, ob die Klägerin leitende Angestellte war, fehlen, lässt sie offen, welche dies sein sollen. Ein sekundärer Feststellungsmangel wird daher nicht aufgezeigt.
Da für leitende Angestellte die Kündigungsschutzbestimmungen der §§ 105 ff ArbVG jedenfalls nicht gelten, wurde die Klage von den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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