European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00025.23A.0427.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1989 als Vertragsbediensteter beschäftigt. Der Kläger unterliegt der Dienstordnung (DO) der Beklagten, die seit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes (PTSG) zum 1. 5. 1996 als Kollektivvertrag gilt (§ 19 Abs 4 PTSG) und auch übergeleitete Dienstnehmer (Vertragsbedienstete) erfasst (§ 18 Abs 1 S 1, Abs 2 PTSG).
[2] Mit Schreiben der Beklagten vom 12. 8. 2021 wurde der Kläger – „unter Beibehaltung seiner Bezüge“ – vom Dienst freigestellt. Vor der Dienstfreistellung erhielt er eine monatliche Erschwernisquote von 120,19 EUR und eine monatliche Aufwandsquote von 13,08 EUR, jeweils brutto, ausbezahlt. Im September, Oktober und November 2021 wurde dem Kläger eine reduzierte Erschwernisquote von 69,29 EUR und eine Aufwandsquote von 9,45 EUR, jeweils brutto, als Betriebssonderzulage nach der Betriebssonderzulagen‑Verordnung (BSZ 2021) ausgezahlt. Seit Jänner 2022 werden ihm monatlich an Erschwerniszulage und an Aufwandszulage lediglich jeweils 0,01 EUR brutto ausgezahlt.
[3] Die Vorinstanzen gaben dem auf Zahlung der Differenz zwischen der vor und nach der Dienstfreistellung ausgezahlten Betriebssonderzulagen im Zeitraum September 2021 bis Juli 2022 gerichteten Klagebegehren übereinstimmend statt.
[4] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nicht zugelassen, weil es sich um eine ausgehend vom Einzelfall vorzunehmende Beurteilung (Auslegung der Dienstfreistellung) handle und daher die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO für die Zulassung der Revision nicht erfüllt seien.
Rechtliche Beurteilung
[5] Auch die dagegen gerichtete außerordentliche Revision der Beklagten zeigt kein unvertretbares Auslegungsergebnis auf, das vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste (vgl RS0042776 [T1, T3]; RS0044358 [T31]).
[6] Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden zu erforschen (RS0017915 [T2]). Maßgeblich ist der objektive Erklärungswert einer Willensäußerung (RS0028642). Die Auslegung der Erklärung ist am Empfängerhorizont zu messen, wobei die aus der Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen sind, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern wie die Erklärung unter Berücksichtigung aller Umstände durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war (RS0014160 [T23, T37]; vgl RS0113932 [T1]; RS0014205 [T20]).
[7] Die außerordentliche Revision geht zwar zutreffend davon aus, dass die Betriebssonderzulage nach § 1 Abs 1BSZ 2021, auf die sich beide Parteien berufen, aus einer Erschwernisquote und einer Aufwandsquote zusammensetzt und die Erschwerniszulage und die Aufwandsentschädigung nach § 22 Abs 1 der als Kollektivvertrag geltenden Dienstordnung (DO) iVm § 15 Abs 1 Z 8 und Z 10 GehG Nebengebühren sind. Dass diese Nebengebühren grundsätzlich nur dann zustehen, wenn der Arbeitnehmer eine diese Nebengebühren rechtfertigende Leistung tatsächlich erbringt, hat das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung ohnedies zugrunde gelegt.
[8] Die Auslegung der weiteren Bezugszusage in der schriftlichen Dienstfreistellungserklärung durch das Berufungsgericht stützt sich aber – vertretbar – darauf, dass die Beklagte damit ein von § 1155 Abs 2 ABGB abweichendes und für den Kläger günstigeres Entgelt gewährt hat. Da § 22 Abs 1 DO 2009 selbst keine Definition des Begriffs „Nebengebühren“ enthält, ist es auch nicht unvertretbar, anzunehmen, dass der Kläger als redlicher und objektiver Erklärungsempfänger davon ausgehen durfte, dass ihm damit die Weiterzahlung seines bisherigen Entgelts (samt Zulagen) zugesichert wurde. Zudem hält auch § 13 Abs 1 Satz 1 DO 2009 (Überschrift „Bezüge“) fest, dass dem Bediensteten das Monatsgehalt und allfällige Zulagen gebühren. Ob hier auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0042776 [T2]).
[9] Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.
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