OGH 9ObA61/22v

OGH9ObA61/22v31.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Manfred Joachimsthaler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Christian Lewol (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. P* L*, vertreten durch die Körber-Risak Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M* GmbH, *, vertreten durch Mag. Alexander Todor‑Kostic und Mag. Silke Todor‑Kostic, Rechtsanwälte in Velden am Wörthersee, wegen Kündigungsanfechtung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. März 2022, GZ 6 Ra 80/21p‑50, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00061.22V.0831.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Eine Kündigung ist dann im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG durch betriebliche Erfordernisse begründet, wenn sie im Interesse des Betriebs notwendig ist. Im Fall einer betrieblichen Rationalisierung ist die Beurteilung der Zweckmäßigkeit und Richtigkeit der Maßnahme grundsätzlich dem wirtschaftlichen Ermessen des Betriebsinhabers vorbehalten (RS0051649; RS0052008). Die wirtschaftliche Bedingtheit der Kündigung muss vom Arbeitgeber in rational nachvollziehbarer Weise im Kündigungsverfahren dargetan werden. Die Kündigung muss eine normale und für jedermann nachvollziehbare betriebswirtschaftliche Konsequenz einer unternehmerischen Disposition sein, wobei die Kündigung, nicht jedoch die sie auslösende Unternehmerdisposition der Rechtfertigung bedarf (RS0051825). Die konkrete Kündigung eines Arbeitnehmers muss aber zur Verwirklichung des beabsichtigten Erfolgs geeignet sein (RS0052008 [T18]).

[2] 2. Bei Vorliegen objektiver Rechtfertigungsgründe ist zu fragen, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist; die objektiv betriebsbedingte Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie als letztes Mittel eingesetzt wird (RS0116689 [T2]). Der Arbeitgeber ist im Rahmen dieser sozialen Gestaltungspflicht verbunden, trotz Einschränkung des Betriebs oder trotz Rationalisierungsmaßnahmen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, seine bisherigen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen. Insbesondere darf der Arbeitgeber nicht ohne triftigen Anlass Arbeitnehmer kündigen und dafür neue einstellen (RS0051827).

[3] 3. Die Kündigung ist nur dann in den Betriebsverhältnissen gerechtfertigt, wenn im gesamten Betrieb gerade für den betroffenen Arbeitnehmer kein Bedarf mehr gegeben ist und schließlich dem Arbeitgeber auch durch keine andere soziale Maßnahme die Erhaltung des Arbeitsplatzes zuzumuten ist (RS0051942). Bei Prüfung dieser Frage ist ein strenger Maßstab anzulegen, ganz besonders bei älteren Arbeitnehmern (RS0052008). Sind für den Arbeitnehmer mangels persönlicher Eignung keine anderen vom Arbeitgeber im Rahmen seiner sozialen Gestaltungspflicht anzubietenden Arbeitsplätze vorhanden, so ist die Kündigung als betriebsbedingt im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG anzusehen (RS0051942 [T2]).

[4] 4. Nach der Entscheidung 9 ObA 34/08b, die auch in der Lehre überwiegend Zustimmung fand (ZAS 2010/29 [Felten]; DRdA 2011/23 [Trost]; ZAS 2010/36 [Hutter]) kommt die generelle Annahme einer „konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht“ des Arbeitgebers im Sinn der Verpflichtung, die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz wegfällt, konzernweit zu prüfen bzw für die Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers in einem anderen Konzernbetrieb „zu sorgen“, nicht in Betracht. Ausnahmsweise kann die Annahme einer konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht nur im Falle eines „konzernbezogenen Arbeitsverhältnisses“ erwogen werden.

[5] 5. Die Beurteilung der Frage, ob der Arbeitgeber seiner sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen ist, stellt schon wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0051942 [T4]; 9 ObA 54/21p [Rz 6]). Dies ist auch hier der Fall.

[6] 6. Die von der Klägerin bekämpfte Entscheidung des Berufungsgerichts bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zur sozialen Gestaltungspflicht des Arbeitgebers. Nach den bindenden Feststellungen musste die Beklagte ihren Betriebsstandort in Feistritz/Drau im März 2021 aus betriebswirtschaftlichen Gründen (erheblicher Produktionsentfall wegen Wegfall des Hauptkunden) schließen. Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Beklagten war der Kläger bereits seit 1. 1. 2019 nicht mehr (zunächst ausschließlich) im Betrieb der Beklagten mit dem Vertrieb ihres gesamten Portfolios betraut, sondern beim Schwesterunternehmen M* GmbH mit Sitz in Essen/Deutschland mit dem Verkauf von Fußbodenklebstoffen in Österreich, Deutschland und der Schweiz betraut. Nachdem die M* GmbH 2019 entschied, den Klebstoffbereich nicht weiter zu entwickeln und vom Vertrieb auch nicht weiter betreuen zu lassen (die Betreuung des Klebstoffbereichs bei der M* GmbH sollte von deren Customer Service übernommen werden) und zudem konzernintern die Entscheidung getroffen wurde, die Beklagte zu schließen und die Produktion der Stahlanker nach Polen zu verlagern, wurde der Kläger am 16. 12. 2019 im Zuge der dadurch betriebswirtschaftlich erforderlichen Umstrukturierungs‑ und Einsparungsmaßnahmen zum 31. 3. 2020 gekündigt. Seine Arbeitsplätze bei der Beklagten und der M* GmbH wurden nicht nachbesetzt. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers innerhalb der M*‑Gruppe, im besonderem bei der M* GmbH, wurde gruppen- und konzernintern geprüft, war aber aufgrund der konzerninternen Vorgaben (Personalreduktion), der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch deshalb nicht möglich, weil er bei vergleichsweiser Betrachtung mit seinen deutschen Kollegen aufgrund sozialer Kriterien (Alter, Betriebszugehörigkeit) und aufgrund seiner eingeschränkten Sprachkompetenz (kein Türkisch, kein Ukrainisch, kein Russisch) nachgeordnet wurde. Auch seitens der Konzernmutter (O*) wurden Überlegungen angestellt, den Kläger beim zugekauften Technologieunternehmen „G*“ einzusetzen. Dies war aber nicht möglich, weil dem Kläger dafür die Qualifikation fehlte. Schließlich kam seine Verwendung bei einem Konzerntochterunternehmen im nicht deutschsprachigen Ausland aufgrund sprachlicher Barrieren bzw mangelnder Kenntnis der jeweiligen Landessprache nicht in Betracht.

[7] 7. Einer weiteren Klärung der Bedeutung der konzernweiten sozialen Gestaltungspflicht durch den Obersten Gerichtshof bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Selbst wenn man von dieser Pflicht ausgeht (der Kläger war nur bei der Beklagten und mangels weiterer Beschäftigungsmöglichkeit dann bei deren Schwesterunternehmen tätig), ist die Beklagte ihrer sozialen Gestaltungspflicht nachgekommen. Freie Stellen im Konzern, für die der Kläger qualifiziert gewesen wäre, konnten dem Kläger unter Berücksichtigung der geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen zum Kündigungszeitpunktnicht angeboten werden.

[8] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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